Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

StPO I: Beschwerde des Dritten gegen Durchsuchung, oder: Entscheidung erst nach Akteneinsicht

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Vor dem Gebührenfreitag heute dann drei LG-Entscheidungen zu StPO-Fragen.

Den Opener macht der LG Bonn, Beschl. v. 30.01.2023 – 63 Qs 6/23. Thema: Akteneinsicht des Vertreters des von einer Durchsuchungsmaßnahme betroffenen Dritten. Der hatte gegen die Durchsuchungsmaßnahme Beschwerde eingelegt, aber keine Akteneinsicht erhalten. Das LG Bonn sagt: Wir stellen die Entscheidung zurück, bis Akteneinsicht gewährt ist:

„Die Entscheidung über die Beschwerde des Dritten, Herrn pp., vom 04.12.2022 war zurückzustellen, bis die dem Bevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt, verwehrte Akteneinsicht gewährt würde und er Gelegenheit‘ hatte, sich im. Rahmen der Beschwerde zu äußern.

Das Beschwerdegericht darf bei seiner Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen einen richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss seine Entscheidung nur auf diejenigen Tatsachen und Beweismittel stützen, die dem Beschuldigten durch Akteneinsicht bekannt sind. Wird der Verteidigung Akteneinsicht gemäß § 147 Abs-. 2 StPO verwehrt und ist das Beschwerdegericht nach § 147 Abs. 5 StPO hieran gebunden, so kann der sich hieraus ergebende Interessenkonflikt zwischen dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft nur dadurch aufgelöst werden, dass die Beschwerdeentscheidung bis zur Gewährung der zunächst verweigerten Akteneinsicht aufgeschoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom • 07.09.2007 – 2 BVR 1009/07, NStZ-RR 2008, 16ff.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.06.2019 — 2 Ws 112/19- BeckRS 2019, 13873; Wessing in BeckOK StPO, § 147 Rdn 8 m.w.N.).

Gleiches hat zu gelten, wenn sich die Durchsuchungsmaßnahme gegen einen Dritten, hier den Betroffenen pp. richtet. Der Rechtsstaatsgedanke gebietet es, dass der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme Betroffene jedenfalls nachträglich, aber noch im gerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs, Gelegenheit erhält, sich in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen gegen die Eingriffsmaßnahme und den zugrundeliegenden Tatvorwurf zu verteidigen.

Herrn Rechtsanwalt pp. ist eine Akteneinsicht bislang nicht gewährt worden, so dass bis zur Gewährung der Akteneinsicht und der Gelegenheit einer umfassenden Äußerung die Beschwerdeentscheidung aufzuschieben ist.“

Nebenklage II: Bewilligung von PKH für die Nebenklage, oder: Psychische Betroffenheit und Waffengleichheit

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Die zweite Entscheidung zur Nebenklage, der LG Stade, Beschl. v. 20.02.2023 – 102 Qs 55/22 – nimmt Stellung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Nebenkläger zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts.

Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Dem Beschuldigten wird dabei zur Last gelegt, am 20.01.2022 gegen 23:45 Uhr in Stade auf offener Straße gewalttätig gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin, der Nebenklägerin, gewesen zu sein. Nach Abschluss der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschuldigten erhoben. Das AG Stade das Hauptverfahren vor dem Strafrichter eröffnet.

Mit Schreiben vom 21.07.2022 teilt der Kollege Breu, der mir den Beschluss geschickt hat, mit, dass er die Nebenklägern vertrete und erklärt den Anschluss der Nebenklage. Zudem beantragt er, als Beistand bestellt zu werden. Das AG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter der Beiordnung des Kollegen dann aber zurückgewiesen. Dagegen das Rechtsmittel der Nebenklägerin, das beim LG Erfolg hatte:

„Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

Gemäß § 397a Abs. 2 StPO ist dem Nebenkläger auf Antrag Prozesskostenhilfe für die Bestellung eines anwaltlichen Beistands zu bewilligen, wenn er mittellos ist und seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe richtet sich dabei grundsätzlich nach den Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, also nach den §§114 ff. ZPO.

Die Nebenklägerin ist im Sinne der §§ 114, 115 ZPO nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten eines Rechtsanwaltes aufzubringen. Die Nebenklägerin ist Studentin und erhält Unterhaltszahlungen in Höhe von 429,00 Euro von ihrem Vater sowie Kindergeld in Höhe von 219,00 Euro. Darüber hinaus verdient sie im Rahmen eines Nebenjobs 205,00 Euro. Die monatlichen Wohnkosten der Nebenklägerin belaufen sich auf 130,00 Euro und 32,00 Euro fallen für das Semesterticket an. Auch verfügt die Nebenklägerin nicht über ein Vermögen, das die Grenze des § 90 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII übersteigen würde, sodass Mittellosigkeit im Sinne der Vorschriften vorliegt.

Ferner muss die Nebenklägerin entweder unfähig sein, ihre Interessen ausreichend wahrzunehmen oder es muss ihr unzumutbar sein. Die Unfähigkeit der Nebenklägerin ihre Interessen selber ausreichend wahrzunehmen, etwa aufgrund eingeschränkter geistiger Kräfte, ist auch aus Sicht der Kammer nicht ersichtlich. Die eigene Wahrnehmung ihrer Interessen ist ihr jedoch nicht zuzumuten.

Die Unzumutbarkeit der eigenen Interessenswahrnehmung stellt im Wesentlichen auf die psychische Betroffenheit der Nebenklägerin durch die Tat ab, diese sie also unvertretbar belasten würde (Valerius in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2019, § 397a Rn. 27; Wenske in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 397a Rn. 14). Dies kann insbesondere bei Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie von schwerwiegenden Nachstellungen eine Rolle spielen. Vorliegend ist die Nebenklägerin mutmaßlich Opfer einer gefährlichen Körperverletzung geworden, sodass grundsätzlich kein Fall vorliegt, in dem die Unzumutbarkeit im Sinne von § 397a Abs. 2 StPO regelmäßig vorliegen dürfte. Die Nebenklägerin führte mit dem Angeklagten zum Tatzeitpunkt jedoch eine Liebesbeziehung, die erst im Anschluss an den angeklagten Vorfall endete. Die in der Anklage beschriebenen Gewalteinwirkungen durch den Angeklagten auf die Nebenklägerin sind von erheblichem Ausmaß und weisen zudem eine hohe Brutalität auf. Aus Sicht der Kammer dürfte bereits die Tat als solche, gerade auch weil sie innerhalb der Beziehung geschehen sein soll, eine erhebliche psychische Betroffenheit der Nebenklägerin nahelegen. Im Übrigen zeigt sich das Vorliegen einer hohen psychischen Betroffenheit aber auch dadurch, dass unmittelbar im Anschluss an den Vorfall im Elbeklinikum ein psychiatrisches Gespräch mit der Nebenklägerin geführt wurde, ein solches durch den behandelnden Arzt aufgrund des Gesamteindrucks von der Nebenklägerin also offensichtlich für notwendig erachtet wurde. Zudem nimmt die Nebenklägerin Unterstützung durch die Opferhilfe in Anspruch.

Hinzu kommt der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat. Zwar ist § 121 Abs. 2 StPO nicht anwendbar, sodass allein der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat, kein zwingender Grund für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist. Die Hauptverhandlung und insbesondere die Zeugenaussage dürfte für die Nebenklägerin aber ohnehin eine hohe Belastung darstellen, die sich durch die Anwesenheit eines Pflichtverteidigers auf Seiten des Angeklagten bei Ausbleiben eines eigenen anwaltlichen Beistands verstärken dürfte und ihr daher im Ergebnis nicht zuzumuten ist.“

BVerfG II: Dreitagefrist für Aktenvorlage in Haftsachen, oder: Verzögerung nicht so schlimm, kann ja passieren

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Die zweite Entscheidung des BVerfG kommt aus dem Bereich des Haftrechts. Das BVerfG hat im BVerfG, Beschl. v. 23.01.2023 – 2 BvR 1343/22 – zu der Frage Stellung genommen, welche Auswirkungen die Verzögerung eines Haftbeschwerdeverfahrens hat. Hier war es (mal wieder) die häufig anzutreffende Überschreitung der Dreitagesfrist des § 306 Abs 2 Halbs 2 StPO, also Vorlage an das Beschwerdegericht.

Das BVerfG meint: Alles nicht so schlimm, kann ja mal passieren, vor allem, wenn die Verzögerung „nicht ausschließbar einer unübersichtlichen Zusammenstellung des Beschwerdekonvoluts geschuldet“ ist. Also: selbst Schuld:

„Soweit der Beschwerdeführer sich gegen den im Haftbeschwerdeverfahren ergangenen Beschluss des Kammergerichts vom 5. Juli 2022 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.

1. Zwar hat das Kammergericht zutreffend einen Verstoß des Landgerichts gegen § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO angenommen. Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, eine Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen. Andernfalls ist die Beschwerde nach § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Beschwerdegericht vorzulegen. Dies ist vorliegend nicht geschehen.

2. Allerdings führt nicht jeder Verstoß gegen § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO in einem Haftbeschwerdeverfahren schon für sich genommen zur Unverhältnismäßigkeit der Fortdauer von Untersuchungshaft (vgl. KG, Beschluss vom 27. Oktober 2014 – 2 Ws 360/14 -, NStZ-RR 2015, S. 18; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 18 Qs 20/19 -, BeckRS 2019, S. 41863, Rn. 16; OLG Naumburg, Beschluss vom 8. August 2000 – 1 Ws 359/00 -, juris, Rn. 6; KG, Beschluss vom 15. März 2019 – 4 Ws 24/19121 AR 47/19 -, BeckRS 2019, S. 4693, Rn. 39). Die Ausführungen des Kammergerichts lassen hinreichend erkennen, dass ihm bei Beurteilung dieser Frage Inhalt und Tragweite des Anspruchs des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bewusst waren und es diese in seine Abwägung miteinbezogen hat. Es hat ausgeführt, die verspätete Vorlage von rund einem Monat sei offensichtlich versehentlich erfolgt und nicht ausschließbar einer unübersichtlichen Zusammenstellung des Beschwerdekonvoluts geschuldet. Ein sachlicher Grund für die verzögerte Bearbeitung sei genauso wenig ersichtlich wie „strukturelle Defizite auf Seiten des Gerichts“. Da die Weiterleitung vom Gericht über die Staatsanwaltschaft an die Generalstaatsanwaltschaft am Tag der verspäteten Nichtabhilfeentscheidung und der entsprechenden Vorlageverfügung erfolgt sei, sei der festgestellte Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot „bei einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände“ noch nicht geeignet, den Bestand des Haftbefehls in Frage zu stellen. Dagegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern, zumal die Nichtabhilfeentscheidung ihrerseits unverzüglich nach Feststellung des Versäumnisses getroffen worden ist und die Kammervorsitzende in ihrer Vorlageverfügung mit der Bitte „um schnellstmögliche Weiterleitung“ auf das Beschleunigungsbedürfnis besonders hingewiesen hat.

3. In Anbetracht der Verfahrensabläufe hat sich die eingetretene Verzögerung des Rechtsschutzes auf die Fortdauer der Untersuchungshaft zudem nicht entscheidend ausgewirkt. Die Untersuchungshaft des Beschwerdeführers hat sich aufgrund der verzögerten Aktenvorlage im Haftbeschwerdeverfahren im Ergebnis nicht verlängert. Es kann ausgeschlossen werden, dass das Kammergericht, wäre es früher mit der Sache befasst worden, eine dem Beschwerdeführer hinsichtlich der Fortdauer der Untersuchungshaft günstigere Entscheidung getroffen hätte. Eine auf der verspäteten Vorlage beruhende Verfahrensverzögerung im – parallel zum Haftbeschwerdeverfahren durchgeführten – Revisionsverfahren ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.

4. Im Übrigen ist auch für das besondere Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass eine verspätete Aktenvorlage an das Oberlandesgericht unter Überschreitung der sogenannten Sechsmonatsfrist für sich genommen noch keine Pflicht zur Aufhebung des Haftbefehls oder zu dessen Außervollzugsetzung begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21 -, Rn. 39; OLG Hamm, Beschluss vom 21. August 2007 – 3 OBL 86/07 <42> <3 Ws 486/07> -, NJW 2007, S. 3220 <3221>; Gärtner, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 121 Rn. 41). Das Bundesverfassungsgericht hat diese fachgerichtliche Rechtsauffassung unbeanstandet gelassen (vgl. BVerfGE 42, 1 <9 f.>). Es ist nicht ersichtlich, weshalb für die Überschreitung der Vorlagepflicht aus § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO im Haftbeschwerdeverfahren strengere Maßstäbe gelten sollten. Dies gilt umso mehr, als gegen den Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der angegriffenen Haftentscheidung bereits ein (noch nicht rechtskräftiges) Strafurteil vorlag, wohingegen im Verfahren der besonderen Haftprüfung durch das Oberlandesgericht gerade noch kein auf Freiheitsentziehung lautendes Urteil ergangen ist (vgl. § 121 Abs. 1 StPO).“

Die Entscheidung werden Verteidiger jetzt demnächst immer entgegen gehalten bekommen. Sie ist in meinen Augen eine Art Freibrief, denn irgendeinen – nachvollziehbaren – Grund für die verzögerte Vorlage wird es immer geben. „Versehentlich“ hin oder her. In der StPO steht nun mal eine Frist. Was soll diese Regelung, wenn die Überschreitung der Frist nicht „sanktioniert“ wird. Das würde zur Eile anhalten. Und ja ich weiß: Die Regelung wird als bloße „Ordnungsvorschrift“ angesehen, was aber m.E. mit. der Formulierung: „ist…. vorzulegen“ nicht zu vereinbaren ist.

Wenn das BVerfG wegen der Fristüberschreitung schon nicht zur Unverhältnismäßigkeit der weiteren Haft kommt, dann hätte man aber zumindest doch einen deutlichen Mahn-/Weckruf erteilen können und auf die Bedeutung der Frist im Hinblick auf „Inhalt und Tragweite des Anspruchs des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG“. Dazu fehlt dann aber offenbar der Mut.

BVerfG I: Kein Erfolg im Fall Jalloh beim BVerfG, oder: Alter Wein in neuen Schläuchen?

Und dann starte ich in die 10. KW des Jahres 2023. Ich beginne die Woche mit zwei Entscheidungen des BVerfG.

Zunächst stelle ich den BVerfG, Beschl. v. 21.12.2022 2 BvR 378/20. Der zieht einen „Schlusstrich“ – na ja, ich schreibe wohl besser: beendet das jahrelange Tauziehen um ddie strafrechtliche Verfolgung im „Fall Oury Jalloh“. Der ist 2005 in einer polizeilichen Gewahrsamszelle in Dessau-Roßlau verbrant. In der Folgezeit wurde 2012 ein Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Im April 2017 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau gegen zwei weitere Polizeibeamte ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes eingeleitet. Die mit den weiteren Ermittlungen beauftragte Staatsanwaltschaft Halle lehnte es ab in dem Verfahren ab, weitere Ermittlungen gegen Polizeibeamte oder andere Personen einzuleiten bzw. weitere Ermittlungen zur Todesursache anzustrengen. Daraufhin wurde die GStA Naumburg vom Justizministerium des Landes Sachsen-Anhalt angewiesen, eine eigenständige und ggf. durch weitere Ermittlungen gestützte Bewertung der Geschehnisse zu treffen. Deren Ergebnisse fasste die GSt in einem 218 Seiten umfassenden Prüfvermerk vom 17.10.2018 zusammen.

Gegen diesen den Bescheid der StA Halle erhobene Beschwerde des Brudes es getöteten wies die GStA Naumburg unter Bezugnahme auf diesen Prüfvermerk zurück. Den dagegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 StPO) hat das OLG Naumburg als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde vom 24.11.2019 (!!), mit der der geltend gemacht wird, das Recht auf effektive Strafverfolgung, willkürfreie Entscheidung, effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör sei verletzt.

Das BVerfG hat dann die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Ihc zitiere dazu aus der PM des BVerfG und verweise wegen der Einzelheiten, mit denen sich das BVerfG auseinander setzt auf den verlinkten Volltext:

„Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) nicht erfüllt sind.

Der Beschwerdeführer ist in seinem grundrechtlichen Anspruch auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht verletzt. Zwar steht ihm als Bruder des Verstorbenen ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung zu. Diesem trägt der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. Oktober 2019 jedoch hinreichend Rechnung.

Das Oberlandesgericht hat die Anforderungen an das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts nicht überspannt. Es hat insbesondere nicht darauf abgestellt, dass eine Brandlegung durch den Verstorbenen nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden könne, sondern dargelegt, dass es – auch wenn nach wie vor vieles für eine Selbstentzündung spreche – für eine Brandlegung von anderer Seite jedenfalls an einem hinreichenden Tatverdacht gegen einen konkreten Beschuldigten fehle.

Das Oberlandesgericht hat dabei auch die Bedeutung des Grundrechts auf Leben und die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die effektive Untersuchung von Todesfällen nicht verkannt.

Die Strafermittlungsbehörden haben umfassend ermittelt. Insbesondere hat die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg in ihrem Prüfvermerk vom 17. Oktober 2018 sämtliche bisher geführten Ermittlungen eingehend auf etwaige Widersprüche oder Lücken untersucht und geprüft, ob sich über den bisherigen Ermittlungsstand hinaus weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben könnten. Sie hat sich mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gegenargumenten im Einzelnen auseinandergesetzt und nachvollziehbar dargelegt, warum weitere Ermittlungen nicht aussichtsreich sind. Auch das Oberlandesgericht Naumburg hat sich mit den Ermittlungsergebnissen sowie den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwendungen detailliert auseinandergesetzt und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass ein hinreichender Tatverdacht gegen eine dritte Person nicht begründet werden könne. Eine hiervon abweichende Beurteilung ist auf der Grundlage des Vortrags des Beschwerdeführers nicht veranlasst.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. Oktober 2019 verletzt auch nicht das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht hat sich in der angegriffenen Entscheidung mit der Beweislage hinsichtlich einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Beschuldigten eingehend und in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auseinandergesetzt; seine Auffassung, wonach die Generalstaatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht zu Recht verneint habe, beruht auf einem sachlichen Grund.

III. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG darin erblickt, dass das Oberlandesgericht die Darlegungsanforderungen im Verfahren nach § 172 Abs. 3 StPO überspannt habe, muss der Verfassungsbeschwerde der Erfolg ebenfalls versagt bleiben. Die Annahme des Oberlandesgerichts Naumburg, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO entspricht, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Beschwerdeführer hatte sich dazu entschieden, umfangreich auf Inhalte der Ermittlungsakten zurückzugreifen. Um die vom Gesetzgeber vorgesehene und verfassungsrechtlich unbedenkliche Schlüssigkeitsprüfung allein auf der Grundlage des gestellten Antrags nicht zu unterlaufen, war er daher gehalten, zumindest den wesentlichen Inhalt der Beweismittel mitzuteilen, um eine nur selektive und dadurch gegebenenfalls sinnentstellende Darstellung der Ermittlungsergebnisse zu verhindern.

Mit Blick auf die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Annahme eines hinreichenden Tatverdachts weist das Oberlandesgericht zutreffend darauf hin, dass eine Darstellung, welche Polizeibeamten den Brand gelegt haben sollen und aufgrund welcher Beweismittel ein diesbezüglicher Nachweis möglich sein soll, fehlt.

2. Das Oberlandesgericht hat schließlich auch nicht gegen das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Es ist nicht erkennbar, dass das Oberlandesgericht Vortrag des Beschwerdeführers unberücksichtigt gelassen hätte. Die Ausführungen des Beschwerdeführers beschränken sich im Ergebnis vielmehr auf die Darlegung, das Oberlandesgericht habe seinem Vortrag materiell-rechtlich nicht die richtige Bedeutung beigemessen. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht jedoch nicht, der Rechtsansicht des Beschwerdeführers zu folgen.“

Nun ja, nichts Neues. das hat hat man alles schon mal gelesen. Warum man dafür drei Jahre braucht, erschließt sich mir nicht.

Notwendige Aufwendungen des Pflichtverteidigers, oder: Gerichtliche Feststellung bindet Kostenbeamten

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Und die zweite „Vorschussentscheidung“ kommt dann aus dem Strafverfahren bzw. einem Auslieferungsverfahren.

Das AG hatte in einem Auslieferungsverfahren dem Verfolgten die Kollegin E.Hößler, Dillingen a.d.Donau als Pflichtbeiständin (fürchterliches Wort 🙂 ) beigeordnet. Diese beantragte mit Schreiben vom 02.06.2021 gemäß § 46 Abs. 2 RVG die gerichtliche Feststellung, dass die Übersetzung von 259 Seiten aus den Verfahrensakten des dem Antrag auf Auslieferung zugrundeliegenden, in Serbien geführten Strafverfahren für eine ordnungsgemäße Verteidigung notwendig sei.

Mit Beschluss vom 15.06.2021 stellte das AG die Notwendigkeit der Übersetzung fest. Eine vorherige Anhörung des Bezirksrevisors erfolgte nicht. Der Beschluss enthält keine Gründe.

Mit Schreiben vom 04.08.2021 beantragte die Kollegin dann unter Rechnungsvorlage die Erstattung der angefallenen Übersetzerkosten in Höhe von insgesamt 25.000,63 EUR direkt an die Übersetzerin. Der Kostenbeamte verlangte mit Schreiben vom 01.09.2021 eine Glaubhaftmachung des Kostenansatzes. Nach Anhörung des Bezirksrevisors wurden die zu erstattenden Übersetzungskosten nur teilweise festgesetzt, weil der Kostenbeamte – ohne weitere Begründung – bei einer Vielzahl der übersetzten Dokumente deren Übersetzung für eine sachgerechte Verteidigung nicht für erforderlich erachtete. Die Kollegin hat Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhoben und unter Verweis auf die vom AG festgestellte Notwendigkeit der Übersetzung die Erstattung der gesamten beantragten Übersetzungskosten beantragt. Der Kostenbeamte half der Erinnerung nicht ab. Das AG hat der Erinnerung in vollem Umfang abgeholfen und die Kostenfestsetzungsbeschlüsse mit der Maßgabe aufgehoben, dass die weiteren Übersetzungskosten i.H.v. 7.808,48 EUR ebenfalls aus der Staatskasse zu erstatten sind. Die hiergegen von der Staatskasse eingelegte Beschwerde hat LG Augsburg mit dem LG Augsburg, Beschl. v. 28.09.2022 – 3 Qs 285/22 – verworfen. Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde der Staatskasse hatte keinen Erfolg. Das OLG München gat sie im OLG München, Beschl. v. 07.12.2022 – 4 Ws 23/22 – zurückgewiesen:

„3. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Augsburg, deren Begründung der Senat beitritt, der Sach- und Rechtslage entspricht. Ergänzend ist anzumerken:

a) Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwaltes erfolgt in zwei Stufen:

Auf der ersten Stufe entscheidet das Gericht, das den Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt hat, dem Grunde nach darüber, ob die geltend gemachten Auslagen für eine sachgemäße Durchführung der Sache, hier der Vertretung des Auszuliefernden im Rahmen des Auslieferungsverfahrens, erforderlich waren. In keinem Fall ist für Feststellung der Erforderlichkeit der Rechtspfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig. Denn es geht um solche Fragen, die nur das erkennende Gericht aus seiner Beurteilung der materiell-rechtlichen und prozessualen Gesamtsituation beantworten kann (vgl. Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 46 Rn. 38). Nach der ausdrücklichen und unmissverständlichen Regelung in § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG ist die gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit von Auslagen, zu denen gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG auch die Kosten für Übersetzungen und Dolmetscher gehören, für das weitere Kostenfestsetzungsverfahren bindend. Die Entscheidung des Gerichts, mit der die Erforderlichkeit festgestellt wird, erfolgt nach Anhörung des Bezirksrevisors und sie ist zu begründen. Sie ist jedoch nicht anfechtbar (vgl. Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 46 Rn. 46), auch nicht für die Staatskasse (NK-GK/Hagen Schneider, 3. Aufl. 2021, RVG § 46 Rn. 28).

Auf der zweiten Stufe, nämlich im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 55 RVG, entscheidet der zuständige Kostenbeamte, ob die auf der ersten Stufe vom Gericht für erforderlich erachteten Auslagen auch der Höhe nach erstattungsfähig sind. Werden Auslagen für Übersetzungen oder Dolmetscher geltend gemacht, so prüft er insbesondere, ob diese sich – wie in § 46 Abs. 2 Satz 3 2. HS RVG geregelt – auf die nach JVEG erstattungsfähigen Beträge beschränken.

b) Dies zugrunde gelegt hatte der Kostenbeamte die mit Beschluss vom 15.06.2021 getroffene Entscheidung des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau, dass die Übersetzung der fraglichen 259 Seiten für eine sachgerechte Verteidigung im Auslieferungsverfahren erforderlich war, hinzunehmen. Er war nicht berechtigt, unter Verstoß gegen die ausdrückliche gesetzliche Regelung und unter Missachtung der gesetzlich bestimmten Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Prüfung der Höhe inzident erneut und ohne Zuständigkeit die Erforderlichkeit der Übersetzungskosten zu prüfen, wie dies im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.04.2022 geschehen ist.

Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die Entscheidung des Amtsgerichts insofern fehlerhaft war, als weder eine Anhörung des Bezirksrevisors noch eine eigene Prüfung der beantragten Auslagen stattgefunden hat und der Beschluss außerdem jegliche Begründung vermissen lässt. Stellt ein Gericht, und sei es auch fehlerhaft, die Erforderlichkeit einer Reise oder anderer Auslagen fest, schafft es für den Rechtsanwalt einen Vertrauenstatbestand, auf den sich der Rechtsanwalt verlassen darf (Hartung/Schons/Enders/Hartung, 3. Aufl. 2017, RVG § 46 Rn. 59).

Anzumerken ist, dass der Kostenbeamte, wenn er sich denn über eine gerichtliche Entscheidung hinwegsetzen möchte, seine eigene zumindest in einem solchen Umfang begründen sollte, damit eine inhaltliche Nachprüfung möglich ist. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.04.2022 teilt zu keinem der als nicht für eine sachgerechte Verteidigung erforderlich erachteten Dokumente mit, worauf sich diese Einschätzung stützt. Auch die Stellungnahme des Bezirksrevisors verhält sich dazu nicht.

Da die Höhe der geltend gemachten Kosten, dh. das für das jeweilige Einzeldokument geltend gemachte Zeilenhonorar, vom Kostenbeamten nicht beanstandet wurde, hat es mit der Entscheidung des Landgerichts Augsburg sein Bewenden.“

Die Entscheidung ist zutreffend und erinnert noch einmal daran, dass es für den Pflichtverteidiger sinnvoll ist/sein kann, beim Gericht die Feststellung der Notwendigkeit von als erforderlich angesehener Auslagen/Aufwendungen, also z.B. Kopien aus der Akte, Reisen oder eben auch Übersetzungen, zu beantragen. Stellt das Gericht die Notwendigkeit fest, gilt das auch für das Kostenfestsetzungsverfahren. An der Stelle sollte es dann keinen Streit mehr mit der Staatskasse geben. Lehnt das Gericht die Feststellung ab, ist damit nichts verloren. Denn diese Ablehnung ist anders als die positive Bescheidung für das Kostenfestsetzungsverfahren nicht bindend (s. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 219 ff.).

Ich empfehle auch die Lektüre des Beschlusses des LG Augsburg. Denn das hat in seiner Entscheidung zudem darauf hingewiesen, dass die Staatskasse zu Recht moniere, dass die Übersetzung von insgesamt 259 Seiten, welche lediglich äußerst pauschal als „Aktenteile aus dem in Serbien gegen den Betroffenen geführten Strafverfahren nebst anwaltlichem Schriftverkehr und einen Social-Media-Chat“ bezeichnet worden seien, nicht zwingend – wie seitens des AG geschehen – vollumfänglich als erforderliche Aufwendung hätten angesehen werden müssen. Auf die Frage kam es dann letztlich aber wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Feststellungsbeschlusses zwar nicht mehr an. Die Ausführungen des LG sollten jedoch Anlass sein, nicht ggf. „blind“ die gesamte Akte übersetzen zu lassen.