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StPO III: Ehefrau „zieht“ Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Angaben im Gewaltschutzverfahren verwertbar?

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Und im dritten Posting dann der angekündigte OLG-Beschluss, und zwar der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2024 – 1 ORs 36 SRs 752/23.

Der Angeklagte ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt worden. Nach den Feststellungen dess LG verpasste der Angeklagte am 06.01.2021 seiner vom ihm getrenntlebenden Ehefrau im Rahmen eines Streits in deren Wohnung mehrere Faustschläge ins Gesicht und drohte mit einem großen Messer damit, diese umzubringen.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Mit der rügt der Angeklagte verfahrensrechtlich insbesondere die Verwertung der Angaben der in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machenden Ehefrau gegenüber der Rechtspflegerin beim Amtsgericht B. vom 07.01.2021 zur Begründung ihres Antrags auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung nach § 1 GewSchG. Bei Antragstellung bezog sich die Ehefrau des Angeklagten auf das Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung vom 06.01.2021 und übergab zur Glaubhaftmachung eine Kopie des polizeilichen Vernehmungsprotokolls, dessen inhaltliche Richtigkeit sie an Eides statt versicherte.

Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge war nach Auffassung des OLG zwar zulässig, aber unbegründet:

„1. Die Verfahrensrüge gem. § 252 StPO ist in zulässiger Weise erhoben. Sie genügt den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. So teilt der Revisionsführer zur Begründung seiner Rüge der Verletzung von § 252 StPO die frühere polizeiliche Aussage der Zeugnisverweigerungsberechtigten und ihre nunmehrige Aussageverweigerung ebenso mit wie den genauen Inhalt und die näheren Umstände der von der Kammer verwerteten Angaben der Zeugin aus Anlass der Stellung des Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz sowie das Beruhen des Urteils hierauf. Der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegen steht, dass die Art und Weise der Einführung der von der Kammer verwerteten Aussage der Geschädigten durch Verlesung von Teilen aus den Akten des Gewaltschutzverfahrens in der Antragsschrift unerwähnt bleiben, denn die Verlesung und Verwertung dieser Aktenteile nach erfolgter Zeugnisverweigerung ergibt sich schon aus den schriftlichen Urteilsgründen, welche der Senat auf die Sachrüge zur Kenntnis nimmt, weshalb der mangelhafte Vortrag der Revision unschädlich ist (BGH NJW 1990, 1859). Unerheblich ist, dass die Antragsschrift den Inhalt des aus dem Protokoll ersichtlichen Hinweises der Kammer, dass die Angaben der Zeugin im Gewaltschutzverfahren keinem Beweisverwertungsverbot gemäß § 252 StPO unterliegen, nicht mitteilt, denn der Erfolg der Verfahrensrüge kann durch den (in Abwesenheit der Zeugin) erteilten Hinweis der Kammer zu ihrer Rechtsansicht nicht negativ beeinflusst werden.

2. Die Rüge ist indes unbegründet, da die Angaben der Geschädigten zur Begründung ihres Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz keinem Verwertungsverbot gem. § 252 StPO unterliegen.

Das Verwertungsverbot gem. § 252 StPO bezieht sich auf Aussagen des Zeugen im Rahmen einer Vernehmung, welche vor der Hauptverhandlung stattgefunden hat, etwa im Rahmen einer polizeilichen, auch informatorischen Befragung. Der Vernehmungsbegriff ist weit auszulegen und erfasst – unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden – alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer offen von einem staatlichen Organ durchgeführten Befragung (BGH NJW 2005, 765 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden im Wege einer entsprechenden Anwendung der Norm auch frühere vernehmungsbasierte Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten in einem Zivilrechtsstreit oder in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfasst, die geeignet sind, einen Angehörigen zu belasten, und der Zeuge sich in einer Lage befindet, die derjenigen des Zeugen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vergleichbar ist (vgl. BGH NJW 1990, 1859 mwN). Das Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 252 StPO soll den Zeugen vor Konflikten schützen, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN).

Unabhängig von der jeweils zugrundeliegenden Prozessordnung bleibt für eine Verwertung im Strafverfahren aber erkennbar stets maßgeblich, ob die Angaben des Zeugnisverweigerungsberechtigten im Zuge einer amtlich initiierten Vernehmung erfolgten (BGH NJW 1990, 1859; OLG Hamburg, Beschl. v. 8.3.2018 – 1 Ws 114/17, BeckRS 2018, 3916). Angaben, die der Zeuge außerhalb einer Vernehmung gemacht hat, unterliegen dem (erweiterten) Verwertungsverbot grundsätzlich nicht. Darunter fallen Angaben gegenüber Dritten (BGH NJW 1952, 153), spontane Aussagen (BGH NStZ 1992, 247; NStZ 2007, 652; OLG Hamm NStZ 2012, 53), nach denen er nicht gefragt wurde, wie etwa eine Strafanzeige (BGH NJW 1956, 1886) oder die Bitte um polizeiliche Hilfe (BGH NStZ 1986, 232) bzw. im Rahmen eines polizeilichen Notrufs (OLG Hamm NStZ 2012, 53; BeckRS 2014, 19563). Demgemäß sind auch die Angaben der Geschädigten gegenüber dem Familiengericht zur Erwirkung einer Schutzanordnung nach dem GewSchG verwertbar, da sich die Zeugin von sich aus an das Amtsgericht gewandt und ihren Ehemann belastende Angaben zur Begründung ihres Antrags gemacht hat (OLG Hamburg aaO; BeckOK StPO/Ganter StPO § 252 Rn. 15 mwN), und über welchen ohne mündliche Verhandlung und weitere Befragung der Antragstellerin nach Aktenlage aufgrund summarischer Prüfung vom Gericht entschieden wurde (§ 51 Abs. 2 S. 2, § 3, § 214 FamFG; BeckOK FamFG/Schlünder FamFG, Ed. 1.11.2023, § 214 Rn. 2 ff.).

Eine vernehmungsähnliche Situation entsteht auch – wie die Revision meint – nicht dadurch, dass die Zeugin das – für sich unverwertbare – Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung der Rechtspflegerin vorgelegt, zum Gegenstand ihres Vortrags zur Antragsbegründung gemacht und dessen inhaltliche Richtigkeit an Eides statt versichert hat. Denn auch die Vorlage des Protokolls erfolgte aus freien Stücken und diente ersichtlich lediglich der Verfahrensvereinfachung. Dass die Zeugin insofern „unfrei“ handelte, als sie zur Verhinderung weiterer Übergriffe ihres gewalttätigen Ehemanns eine Schutzanordnung erwirkte, bleibt für die Frage der Verwertbarkeit ihrer Angaben im Strafverfahren ohne Belang. Denn § 252 StPO, der nach seinem Wortlaut eine Vernehmung oder eine vernehmungsähnliche Situation voraussetzt, enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dahingehend, dass jedwede den Angehörigen belastende Angaben (etwa auch die in höchster Not gegenüber dem Hausmitbewohner gemachten Angaben, bei welchem die Zeugin unmittelbar nach der Tat um Schutz suchte) vom Zeugen bis zur Hauptverhandlung oder einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht für eine Verwertung gesperrt werden können (vgl. BGH NStZ 1986, 232 (Mitteilungen im Rahmen eines Hilfeersuchens gegenüber einer Mitarbeiterin der Familienhilfe)). Hierdurch wird auch nicht – wie die Revision meint – „in gewisser Weise durchaus besserwisserisch“ der wiederhergestellte Familienfriede „torpediert“. Gewalt in der Ehe ist keine Privatangelegenheit, sondern unabhängig vom Strafantrag der Geschädigten bei Vorliegen eines hier von der Staatsanwaltschaft bejahten öffentlichen Interesses zu verfolgen.“

Na ja, ist Mainstream, aber: Es bleibt allerdings ein gewisses Unbehagen. Denn was heißt in solchen Situationen „aus freien Stücken“? und greift nicht gerade auch hier der Sinn und Zweck des § 252 StPO, der den Zeugen vor Konflikten schützen soll/will, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN). M.E. hätte man hier an der Vorlage des – unverwertbaren – polizeilichen Vernehmungsprotokolls ansetzen können, das über den Umweg (freiwillige [?]) Vorlage bei der Rechtspflegerin dann Akteninhalt geworden ist, und auf das sich AG und LG, was sich allerdings aus den Beschlussgründen des OLG nicht ergibt – im Zweifel auch gestützt hat.

StPO II: Polizei ist nach einem Jahr neues Recht neu, oder: Kein BVV, nicht so schlimm, kann passieren……

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Und im zweiten Posting kommt dann hier der BGH, Beschl. v. 07.12.2023 – 2 StR 49/23.

Das LG hatte die Angeklagten u.a. wegen erpresserischen Menschenraubs iverurteilt. Dagegen haben die Angeklagten Revision eingelegt, die sie – bis auf einen – auch mit der Verfahrensrüge begründet haben. Ohne Erfolg:

„1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen der Erfolg versagt. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge der Angeklagten R., A. , C. und B., die Angaben des als Beschuldigten vernommenen B. seien unverwertbar, weil ihm entgegen § 141a Satz 1, § 141 Abs. 2, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen am 13. November 2020 kein Pflichtverteidiger bestellt worden war. Sie greift im Ergebnis nicht durch.

Zwar ist dem Mitangeklagten B. im Rahmen seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung entgegen § 141a Satz 1, § 141 Abs. 2, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO kein Pflichtverteidiger bestellt worden; auch greifen die Ausnahmetatbestände gemäß § 141a Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO nicht. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revisionen – kein Verwertungsverbot.

Nach dem Willen des Gesetzgebers führt ein Verstoß gegen die genannten Vorschriften nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot. Vielmehr gelangen die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung, wonach anhand der Umstände des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Ein Verwertungsverbot ist nur bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen anzunehmen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind (BT-Drucks. 19/13829, S. 39; vgl. auch Meyer/Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 141a Rn. 11). Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor.

Das Landgericht hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Delikt schwerer Kriminalität besonders hoch ist, die Beschuldigtenvernehmung nicht unter bewusster Umgehung des § 141a StPO durchgeführt wurde, sondern die seit dem 13. Dezember 2019 geltende Neuregelung lediglich aufgrund eines Versehens nicht zur Anwendung gelangte, weil die beteiligten Ermittlungsbeamten irrtümlich davon ausgingen, dass eine Vernehmung eines unverteidigten Beschuldigten weiterhin zulässig sei, wenn dieser Beschuldigte hiermit einverstanden sei, und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist.“

Na ja, nach fast einem Jahr Geltungsdauer der gesetzlichen Neuregelungen gehen die Polizeibeamten nich davon aus, dass „eine Vernehmung eines unverteidigten Beschuldigten weiterhin zulässig sei, wenn dieser Beschuldigte hiermit einverstanden sei“ und der BGH sagt: Ist nicht so schlimm, kann passieren.

StPO I: Übernahme/Verweisung von Verfahren, oder: Wenn (dann) der Eröffnungsbeschluss fehlt

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ich stelle heute drei StPO-Entscheidungen vor, und zwar zweimal BGH, einmal OLG.

Ich beginne mit einem Klassiker, nämlich dem nach einer Übernahme/Verbindung von Verfahren fehlenden Eröffnungsbeschluss. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 30.01.2024 – 5 StR 577/23.

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe verurteilt. Dagegen die Sachrüge, die teilweise Erfolg hat. Der BGH hat in einem der „Verurteilungsfälle“ aufgehoben und das Verfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er dann die Jugendstrafe aufgehoben:

„1. Die Verurteilung im Fall II.2 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.

a) Die Staatsanwaltschaft hat im Fall II.2 der Urteilsgründe Anklage zum Amtsgericht und nachfolgend im Fall II.1 Anklage zum Landgericht erhoben. Die Strafkammer hat am 25. Januar 2023 in der bei ihr anhängigen Sache die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Das Amtsgericht hatte keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen, als das Landgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2023 das beim Amtsgericht anhängige – sowie ein weiteres – Verfahren übernommen und die Sachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Nach Beginn der Hauptverhandlung hat die Strafkammer das Verfahren nach § 270 Abs. 1 StPO an die Jugendkammer verwiesen, weil der Angeklagte bei Tatbegehung noch Heranwachsender gewesen sei. Mit Beschluss vom 14. April 2023 hat die Jugendkammer unter anderem die Besetzung mitgeteilt; ferner hat der Vorsitzende am gleichen Tag den Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen beider Anklagevorwürfe verurteilt.

b) Hinsichtlich der Tat II.2 ist die Hauptverhandlung ohne Eröffnungsbeschluss durchgeführt worden. Eine dahingehende Entscheidung ist weder ausdrücklich noch konkludent ergangen. Insbesondere kommt dem Übernahme- und Verbindungsbeschluss der Strafkammer vom 1. Februar 2023 eine solche Wirkung nicht zu. Dies kann zwar ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn das übernehmende Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen erkennbar selbst geprüft hat und sich seiner eigenen Eröffnungsentscheidung bewusst war (vgl. MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 207 Rn. 30 mwN). Dass die Strafkammer hier aber selbst nicht von einer bereits ergangenen, sondern von einer noch vorzunehmenden Eröffnungsentscheidung ausgegangen ist, zeigt sich darin, dass die Vorsitzende in nachfolgenden Verfügungen wiederholt die angeordnete Wiedervorlage der Akten um den Zusatz „(Eröffnung verbundene Sache)“ ergänzt hat.

c) Der Eröffnungsbeschluss ist auch nicht im weiteren Verfahren wirksam nachgeholt worden.

Die Verweisung durch die große Strafkammer an die Jugendkammer nach § 270 Abs. 1 StPO kann diesen nicht nach § 270 Abs. 3 StPO ersetzen. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass das verweisende Gericht – anders als hier – die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat. Denn der Verweisungsbeschluss kann nur an die Stelle eines früheren Eröffnungsbeschlusses treten, einen solchen aber nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1987 – 3 StR 493/87, NStZ 1988, 236).

Auch der Beschluss der Jugendkammer vom 14. April 2023 stellt keine Eröffnungsentscheidung für Fall II.2 dar. Die Mitteilung der Gerichtsbesetzung, die Anordnung der Aufrechterhaltung des im Zusammenhang mit Fall II.1 ergangenen Untersuchungshaftbefehls und die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO betreffend eine weitere Tat geben keinen Anhalt dafür, dass die Jugendkammer im Fall II.2 eine eigene Eröffnungsentscheidung hat treffen wollen.

2. Es fehlt mithin an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss als Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren. Das Urteil ist daher entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und das Verfahren nach § 354 Abs. 1 StPO mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO einzustellen, soweit es Fall II.2 betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2021 – 3 StR 492/20 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 206a Rn. 6a, § 349 Rn. 29, 29a, § 354 Rn. 6).“

Wie gesagt: Klassiker. Solche Dinge muss man als Verteidiger prüfen und den Finger in die Wunde legen. Zwar muss das Revisionsgericht von Amts wegen prüfen, ob die Eröffnungsvoraussetzung Eröffnungsbeschluss gegeben ist, aber besser man legt ggf. den Finder in der Wunde. Dann wird das Verfahrenshindernis nicht „übersehen“.

StGB AT II: Neuregelung/neues Recht des § 64 StGB, oder: OLG Saarbrücken zum anwendbaren Recht

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Und dann etwas aus dem Vollzugs-/Vollstreckungsbereich, nämlich zu §§ 64 ff. StGB, und zwar zur Anwendung des neuen Rechts. Dazu hatte ich ja u.a. – neben dem BGH – bereits den OLG Celle, Beschl. v. 20.11.2023 – 2 Ws 317/23 – vorgestellt (vgl. Unterbringung III: Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle – OLG Celle zum anwendbaren Recht). Dazu hat sich jetzt auch das OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.01.2024 – 1 Ws 298/23 – geäußert.

Da es das OLG Saarbrücken ebenso macht wie das OLG Celle, reichen m.E. die Leitsätze der Entscheidung. Die lauten:

1. Auf die Vollstreckung einer vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist über § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB die Vorschrift des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung anzuwenden (Anschluss an OLG Celle, Beschl. v.20.11..2023 – 2 Ws 317/23).
2. Der Begriff des „Hangs“ im Sinne des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung entspricht dem des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in derselben Fassung.
3. Ein „Hang“ des Untergebrachten im Sinne des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung liegt nur vor, wenn bei ihm eine Substanzkonsumstörung besteht, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist oder fortdauert.
4. Eine vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordnete Unterbringung ist nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären, wenn bei dem Untergebrachten zwar weiterhin eine Substanzkonsumstörung besteht, diese aber zu keinem Zeitpunkt zu einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Lebensgestaltung, Gesundheit oder Arbeits- oder Leistungsfähigkeit geführt hat.

KiPo I: „Nur“ Verbreitung von „Jugendpornografie“, oder: Lückenhafte Beweiswürdigung

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In die 8. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen, die sog. „KiPo-Verfahren“ zum Gegenstand haben. In beiden Entscheidungen geht es um die Beweiswürdigung/Nachweisbarkeit.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 14.12.2023 – 3 StR 183/23. Der BGh hat in dem Urteil zur Beweiswürdigung bei Verurteilung wegen Verbreitung pornographischer Inhalte Stellung genommen. Das LG hat den Angeklagten wegen Verbreitung jugendpornographischer Inhalte (§ 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt. Dagegen hatte sich die Staatsanwaltschaft gewendet, die in einigen der Fälle eine Verurteilung des Angeklagten (auch) wegen Verbreitung kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) erstrebt. Sie hat die Feststellungen des LG zum Alter der in den Videos zu sehenden Mädchen beanstandet. Die hatte die Strafkammer auf der Basis einer Inaugenscheinnahme der Videodateien und aufgrund eigener Sachkunde anhand einer Gesamtwürdigung der in den Filmen zu erkennenden körperlichen Merkmale der Darstellerinnen, ihres Verhaltens sowie der sichtbaren äußeren Umstände der Aufnahmen getroffen.

Das Rechtsmittel der StA hatte Erfolg. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG, aufgrund derer sie zu der Feststellung gelangt ist, dass die Darstellerinnen in den Videos zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahmen nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, aber sicher nicht älter als 18 Jahre alt waren, als unzulänglich, weil sie eine beachtliche Lücke aufweist. Nach den allgemeinen Ausführungen zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung, die ich hier mal auslasse, führt der BGH aus:

„b) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, aufgrund derer sie zu der Feststellung gelangt ist, dass die Darstellerinnen in den Videos zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahmen nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, aber sicher nicht älter als 18 Jahre alt waren, unzulänglich, weil sie eine beachtliche Lücke aufweist.

aa) Generell gilt zur Altersbestimmung von Darstellern pornographischer Inhalte beziehungsweise zur Abgrenzung jugendpornographischer Inhalte von kinderpornographischen Inhalten Folgendes:

Ist das kindliche Alter der in einem Video oder auf einem Bild erkennbaren Person – etwa aufgrund ihrer Identifizierung – bekannt, kommt es für die rechtliche Einordnung eines Inhalts als kinderpornographisch allein auf das tatsächliche Alter an. Mithin ist immer § 184b StGB einschlägig, wenn die bei einem realen Geschehen gezeigte Person tatsächlich ein Kind ist, auch wenn sie älter aussehen sollte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 61; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 18; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 9; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 184b Rn. 12; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 12; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl., § 184b Rn. 8; BeckOK StGB/Ziegler, 59. Ed., § 184b Rn. 8).

In Fällen nicht identifizierter abgebildeter Personen bedarf es einer Altersbestimmung oder zumindest Alterseingrenzung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller sich aus dem Inhalt selbst und dessen Bezeichnung ergebender Umstände, namentlich der körperlichen Entwicklung, des Aussehens, der Gestik und Mimik, der Stimme, der Äußerungen und des Verhaltens des Abgebildeten, aber auch weiterer Faktoren wie der Räumlichkeit, in der die Aufnahme gefertigt wurde, Bekleidungsstücke (etwa Kinderbekleidung), sichtbarer weiterer Gegenstände (etwa Kinderspielzeug) sowie textlicher oder sprachlicher Altersangaben in dem Inhalt oder dessen Bezeichnung (Dateiname). Dabei ist zwar primär das auf diese Weise beweiswürdigend festgestellte oder zumindest eingegrenzte Alter der Person maßgeblich. Es genügt aber für eine Einordnung eines Inhalts als kinder- beziehungsweise jugendpornographisch, wenn ein objektiver, gewissenhaft urteilender Betrachter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Inhalts und dessen Bezeichnung den Eindruck erlangt, dass die gezeigte Person ein Kind oder Jugendlicher ist. Dann ist das tatsächliche Alter irrelevant („Scheinkinder“ oder „Scheinjugendliche“) beziehungsweise ohne Bedeutung, ob sich dieses feststellen lässt oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 60 ff.; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 18, § 184c Rn. 9 f.; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 10 ff., § 184c Rn. 11 f.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 184b Rn. 13; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 13, § 184c Rn. 11 f.; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl., § 184b Rn. 8, § 184c Rn. 9 f.; NK-StGB/Papathanasiou, 6. Aufl., § 184b Rn. 14, § 184c Rn. 6; BeckOK StGB/Ziegler, 59. Ed., § 184b Rn. 8, § 184c Rn. 8; s. auch BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2008 – 2 BvR 2369/08 u.a., MMR 2009, 178).

Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Aufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, stehen der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen, denn ansonsten hätte es der Hersteller oder Verbreiter des Inhalts in der Hand, durch einfache unwahre Behauptungen eine Anwendbarkeit der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 60).

Demgegenüber kann Angaben in einer Videoaufnahme oder einer Dateibezeichnung, die ein kindliches oder jugendliches Alter des Abgebildeten behaupten, im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung Indizwert dahin zukommen, dass es sich bei der betreffenden Person tatsächlich um ein Kind oder einen Jugendlichen handelt. Auch kann eine solche Angabe in der Gesamtschau mit dem Aufnahmeinhalt geeignet sein, einem objektiven, gewissenhaft urteilenden Betrachter den Eindruck zu vermitteln, die gezeigte Person sei ein Kind oder Jugendlicher, was für die Qualifikation eines Inhalts als kinder- oder jugendpornographisch ausreicht.

bb) Den vorgenannten Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht vollständig.

Der Strafkammer haben als Beweismittel allein die einer Inaugenscheinnahme zugänglichen urteilsgegenständlichen Videodateien zur Verfügung gestanden. Sie hat die Videos sowie Standbilder aus den elektronischen Dateien in Augenschein genommen und anhand dieser Betrachtungen aufgrund eigener, aus der Lebenserfahrung der Richterinnen und Schöffinnen gespeister Sachkunde die erwähnten Altersfeststellungen getroffen. Dabei hat sie für jede einzelne Darstellerin aufgrund einer Gesamtwürdigung zahlreicher Kriterien den Schluss gezogen, dass diese zum Zeitpunkt der Erstellung der Aufnahme nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, auf jeden Fall aber – offensichtlich – nicht älter als 18 Jahre war.

Dies ist zwar für sich genommen nicht zu beanstanden. Jedoch hat die Strafkammer ausdrücklich unberücksichtigt gelassen, dass die Dateinamen der Videos, die zudem zu Beginn der Filme eingeblendet werden, jeweils Altersangaben der Darstellerinnen enthalten, wonach diese zwölf beziehungsweise 13 Jahre alt seien. Diese behaupteten Angaben zum Alter der Mädchen in den Dateibezeichnungen seien unerheblich. Auf solche könne es nicht ankommen, denn ansonsten hätte es der Verbreiter oder Hersteller eines pornographischen Inhalts in der Hand, durch falsche Behauptungen eine Anwendung der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern.

Diese pauschale Ausklammerung der Altersangaben der Darstellerinnen in den Dateinamen aus der gebotenen Gesamtwürdigung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar stehen – wie dargelegt – Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Videoaufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen. Mithin sind Angaben, die ein höheres als das tatsächliche oder aufgrund des Gesamteindrucks vermittelte Alter eines Darstellers behaupten, unerheblich. Dagegen kann die Angabe eines kindlichen oder jugendlichen Alters in dem betreffenden Inhalt oder seiner Bezeichnung durchaus Indizwert für ein solches oder zumindest den Gesamteindruck eines solchen haben. Auch wenn sie nicht bereits für sich genommen zur Anwendbarkeit des § 184b oder § 184c StGB führt (vgl. MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 13), so muss sie daher in die gebotene Gesamtwürdigung einbezogen werden.

Daher hätte die Strafkammer den Altersangaben von zwölf beziehungsweise 13 Jahren in den Dateinamen der Videos nicht von vornherein jeden Beweiswert absprechen dürfen.

c) Auf dieser Lücke in der Beweiswürdigung beruhen die Feststellungen der Strafkammer zum Alter der Mädchen. Es ist ungeachtet der sorgfältigen Analyse der Videoinhalte nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht in den hier relevanten Fällen zu der Überzeugung gelangt wäre, alle oder jedenfalls einzelne Darstellerinnen seien oder erschienen nach dem maßgeblichen Gesamteindruck, der einem objektiven Betrachter vermittelt werde, jünger als 14 Jahre, wenn sie die mit der Dateibezeichnung aufgestellte Behauptung eines kindlichen Alters in ihre Gesamtwürdigung eingestellt hätte.

Zwar hat die Strafkammer in den Urteilsgründen weiter ausgeführt, die Altersangaben in den betreffenden Videos seien nicht belastbar, weil drei der Filme dieselben zwei Mädchen zeigten, allerdings die Altersangaben in den Dateinamen divergierten, obgleich jedenfalls zwei der Filme in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erstellt worden seien. Auch mit diesem Argument hat das Landgericht indes den Altersbezeichnungen Indizwert nicht absprechen dürfen. Denn für eine Einordnung eines Inhalts als kinderpornographisch ist – wie dargelegt – ausreichend, wenn ein objektiver, gewissenhaft urteilender Betrachter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Inhalts und dessen Bezeichnung den Eindruck erlangt, die gezeigte Person sei ein Kind, auch wenn dies (möglicherweise) tatsächlich nicht der Fall ist. Für eine solche „Scheinkindqualifikation“ ist allein der betreffende Inhalt maßgeblich, also das auf einem Bild oder in einem Video Wahrnehmbare sowie die Bezeichnung des Bildes oder Videos. Informationen jenseits des zu beurteilenden Inhalts sind dagegen für diese Einordnung irrelevant; sie können die Qualifikation eines Darstellers als „Scheinkind“ weder in Frage stellen noch begründen.“