Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

Strafzumessung III: Aufklärungshilfe, oder: Wenn der Angeklagte seine Mittäter „verpfeift“

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Und dann zum Schluss des Tages als dritte Entscheidung noch den BGH, Beschl. v. 24.06.2020 – 5 StR 214/20 – mit der Aufhebung des Strafausspruchs einer Verurteilung wegen Raubes:

„Die Strafzumessung leidet an einem Rechtsfehler. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung nicht erörtert, dass der Angeklagte in einer polizeilichen Zeugenvernehmung auch seine beiden Mittäter namentlich benannt und dies in einem bei der Polizei eingegangenen Schreiben wiederholt hat. In den Haftbefehlen, auf deren Grundlage die beiden Mittäter festgenommen wurden, war seine Aussage als belastendes Beweismittel erwähnt. Inzwischen sind die aufgrund seiner Angaben ermittelten Mittäter rechtskräftig wegen Beteiligung an der Tat verurteilt.

Zwar legen die Urteilsgründe die Anwendungsvoraussetzungen des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nicht nahe, weil der Angeklagte seine belastenden Angaben noch als Zeuge getätigt hat und das Ermittlungsverfahren gegen ihn offensichtlich erst später eingeleitet worden ist (vgl. zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Aufklärungshilfe BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 5 StR 18/15, NStZ-RR 2015, 248 mwN). Unter den besonderen Umständen des konkreten Falls hätten seine Aufklärungsbemühungen gleichwohl bei der Strafzumessung erörtert werden müssen. Dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend hebt der Senat deshalb den Strafausspruch auf.“

Strafzumessung II: Kumulation von Freiheits- und Geldstrafe, oder: Schrittweises Vorgehen bei der Bemessung

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Die zweite Entscheidung kommt vom 5. Strafsenat des BGH. Der hat im BGH, Urt. v. 27.5.2020 – 5 StR 603/19 – ein Urteil des LG Leipzig im Strafausspruch aufgehoben. Das hatte die Angeklagten u.a. wegen Untreue zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Daneben hatte es Gesamtgeldstrafe verhängt. Der BGH hat diese Kumulation beanstandet:

„1. Die kumulative Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nach § 41 StGB kann dann, wenn der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht hat, eine sonst nicht oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhängt werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters angebracht ist. Angesichts ihres Ausnahmecharakters muss die Kumulation von Geld- und Freiheitsstrafe näher begründet werden. Dabei sind zunächst die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und die Aufspaltung der Sanktion in Freiheits- und Geldstrafe zu begründen. Sodann hat in einem zweiten Schritt die wechselseitige Gewichtung der als Freiheitsstrafe und als Geldstrafe zu verhängenden Teile des schuldangemessenen Strafmaßes nach den Grundsätzen des § 46 StGB zu erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2019 – 1 StR 367/18 , NStZ 2019, 601 f. mwN; MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 41 Rn. 6, 32; Schönke/Schröder-Kinzig, 30. Aufl., StGB, § 41 Rn. 1; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 41 Rn. 2; krit. zum Ausnahmecharakter LK-Grube, 13. Aufl., § 41 Rn. 5; SSW-StGB/Claus, 4. Aufl., § 41 Rn. 4 f.).

Diesen Anforderungen wird das Landgericht schon deshalb nicht gerecht, weil es die Anwendung des § 41 StGB ausschließlich damit begründet hat, dass sich die Angeklagten durch die Tat „selbst bereichert“ haben. Dies beschreibt aber lediglich eine der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift. Dass das Landgericht das ihm zustehende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, lässt sich den Urteilsgründen hingegen nicht entnehmen. Zudem hat das Landgericht nicht erörtert, ob die kumulative Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen im Sinne des § 41 StGB angebracht ist. Angesichts der angeordneten Einziehung des Wertes des Tatertrages von jeweils mehreren hunderttausend Euro hätte es sich aber dazu gedrängt sehen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08 ; MüKo-StGB/Radtke, aaO Rn. 9; Schönke/Schröder-Kinzig, aaO Rn. 5; SSW-StGB/Claus, aaO Rn. 6).

Es handelt sich um Rechtsfehler zugunsten wie zu Lasten der Angeklagten ( § 301 StPO ). Die zusätzliche Anwendung von § 41 StGB stellt einerseits ein zusätzliches Strafübel dar, andererseits hätte die Strafkammer ohne die zusätzliche Geldstrafe möglicherweise eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt.“

Verkehrsrecht I: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, oder: Urteilsgründe sind keine „Suchspiel“

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Heute dann verkehrsrechtliche Entscheidungen bzw. solche mit verkehrsrechtlichem Einschlag.

In der ersten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 27.11.2019 – 4 StR 390/19 – nimmt der BGH zu den Urteilsgründen bei einer Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) Stellung. Seine Ausführungen insoweit sind aber nicht rein verkehrsrechtlich zu sehen, sondern gelten allgemein.

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen vierfacher versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, vorsätzlichem Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und mit Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel verurteilt. Festgestellt worden ist ein umfangreiches Verkehrsgeschehen. Nach den Feststellungen des LG hatten der Angeklagte und ein Mittäter in Berlin ein Motorrad enwendet. Sie wurden beim Verladen des Motorrades auf einen in der Nähe abgestellten Transporter von der Polizei beobachtet. Anschließend entfernten sie sich in dem Transporter vom Tatort, wobei der Angeklagte das Fahrzeug steuerte. Dabei kam es dann zu verschiedenen insgesamt 10 „gefährlichen“ Verkehrssituationen; wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext.

Dem BGH gefallen die Urteilsgründe (§ 267 StPO) nun gar nicht. Er hebt auf und verweist zurück:

„2. Das angefochtene Urteil ist im Tatkomplex II.2. der Urteilsgründe auf die Sachrüge hin aufzuheben, weil es insoweit den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht genügt.

a) Nach dieser Vorschrift müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Das bedeutet, dass der festgestellte Sachverhalt so darzustellen ist, wie er sich nach Überzeugung des Gerichts abgespielt hat; zum inneren und äußeren Tatgeschehen sind Tatsachen mitzuteilen, so dass dem Revisionsgericht die Überprüfung der rechtlichen Würdigung ermöglicht wird (BGH, Urteil vom 19. Mai 1987 – 1 StR 159/87, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 1; Beschlüsse vom 23. Juni 1993 . 5 StR 326/93 und vom 28. September 2010 – 4 StR 307/10, juris Rn. 3f.). Die Darstellung muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Tatrichter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Bewertung zugrunde gelegt hat (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08, juris Rn. 2). Das Revisionsgericht ist nicht gehalten, sich aus einer Fülle erheblicher und unerheblicher Tatsachen diejenigen herauszusuchen, in denen eine Straftat gesehen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2011 – 3 StR 209/11, juris Rn. 10; Beschluss vom 14. Juni 2002 – 3 StR 132/02, NStZ-RR 2002, 263). Vielmehr liegt ein Mangel des Urteiles vor, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt, wenn aufgrund einer unübersichtlichen Darstellung der Urteilsgründe unklar bleibt, welchen Sachverhalt das Tatgericht seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16, juris Rn. 3; Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08, juris Rn. 2; Urteil vom 12. April 1989 – 3 StR 472/88; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 8).

b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen werden die Urteilsgründe hinsichtlich der tateinheitlich verwirklichten Delikte des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung nicht gerecht. Denn sie ergeben nicht, durch welche bestimmten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale des äußeren und inneren Tatbestandes dieser Strafvorschriften aus der Sicht des Tatrichters erfüllt werden. Das angefochtene Urteil lässt weder in der rechtlichen Würdigung noch an anderer Stelle erkennen, wie die tatrichterliche Subsumtion vollzogen worden ist. Dies versteht sich angesichts der geschilderten zehn unterschiedlichen Verkehrssituationen auch nicht in einer Weise von selbst, dass es einer Begründung nicht bedurft hätte. Die Erfüllung eines dieser Tatbestände springt für keine der geschilderten Verkehrssituationen unmittelbar ins Auge. So gibt es alleine vier Verkehrssituationen, in denen der Tatrichter naheliegend einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gesehen haben könnte (II.2. a), c), h) und i)).

c) Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die ausgeurteilten Taten einem der festgestellten Sachverhaltsabschnitte zuzuordnen, in dem es die gesetzlichen Merkmale des äußeren und inneren Tatbestands als erfüllt ansieht. Es bestünde unter den hier gegebenen Umständen zudem die Gefahr, dass das Revisionsgericht eine Zuordnung vornähme, die dem Willen des Tatrichters widerspricht. Die gebotene rechtliche Überprüfung im Revisionsverfahren ist dem Senat so nicht möglich.“

Es gibt dann aber auch noch einen verkehrsrechtlichen Hinweis:

„a) Zum Konkurrenzverhältnis zwischen § 315b StGB und § 315c StGB verweist der Senat auf die Ausführungen bei König, LK-StGB, 12. Aufl., § 315b Rn. 95.

b) Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, genauere Feststellungen zum Tatgeschehen, etwa hinsichtlich der gefahrenen Geschwindigkeiten und der genauen Abstände zu treffen. Auch fehlen bisher Feststellungen zum Wert der beschädigten oder gefährdeten Einsatzfahrzeuge. Sowohl § 315b als auch § 315c StGB setzen die Gefährdung von fremden Sachen von bedeutendem Wert voraus (zu den erforderlichen Feststellungen siehe BGH, Beschlüsse vom 27. September 2007 – 4 StR 1/07, NStZ-RR 2008, 83; vom 20. Oktober 2009 . 4 StR 408/09, NStZ 2010, 216; vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215; vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 435/12, DAR 2013, 709 m. Anm. Ernst; vom 13. April 2017 – 4 StR 581/16, StraFo 2017, 252; vom 5. Dezember 2018 – 4 StR 505/18, NJW 2019, 615).

c) Zur Erfüllung des Tatbestands des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB mittels eines Kraftfahrzeuges ist es erforderlich, dass die Verletzungen des Tatopfers gerade durch eine Einwirkung des Kraftfahrzeugs auf seinen Körper verursacht werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405 und vom 3. Februar 2016 – 4 StR 594/15, juris Rn. 4). Es fehlen bislang konkrete Feststellungen, dass der Angeklagte dies in seinen Vorsatz aufgenommen hatte.“

So richtig, passt in dem LG-Urteil offenbar gar nichts 🙂

Rechtsmittel III: Urteilgründe in der Berufung, oder. Sind Bezugnahmen erlaubt?

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Und die „Nachmittagsentscheidung“, der KG, Beschl. v. 22.10.2019 – (3) 121 Ss 147/19 (83/19) – befasst sich auch mit einer „Berufungsproblematik“. Die Entscheidung nimmt zu den Anforderungen der Urteilsbegründung des Berufungsurteils Stellung.

Dem KG haben die Urteilsgründe zum Schuldspruch nocht gereicht, zu den Rechtsfolgen hingegen nicht (mehr):

„Insbesondere genügen die Urteilsgründe (noch) den sich aus §§ 267 Abs. 1, 328 Abs. 1 StPO ergebenen materiell-rechtlichen Anforderungen an seine Begründung.

Urteilsgründe müssen klar, eindeutig und aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 304; NStZ-RR 1996, 109). Nur wenn der vom erkennenden Gericht aufgrund der Hauptverhandlung für erwiesen erachtete Tathergang und die erhobenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in einer geschlossenen Darstellung geschildert werden, ist dem Revisionsgericht die Überprüfung des angefochtenen Urteils in rechtlicher Hinsicht verlässlich möglich (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 83).

Bezugnahmen auf im gleichen Verfahren ergangene frühere Urteile sind nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Verständlichkeit der Darstellung und die Geschlossenheit der Urteilsgründe nicht darunter leidet (vgl. OLG Thüringen, Beschluss vom 13. Januar 1998 – 1 Ss 302/97 -, juris). Trifft das Berufungsgericht die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht ist zur Vereinfachung der Darstellung grundsätzlich eine Bezugnahme auf das – nicht aufgehobene (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. März 2000 – 2 StR 71/00 – und vom 25. August 1987 – 1 StR 394/87 -, juris; NStZ-RR 2013, 22; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg a.a.O., § 267 Rn. 32 m.w.N.) – Ersturteil hinsichtlich der Feststellungen zur Sache möglich (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Jena NStZ-RR 1998, 119; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 267 Rn. 2a; Quentin in MK-StPO, § 328 Rn. 33). Insbesondere dann, wenn das Berufungsgericht insoweit auf gleicher Beweisgrundlage zu denselben tatsächlichen Feststellungen gelangt wie das Amtsgericht, kann eine Übernahme der insoweit relevanten Textpassagen des Ersturteils in Betracht kommen (vgl. OLG Köln Beschluss vom 28. März 2018 – III-1 RVs 51/18 -, juris). Es muss indessen der konkrete Umfang, in dem das Berufungsgericht die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des Amtsgerichts übernimmt, deutlich werden (vgl. BVerfG NJW 2004, 209; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 369; Stuckenberg, a.a.O., Rn. 33 m.w.N.).

Im Umfang der zulässigen Bezugnahme auf das Ersturteil sind auch grundsätzlich Einrückungen im Hinblick auf die Feststellungen zur Sache möglich. Jedoch ist auch insoweit sicherzustellen, dass die Klarheit der Gesamtdarstellung gewährleistet ist. Zu beachten ist darüber hinaus, dass derartige Einfügungen keine widersprüchlichen oder unklaren Feststellungen des Ersturteils erfassen dürfen (OLG Stuttgart, a.a.O.). Ein Darstellungsmangel kann sich überdies daraus ergeben, dass sich die eingefügten Textpassagen nicht widerspruchfrei in den Kontext des Berufungsurteils einfügen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 13. Oktober 1988 – Ss 435/88).

Die Verwerfung einer unbeschränkten Berufung stellt keine Bestätigung des in erster Instanz ergangenen Schuldspruches dar, sondern beruht auf in eigener Verantwortung getroffenen Schuldfeststellungen, die für sich Bestand haben und allein verbindlich sind (vgl. KG NStZ-RR 1998, 11; OLG Stuttgart NJW 1982, 897). Soweit Einrückungen aus dem Ersturteil in das Berufungsurteil vorgenommen werden, muss daher sichergestellt sein, dass die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Berufungskammer über die Tat und deren Rechtsfolgen eine von der Entscheidung erster Instanz unabhängige eigene Entscheidung aufgrund eigener rechtlicher und tatsächlicher Würdigung getroffen hat (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 83). Vor diesem Hintergrund kommen derartige Einrückungen im Rahmen der Beweiswürdigung regelmäßig nicht in Betracht, da es sich bei der Vornahme dieses Bewertungsprozesses um eine ureigene Aufgabe des Tatrichters handelt (vgl. OLG Köln, a.a.O.).

Diese Maßstäbe zugrunde legend, genügen die Urteilsgründe im Hinblick auf den Schuldspruch den Begründungserfordernissen……

Zwar hat die Strafkammer die Feststellungen zur Sache aus dem amtsgerichtlichen Urteil durch Einrückung übernommen, doch lassen die Urteilsgründe den genauen Umfang der Übernahme der amtsgerichtlichen Feststellungen durch wörtliche Zitate erkennen. Ebenso ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass das Berufungsgericht insoweit eigene Feststellungen aufgrund eines eigenständigen Bewertungsprozesses im Hinblick auf die erhobenen Beweise getroffenen hat. Denn die Strafkammer hat ausdrücklich die im Berufungsverfahren erhobenen Beweise gewürdigt und in diesem Zusammenhang – unter Mitteilung des Inhalts der Einlassung – dargestellt, dass sich der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung in gleicher Weise wie in der ersten Instanz eingelassen habe. Ferner hat sich das Landgericht mit den Angaben der Zeugen S-Z, Z und S auseinander gesetzt und in nicht zu beanstandender Weise die Einlassung des Angeklagten vor diesem Hintergrund als widerlegt angesehen. Durch Vernehmung der Sachverständigen Dr. med. M hat die Strafkammer überdies Beweis zu dem Vortrag des Angeklagten erhoben, der Verzehr alkoholhaltiger Pralinen habe zu dem von den Zeugen wahrgenommenen schwankenden Gang sowie der lallenden Sprache geführt. Auch mit den Angaben der Sachverständigen, die vor dem Amtsgericht nicht gehört worden war, setzen sich die Urteilsgründe eingehend auseinander. Angesichts dessen bestehen keine Zweifel, dass das Berufungsgericht aufgrund einer eigenen umfassenden Beweiswürdigung zu den – in Übereinstimmung mit jenen des Amtsgerichts stehenden – Feststellungen gelangt ist.“

Aber:

3. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben, da die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass das Landgericht insoweit eigenständige Erwägungen vorgenommen hat.

a) Die Strafkammer hat hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung die Ausführungen des amtsgerichtlichen Urteils unter Einrückung dieser für zutreffend erklärt und mitgeteilt, dass sich die Kammer diesen Ausführungen „mit der Maßgabe angeschlossen [habe], dass die angeordnete Sperrfrist angesichts der bisherigen Verfahrensdauer auf nun noch 3 (drei) Monate herabzusetzen“ sei. Weitere Darlegungen zur Rechtsfolgenentscheidung enthalten die Urteilsgründe nicht.

 

Eine solche pauschale Bezugnahme auf die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts versetzt das Revisionsgericht nicht in die Lage nachzuprüfen, ob die Strafkammer unter Berücksichtigung aller bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte eine eigene Beurteilung und Bewertung vorgenommen und auf dieser Grundlage auf die ausgesprochene Strafe erkannt hat.

 

Die Strafzumessung ist ein vom Tatgericht selbstständig, in eigener Verantwortung und auf Grundlage der jeweiligen Hauptverhandlung durchzuführender Bewertungsvorgang, der in seinen Einzelheiten nicht von verschiedenen Gerichten in gleicher Weise vorgenommen werden kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 16. Januar 2006 – 5 St RR 259/05 -, juris; OLG Thüringen, a.a.O.). Eine Bezugnahme auf Strafzumessungserwägungen des erstinstanzlichen Urteils – auch durch Einrücken der entsprechenden Textpassage – wird dieser besonderen Bewertungsaufgabe nicht gerecht und lässt darüber hinaus die Umstände außer Betracht, die sich zwischen der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts und jener des Berufungsgerichts ergeben haben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1988 – 2 StR 166/88 -, juris; Paul in KK-StPO, a.a.O., § 328 Rn. 8).

 

Die pauschale Bezugnahme des Berufungsgerichts auf die Strafzumessung des erstinstanzlichen Urteils vermag daher nicht die Darstellung der bestimmenden Strafzumessungsgründe zu ersetzen, die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO Bestandteil der Urteilsgründe zu sein hat. Ein solches Vorgehen lässt bereits nicht erkennen, dass sich die Strafkammer des Umstandes bewusst war, dass sie über die Rechtsfolgen in eigener Verantwortung – und nicht im Sinne einer Bestätigung oder Nichtbestätigung der amtsgerichtlichen Entscheidung – zu befinden hatte.“

Dolmetscher I: Ausländischer Angeklagter, oder: Keine Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe

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Heute dann nochmals StPO-Entscheidungen, Unterthema: Überstzung und/oder Dolmetscher.

An der Spitze steht der BGH, Beschl. v. 18.02.2020 -3 StR 430/19 -, der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ist. Gegenstand der Entscheidung ist die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob ein ausländischer Angeklagter einen Anspruch auf schriftliche Übersetzung eines nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Strafurteils hat, wenn der Angeklagte verteidigt ist, er und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend waren und dem Angeklagten die Urteilsgründe durch einen Dolmetscher mündlich übersetzt wurden. Im entschiedenen Fall war eine schriftliche Übersetzung des Urteils unterblieben.

Der Angeklagte hatte im Revisionsverfahren beanstandet, keine Übersetzung des angegriffenen Urteils in seine Muttersprache erhalten und seit der Urteilsverkündung keinen Kontakt mit seinem Verteidiger gehabt zu haben. Zugleich hatte er einen entsprechenden Übersetzungsantrag gestellt. Der BGH hat die Zustellung als wirksam angesehen:

2. Das Landgericht hat das Urteil ohne schriftliche Übersetzung wirksam zugestellt (§ 37 Abs. 3 StPO). Der Angeklagte hatte weder aus § 187 GVG (dazu a)) noch aus der diesem zugrundeliegenden Richtlinie 2010/64/EU (dazu b)) noch aus Art. 6 EMRK (dazu c)) noch unmittelbar aus dem Grundgesetz (dazu d)) einen Anspruch auf Anfertigung einer schriftlichen Übersetzung. Für diese Frage, die der Bundesgerichtshof bisher nicht tragend entschieden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2018 – 1 StR 320/17, juris Rn. 37; s. auch BGH, Beschluss vom 22. Januar 2018 – 4 StR 506/17, BGHR GVG § 187 Abs. 2 Übersetzung 1 [Vorsitzendenentscheidung]), gilt:

Ein Anspruch auf schriftliche Übersetzung eines nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Strafurteils besteht nicht, wenn der Angeklagte verteidigt ist, er und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend waren und dem Angeklagten die Urteilsgründe durch einen Dolmetscher mündlich übersetzt wurden, sofern der Angeklagte nicht ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse an einer schriftlichen Übersetzung hat (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 13. September 2018 – 1 StR 320/17, BGHSt 63, 192; vom 22. Januar 2018 – 4 StR 506/17, BGHR GVG § 187 Abs. 2 Übersetzung 1; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725; OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. Mai 2016 – 1 Ws 82/16, juris; OLG Hamm, Beschlüsse vom 26. Januar 2016 – III-1 Ws 8/16, juris; vom 11. März 2014 – III-2 Ws 40/14, NStZ-RR 2014, 217; OLG Celle, Beschluss vom 22. Juli 2015 – 1 Ss (OWi) 118/15, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. März 2014 – 2 Ws 63/14, NStZ-RR 2014, 183; OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. Januar 2014 – 6-2 StE 2/12, juris; BeckOK StGB/ Walther, § 187 GVG Rn. 3; Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 187 Rn. 16, 18; KK-Diemer, StPO, 8. Aufl., § 187 GVG Rn. 4; LR/Krauß, StPO, 26. Aufl., § 187 GVG Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 187 GVG Rn. 4; SSW-StPO/Rosenau, 3. Aufl., § 187 GVG Rn. 7; SSW-StPO/Mosbacher/Claus, 3. Aufl., § 37 Rn. 58; aA MüKoStPO/Gaede, Art. 6 EMRK Rn. 275; SK-StPO/ Frister, 5. Aufl., § 187 GVG Rn. 10; SK-StPO/Meyer, 5. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 537; Kotz, StRR 2014, 364; Bockemühl, StV 2014, 537; Eisenberg, JR 2013, 442; Heldmann, StV 1981, 251; Sieg, MDR 1981, 281; Schmidt, Verteidigung von Ausländern, 4. Aufl., S. 131 f.; vgl. auch LR/Esser, StPO, 26. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 849; differenzierend MüKoStPO/O.lakcio.lu, § 187 GVG Rn. 27, 48 f.; Römer, NStZ 1981, 474; Schneider, StV 2015, 379; Yalcin, ZRP 2013, 104).

Ob hiervon Abweichendes in Betracht kommt, wenn es sich – anders als im vorliegenden Fall – um Sonderkonstellationen wie in Abwesenheit des Angeklagten ergangene Berufungsurteile (vgl. OLG München, Beschluss vom 18. November 2013 – 4 StR 120/13, StV 2014, 532) oder Strafbefehle (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 – C-278/16, NJW 2018, 142 Rn. 34; LG Stuttgart, Beschluss vom 12. Mai 2014 – 7 Qs 18/14, NStZ-RR 2014, 216; vgl. hierzu auch die Übersicht bei BeckOK StPO/Larcher, § 37 Rn. 39 ff. sowie Sandherr, NZV 2017, 531) und damit um Fälle handelt, in denen dem Angeklagten mit der Zustellung der Entscheidung zugleich rechtliches Gehör gewährt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 – C-278/16, NJW 2018, 142 Rn. 30; SSW-StPO/Mosbacher/Claus, 3. Aufl., § 37 StPO Rn. 59), bedarf hier keiner Entscheidung.“

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des BGH bitte selbst im umfangreichen Volltext nachlesen.

Den Übersetzungsantrag des Angeklagten hat der BGH dann – folgerichtig – mit BGH, Beschl. v. 28.04.2020 – 3 StR 430/19 – zurückgewiesen.