Nebenklage II: Bewilligung von PKH für die Nebenklage, oder: Psychische Betroffenheit und Waffengleichheit

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Die zweite Entscheidung zur Nebenklage, der LG Stade, Beschl. v. 20.02.2023 – 102 Qs 55/22 – nimmt Stellung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Nebenkläger zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts.

Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Dem Beschuldigten wird dabei zur Last gelegt, am 20.01.2022 gegen 23:45 Uhr in Stade auf offener Straße gewalttätig gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin, der Nebenklägerin, gewesen zu sein. Nach Abschluss der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschuldigten erhoben. Das AG Stade das Hauptverfahren vor dem Strafrichter eröffnet.

Mit Schreiben vom 21.07.2022 teilt der Kollege Breu, der mir den Beschluss geschickt hat, mit, dass er die Nebenklägern vertrete und erklärt den Anschluss der Nebenklage. Zudem beantragt er, als Beistand bestellt zu werden. Das AG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter der Beiordnung des Kollegen dann aber zurückgewiesen. Dagegen das Rechtsmittel der Nebenklägerin, das beim LG Erfolg hatte:

„Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

Gemäß § 397a Abs. 2 StPO ist dem Nebenkläger auf Antrag Prozesskostenhilfe für die Bestellung eines anwaltlichen Beistands zu bewilligen, wenn er mittellos ist und seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe richtet sich dabei grundsätzlich nach den Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, also nach den §§114 ff. ZPO.

Die Nebenklägerin ist im Sinne der §§ 114, 115 ZPO nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten eines Rechtsanwaltes aufzubringen. Die Nebenklägerin ist Studentin und erhält Unterhaltszahlungen in Höhe von 429,00 Euro von ihrem Vater sowie Kindergeld in Höhe von 219,00 Euro. Darüber hinaus verdient sie im Rahmen eines Nebenjobs 205,00 Euro. Die monatlichen Wohnkosten der Nebenklägerin belaufen sich auf 130,00 Euro und 32,00 Euro fallen für das Semesterticket an. Auch verfügt die Nebenklägerin nicht über ein Vermögen, das die Grenze des § 90 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII übersteigen würde, sodass Mittellosigkeit im Sinne der Vorschriften vorliegt.

Ferner muss die Nebenklägerin entweder unfähig sein, ihre Interessen ausreichend wahrzunehmen oder es muss ihr unzumutbar sein. Die Unfähigkeit der Nebenklägerin ihre Interessen selber ausreichend wahrzunehmen, etwa aufgrund eingeschränkter geistiger Kräfte, ist auch aus Sicht der Kammer nicht ersichtlich. Die eigene Wahrnehmung ihrer Interessen ist ihr jedoch nicht zuzumuten.

Die Unzumutbarkeit der eigenen Interessenswahrnehmung stellt im Wesentlichen auf die psychische Betroffenheit der Nebenklägerin durch die Tat ab, diese sie also unvertretbar belasten würde (Valerius in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2019, § 397a Rn. 27; Wenske in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 397a Rn. 14). Dies kann insbesondere bei Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie von schwerwiegenden Nachstellungen eine Rolle spielen. Vorliegend ist die Nebenklägerin mutmaßlich Opfer einer gefährlichen Körperverletzung geworden, sodass grundsätzlich kein Fall vorliegt, in dem die Unzumutbarkeit im Sinne von § 397a Abs. 2 StPO regelmäßig vorliegen dürfte. Die Nebenklägerin führte mit dem Angeklagten zum Tatzeitpunkt jedoch eine Liebesbeziehung, die erst im Anschluss an den angeklagten Vorfall endete. Die in der Anklage beschriebenen Gewalteinwirkungen durch den Angeklagten auf die Nebenklägerin sind von erheblichem Ausmaß und weisen zudem eine hohe Brutalität auf. Aus Sicht der Kammer dürfte bereits die Tat als solche, gerade auch weil sie innerhalb der Beziehung geschehen sein soll, eine erhebliche psychische Betroffenheit der Nebenklägerin nahelegen. Im Übrigen zeigt sich das Vorliegen einer hohen psychischen Betroffenheit aber auch dadurch, dass unmittelbar im Anschluss an den Vorfall im Elbeklinikum ein psychiatrisches Gespräch mit der Nebenklägerin geführt wurde, ein solches durch den behandelnden Arzt aufgrund des Gesamteindrucks von der Nebenklägerin also offensichtlich für notwendig erachtet wurde. Zudem nimmt die Nebenklägerin Unterstützung durch die Opferhilfe in Anspruch.

Hinzu kommt der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat. Zwar ist § 121 Abs. 2 StPO nicht anwendbar, sodass allein der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat, kein zwingender Grund für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist. Die Hauptverhandlung und insbesondere die Zeugenaussage dürfte für die Nebenklägerin aber ohnehin eine hohe Belastung darstellen, die sich durch die Anwesenheit eines Pflichtverteidigers auf Seiten des Angeklagten bei Ausbleiben eines eigenen anwaltlichen Beistands verstärken dürfte und ihr daher im Ergebnis nicht zuzumuten ist.“

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