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Erfolglose Eilanträge gegen Einberufung des alten BT, oder: Und weiter geht es….

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Und dann zum Wochenende das dann auch noch.

Das BVerfG teilt mit seiner PM Nr. 25/2025 gerade mit:

„Erfolglose Anträge gegen Einberufung des alten Bundestages vor Zusammentritt des neu gewählten Bundestages

Mit heute veröffentlichten Beschlüssen hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mehrere Anträge verworfen, die sich gegen die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages zu Sondersitzungen am 13. und 18. März 2025 richten.

Die Antragstellenden, unter anderem die Vor-Fraktion Die Linke im 21. Deutschen Bundestag und die AfD-Fraktion im 20. Deutschen Bundestag sowie mehrere – nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis – neu gewählte Abgeordnete dieser Parteien, halten die Einberufung des 20. Deutschen Bundestages insbesondere deswegen für pflichtwidrig, weil vielmehr der neu gewählte Bundestag so schnell wie möglich einzuberufen sei. Dies dürfe nicht durch eine Einberufung des alten Bundestages blockiert werden, wenn der neue Bundestag – wie hier – bereits konstituierungsfähig sei.“

Und in der PM Nr. 26/2025 heißt es:

„Erfolglose Eilanträge gegen die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des Grundgesetzes

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss Eilanträge einer fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt, mit denen sie sich im Wesentlichen gegen die Anberaumung und Durchführung der Sondersitzungen des 20. Deutschen Bundestages am 13. und 18. März 2025 wendet, in denen über mögliche Grundgesetzänderungen beraten werden soll.

Ungeachtet der Frage, ob der Antrag in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, ist eine einstweilige Anordnung schon deshalb nicht zu erlassen, weil jedenfalls die vorzunehmende Folgenabwägung ergibt, dass die für einen Erlass sprechenden Gründe nicht überwiegen.“

Dann wäre das also auch erstmal erledigt.

Durchsuchung I: Durchsuchung im Kipo-Verfahren, oder: 16-Jähriger bittet 13-Jährige um Nacktbilder

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Heute gibt es dann StPO-Entscheidungen. Alle drei haben mit Durchsuchung und/oder Beschlagnahme zu tun.

Ich fange „ganz oben“ an, nämlich beim BVerfG. Das hat sich im BVerfG, Beschl. v. 29.01.2025 – 1 BvR 1677/24 – in erster Linie zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde geäußert, aber dann auch in einem obiter dictum zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung in einem KiPo-Verfahren und zur Auffindevermutung Stellung genommen

Der Entscheidudng liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft führte gegen den zum Tatzeitpunkt (§ 155 StPO) jugendlichen Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Ausgangspunkt war ein Chat des damals knapp 16-jährigen Beschuldigten mit einem 11-jährigen Mädchen, das sein Alter ihm gegenüber wahrheitswidrig mit 13 Jahren angegeben hatte. In dem sehr kurzen Chatverlauf erkundigte sich der Beschuldigte, ob das Mädchen ihm Nacktbilder schicken würde. Dies lehnte das Mädchen auch auf Nachfrage hin ab. Daraufhin endete der Chatverlauf.

Auf dieser Grundlage ordnete das AG die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten an. Aus dem Chat ergebe sich ein offensichtliches Interesse an kinderpornographischem Material, weshalb auch der Verdacht bestehe, dass der Beschuldigte im Besitz anderer solcher Inhalte sei. Die Durchsuchung wurde vollzogen, wobei mehrere elektronische Geräte des Beschuldig-ten sichergestellt wurden.

Die vom Beschuldigten gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegte Beschwerde hat das LG als unbegründet verworfen. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beschuldigten. Er sieht sich durch die gerichtlichen Entscheidungen unter anderem in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt. Die Durchsuchung sei wegen des eher schwachen Anfangsverdachts, der aufgrund seines Alters geringen Tatschwere und der nur schwachen Auffindewahrscheinlichkeit unverhältnismäßig gewesen.

Das BVerfG hat die Verfassungsbe-schwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig sei.

Insoweit stelle ich nur (meine) Leitsätze zu der Entscheidung ein und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext mit der „Bitte“ um Beachtung der Ausführungen des BVerfG:

1. Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG umfasst grds auch die – fristgerechte – Darlegung, dass die Frist des § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG eingehalten ist, sofern sich dies nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt.

2. Bei einer gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme gerichteten Verfassungsbeschwerde muss dafür mitgeteilt werden, wann die für die Fristberechnung maßgebliche Instanzentscheidung sowohl der Verteidigung als auch den Beschwerdeführenden bekannt gemacht wurde.

Es gibt dann aber auch noch ein obiter dictum des BVerfG, aus dem m.E. sehr deutlich wird, was das BVerfG von der Durchsuchungsmaßnahme hält, nämlich nichts:

„2. Aufgrund der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann offenbleiben, ob sich die Durchsuchungsanordnung und die Entscheidung über die Beschwerde in der Sache noch als verfassungsgemäß erweisen. Zweifel bestehen allerdings in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Anordnung.

a) Die Anordnung der Durchsuchung bedarf wegen des erheblichen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Beschwerdeführers einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 96, 44 <51>). Die Durchsuchung muss insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>).

b) Danach begegnet die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnung verfassungsrechtlichen Bedenken. Angesichts der schwer wirkenden Eingriffsintensität einer Durchsuchung ist zu besorgen, dass der aufgrund des kurzen Chats eher schwache Anfangsverdacht sowie die daher nur geringe Auffindevermutung nicht ausreichen, um die Durchsuchungsanordnung zu rechtfertigen. So weist der vorliegende Chatverlauf lediglich auf das Interesse des erst knapp 16 Jahre alten Beschwerdeführers am Besitz von Nacktbildern eines (vermutlich) 13-jährigen Mädchens hin. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer ein weitergehendes Interesse an dem Besitz anderer strafbarer Inhalte als an Nacktbildern pubertierender Mädchen vorzuwerfen sein könnte, sind aus den vorgelegte Unterlagen nicht ersichtlich.“

M.E. ist das mehr als deutlich. Denn danach wird man davon ausgehen können, dass die Verfassungsbeschwerde, wenn sie zulässig gewesen wäre, Erfolg gehabt hätte. Und das mit Recht. Denn man wird kaum daraus schließen können, dass ein (wahrscheinlich auch noch pubertierender) 16-Jähriger, der ein pubertierendes Mädchen von (vermeintlich) 13 Jahren nach Nacktbildern fragt, ein (weitergehendes) Interesse an dem Besitz kinderpornographischer Inhalte hat. Jedenfalls wird man davon nicht ohne weitere Anhaltspunkte ausgehen können (vgl. zur Durchsuchung im KiPo-Bereich BVerfG, Beschl. v. 21.10.2024 – 1 BvR 2215/24 und auch den schönen Beitrag des Kollegen Urbancyk in StRR 2/2025, 6). Mich hätte im Übrigen mal die Begründung des AG für die Anordnung der Durchsuchung und die Begründung des Beschwerdeentscheidung des LG interessiert. Viel kann da jedenfalls nicht an Begründung gestanden haben. Sonst wäre das BVerfG nicht doch so deutlich geworden.

StGB II: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, oder: „Volksverhetzung“ auf dem Schützenfest?

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Und im zweiten Posting spielen dann das Lied/die Melodie „L’amour toujours“ eine Rolle und der dazu gewählte Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Das war auf einem Schützenfest „gesungen“ (?) worden. Die Staatsanwaltschaft hatte deswegen gegen die zur Tatzeit 16 bzw. 17 Jahre alten Angeschuldigten Anklage wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zum Jugendrichter burg erhoben. Der hatte die Eröffnung des Verfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das jedoch beim LG Oldenburg mit dem LG Oldenburg, Beschl. v. 12.12.2024 – 6 Qs 160 Js 40980/24 (55/24) jug . – keinen Erfolg hatte:

„Die Entscheidung des Amtsgerichts ist auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden. Sie hat mit umfangreicher und abgewogener Argumentation zutreffend dargetan, dass im vorliegenden Fall unter den konkreten Bedingungen aus rechtlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht im Hinblick auf eine Strafbarkeit gem. § 130 Abs. 1 StGB besteht.

Durch die Verwendung der streitgegenständlichen Äußerung im Rahmen der gegebenen Umstände liegt unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen geschützten Meinungsfreiheit weder ein strafbares Aufstacheln zum Hass noch eine strafbare Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen vor.

Nach gesicherter Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.), fallen Äußerungen wie die hier streitgegenständliche in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Meinung ist jedes Werturteil, gleichgültig, worauf es sich bezieht und welchen Inhalt es hat; es ist auch unerheblich, ob die Meinung vernünftig oder unvernünftig, wertvoll oder wertlos ist. Die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist ohne Weiteres als wertende Stellungnahme und damit als Meinung zu qualifizieren. Als solche genießt sie den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verliert diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert wird. Geschützt sind damit durchaus auch rechtsextremistische Meinungen, das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, denn es findet seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen unzweifelhaft auch § 130 StGB zählt.

Aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsfreiheit sind die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung ihrerseits wiederum einschränkend auszulegen (sog. Wechselwirkungslehre) und im Falle der Mehrdeutigkeit einer Äußerung ist bei der Gesetzesanwendung die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, a.a.O.; Beschl. v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08).

Der BGH (Urt. v. 03.04.2008 – 3 StR 394/07; Urt. v. 15.03.1994 – 1 StR 179/93; Urt. v. 19.01.1989 – 1 StR 641/88) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass allein die Verletzung der Ehre einer Person nicht als ein Angriff auf die Menschenwürde einzuordnen ist, weil dies nicht ohne Weiteres den Achtungsanspruch des anderen als Mensch abspricht. Es ist vielmehr erforderlich, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit und nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richten. Dies hat das BVerfG (Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.) für die Anwendung von § 130 StGB a.F. gebilligt und nicht beanstandet. Es hat vielmehr festgestellt, dass bei der Subsumtion der Parole „Ausländer raus“ unter den Volksverhetzungstatbestand grundsätzlich eine restriktive Auslegung vorzunehmen ist, indem nur unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde auszugehen ist.

Unter den konkreten Bedingungen ist danach die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden, denn weder rechtfertigt der konkrete Wortlaut der relevanten Äußerung ein Abweichen von den einschlägigen Entscheidungen noch erscheint es angezeigt, aktuell aufgrund des Zeitablaufs eine andere Beurteilung vorzunehmen. Vor allem rechtfertigt nicht die von der Beschwerdeführerin bemühte Herkunft der Formulierung eine neue Bewertung, selbst wenn sich die früher typischen Erscheinungsmerkmale rechtsradikaler Erscheinung (etwa Bomberjacke, Glatze, Springerstiefel, Fackelmärsche usw.) geändert haben mögen. Auch im Hinblick auf die hier relevante Äußerung ist davon auszugehen, dass der Tatbestand der Volksverhetzung durch Aufstachelung zum Hass regelmäßig allein beim Hinzutreten weiterer Umstände wie bedrohliches Auftreten, einer Bezugnahme auf den Nationalsozialismus oder sonstiges rassistisches Gedankengut oder Verächtlichmachen der betroffenen Bevölkerungsgruppe erfüllt ist (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.11.2001 – 1 Ss 52/01; LG Magdeburg, Urt. v. 09.08.20217 – 26 Ns 3/17; AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341; Fischer, a.a.O., Rn. 9, 10a m.w.N.). Daran fehlt es aber hier in jeglicher Hinsicht, was bekanntlich auch die Staatsanwaltschaft veranlasst hat, in ihrer Verfügung vom 24.06.2024 selbst darauf hinzuweisen, dass singende Menschen auf Partys, Feiern und Volksfesten, die regelmäßig mit einer gelöst-fröhlichen Stimmung in Verbindung gebracht werden, gerade keinen offensichtlich aggressiven, nationalistischen und ausländerfeindlichen Eindruck erwecken.

Unter den hier relevanten Bedingungen können die Äußerungen „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ auch bei ihrer gemeinsamen Verwendung nach ihrem objektiven, durch Auslegung unter Berücksichtigung aller hierfür bedeutsamen Umstände zu ermittelnden Erklärungswert nur als Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, verstanden werden. Dass durch die Äußerung der vorgenannten Parolen zugleich auch eine gewaltsame und willkürliche Vertreibung propagiert wird und die Äußerung auch deshalb als Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen verstanden werden muss, ist nicht zwingend. Wie bereits dargestellt, müssen Meinungen im Sinne und zum Schutz der Meinungsfreiheit gerade meinungsfreundlich ausgelegt werden. Es kann gerade ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht einfach unterstellt werden, dass eine Entfernung von Ausländern etwa mit unzulässigen Mitteln oder unter Gefährdung des öffentlichen Friedens angestrebt wird. Denn selbst bei feindseligen Parolen wie „Ausländer raus“ drängt sich dem objektiven Empfänger eine konkludente Aufforderung zu Willkürmaßnahmen als unabweisbare Schlussfolgerung nicht auf (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Dabei ist entgegen der Beschwerdebegründung in der Gesamtschau durchaus auch zu berücksichtigen, dass sich das fragliche Geschehen im Festzelt eines Schützenfestes zugetragen hat und die beiden jugendlichen Angeschuldigten zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht unerheblich alkoholisiert waren.

2. Ohnehin hat sich auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht aufgedrängt, dass es hier dem Wohl der Angeschuldigten dienen würde, bereits vor Vorliegen eines Jugendgerichtshilfeberichts Anklage zu erheben. Eine bloße Vereinbarkeit mit dem Wohl des Jugendlichen allein reicht nicht aus, vielmehr muss die Anklageerhebung ohne vorherigen Bericht das Kindeswohl gerade fördern, d.h. wenn hierdurch nicht nur ganz unerhebliche Belastungen vermieden werden (vgl. BeckOK JGG/Gertler, 34. Ed. 1.8.2024, § 46a Rn. 7). Abzuwägen sind demnach regelmäßig die jeweiligen Vor- und Nachteile, die sich aus der Vorlage des Berichts vor der Entscheidung über die Anklageerhebung ergeben können. Dies können namentlich auch die Anregung der Jugendgerichtshilfe sein, das Verfahren gem. § 45 einzustellen (BT-Drs. 19/13837, 53), oder sonstige Umstände, die für ein Absehen von der Anklageerhebung sprechen könnten (BeckOK JGG/Gertler, a.a.O. Rn. 9). Dies gilt hier umso mehr, als die Polizei mit beiden Angeschuldigten im Rahmen der verantwortlichen Beschuldigtenvernehmung bereits ein erzieherisches Gespräch durchgeführt hat, bei dem diese sich einsichtig gezeigt und glaubhaft versichert haben, sich von derartigen Äußerungen zu distanzieren und zukünftig unterlassen zu wollen.“

BVerfG II: Durchsuchung im KiPo-Verfahren, oder: Wenn die abgebildete Person „minderjährig“ wirkt

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Und im zweiten Posting dann ein BVerfG-Beschluss, der sich zu den Anforderungen an die Anordnung einer Durchsuchung in einem „KiPo-Verfahren“ äußert. Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung und des Besitzes jugendpornographischer Inhalte. Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens war eine Meldung des National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) darüber, dass ein dem Beschwerdeführer zuzuordnendes Konto eines Messengerdienstes ein Video an mehrere andere Kontakte versandt habe. In dem 50-sekündigen Video ist eine männliche ejakulierende Person zu sehen. Nach Auffassung der Ermittlungsbehörden und der angegriffenen Entscheidungen ist die Person etwa 15 bis 17 Jahre alt.

Auf Grundlage dieses Videos erließ das AG einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnanschrift des Beschuldigten. Bei deren Durchführung stellten die Ermittlungsbehörden das Smartphone, den Laptop und das Tablet des Beschuldigten vorläufig sicher.

Dagegen dann die Rechtsmittel bei AG und LG, die keinen Erfolg haben. Beim BVerfG rügt der Beschuldigte dan u.a. eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG. Es fehle bereits ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht. Die im Video abgebildete Person sei geschlechtsreif. Ihre körperliche Entwicklung sei abgeschlossen und lasse nicht auf eine minderjährige Person schließen. Es sei unmöglich, einen Jugendlichen nur anhand von Bildmaterial von einem jungen Erwachsenen zu unterscheiden. Eine andere Betrachtung verbiete sich ohne weitere verdachtsbegründende Anknüpfungstatsachen, die hier nicht vorlägen.

Die Sache hatte beim BVerfG mit dem BVerfG, Beschl. v. 21.10.2024 – 1 BvR 2215/24 – keinen Erfolg:

„2. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung der gerügten Grundrechte nicht gemäß den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG aufgezeigt. Das gilt insbesondere für die gerügte Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer zeigt nicht substantiiert auf, wieso die Annahme des Amts- und Landgerichts, es habe ein Anfangsverdacht für die vorgeworfene Straftat vorgelegen, eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts darstellen soll. Denn der Beschwerdeführer geht von einem falschen verfassungsrechtlichen Maßstab für den erforderlichen Verdachtsgrad aus.

a) Das Gewicht des mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 115, 166 <197 f.>; BVerfGK 2, 290 <295>; 5, 84 <88>). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende, plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen, sodass ihr Ergebnis nicht mehr verständlich ist und sich somit der Schluss auf Willkür aufdrängt (vgl. BVerfGE 59, 95 <97> m.w.N.; BVerfGK 18, 414 <418>). Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte der Beschwerdeführenden beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; 115, 166 <199>; BVerfGK 5, 25 <30 f.>).

b) Die Verfassungsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die angegriffenen Beschlüsse diesem Anforderungen nicht gerecht würden. Es begegnet insbesondere keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass Amts- und Landgericht die Annahme, dass sich der Beschwerdeführer im Besitz von zumindest jugendpornographischen Inhalten befunden und diese an mehrere Empfänger versandt hat, auf das versandte Video gestützt haben, weil auf sie die im Video abgebildete Person minderjährig wirkt. Das kann als zureichender tatsächlicher Anhaltspunkt für die Strafbarkeit des Besitzes und der Verbreitung auch von anderem jugend- oder kinderpornographischen Material genügen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, Rn. 22 und vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, Rn. 40; dagegen aber wohl BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 und 2 BvR 886/19 -, Rn. 29).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt allein die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass die im Video abgebildete Person tatsächlich volljährig sein könnte, nicht den Anfangsverdacht entfallen. In einem – wie hier – frühen Stadium der Ermittlungen ist es verfassungsrechtlich ausreichend, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die in einem pornographischen Video abgebildete Person jünger als 18 Jahre alt ist; ein höherer Verdachtsgrad wie etwa eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit oder gar eine Schuldüberzeugung sind nicht erforderlich. Die Frage der Volljährigkeit ist letztlich eine Frage, die abschließend erst durch die weiteren Ermittlungen und das weitere Verfahren zu klären ist. Zwar können konkrete Anhaltspunkte für die Minderjährigkeit einer abgebildeten Person nicht in jedem Fall allein vorliegendem Bildmaterial entnommen werden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 und 2 BvR 886/19 -, Rn. 29). Vorliegend sind die Fachgerichte aber nachvollziehbar davon ausgegangen, dass das Video hinreichend aussagekräftig ist, um zur Einschätzung der Minderjährigkeit der abgebildeten Person zu gelangen; das Landgericht begründet dies insbesondere damit, dass das Gesicht der Person geradezu kindliche Züge aufweise.“

BVerfG II: Karlsruhe locuta, causa „Encro“ finita? oder: BVerfG segnet BGH-Rechtsprechung zu EncroChat ab

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Und dann als zweite Entscheidung vom BVerfG der BVerfG, Beschl. v. 01.11.2024 – 2 BvR 684/22 – mit dem das BVerfG zur EncroChat-Rechtsprechung des BGH Stellung nimmt und die abgesegnet hat.

Es ging um den BGH, Beschl. v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21 – über den ich auch berichtet hatte (vgl. Außer der Reihe: Volltext zum 5. Ss des BGH zu Encro, oder: Daten sind verwertbar – mich wundert das nicht). Dagegen ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, die das BVerfG nun zurückgewiesen hat.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es sieht weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter; insoweit bitte selbst lesen. Im Übrigen führt es aus:

„3. Unabhängig davon weist die Kammer darauf hin, dass auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof festgestellten, im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wie dargelegt maßgeblichen Verfahrenstatsachen eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist. Insoweit sei insbesondere angemerkt:

a) Unmittelbare Prüfungsgegenstände der Verfassungsbeschwerde sind das Urteil des Landgerichts Hamburg und der Beschluss des Bundesgerichtshofs. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Verwertung der aus Frankreich zur Verfügung gestellten EncroChat-Daten, soweit sie den Beschwerdeführer betreffen. Die Frage der Verwertung von im Wege der Rechtshilfe erlangten Beweismitteln ist nach nationalem Recht zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a., C-511/18, C-512/18, C-520/18, EU:C:2020:791, Rn. 222; Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Das gilt auch für Erkenntnisse, die mittels einer EEA gewonnen wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Maßstab für die Prüfung sind damit in erster Linie die Grundrechte des Grundgesetzes. Denn die Anwendung innerstaatlichen Rechts, das unionsrechtlich nicht vollständig determiniert ist, prüft das Bundesverfassungsgericht primär am Maßstab dieser Vorschriften (vgl. BVerfGE 152, 152 <169 Rn. 42 f.> – Recht auf Vergessen I).

b) Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG scheidet aus.

aa) (1) Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein (vgl. BVerfGE 34, 238 <245>; 80, 367 <376, 379 f.>; 106, 28 <39, 44>; 130, 1 <35>; BVerfGK 14, 20 <23>). Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als besondere Ausprägungen unter anderem das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 35, 202 <220>; 54, 148 <153 f.>; 106, 28 <39>; 118, 168 <183 ff.>; 130, 1 <35>). Abhängig von der Art der in der strafgerichtlichen Entscheidung verwerteten Informationen kann ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) oder in das Recht am eigenen Wort (durch die Wiedergabe einer Äußerung) vorliegen (vgl. BVerfGE 106, 28 <44>; 130, 1 <35>). Ist keine speziellere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen, greift die Verwertung von personenbezogenen Informationen jedenfalls in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; 80, 367 <373>; 113, 29 <45 f.>; 115, 166 <187 f.>; 115, 320 <341>).

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nach Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen zulässig, wenn sie durch oder auf Grundlage eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, erfolgen (vgl. BVerfGE 65, 1 <44, 54>; 67, 100 <143>; 78, 77 <85>; 84, 239 <279 f.>; 92, 191 <197>; 115, 320 <344 f.>; 130, 1 <36>). Soweit Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung verwertet werden, ist eine Rechtfertigung des Eingriffs jedoch ausgeschlossen. Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegen einem aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden absoluten Beweisverwertungsverbot im Strafprozess (vgl. BVerfGE 109, 279 <324, 331 f.>; 120, 274 <337>).

(2) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung im Strafprozess ist § 261 StPO (vgl. BVerfGE 130, 1 <29 ff.>; so zuvor bereits ohne nähere Begründung BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats BVerfGK 17, 311 <314>). Für die Verwertung von Beweisen, die aus dem Ausland in ein deutsches Strafverfahren eingeführt wurden, gelten insoweit grundsätzlich keine Besonderheiten. Rechtmäßig erhobene oder in das Strafverfahren unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen eingeführte Informationen dürfen auf Grundlage des § 261 StPO grundsätzlich verwertet werden (vgl. BVerfGE 130, 1 <36 ff.>). Wurden Informationen rechtswidrig erlangt, besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz, wonach die Verwertung der gewonnenen Informationen stets unzulässig wäre (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 18, 193 <202 f.> m.w.N. zur ständigen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Welche Folgen ein Rechtsverstoß bei der Informationserhebung oder bei der Einführung von Informationen in ein Strafverfahren hat und ob aus dem Verstoß ein Beweisverwertungsverbot folgt, obliegt in erster Linie der Beurteilung durch die zuständigen Fachgerichte (vgl. BVerfGE 130, 1 <31>; BVerfGK 4, 283 <285>; 9, 174 <196>; 14, 107 <111>; 18, 193 <203>). Die strafgerichtliche Praxis geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist und dass die Frage nach dem Vorliegen eines Verwertungsverbots jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfGK 14, 107 <111>; BGHSt 38, 214 <219 f.>; 44, 243 <249>; 51, 285 <289 f. Rn. 20>; vgl. auch Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, vor § 94 Rn. 10 ff.). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots stellt dabei eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 40, 211 <217>; 44, 243 <249>; 51, 285 <290 Rn. 20>).

Hiergegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 16, 22 <27>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94 -, Rn. 10 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 1502/04 -, Rn. 8). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (vgl. BVerfGK 18, 193 <203>). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; stRspr). Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (vgl. BVerfGE 113, 29 <61>; BVerfGK 18, 444 <449>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1998 – 2 BvR 446/98 -, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 -, Rn. 26 f.). Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl. BVerfGE 34, 238 <245 f.>; 80, 367 <374 f.>; 109, 279 <324>).

bb) Die Würdigung des Bundesgerichtshofs im angegriffenen Beschluss, wonach die EncroChat-Daten keinem aus einem Verfahrensfehler abgeleiteten Beweisverwertungsverbot unterliegen, ist nach diesen Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung wurden im Urteil des Landgerichts nicht verwertet. Dass der Bundesgerichtshof die Verwertung der Informationen, deren Erhebung im Ausland den wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen im Sinne des deutschen und europäischen ordre public (vgl. Gleß/Wahl/Zimmermann, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 73 IRG Rn. 1 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen) nicht widerspricht, vor dem Hintergrund der von ihm vorgenommenen Abwägung der widerstreitenden Interessen davon abhängig macht, ob die Voraussetzungen der – nicht unmittelbar anwendbaren – § 100e Abs. 6, § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO vorliegen, und dabei auf eine Betrachtung zum Verwertungszeitpunkt abstellt, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; der Bundesgerichtshof unterschreitet damit das verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit Gebotene jedenfalls nicht. Auch gegen die Annahme des Bundesgerichtshofs, die durch französische Behörden durchgeführte Beweiserhebung habe auch nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und europäischen ordre public verstoßen, ist auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhalts von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.“

Ich denke, damit dürfte die Diskussion um EncroChat und vergleichbare Messengerdienste allmählich zum Ende kommen. Besser wäre wahrscheinlich die Formulierung: „…. sollte….“.