Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

OWi III: Benutzung des Handys? oder: Wenn das Gerät länger in der Hand gehalten wird

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Und die dritte und letzte Entscheidung zu § 23 Abs. 1a StVO befasst sich dann mit den Anforderungen an die Frage der bzw. die Feststellungen zur „Benutzung“. Das AG hatte verurteilt, das OLG verwirft im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.04.2019 – 3 RBs 45/19 – den Zulassungsantrag:

„Die Fortbildung des Rechts besteht darin, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen. Sie kommt nur bei Rechtsfragen in Betracht, die sowohl entscheidungserheblich als auch klärungsbedürftig und abstraktionsfähig sind(Göhler/Seitz, OWiG, 17. Aufl., § 80 Rd. 3).

Derartige Rechtsfragen wirft der vorliegende Fall nicht auf. Insbesondere bedarf vorliegend die Frage, ob der Bußgeldtatbestand des § 23 Abs. 1a StVO voraussetzt, dass der Fahrzeugführer das von ihm aufgenommene Mobiltelefon auch genutzt hat, keiner Klärung.

Anders als die Betroffene meint, ist das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die Betroffene ihr Handy tatsächlich genutzt hat. Diese Annahme ist naheliegend angesichts der Feststellung, dass die Betroffene das Gerät in ihrer rechten Hand neben und in Höhe des Lenkrads – mithin in ihrem Sichtbereich – hielt. Dies geschah zumindest für den Zeitraum, den der Zeuge S. benötigte, um nach der Wahrnehmung des Verstoßes sein Krad zu starten, in den fließenden Verkehr einzufahren und eine Position neben dem Fahrzeug der Betroffenen einzunehmen. Unter diesen Umständen ist auszuschließen, dass die Betroffene das Mobiltelefon lediglich an einen anderen Platz legen oder irgendwie anders als bestimmungsgemäß verwenden wollte.“

Na ja, kann man so sehen, muss man aber nicht. Ist mir ein bisschen (zu) vage.

Urteil III: Fahreridentifizierung, oder: „sehr wahrscheinlich Fahrer“ ist zu wenig

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Die dritte Entscheidung, die ich heute vorstelle, kommt aus dem Bußgeldverfahren. Es ist der OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.08.2019 – 2 Ss (OWi) 220/19, den mir der Kollege Egbers aus Lingen überlassen hat. Auch er hat ein „Dauerbrennerthema“ zum Inhalt, nämlich die Anforderungen an die Urteilsgründe bei der Identifizierung des Betroffenen anhand eines vom Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Verurteilung hat u.a. auch ein Sachverständigengutachten zugrunde gelegt. Die Sachverständige hat es (aber nur) als „sehr wahrscheinlich“ angesehen, dass der Betroffene Fahrer gewesen ist. Das reicht dem OLG nicht:

„Die Feststellungen zur Fahreridentität halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass an der Fahrereigenschaft kein Zweifel bestehe. Bei einem Vergleich des bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigten Lichtbildes mit dem Betroffenen im Rahmen der Hauptverhandlung hätten durch das Gericht keinerlei abweichende Merkmale festgestellt werden können. Die vom Gericht beigezogene Sachverständige komme in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Identität zwischen der abgebildeten Person mit dem Betroffenen sehr wahrscheinlich sei. Das Gericht habe das Gutachten nachvollzogen und mache es sich vollinhaltlich zu eigen.

Diese Ausführungen entsprechen nicht den Grundsätzen, die der Senat im Zusammenhang mit der Identifizierung von Fahrzeugführern aufgestellt hat. Er hat im Beschluss vom 12. Oktober 2011 (2SsBs 241/11) folgendes ausgeführt:

„Ausweislich der Urteilsgründe ist davon auszugehen, dass das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen allein auf das Sachverständigengutachten gestützt hat. Stützt das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen jedoch ausschließlich auf das Gutachten, wird dieses den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 1995 (BGHSt 41, 377 ff) und dem folgend der Senat in seinem Beschluss vom 30.09.2008, (DAR 2009, 43 ff.) aufgestellt hat, nicht gerecht:

Aus dem Umstand, dass das Amtsgericht Anlass gesehen hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen, ergibt sich, dass es das Lichtbild zur Identifizierung des Betroffenen offensichtlich nur als eingeschränkt geeignet angesehen hat. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Betroffene Fahrer gewesen sei, als „höchstwahrscheinlich“ angesehen. Dies ist zwar ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, jedoch weniger als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Auch wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein deshalb nicht den Schluss auf die Fahrereigenschaft zulässt, kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände, der sich aus dem Foto ergebenen Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien, etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit gleichwohl zur Überführung des Betroffenen ausreichen (vgl. BGH a.a.O.). Der Senat hat in der oben genannten Entscheidung ausgeführt, dass eine seitens eines Sachverständigen festgestellte hohe Identitätswahrscheinlichkeit eine Verurteilung nicht allein trage, wenn das Foto eine mindere Qualität aufweise. Ein Rückschluss auf den Fahrer erfordere zumindest die zusätzliche Feststellung, dass der Betroffene entweder Halter des PKW sei oder in einer solchen Beziehung zum Halter des PKW stehe, dass ein Zugriff auf den PKW zu der fraglichen Zeit nicht auszuschließen sei“.

Zwar hat das Amtsgericht dargelegt, dass es keinen Zweifel an der Täterschaft des Betroffenen habe. Andererseits führt das Amtsgericht aus, dass es das Gutachten der Sachverständigen nachvollzogen habe und es sich voll inhaltlich zu eigen mache, wobei die Sachverständige die Identitätswahrscheinlichkeit allerdings mit (nur) „sehr wahrscheinlich“ eingestuft hatte.

Das Amtsgericht hat jedoch keine weiteren Gesichtspunkte aufgeführt, die für eine Fahrereigenschaft des Betroffenen sprechen. Dass jemand „sehr wahrscheinlich“ eine Straftat oder wie hier eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, rechtfertigt eine Verurteilung jedoch nicht.

Der Senat hatte in der Vergangenheit in denjenigen Fällen, in denen zu erwarten war, dass das Amtsgericht die im Beschluss über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde erteilten Hinweise zukünftig berücksichtigen werde, von der Zulassung der Rechtsbeschwerde abgesehen. An dieser Rechtsprechung sieht er sich jedoch durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.10.2015 – 2 BvR 3071/14, BeckRs 2016, 40852 gehindert. Dort hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet, dass das Oberlandesgericht eine Rechtsbeschwerde nicht ohne weiteres mit der Begründung als unzulässig habe verwerfen dürfen, dass die Entscheidung auf einem Fehler im Einzelfall beruhe, sich das Gericht nicht bewusst über die obergerichtliche Rechtsprechung hinweggesetzt habe und den Fehler angesichts der Ausführungen des Oberlandesgerichts nicht wiederholen werde. Da die Annahme des Oberlandesgerichts, es habe sich nur um einen Fehler im Einzelfall gehandelt, keine andere Grundlage als die Vermutung habe, dass sich das Gericht durch die Ausführungen des Oberlandesgerichts belehren lassen werden, werde der Zulassungsgrund der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in einer Weise ausgelegt und angewendet, die jede Vorhersehbarkeit zunichtemache und die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde weitgehend leerlaufen lasse.

Der Senat konnte es deshalb nicht allein mit einem Hinweis auf seine entgegenstehende Rechtsprechung bewenden lassen.“

„Sehr wahrscheinlich“ Fahrer ist also zu wenig. Ich denke, dass ist zutreffend 🙂 .

Urteil II: Abweichen vom Sachverständigengutachten, oder: Das muss man begründen…

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Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 10.04.2019 – 2 StR 338/18 – behandelt aus dem Bereich „Urteilsgründe/Beweiswürdigung“ einen Dauerbrenner, der den BGH, aber auch die OLG, immer wieder beschäftigt. Nämlich: Wie müssen die Urteilsgründe beschaffen sein, wenn das Tatgericht einem Sachverständigen, der in der Hauptverhandlung von einem ursprünglichen Gutachten abweicht, nicht (mehr) folgen will.

Hier hatte das LG den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt. Der Angeklagte hatte die Taten bestritten. Das LG hat sich seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten vor allem auf Grund der Angaben der Nebenklägerin verschafft. Die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage werde durch eine Tagebucheintragung vom 26. Januar 2014 und einen Brief an ihre Großmutter aus dem Jahre 2016 gestützt. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung der Strafkammer:

„b) Gemessen daran erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft. Sie weist Lücken auf.

aa) Das Landgericht hat es versäumt, nachvollziehbar darzulegen, warum es der Sachverständigen T., die in ihrem mündlichen Gutachten in der Hauptverhandlung – abweichend von ihrem schriftlichen Gutachten – nicht mehr von der Erlebnisbasiertheit der Angaben der Nebenklägerin ausgegangen ist, nicht gefolgt ist.

(1) Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt. Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2017 – 2 StR 323/16, NStZ-RR 2017, 222; vom 14. September 2017 – 4 StR 45/17, juris Rn. 10 mwN).

(2) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht teilt zwar mit, dass die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten zunächst von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin ausgegangen sei und dass sie ihre Meinung in der Hauptverhandlung geändert habe. Auch legt es noch dar, dass sich die Sachverständige im Hinblick auf das Näheverhältnis zwischen Mutter und Tochter und die erst im Rahmen der Hauptverhandlung erkennbar gewordene Intensität, mit der die Nebenklägerin in die Beziehung ihrer Mutter zu dem Angeklagten einbezogen gewesen sei, zu einer Überprüfung der im schriftlichen Gutachten angestellten Hypothesen veranlasst gesehen habe. Dabei erläutert das Landgericht weiter, dass es nach Ansicht der Gutachterin zu einer „Art Rollenumkehr“ zwischen Mutter und Tochter gekommen sein könne und die Nebenklägerin möglicherweise das Gefühl gehabt habe, die Mutter zu beschützen. In diesem Zusammenhang könnten die von ihr geschilderten „Kuschelsituationen“, die jeweils Ausgangspunkt der sexuellen Übergriffe durch den Angeklagten gewesen sein sollen, in sexuelle Handlungen umgedeutet worden sein (sog. Umdeutungshypothese), wofür die wenig detailreichen Angaben der Nebenklägerin, die alles nur angerissen hätte, ein Beleg seien. Schließlich teilt die Strafkammer noch mit, warum sie sich der Einschätzung der Sachverständigen nicht anschließt, indem sie sich vor allem darauf beruft, dass die Angaben der Nebenklägerin durch die Tagebucheintragung und den Brief an die Großmutter gestützt würden und sich deshalb der Rückschluss auf eine Falschbelastung als nicht tragfähig erweise, zumal der Gutachterin schon bei Erstellung des vorläufigen Gutachtens bekannt gewesen sei, dass die Nebenklägerin Zeugin von Gewalttätigkeiten des Angeklagten gegenüber der Mutter gewesen sei und daraufhin zu ihrem Schutz die Polizei gerufen habe.

Diese Ausführungen in den Urteilsgründen versetzen den Senat zum einen nicht hinreichend in die Lage, das Abweichen der Strafkammer vom mündlichen Gutachten der Sachverständigen nachzuvollziehen. Denn das Landgericht versäumt es, das schriftliche Gutachten, dem sich das Landgericht der Sache nach anschließt, in den für den zugrunde liegenden Fall maßgeblichen Punkten darzulegen. Die Strafkammer beschränkt sich insoweit darauf, schlagwortartig ohne nähere Erläuterung darzutun, dass die Sachverständige unter Heranziehung verschiedener Hypothesen (Nullhypothese, Phantasiehypothese, Wahrnehmungsübertragungshypothese, Personenübertragungshypothese) zur Annahme einer erlebnisbasierten Aussage der Nebenklägerin gekommen sei. Sie teilt aber nicht mit, ob die Umdeutungshypothese, die in der Hauptverhandlung für die Gutachterin Anlass war, von ihrem schriftlichen Gutachten abzuweichen, dort schon erörtert worden ist und ob dabei gegebenenfalls das „Näheverhältnis zwischen Mutter und Tochter“ Berücksichtigung gefunden hat. Aufgrund dessen lässt sich weder nachvollziehen, ob die Gutachterin mit ihren Hinweisen auf die in der Hauptverhandlung deutlich gewordene Intensität der Mutter-Tochter-Beziehung einen tragfähigen Anlass hatte, von ihrem schriftlichen Gutachten abzuweichen, noch lässt sich erkennen, ob das Landgericht unter Berufung auf das schriftliche Gutachten eine hinreichend sachkundige Einschätzung hatte, auf die es die Annahme einer erlebnisbasierten Aussage stützten konnte.

bb) Die landgerichtliche Entscheidung ist zum anderen auch deshalb lückenhaft, weil sie die Widerlegung der Umdeutungshypothese auf die schriftliche Bestätigung von Tatgeschehen im Tagebuch der Nebenklägerin und in einem Brief an ihre Großmutter gestützt hat (vgl. UA S. 17), ohne sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob nicht auch diese Schriftstücke schon Ausdruck einer vorangegangenen Umdeutung durch die Nebenklägerin sein könnten. …..“

Urteil I: „Urteilsanlage“/Tabelle fehlt, oder: Kopfschüttel….

Heute stelle ich dann mal drei Entscheidungen vor, die alle mit Urteilsgründen und/oder Beweiswürdigung zu tun haben.

Und da ist dann zunächst der BGH, Beschl. v. 09.05.2019 – 1 StR 167/19.  Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt. Der BGH hat das Urteil auf die Revision des Angeklagten aufgehoben, und zwar „wegen eines durchgreifenden Darstellungsmangel, weil es § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht genügt“:

„Die Strafkammer verweist in den Feststellungen jeweils bei der Darstellung der einzelnen Haupttaten auf eine angeblich dem Urteil „als Anlage 1“ beigefügte Tabelle, aus der sich in chronologischer Reihenfolge die Tage, an denen Quittungen oder Rechnungen auf den Namen des jeweiligen Haupttäters ausgestellt worden sind, und die Höhe der in den Quittungen oder Rechnungen jeweils ausgewiesenen Umsatzsteuer ergeben sollen. Die Tabelle ist dem Urteil allerdings nicht beigefügt. Dies ist rechtsfehlerhaft; denn bei einer Verurteilung müssen nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen die für erwiesen erachteten Tatsachen angegeben werden, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies schließt die Bezugnahme auf eine dem Urteil nicht beigefügte Anlage aus (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1987 – 3 StR 552/86 Rn. 10, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 1).

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung, im Rahmen derer die neue Wirtschaftsstrafkammer aufgrund der geänderten Rechtsprechung des Senats bei der Strafzumessung eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 StGB in Betracht zu ziehen haben wird (vgl. Senat, Urteil vom 23. Oktober 2018 – 1 StR 454/17 Rn. 18 ff., 21).“

Für mich mal wieder so eine „Kopfschüttel-Entscheidung“. Wenn ich schon beim Urteil mit einer Tabelle als Anlage arbeiten will – warum kann man das, was in der Tabelle steht, nicht in die Feststellungen aufnehmen? – dann muss ich aber doch darauf achten, dass diese Anlage dem Urteil beigefügt ist/wird. Sonst – man sieht es -……..

OWi II: Messung mit ProVida, oder: Betriebsart in den Urteilsgründen?

entnommen Wikimedia.org
Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den OLG Jena, Beschl. v. 02.07.2019 – 1 OLG 107 SsBs 161/18, ergangen in einem Verfahren, in dem dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden ist. Gemessen worden war mit ProVida.

Der Betroffene hatte zunächst hinsichtlich der Messung ein Beweisverwertunsgverbot geltend gemacht: Begründung: Keine anlassbezogene Messung. Insoweit hatte die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg:

Allerdings greift die zulässig ausgeführte Verfahrensrüge, mit der der Betroffene ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der seiner Verurteilung zugrunde gelegten Geschwindigkeitsmessung geltend macht, nicht durch.

Die mittels eines nachfolgenden Polizeifahrzeugs unter Verwendung des Geschwindigkeitsmesssystems Provida 2000 gewonnene Videoaufzeichnung stellt regelmäßig eine verdachtsabhängige Aufzeichnung dar, die ihre Grundlage in §§ 46 Abs. 2 OWiG, 100h StPO findet (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschl.v. 29.12.2009, Az. 2 Ss OWi 135/09 (102/09), bei juris). Allerdings hat das Amtsgericht anhand der Aussage des Messbeamten festgestellt, dass die Videoaufnahme „permanent durchgelaufen“ sei, so dass auch eine Auswertung nicht anlassbezogen erhobener Daten im Nachhinein, beispielsweise mittels Vi-DistA, in Betracht kommt (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.01.2011, Az.(1 B) 53 Ss-OWi 585/10 (341/10), bei juris). Aus den weiteren Urteilsgründen geht jedoch hinreichend hervor, dass die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren in einer 30er-Zone erfolgt ist, nachdem der Betroffene den Beamten bereits im vorgelagerten Bereich mit festgelegten Höchstgeschwindigkeiten von 70 km/h und 50 km/h durch Geschwindigkeitsüberschreitungen aufgefallen war. Damit hat er jedenfalls zu der erst in der 30er-Zone bewusst ausgelösten, ihn betreffenden Messung konkreten Anlass gegeben, der auch zu der unmittelbar nachfolgenden Fahrerfeststellung durch die Messbeamten geführt hat.“

Aber für die Sachrüge hat es dann gereicht:

Die Rechtsbeschwerde beanstandet insoweit zu Recht, dass sich die Feststellungen nicht dazu verhalten, in welcher der möglichen Betriebsarten des verwendeten Messgerätes Provida 2000 die der Verurteilung zugrunde gelegte Geschwindigkeitsmessung erfolgt ist. Da das Messsystem verschiedene Einsatzmöglichkeiten zulässt, denen u.a. im Hinblick auf den maßgeblichen Toleranzwert und etwaige, zu weiterer Beweiserhebung Anlass gebenden Auffälligkeiten Bedeutung zukommen kann, ist der bloße Hinweis auf den zum Einsatz gekommenen Gerätetyp nicht ausreichend (vgl. Senat, Beschl. v. 08.05.2006, Az. 1 Ss 60/06, m.w.N., bei juris). Weitere Angaben, anhand derer von einer Messung mittels menügesteuerter Betriebsart ausgegangenen werden und eine weitere Differenzierung ausnahmsweise als entbehrlich angesehen werden könnte (vgl. OLG Bamberg, Beschl.v. 03.02.2014, Az. 2 Ss OWi 5/14 ; KG Berlin, Beschl. v. 02.08.2018, Az. 3 Ws (B) 202/18 , bei juris) sind weder aus den dürftigen Feststellungen noch aus der Beweiswürdigung abzuleiten, die jeweils schon offen lassen, ob das Amtsgericht von einer Messung im – nicht ausdrücklich erwähnten – standardisierten Messverfahren ausgegangen ist.

Dieser Darstellungsmangel nötigt bereits zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung ans Amtsgericht zur neuerlichen Prüfung und Entscheidung, die auch die Zuweisung der im Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen Kosten umfassen muss.“

Und eine „Segelanweisung“ gibt es auch noch:

„Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine auf Zeugenaussagen gestützte Zurückweisung eines Antrags auf Gutachtenseinholung – wenn überhaupt – nur Bestand haben kann, wenn die danach zugrunde gelegten tatsächlichen Erwägungen in den Urteilsgründen in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbaren Weise dargelegt werden, und dass auch der Rechtsfolgenausspruch für sich genommen keinen Bestand hätte haben können, da das Urteil sich nicht – wie angesichts der Höhe der verhängten Geldbuße unabdingbar – zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen verhält und auch keine Umstände mitteilt, die den Wegfall der im Bußgeldbescheid noch enthaltenen Wirksamkeitsregel des § 25 Abs. 2a StVG rechtfertigen würden.“