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StGB II: Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, oder: Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen

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Und dann hier der BGH, Beschl. v. 28.05.2024 – 6 StR 158/24 -, der sich zu den Erforderlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das GewG äußert.

Das LG hat hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz zuwider gehandelt zu haben, weil er die Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen habe. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine  Revision hatte Erfolg:

„Das Landgericht hat keine ausreichenden Feststellungen zur rechtlichen Wirksamkeit der einstweiligen Gewaltschutzanordnung getroffen. Den Urteilsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass es dem Angeklagten durch einstweilige Anordnungen des Amtsgerichts Zerbst vom 3. Februar 2021 und 12. August 2021 untersagt war, zu der Nebenklägerin und der Nebenklägervertreterin „Verbindung, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen“. Hiergegen verstieß der Angeklagte, indem er diesen drei Briefe übersandte. Die Annahme einer rechtswidrigen Tat nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt jedoch voraus, dass das Strafgericht selbst die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei eigenständig deren tatbestandliche Voraussetzungen ohne Bindung an die amtsgerichtliche Entscheidung feststellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. November 2013 – 3 StR 40/13 , BGHSt 59, 94 ; vom 15. März 2017 – 2 StR 270/16 ; vom 21. März 2023 – 6 StR 19/23 ,StV 2024, 124). Dies ist nicht geschehen.

Zudem belegen die Feststellungen nicht, dass die getroffenen Anordnungen des Familiengerichts im Sinne des § 4 Satz 1 GewSchG schon „vollstreckbar“ waren. Dies setzt grundsätzlich die Zustellung der Entscheidung nach § 87 Abs. 2 FamFG voraus (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 5 StR 536/06 , BGHSt 51, 257 ; Beschluss vom 3. Februar 2016 – 1 StR 578/15 , NStZ-RR 2016, 155); die bloße Kenntnis des Angeklagten vom Inhalt der Anordnung steht dem nicht gleich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 – 4 StR 122/12 , NStZ 2013, 108; vom 5. Mai 2020 – 4 StR 137/20 ). Außerdem kann die Zulässigkeit der Vollstreckung auch nach § 53 Abs. 2 Satz 1 oder § 216 Abs. 2 FamFG angeordnet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 – 4 StR 122/12 , NStZ 2013, 108 [BGH 04.09.2012 – 1 StR 534/11] ; BeckOGK/Schulte-Bunert, GewSchG, 1. April 2024, § 4 Rn. 7). Feststellungen zum Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen enthält das Urteil indes nicht.“

StPO II: Faire Auslegung eines Beweisbegehrens, oder: Bedeutungslose Bedeutungslosigkeit?

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Die zweite Entscheidung betrifft auch eine Beweisfrage. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 26.03.2024 – 2 StR 211/23 -, der sich zur Pflicht des Tatgerichts, ein Beweisbegehren auszulegen, äußert:

„2. Diese Ablehnung des Beweisantrags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Genügt ein erkennbar als Beweisantrag vorgebrachtes Beweisbegehren seinem Wortlaut nach nicht den Anforderungen an die notwendige Konkretisierung der Beweistatsache, ist es in sonstiger Weise lückenhaft, ungenau formuliert oder mehrdeutig oder bleibt unklar, welcher einsichtige Prozesszweck mit ihm verfolgt werden soll, und lassen sich die hieraus resultierenden Zweifel nicht ohne weiteres eindeutig aus den gesamten Umständen der Antragstellung ausräumen, so ist der Vorsitzende aufgrund der Aufklärungspflicht, die ein Hinwirken auf eine sachdienliche Antragstellung gebietet, der Fürsorgepflicht sowie der Verfahrensfairness (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) grundsätzlich gehalten, den Antragsteller zunächst auf die Bedenken gegen seinen Antrag hinzuweisen und ihm durch entsprechende Befragung Gelegenheit zu geben, die erforderliche Klarstellung vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 1996 ? 1 StR 120/96, NStZ-RR 1996, 336, 337; Beschluss vom 8. Februar 1996 ? 4 StR 776/95, NStZ 1996, 562; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 115; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn. 78). Auch wenn dies nicht zum Erfolg führt, bleibt das Gericht verpflichtet, die vom Antragsteller tatsächlich gewollte Beweisbehauptung durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2000 ? 3 StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268 mwN). Diese kann sich nicht nur aus dem Wortlaut des Antrags, sondern aus allen Umständen, die bei einer nach Sinn und Zweck fragenden Auslegung zu berücksichtigen sind, ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14, StV 2016, 337, 338; Beschlüsse vom 11. April 2007 – 3 StR 114/07, juris Rn. 7; und vom 6. März 2014 – 3 StR 363/13, NStZ 2014, 419). Bei mehreren Interpretationsalternativen ist derjenigen der Vorzug zu geben, die zur Beweiserhebung führt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1984 ? 2 StR 320/84, NStZ 1984, 564, 565; Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 450/21, juris Rn. 15 mwN).

Ferner muss nach der ständigen Rechtsprechung der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen das Tatgericht der unter Beweis gestellten Tatsache aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist eine Tatsache nur dann, wenn ein Zusammentreffen zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen, wobei sich das Gericht im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 1996 – 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22; und vom 7. November 2023 – 2 StR 284/23, NStZ 2024, 177, 178; jew. mwN).

b) Hieran gemessen erweist sich die Ablehnung des Beweisantrags als rechtsfehlerhaft.

aa) Die Strafkammer hat das dem Beweisantrag bei verständiger Würdigung zugrundeliegende Beweisthema nur verkürzt behandelt und so den Antrag schon nicht in einem zur Beweiserhebung führenden Sinne ausgelegt.

Der notwendigen Behandlung als Beweisantrag steht zunächst nicht entgegen, dass der Antrag seinem Wortlaut nach zwar positiv formuliert, jedoch inhaltlich auf eine Negativtatsache gerichtet war. Denn der Antrag ist bei verständiger Auslegung – naheliegend ? dahingehend zu verstehen, dass unter Beweis gestellt war, es habe zwischen dem Angeklagten und Ü.   keine betäubungsmittelbezogenen Kontakte gegeben. Eine dahingehende Auslegung drängte sich auch deshalb auf, weil die Verteidigung des Angeklagten zuvor einen – von der Strafkammer mangels bestimmter Tatsachenbehauptung rechtsfehlerfrei abgelehnten – „Beweisantrag“ auf Einvernahme des Ü.   mit derselben Stoßrichtung gestellt hatte. Darin hatte sie beantragt, Ü.   als Zeugen zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass dieser ausschließlich mit J.    Betäubungsmittelhandel betrieben habe. Mit dem der Verfahrensrüge zugrunde liegenden ? in enger zeitlicher Abfolge gestellten ? Beweisantrag wollte die Verteidigung bei gleichem Beweisziel ihr Beweisthema konkretisieren, was sie im Beweisantrag durch die beispielhafte Aufzählung verschiedener Handlungssequenzen, die ausschließlich zwischen Ü.   und J.   stattgefunden haben sollten ? „Drogen verkauft“, „Absprachen gehalten“ und „geschäftlichen Beziehung“ ? zum Ausdruck brachte. Soweit die Strafkammer ausführt, dass schon unklar sei, was Gegenstand der „Absprache“ oder was mit „geschäftlichen Beziehung“ gemeint sei, und insoweit eine konkrete Tatsachenbehauptung vermisst, hat sie bei der gebotenen Auslegung des Beweisantrags dessen Beweisthema und Zielrichtung unzulässig verkürzt.

bb) Infolgedessen hat die Strafkammer den Beweisantrag rechtsfehlerhaft allein am Maßstab der rechtlichen Bedeutungslosigkeit gemessen und dabei den tatsächlichen Gehalt der unter Beweis gestellten Tatsachen außer Betracht gelassen. Sie hat deshalb bei ihrem Ablehnungsbeschluss verkannt, dass der Beweisantrag nicht darauf abzielte, aus dem Umstand der ausschließlichen betäubungsmittelbezogenen Kommunikation zwischen Ü. und J.    die Annahme einer bandenmäßigen Tatbegehung unter Beteiligung des Angeklagten zu widerlegen. Insofern hat sie zwar – für sich genommen rechtsfehlerfrei – angenommen, dass die unter Beweis gestellte Tatsache der Absprachen ausschließlich zwischen Ü.   und J.   eine Bandenabrede nicht ausschloss (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2009 – 3 StR 83/09, juris Rn. 9). Sie hat jedoch nicht in den Blick genommen, dass bei sachgerechter Auslegung des Antrags nachgewiesen werden sollte, dass – unabhängig von der rechtlichen Einordnung als Bande – zwischen dem Angeklagten und Ü.   zu keiner Zeit betäubungsmittelbezogene Kontakte bestanden und damit insbesondere Rückschlüssen in tatsächlicher Hinsicht entgegengetreten werden sollte, der Angeklagte und Ü.   hätten über den Kryptodienst A.   unter Pseudonymen miteinander kommuniziert. Mit diesem Gesichtspunkt befassen sich die Ablehnungsgründe nicht.

cc) Die Ablehnung des Beweisantrags erweist sich zudem aus einem weiteren Grund als rechtsfehlerhaft. Denn das Gericht muss sich an der dem Ablehnungsbeschluss zugrundeliegenden Annahme der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache festhalten lassen. Es darf sich im Urteil nicht zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch setzen oder seine Überzeugung auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2007 – 2 StR 248/07, StraFo 2008, 29; Beschlüsse vom 20. August 1996 – 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22; vom 29. April 2014 – 3 StR 436/13, juris Rn. 3).

Hiergegen hat die Strafkammer verstoßen, indem sie – allein orientiert an der defizitären Auslegung des Beweisantrags ? feststellte, dass Ü.   dem Angeklagten Anweisungen gab, an wen die Betäubungsmittel auszuliefern seien und wie – nach der Festnahme des J.    – im Hinblick auf die im Bunker vorrätig gehaltenen Drogen der Gruppierung zu verfahren sei. Damit hat sie entgegen dem vorgenannten Verständnis des Beweisantrags der behaupteten Beweistatsache nicht nur eine die Entscheidung tragende Bedeutung beigemessen, sondern sogar das Gegenteil davon festgestellt.“

Strafe II: Mildere gefährliche Körperverletzung?, oder: Maß der Gewalt sowie Art/Schwere der Verletzungen

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Als zweite Entscheidung stelle ich heute das KG, Urt. v. 03.05.2024 – 3 ORs 29/24 – vor. Es geht um die Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen (gefährlicher) Körperverletzung.

Das AG hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Nach den Feststellungen des AG begehrten die Angeklagte und ihre vormals mitangeklagte Schwester am 05.072021 kurz vor Ladenschluss Einlass in die Verkaufsräume eines Bekleidungsfachgeschäfts. Eine Mitarbeiterin der dort tätigen Sicherheitsfirma, die Zeugin C., teilte ihnen mit, dass kurz vor Ladenschluss keine Kunden mehr in den Laden gelassen würden und bat sie, am nächsten Tag wiederzukommen. Darüber waren die Angeklagte und ihre Schwester derart verärgert, dass die Schwester der Angeklagten der Zeugin mit der Faust ins Gesicht schlug. Aufgrund eines spontan gefassten gemeinsamen Tatentschlusses schlugen die Angeklagte und ihre Schwester im weiteren Verlauf mehrfach auf die Zeugin ein und traten ihr jeweils mit Füßen gegen die Schienbeine. Die Geschädigte erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, sowie Schmerzen und Hämatome im Gesicht, an den Armen und den Beinen. Sie war in der Folge drei Wochen krankgeschrieben. Als ein Kollege der Zeugin C., der Zeuge L., zur Hilfe eilte, traten die Angeklagte und ihre Schwester jeweils auch ihn, wodurch er vorübergehend Schmerzen erlitt.

Das LG hat auf die Berufung der Angeklagten, die diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, das Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt wird. Die Wahl des nach § 224 Abs. 1, 2. Halbsatz StGB gemilderten Strafrahmens hat das LG damit begründet, die Anwendung des Regelstrafrahmens stelle für die Angeklagte eine „unbillige Härte“ dar. Es hat zugunsten der Angeklagten unter anderem berücksichtigt, die Verletzungen der Zeugin C. seien „allesamt in überschaubarer Zeit“ verheilt; Ausführungen zu der vom AG festgestellten Art und der Schwere der Verletzungen enthält das Urteil nicht. Nach Auffassung des LG sei bei einer Gesamtschau der aufgeführten Umstände und der Persönlichkeit der Angeklagten, insbesondere im Hinblick auf den mittlerweile eingetretenen deutlichen Zeitablauf seit der Tatbegehung, das erstmals zu konstatierende Geständnis und das bei der Angeklagten deutlich gewordene Umdenken eine mildere Strafe als in der angefochtenen Entscheidung des AG tat- und schuldangemessen.

Dagegen die Revision der StA; die beim KG Erfolg hatte:

„Die zulässige Revision hat mit der (allgemeinen) Sachrüge Erfolg, denn die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts erweisen sich als rechtsfehlerhaft.

1. a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2017 – 1 StR 606/16 -, juris; Senat NStZ-RR 2022, 368; Urteile vom 25. Juli 2022 – (3) 161 Ss 93/21 (34/22) – und 25. Mai 2021 – (3) 121 Ss 53/21 (24/21) -, juris). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ nach § 337 Abs. 1 StPO vorliegen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (vgl. für viele BGHSt 34, 345).

b) Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB ist die verschuldete Auswirkung der Tat einer der für die Strafzumessung maßgebenden Umstände. Da die einen Täter treffenden Folgen einer strafbaren Handlung zur Schwere der Rechtsgutsverletzung und dem individuellen Verschulden in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen (vgl. BVerfGK 14, 295 m.w.N.), darf und muss das Tatgericht bei der Findung der gerechten Strafe das Gewicht der durch die Tathandlung verursachten Rechtsgutsverletzung als wesentlichen Strafzumessungsfaktor in seine Erwägungen einstellen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1989 – 4 StR 8/89 -, juris; Seebode in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar zum StGB 3. Aufl., § 46 Rdn. 57; Maier in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 46 Rdn. 245; beide m.w.N.). Bei Körperverletzungsdelikten sind daher das Maß der Gewalt sowie Art und Schwere der Verletzungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 5 StR 113/13 -, juris; Schneider in Leipziger Kommentar zum StGB 13. Aufl., § 46 StGB Rdn. 277; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl., § 46 Rdn. 19).

Diese Anforderungen gelten nicht nur für die Strafzumessung im engeren Sinn, sondern auch schon für die Prüfung des Tatgerichts, ob die Voraussetzungen eines minder schweren Falls – hier nach § 224 Abs. 1 StGB – vorliegen. Denn zur Feststellung dessen hat es auf Grund einer Gesamtwürdigung aller für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommender Umstände – bei Gewaltdelikten mithin auch des Maßes der Gewalt sowie der Art und Schwere der Verletzungen – abzuwägen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass der Regelstrafrahmen nicht mehr angemessen ist (std. Rspr., vgl. BGHSt 26, 97; NStZ 1991, 529; Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – 3 ORs 60/23 -; KG, Beschluss vom 2. August 2021 (2) 121 Ss 81/21 (11/21) -, juris; Maier a.a.O., § 46 Rdn. 135 m.w.N.; Fischer, StGB 71. Aufl., § 46 Rdn. 85 m.w.N.).

c) Auf der Grundlage dieses Maßstabs erweisen sich die Ausführungen zur Wahl des Strafrahmens und zur Strafzumessung als nicht tragfähig. Das Landgericht beschreibt das Verhalten der Angeklagten und deren Schwester zwar pauschal als „Gewaltorgie“, setzt sich aber nicht mit Art und Ausmaß der rechtskräftig festgestellten – erheblichen – Verletzungen der Zeugin C, auseinander, obwohl gerade diese die Tat entscheidend geprägt haben und schon im Rahmen der Abwägungsentscheidung zur Feststellung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, konkreterer Ausführungen bedurft hätten. Soweit die Kammer den dreiwöchigen Krankenstand der Geschädigten als „überschaubar“ bezeichnet und damit als nicht gravierend apostrophiert hat, ohne sich mit den zugrundeliegenden Verletzungen auseinanderzusetzen, lassen dies und der Umstand, dass demgegenüber einer durch eine Abwehrbewegung der Geschädigten entstandene – nicht näher beschriebene – Verletzung am Mund der Angeklagten eine wesentliche strafmildernde Bedeutung zugeschrieben worden ist, besorgen, dass die Kammer die Verletzungen der Geschädigten und deren Folgen einseitig zugunsten der Angeklagten ausgeblendet hat. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass das Landgericht selbst innerhalb des nach § 224 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens – angesichts der Schwere der Verletzungen der Geschädigten Ca. kaum vertretbar – lediglich die gesetzliche Mindesstrafe ausgesprochen hat.“eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Strafe I: Drei neuere Entscheidungen vom BGH, oder: Strafzumessungslotterie

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Und dann mal wieder etwas zur Strafzumessung. Hier zunächst ein paar BGH-Entscheidungen:

„Zwar begegnet die in allen verfahrensgegenständlichen Fällen strafschärfend berücksichtigte Erwägung, der Angeklagte habe „die für das Rechtsgut der Volksgesundheit riskante Einfuhrfahrt angetreten […], ohne die Art der Ware zu prüfen“, obwohl hierzu Anlass und unschwer Gelegenheit bestand, rechtlichen Bedenken. Denn sie umschreibt einen Fahrlässigkeitsvorwurf, für dessen schulderhöhende Berücksichtigung hier kein Raum war.

Zwar darf in Fällen, in denen der Täter eine Rauschgiftmenge einführt, die tatsächlich größer ist, als er sich vorgestellt hat, die von seinem Vorsatz nicht umfasste Mehrmenge tatschulderhöhend gewertet und strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihm insoweit Fahrlässigkeit zur Last liegt (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2019 ? 5 StR 325/19, Rn. 13; Urteil vom 10. Februar 2011 ? 4 StR 576/10, Rn. 9; Urteil vom 6. September 1995 ? 2 StR 310/95, StV 1996, 90; Urteil vom 21. April 2004 ? 1 StR 522/03, Rn. 13). Nach den bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Feststellungen war der bedingte Vorsatz des Angeklagten aber jeweils auf die gesamte transportierte Rauschgiftmenge bezogen, so dass ein Fahrlässigkeitsvorwurf ausschied.“

Zwar begegnet die strafschärfende Berücksichtigung der Tatfolgen für die Angehörigen des Tatopfers teilweise rechtlichen Bedenken. Denn lediglich im Hinblick auf die zur Tatzeit noch kleinen Kinder der Getöteten lassen die Urteilsgründe eine einzelfallbezogene Differenzierung nach der Bedeutung des Vorhandenseins der getöteten Bezugsperson für die konkreten Angehörigen erkennen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582); hinsichtlich der beiden Nebenklägerinnen, auf die das Schwurgericht ebenfalls abgestellt hat, fehlt es hingegen an entsprechenden Feststellungen. Der Senat schließt aber mit Blick auf das konkrete Tatbild und die Strafbemessung in ihrer Gesamtheit aus, dass die verhängte Strafe hierauf beruht.

„Das Landgericht hat das straffreie Vorleben des Angeklagten weder bei der Strafrahmenwahl noch bei der Strafzumessung im engeren Sinne erkennbar berücksichtigt. Insoweit handelt es sich jedoch um einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. März 2022 – 6 StR 61/22 und vom 6. Juni 2023 – 4 StR 133/23, jeweils mwN).

Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, denn der Senat kann trotz der maßvollen Strafen nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne den Rechtsfehler auf noch niedrigere Freiheitsstrafen erkannt hätte. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO).“

Mal kann er ausschließen, mal nicht 🙂 . Lotterie beim BGH. 🙂

Urteilsgründe: Handel mit Betäubungsmitteln, oder: Allein Besitz von Feinwaage u.a. reicht nicht

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Und dann als letzte Entscheidung noch etwas aus dem BtM-Bereich, und zwar das AG München, Urt. v. 10.4.2024 – 1015 Ds 373 Js 146518/23 jug. Vorgeworfen worden ist der m Angeklagten ein Verstoß gegem das BtMG/KCanG. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Der Angeklagte wurde von der Staatsanwaltschaft mit unveränderter zugelassener Anklageschrift vom 30.11.23 folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

„1.Am 15.03.2023 gegen 18:51 Uhr bewahrte der Angeklagte in der pp-, München, 2,87 Gramm Marihuana und 2,22 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch zusammen mit einer Feinwaage und diversen Druckverschlusstüten wissentlich und willentlich auf. Dabei plante der Angeklagte, durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.

Das Betäubungsmittel hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 5 % THC.

Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.

Bei Tatbegehung besaß der Angeklagte die gemäß § 3 JGG erforderliche Reife, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

Dem Angeklagten wurde deshalb vorgeworfen, sich eines vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, Fassung vor dem 01.04.24 bzw. §§ 1 Nr. 8, 2 I Nr. 1, 34 I Nr. 1, 2 u. 12 KCanG, ab dem 01.04.24 strafbar gemacht zu haben.

Dem gegenüber hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte hatte in seinem Zimmer die unter Nr. 1 angegebenen Mengen an Marihuana und Tabak-Marihuana-Gemisch sowie die Druckverschlusstüten und die Feinwaage. Der Angeklagte hat angegeben, die Druckverschlusstüten hätten sich dort befunden, weil er wisse, dass beim Transport von Marihuana der Geruch verräterisch sei. Deshalb würde er, wenn er Marihuana in der Hosen- oder Jackentasche mitnehme, dieses in Druckverschlusstüten verpacken.

Diese seien nicht einzeln zu erwerben deswegen habe sich eine solche Menge dort befunden. Weiter hat er angegeben, dass er die Feinwaage in seinem Besitz gehabt habe, weil er zum Teil geringere Mengen habe abwiegen wollen. Diese beiden Angaben sind nicht zu widerlegen. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte eine Feinwaage und diverse Druck-verschlusstüten bei sich zuhause aufbewahrt, reicht nicht aus, um davon auszugehen, dass er auch mit Marihuana Handel getrieben habe.

Der Angeklagte konnte daher nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit des vorsätzlichen unerlaubten Handelns mit Cannabis in Form von Marihuana nach dem Konsumcannabisgesetz überführt werden. Er war daher freizusprechen. Der Freispruch erfolgte aus tatsächlichen Gründen.“