Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

Mobiltelefon I: Benutzungsverbot, oder: Was darunter fällt, ist geklärt

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Heute dann drei OWi-Entscheidungen, und zwar alle drei zum Mobiltelefon/elektronischen Gerät im Straßenverkehr (§ 23 Abs. 1a StVO). Alle drei Entscheidungen kommen vom KG, das inzwischen wieder im 21. Jahrhundert angekommen ist 🙂 . Alle drei enthalten aber nichts wesentlich Neues.

Auf der Startposition der KG, Beschl. v. 07.11.2019 – 3 Ws (B) 360/19 -, der noch einmal zu der Frage Stellung genommen hat, welche Handlungen von § 23 Abs. 1a StVO erfasst werden. Das KHG meint dazu – ohne näher darzulegen, um welche „Handlung“ es denn hier ging:

„In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist hinreichend geklärt und bedarf deshalb keiner (weiteren) Entscheidung durch den Senat, welche Handlungen im Einzelnen die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1a StVO erfüllen. So ist das bloße Aufnehmen oder Halten eines elektronischen Gerätes – ohne das Hinzutreten eines Benutzungselementes – nicht ausreichend, den Tatbestand des § 23 Abs. 1a StVO zu erfüllen (vgl. Senat, Beschluss vom 14. August 2019 – 3 Ws (B) 273/19 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Januar 2019 – 2 Rb 24 Ss 1269/18 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 18. Februar 2019 – (2 Z) 53 Ss-OWi 50/19 (25/19) -; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 2019 – 4 RBs 30/19 -; OLG Oldenburg, Beschluss vom 17. April 2019 – 2 Ss (OWi) 102/19, alle bei juris; OLG Celle, Beschlüsse vom 7. Februar 2019 – 3 Ss (OWi) 8/19 -, juris und vom 24. Juni 2019 – 2 Ss (Owi) 192/19 -, BeckRS 2019, 12872). Erforderlich ist vielmehr ein Zusammenhang des Aufnehmens oder Haltens mit einer der Bedienfunktionen des Gerätes, also mit seiner Bestimmung zur Kommunikation, Information oder Organisation (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl., § 23 StVO Rn. 32). Eine Benutzung des Gerätes setzt indessen nicht voraus, dass etwa eine Verbindung zum Mobilfunknetz zustande kommt, vielmehr ist eine solche bereits bei Ablesen der Uhrzeit oder des Ladezustandes (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. Februar 2019, a.a.O.) oder bei Betätigung einer Taste zur bloßen Kontrolle der Funktionstüchtigkeit des Gerätes (vgl. KG, Beschluss vom 14. Mai 2019 – 3 Ws (B) 160/19 -, juris) gegeben. Ein Zusammenhang zwischen dem Halten des Geräts und seiner Bedienfunktion ist ebenso gegeben, wenn der Betroffene während der Fahrt ein Mobiltelefon in der Hand hält und mehrere Sekunden auf das Display schaut (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. April 2019 – 3 RBs 45/19 -, juris; OLG Celle, Beschluss vom 7. Februar 2019 a.a.O.; OLG Oldenburg a.a.O.). Ferner können aus der Art und Weise, in der das Gerät gehalten wird, Rückschlüsse auf dessen Nutzung gezogen werden (OLG Oldenburg a.a.O.). Es bedarf jedoch weder der Feststellung, welche Bedienfunktion konkret genutzt worden ist, noch ist die Wahrnehmung von Sprechbewegungen für die Annahme einer Nutzung des Gerätes zwingend erforderlich (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Die Frage, ob sich die Tatrichterin an diese Rechtsprechung gehalten hat, ist lediglich eine solche des Einzelfalls, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht gebietet (vgl. Senat, Beschluss vom 22. September 2017 – 3 Ws (B) 260/17 -, m.w.N.).“

BGH II: SV-Gutachten im Urteil, oder: Dauerbrenner

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Urheber Bin im Garten

Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 09.01.2020 – 2 StR 263/19 -, kommt dann aus der Abteilung „Dauerbrenner“. Die Problemati, die er zum Inhalt hat, war hier auch schon häufig Gegenstand der Berichterstattung. Dazu muss sich der BGH immer wieder äußern und dann gebetsmühlenartig immer dasselbe ausführen. So auch hier, allerdings – und das ist „besonders“ – mal in Zusammenhnag mit einer Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO a.F.:

1″. Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, aufgrund derer das Landgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. zur Feststellung des Netto-Verkehrswerts des Miteigentumsanteils des Angeklagten an den in M. gelegenen Grundstücken in Höhe von 37.000 € gelangt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Folgt das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist es sachlichrechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH StraFo 2017, 372). Liegt der Begutachtung indes eine allgemein anerkannte, häufig angewandte (standardisierte) Untersuchungsweise zugrunde, so kann die Mitteilung des Ergebnisses, zu dem ein anerkannter Sachverständiger gelangt ist, ausreichend sein (vgl. BGH, 19. August 1993 – 3 StR 62/92, BGHSt 39, 291, 298 = NJW 1993, 3081, 3083). Werden allerdings Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung geltend gemacht, können nähere Ausführungen erforderlich sein, die das Revisionsgericht in die Lage versetzen, nachzuprüfen, ob die Einwände zu Unrecht erhoben worden sind (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 14, 15; Wenske, in: MüKo-StPO, § 267, Rdn. 236, 240).

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.

aa) Das Landgericht hat sich bei der Einschätzung des Grundstückswerts auf das Gutachten eines Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken gestützt. Dieser sei von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen und habe das Ergebnis seiner Begutachtung logisch, widerspruchsfrei und in sich schlüssig vorgetragen. Er habe hierbei insbesondere zu den maßgeblichen wertbildenden Faktoren, wie der konkreten Lage des Grundstücks, der Größe und Aufteilung, der Nutzungseignung, dem Erhaltungszustand und den vorhandenen baulichen Mängeln Stellung genommen. Hierbei habe er zugleich nachvollziehbar auf die derzeitige Situation am Immobilienmarkt rekurriert und diese in Beziehung zum konkreten Objekt gesetzt. Auch die sich in Bezug auf die vor der Hauptverhandlung erhobenen Einwände gegen sein schriftliches, vorbereitendes Gutachten ergebenden Fragen habe der Sachverständige widerspruchsfrei und erschöpfend beantwortet, ohne sich auf sein vorläufiges Begutachtungsergebnis zu versteifen. Er habe dieses mit einer nachvollziehbaren Begründung zu Gunsten des Angeklagten korrigiert. Der Sachverständige habe vom Angeklagten in einer Sitzungsunterbrechung vorgelegte Bilder spontan sachverständig bewertet und in das Ergebnis seiner Begutachtung mit einer für die Strafkammer nachvollziehbaren und schlüssigen Begründung einfließen lassen.

bb) Diese Zusammenfassung des Sachverständigengutachtens, das lediglich das Ergebnis und die der Bewertung zugrundeliegenden Parameter mitteilt, aber darauf verzichtet, die konkrete Wertermittlung der Grundstücke anhand dieser Kriterien darzulegen, erschöpft sich damit in allgemeinen Wendungen, die es dem Revisionsgericht nicht ermöglichen, das Ergebnis des Gutachtens auf seine Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Hierfür wäre es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest erforderlich gewesen, die wesentlichen, dem Gutachten zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen für die Begutachtung wie die allgemeinen Wertverhältnisse am Grundstücksmarkt einerseits und Lage, Größe und Nutzungsmöglichkeiten der Grundstücke, Angaben zu Art, Alter und Zustand der Bebauung mit Hinweisen zur Wohn- und Nutzfläche sowie das Verfahren der Wertermittlung andererseits anzugeben (vgl. § 2, 8 der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken vom 19. Mai 2010, BGBl. I S. 639 [ImmoWertV]). Dies erfordert zwar nicht eine vollständige Wiedergabe des Gutachtens in Einzelheiten mit allen Rechenschritten, gebietet aber zur Überprüfung durch das Revisionsgericht zumindest eine auf die Grundstücke bezogene, konkrete Darlegung der wesentlichen wertbildenden Faktoren.

cc) Darüber hinaus wäre es vorliegend vonnöten gewesen, die von dem Angeklagten konkret erhobenen Einwendungen gegen das Urteil zu benennen und zu erläutern, in welcher Weise das Gutachten dem Rechnung getragen hat. Insoweit teilt das Urteil mit, der Sachverständige habe auf die sich aus den Einwänden ergebenden Fragen „widerspruchsfrei und erschöpfend“ antworten können. Ohne Kenntnis dieser Umstände kann das Revisionsgericht indes nicht überprüfen, ob die gutachterliche Einschätzung sich hinreichend mit dem Vorbringen des Angeklagten auseinandergesetzt hat und das gegenüber dem vorbereitenden Gutachten gefundene Ergebnis mit den Grundsätzen für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken in Einklang steht.

c) Diese Angaben zum Inhalt des Sachverständigengutachtens waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um eine Begutachtung gehandelt hat, der eine allgemein anerkannte, häufig angewandte (standardisierte) Untersuchungsweise zugrunde liegt. Grundstücksbewertungen liegen zwar allgemein anerkannte Grundsätze zugrunde, die auch normativ in der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken festgeschrieben sind. Es handelt sich aber bei der Anwendung dieser Grundsätze nicht um ein „standardisiertes“ Verfahren, dessen Ergebnis sich unter Anwendung dieser Grundsätze von selbst ergibt oder versteht. Erforderlich ist in jedem Fall eine konkret auf den Einzelfall bezogene Würdigung der wertbildenden Faktoren; insoweit unterscheiden sich Grundstücksbewertungen von anderen in der Rechtsprechung anerkannten Begutachtungen, denen wie etwa bei der Bestimmung von Blutgruppen oder des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln standardisierte Verfahrensweisen ohne (wesentliche) Beurteilungsspielräume zugrunde liegen.“

OWi III: Messung mit Traffipax, oder: „geringfügige Verschiebung“ ==> aufmerksamer Messbetrieb gewahrt?

So, und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 25.09.2019 – 1 OWi 2 SsBs 33/19, über den der Kollege Gratz im VerkehrsRechtsBlog auch schon berichtet hat.

Es geht um die Veurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Gemessen worden ist mit TRAFFIPAX SpeedoPhot mit ROBOT SmartCamera III. Das Gerät war im Kofferraum eines Messfahrzeugs eingebaut, welches am Straßenrand abgestellt war. Bei der Messung bzw. später hat es Probleme mit den Kalibrierungsfotos gegeben. Aus denen ergab sich eine „geringfügige Verschiebung“. Das AG hatte die Messung dennoch seinem Urteil zugrunde gelegt. Das OLG Sagt: Geht, aber bitte nur mit einem Sachverständigen oder ggf. Vernehmung des Messpersonals:

„Die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Rechtsfehler. Denn der Tatrichter hat seine Annahme, das Messgerät sei bei der verfahrensgegenständlichen Messung entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung betrieben worden, nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbaren Weise begründet.

1. Das Amtsgericht hat im rechtlichen Ausgangspunkt zwar zutreffend angenommen, dass bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät TRAFFIPAX SpeedoPhot die von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des standardisierten Messverfahrens Anwendung finden können (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 15.04.2014 – 1 RBs 89/14, juris Rn. 16; OLG Naumburg, Beschluss vom 03.09.2015 – 2 Ws 174/15, zfSch 2016, 230 mit Anm. Krenberger; s.a.: BGH, Beschluss vom 19.08.1993 – 4 StR 627/92, NZV 1993, 485). Wie auch sonst setzen die dann erleichterten Vorgaben an die Darstellung der Zuverlässigkeit der Messung in den Urteilsgründen aber voraus, dass die Vorgaben der Gebrauchsanweisung des verwendeten Geräts an die Aufstellung und den Betrieb eingehalten sind (OLG Naumburg aaO.). Wird von diesen in einem Punkt abgewichen, der geeignet ist, die Zuverlässigkeit der Messung zu beeinträchtigen, handelt es sich um ein individuelles Messverfahren, das für sich die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit nicht ohne weitere in Anspruch nehmen kann. Es liegt dann zumindest die Möglichkeit eines Messfehlers vor, weshalb der Tatrichter verpflichtet ist, die Korrektheit des Messergebnisses zu prüfen, was regelmäßig sachverständige Beratung erfordert (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.10.2011 – IV-4 RBs 170/11, juris Rn. 10; OLG Naumburg aaO.).

Will der Tatrichter die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens anwenden, muss er sich daher von einer den Vorgaben der Bedienungsanleitung entsprechenden Verwendung des Messgeräts überzeugen und dies in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen. Ergeben sich greifbare Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei der konkreten Messung die Vorgaben der Bedienungsanleitung nicht eingehalten worden sein könnten, hat der Tatrichter sich mit diesen Anhaltspunkten auseinanderzusetzen und zumindest knapp auszuführen, weshalb er gleichwohl von einer Verwendung des Geräts entsprechend den Vorgaben des Herstellers ausgeht. Nur dadurch wird das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt zu prüfen, ob der Tatrichter rechtsfehlerfrei von der Anwendung eines standardisierten Messverfahrens ausgehen durfte.

2. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ergab ein Vergleich der um 16:10:42 Uhr und um 21:40:17 Uhr gefertigten Kalibrierungsfotos mit dem um 16:48:31 Uhr aufgenommenen Beweisfoto, dass hinsichtlich des Bildausschnitts horizontal eine Übereinstimmung, allerdings in vertikaler Richtung eine „geringfügige Verschiebung“, erkennbar am Reifenabstand eines parkenden Fahrzeugs sowie an Dachziegeln von Häusern, gegeben war. Das Amtsgericht hat dies mit der Begründung für unerheblich gehalten, das Gerät sei für die hier erfolgte Verwendung aus dem Heck eines Fahrzeugs heraus zugelassen. Bei einem Betrieb aus dem Kofferraum eines Fahrzeugs heraus könnten aber bereits geringfügige Veränderungen in der Sitzposition und der damit verbundenen Gewichtsverteilung im Fahrzeuginneren eine geringfügige Veränderung der vertikalen Ausrichtung bewirken. Hätte diese bereits Einfluss auf das Messergebnis, wäre nach Auffassung des Amtsgerichts der von der Aufbauanleitung zugelassene Einbau in ein Fahrzeug praktisch nicht möglich.

3. Das Amtsgericht hat hierbei jedoch nicht erkennbar in seine Überlegungen einbezogen, dass das verwendete Messgerät einen aufmerksamen Messbetrieb erfordert (vgl. Schmedding in Beck/Löhle, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 12. Auflage 2018, § 9 Rn. 45) und die festgestellte Verschiebung des von der Kamera erfassten Bildbereichs geeignet sein kann, einen Verstoß gegen diese Anforderung zu besorgen.

a) Dem Amtsgericht ist zwar zuzugeben, dass eine vertikale Veränderung des Bildausschnittes zwischen einzelnen Aufnahmen möglicherweise bereits durch eine bloße Gewichtsverlagerung der im Fahrzeuginnenraum sitzenden Personen bewirkt werden kann. Aber auch ein Aussteigen der auf dem Fahrer- und Beifahrersitz befindlichen Personen aus dem Fahrzeug kann bewirken, dass sich das Fahrzeug aufgrund der Ausfederung der Vorderachse im Heckbereich absenkt und es dadurch zu einer Veränderung des von der Kamera erfassten Bildbereiches kommt. Die vom Amtsgericht festgestellte Auffälligkeit kann daher zumindest ein Hinweis darauf sein, dass ein aufmerksamer Messbetrieb im Zeitpunkt der konkreten Messung nicht gewährleistet gewesen war (vgl. Schmedding aaO. Rn. 31). Ob der Tatrichter diesen Zusammenhang gesehen und aufgrund welcher Überlegungen er trotz der festgestellten Auffälligkeiten sich die Überzeugung von einem den Herstellervorgaben entsprechenden aufmerksamen Messbetrieb verschafft hat, teilt das angefochtene Urteil nicht mit. Die nicht näher belegte Feststellung, das Messgerät sei „ordnungsgemäß aufgebaut und betrieben worden“ reicht angesichts der vorgenannten Besonderheiten nicht aus.

b) Entsprechenden Ausführungen war das Amtsgericht nicht dadurch enthoben, dass nach seiner Wertung die Verschiebung der Bildausschnitte lediglich „geringfügig“ gewesen sei. Hierbei bleibt bereits offen, welchen Maßstab der Bußgeldrichter an den Grad der Abweichung angelegt hat. Die Beantwortung der Frage, ob eine festgestellte vertikale Veränderung der Bildbereiche zwischen einzelnen Aufnahmen auf ein Aussteigen einer oder mehrerer Personen oder auf eine schlichte Gewichtsverlagerung zurückgeführt werden kann, übersteigt zudem regelmäßig das richterliche Fachwissen und erfordert daher im Regelfall die Hinzuziehung eines Sachverständigen.

c) Dem Tatrichter steht es allerdings frei, sich auf anderem Wege die Überzeugung zu verschaffen, dass die Messung trotz der festgestellten Auffälligkeit ordnungsgemäß durchgeführt wurde. So bietet sich insbesondere die Befragung der die Messung durchführenden Personen an, sofern sich entsprechende, auf den konkreten Messvorgang bezogene Angaben nicht bereits dem Messprotokoll entnehmen lassen. Das Amtsgericht hat ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe zwar einen Vermerk der Messbeamtin vom 24. Juli 2018 verwertet. Mangels Ausführungen zum Inhalt des Vermerks bleibt jedoch offen, ob die Messbeamtin sich darin zur Einhaltung eines aufmerksamen Messbetriebs verhalten hat.“

OWi I: Qualifizierter Rotlichtverstoß, oder: Tatsächliche Feststellungen und Beweiswürdigung

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So, bevor mir wieder andere Entscheidungen dazwischen kommen: Heute starte ich in die nachösterliche Zeit mit drei OWi-Entscheidungen. Wird auch mal wieder Zeit.

Und den Reigen eröffnet der OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.02.2020 – 1 Ss-OWi 1508/19, der zu den Anforderungen an tatsächlichen Feststellungen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß äußert. Das AG hatte verurteilt, das OLG hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen bzw. einer fehlerhaften Beweiswürdigung auf:

„1. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht. Sie sind lückenhaft und ermöglichen keine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht.

a) In Massenverfahren wie den Bußgeldsachen sind an die Feststellungen des Urteils nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen (OLG Bamberg, Beschl. v. 1.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 71 Rn. 106b). Die Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe sind dennoch mit denen des Strafverfahrens zu vergleichen, da auch im Bußgeldverfahren dem Rechtsbeschwerdegericht nur das Urteil und nicht der gesamte Akteninhalt als Prüfungsgrundlage zur Verfügung steht. Aus diesem heraus muss sich die Überprüfbarkeit auf sachlich-rechtliche Mängel für das Rechtsbeschwerdegericht ergeben. Maßstab der Überprüfung ist damit§ 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 1 StPO. Die den Tatbestand erfüllenden Tatsachen müssen danach jedenfalls in dem Umfang angegeben werden, dass eine Prüfung des Rechtsmittelgerichts auf die Klarheit, Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Freiheit von Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze ermöglicht wird (KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 120).

b) Eine solche lückenlose Darstellung der Feststellungen in den Urteilsgründen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß erfordert die Wiedergabe der näheren Umstände des Verstoßes. Die Feststellungen müssen die Unterscheidung treffen, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattfand, da sich daran orientiert, ob weitere Ausführungen zu den örtlichen Gegebenheiten zu machen sind. Bei einem innerörtlichen Verstoß darf das Gericht von Ausführungen zu der Dauer der Gelbphase und der zulässigen Höchstgeschwindigkeit absehen. Bei einem Verstoß außerorts hingegen, muss neben diesen Angaben auch die Entfernung des Betroffenen vom durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich angegeben werden, da der Betroffene nur verurteilt werden kann, wenn er die Möglichkeit des Anhaltens vor der Lichtzeichenanlage hatte (OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2010 – III-4 RBs 374/10; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2014 – 3 Ss OWi 228/14; Freymann/Wellner/Wern, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 37 StVO Rn. 93).

c) Gemessen hieran sind die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft. Insbesondere sind keine Angaben zur Dauer der Gelbphase, der Geschwindigkeit des Betroffenen und dem Abstand seines Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage vorhanden. Die bloße Feststellung, dass es dem Betroffenen möglich gewesen wäre, die Verkehrsordnungswidrigkeit zu vermeiden, lässt sich aufgrund dieser fehlenden Informationen zu den weiteren Umständen der Verkehrssituation nicht durch das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfen. Zudem kann den Feststellungen des Amtsgerichts nicht eindeutig entnommen werden, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattgefunden hat, mithin also letztlich offenbleiben muss, welche Anforderungen die Urteilsfeststellungen unterliegen.

2. Neben den Feststellungen ermöglicht auch die Beweiswürdigung nicht die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, da sie ebenfalls lückenhaft ist.

a) Die Beweiswürdigung ist nach § 46 1 OWiG, § 261 StPO die Aufgabe des Tatrichters und durch das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt zu überprüfen. Die Beweiswürdigung muss sich allerdings innerhalb der Gesetze der Logik und der allgemeinen Erfahrungssätze halten und in sich widerspruchslos und lückenlos sein (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 204; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 125). Die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen muss dem Rechtsbeschwerdegericht diese Überprüfung ermöglichen (statt Vieler BGH, Beschl. v. 25. 9. 2012 – 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 381).

b) Nach diesen Maßstäben weist das Urteil des Amtsgerichts in Bezug auf die Beweisgrundlage für die Annahme der Nettorotlichtzeit, die für einen qualifizierten Rotlichtverstoß erforderlich ist, einen weiteren Darstellungsmangel auf. Das Amtsgericht stützt in nicht hinreichender Weise die Annahme eines qualifizierten Verstoßes von 1,5 Sekunden auf Lichtbilder der Akte und die Aussage des Zeugen pp.

c) Der bloße Hinweis auf die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder Bl. 13 und Bl. 14 der Akte in der Hauptverhandlung ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der § 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erfüllen. Danach ist die Bezugnahme für Abbildungen auf Bestandteile der Akte gestattet, um auf Einzelheiten und Details der Bezugsobjekte nicht weiter eingehen zu müssen. Mit der Ausführung, dass eine Inaugenscheinnahme der Lichtbilder stattgefunden hat, wird hingegen nur der Beweiserhebungsvorgang wiedergegeben, der für sich genommen ohne Aussagekraft ist (OLG Hamm, Besch. v. 19.5.1998 – 2 Ss OWi 553/98). Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Abbildungen darf nicht wie hier unerwähnt bleiben, da eine Überprüfung des Aussagegehalts der in Augenschein genommenen Lichtbilder durch das Rechtsbeschwerdegericht dann nicht möglich ist (Jahn/Brodowski, FS Rengier, 2018, S. 409, 416 f.; KK-StPO/Kuckein/Bartel aaO., § 267 Rn. 19).

d) Auch die Darstellung der Zeugenaussage des Zeugen … erfüllt nicht die an die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen nach § 46 1 OWiG § 261, § 267 StPO gestellten Anforderungen. Die nach § 261 StPO vorzunehmende Gesamtwürdigung der Beweismittel fordert vom Tatrichter zwar nicht, alle Einzelheiten darzulegen, wie er zu den Feststellungen gelangt ist (BGH, Beschl. v. 17.2.2009 – 3 StR 490/08, NStZ 2009, 403). Einer Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist die Beweiswürdigung aber nur dann zugänglich, wenn nicht nur der bloße Inhalt von Zeugenaussagen angegeben wird, sondern auch eine eigene Auseinandersetzung des Tatrichters mit dieser Beweisgrundlage (BGH, Beschl. v. 15.1.1.1984 – 4 StR 675/84, NStZ 1985, 184; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 126). Andernfalls liegt nur eine Beweisdokumentation vor und keine Beweiswürdigung (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 267 Rn. 12).

Das amtsgerichtliche Urteil gibt lediglich die Aussage des Zeugen pp. als Ergebnismitteilung wieder, ohne dass eine für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Inhalt vollzogen wird. Die Fragen der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen bleiben offen.“

Klassiker: Fehlende Einlassung des Angeklagten im Urteil, oder: Unverständlich

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Und als dritte und letzte Entscheidung ein weiterer BGH-Beschluss zur Beweiswürdigung, und zwar der BGH, Beschl. v. 12.12.2019 – 5 StR 444/19. Ein „Klassiker“, nämlich mal wieder fehlende Einlassung des Angeklagten in den Urteilsgründen:

Das LG hat die Angeklagten wegen Diebstahls verurteilt. Dagegen die Revisionen, die mit der Sachrüge Erfolg hatten:

„1. Nach den Feststellungen spähten die Angeklagten zusammen mit weiteren, teils unbekannt gebliebenen Mittätern in wechselnder Beteiligung hochwertige Autos aus, die sie sodann entwendeten. Meist leitete der Angeklagte G. die Planungen der Tatausführung und organisierte die anschließende Überführung der Fahrzeuge. Diese wurden jeweils durch „Schlossziehen“ unberechtigt geöffnet. Sodann wurden sogenannte Schlüsseldummys an die einzelnen Fahrzeuge angelernt, indem mittels eines Computers, der an ihr On-Bord-Diagnosesystem angeschlossen wurde, die Fahrzeugdaten auf die Schlüsseldummys übertragen wurden. In den Fällen 2 bis 5 übernahm der Nichtrevident B. diese Aufgabe. Mit den so erstellten Zweitschlüsseln konnten die Fahrzeuge dann gestartet und von Kurieren in das osteuropäische Ausland gebracht werden, wo sie entweder weiterveräußert wurden oder als „Teilespender“ für andere Fahrzeuge dienten. In Fall 7 unterstützte der Angeklagte S. den Angeklagten G. bei der Tat.

2. Die Revisionen führen bereits mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.

a) Die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich das Landgericht die Überzeugung von den Taten verschafft hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, weil Angaben dazu fehlen, ob und wie sich die Angeklagten G. und S. zu den Tatvorwürfen eingelassen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Dezember 2014 ? 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299). Unter sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten ist regelmäßig eine Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich das Tatgericht unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 – 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45).

Den Urteilsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten auf ihren Angaben und diejenigen zur Sache auf den geständigen Angaben des Nichtrevidenten B. zu seinen eigenen Tatbeiträgen sowie insbesondere Funkzellendaten und Telekommunikationsüberwachung beruhen. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass die Angeklagten keine Angaben zur Sache gemacht haben.

Auch in Anbetracht der hier gegebenen äußerst schwierigen Beweislage kann ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden.“

Für mich unverständlich. Irgendjemand muss doch beim Lesen der abgesetzten Urteilsgründe merken, dass entweder die Einlassung der Angeklagten fehlt oder der Satz: „Die Angeklagten haben sich nicht zur Sache eingelassen“. Mehr schreibe ich nicht, sonst heißt es wieder, dass ich pöbele. Aber es ist unverständlich. Hoffentlich nicht nur für mich.