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StGB III: GG-Verstoß der „Kipo-Mindeststrafe“?, oder: Wer gewinnt das Rennen?

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Und als dritte Entscheidung dann nicht noch eine Entscheidung zu BtM, sondern etwas ganz anderes. Ich weise hier auf den AG Buchen, Beschl. v. 01.02.2023 – 1 Ls 1 Js 6298/21 – hin, en mir der Kollege Böttner aus Hamburg geschickt hat.

Mit dem Beschluss hat das AG ein bei ihm anhängiges „KiPo-Verfahren“ ausgesetzt und die Sache dem BVerfG vorlegt. Das AG hält die Neuregelung der Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 stGb von 1 Jahr für einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Wegen der Einzelheiten, isnbesondere auch wegen des Vorwurfs, der der Angeklagten gemacht wird, verweise ich auf den verlinkten AG-Beschluss. Hier der Leitsatz dazu.

Die Mindesststrafe des § 184b Abs. 3 StGB von 1 Jahr Freiheitsstrafe ist ein Verstoß gegen das aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldprinzip (Übermaßverbot), wenn diese auch dann zu verhängen ist, wenn es sich um den vorsätzlich aufrechterhaltenen Besitz von 3 Bilddateien („Stickern“) mit kinderpornografischen Inhalten und einer Länge von 11 Sekunden handelt, der von der nicht vorbestraften und von Anfang an mit den Ermittlungsbehörden kooperierenden Täterin ohne pädophile Neigungen unfreiwillig erlangt worden war.

Man darf gespannt sein, was das BVerfG „macht“. Und noch gespannter bin ich, wer das „Wettrennen“ um den § 184b Abs. 3 StGB gewinnt? Das BVerfG oder die Bundesregierung/der Gesetzgeber, der ja mit einem beschluss der JuMiKo umgehen muss (vgl. Jus­tiz­mi­nister für Ent­schär­fung der Kin­derpor­no­grafie-Straf­bar­keit). Bei der Bearbeitungsdauer beim BVerfG tippe ich auf den Gesetzgeber – wenn er denn etwas „macht“.

StGB II: Die „Bunte Blüte“ vertreibt CBD-Produkte, oder: Dem BGH gefällt die Beweiswürdigung nicht

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Die zweite Entscheidung kommt auch aus dem BtM-Bereich. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 16.01.2023 – 5 StR 269/22. Das ist die BGH-Entscheidung zum Vertrieb von CBD-Produkten.

Das LG hatte die Angeklagten, es handelte sich um den Geschäftsführer und Vertriebsleiter, zwei Mitarbeiter und zwei nicht mit dem operativen Geschäft befasste Teilhaber der Unternehmergesellschaft (UG) „Bunte Blüte“. Dieses Unternehmen vertrieb Bestandteile von Cannabispflanzen mit einem geringen Gehalt von rauscherzeugendem THC und einem hohen Gehalt des nicht berauschenden Wirkstoffs CBD, also sog. CBD-Produkte in kleinen Portionen zu 2 bzw. 5g über Verkaufsstellen und im Online-Handel.

Im Januar 2019 führte einer der Angeklagten gut 3 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen mit gut 5 Gramm THC aus der Schweiz nach Deutschland ein. Am darauffolgenden Tag wurden im Geschäftssitz des Unternehmens ungefähr 2,4 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen und etwa 1 Kilogramm einer cannabishaltigen Zubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt rund 5,5 Gramm THC verwahrt. Ferner bestellte einer der Angeklagten in Luxemburg knapp 7,5 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen, die einen Gehalt von gut 9 Gramm THC aufwiesen. Das Paket wurde jedoch am 19. Februar 2019 in Berlin vom Zoll entdeckt und beschlagnahmt, sodass es die „Bunte Blüte“ UG nicht erreichte.

Das LG hat die Angeklagten vom Vorwurf der bandenmäßigen Einfuhr und des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln freigesprochen. Begründung: Zwar handelet es sich bei den CBD-Produkten um Betäubungsmittel gehandelt. Den Angeklagten sei aber in subjektiver Hinsicht kein strafrechtliches Fehlverhalten nachzuweisen. Sie hätten weder erkannt noch fahrlässig verkannt, dass die gehandelten CBD-Produkte zu Rauschzwecken missbraucht werden könnten und daher dem BtMG unterfielen.

Der BGH hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Er beanstandet die Beweiswürdigung des LG als rechtsfehlerhaft. Die umfangreichen Ausführungen dazu stelle ich hier nicht ein, sondern Beschränkung mich auf den Versuch einer Zusammenfassung. Der BGh moniert im Wesentlichen folgende Punkte:

  • Die Strafkammer habe sich schon nicht mit der Glaubhaftigkeit der Einlassungen der Angeklagten auseinandergesetzt, sondern sie lediglich wörtlich wiedergegeben und ohne nähere Prüfung ihrer Entscheidung zugrunde gelegt.
  • Das LG habe sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, dass die Angeklagten damit geworben haben, die verkauften CBD-Produkte hätten entgegen der „Behauptung einiger selbst ernannter Experten, Polizisten und Richter“ keine Rauschwirkung.
  • Und: Er hat beanstandet, dass die Strafkammer keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und etwaigen Vorstrafen der Angeklagten getroffen hat, obwohl sich aus denen nach seiner Auffassung ggf. Anhaltspunkte dafür hätten ergeben können, dass die Angeklagten die BtM-Eigenschaft der gehandelten CBD-Produkte erkannten oder hätten erkennen können.

Also: Auf ein Neues.

StPO III: Urteilsgründe beim „Wiedererkennen“, oder: Wenn der Angeklagte in der HV eine Maske trägt

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Und dann zum Schluss noch der BGH, Beschl. v. 08.02.2023 – 6 StR 516/22 – der – noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilsgründe in den Fällen Stellung nimmt, in denen der Verurteilung eine Wahllichtbildvorlage zugrunde liegt.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen räuberischer Erpressung verurteilt. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„1. Die Verurteilung wegen räuberischer Erpressung im Fall II.1 hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich darauf gestützt, dass die Nebenklägerin ihn bei einer Wahllichtbildvorlage und erneut in der Hauptverhandlung wiedererkannt hat. Den hieraus folgenden besonderen Darlegungsanforderungen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f.) ist es nicht gerecht geworden.

Den Urteilsgründen kann schon nicht entnommen werden, aufgrund welcher konkreten äußeren Merkmale die Nebenklägerin den Angeklagten als einen der Täter erkannt hat (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283; vom 17. Februar 2016 – 4 StR 412/15, StV 2018, 791). Hierzu bestand umso mehr Veranlassung, als die Strafkammer ausgeführt hat, dass bei Betrachtung der nach Angaben der Nebenklägerin gefertigten Phantombilder optische Abweichungen zum Angeklagten aufgefallen seien und es kleinere Unstimmigkeiten bei der Zuordnung der Beschreibungsmerkmale gegeben habe.

Zudem ist zu besorgen, dass die Strafkammer der subjektiven Gewissheit der Nebenklägerin beim Wiedererkennen („sehr eindeutig“, „mit großer Überzeugung“, „keinerlei Zweifel“) ein zu großes Gewicht beigemessen hat. Konnte ein Zeuge eine ihm vorher unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf die subjektive Gewissheit des Zeugen beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat, und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 2016 – 2 StR 480/16; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, StV 2021, 792). Daran fehlt es.

Darüber hinaus wird nicht erörtert, warum der Nebenklägerin ein Wiedererkennen des Angeklagten in der Hauptverhandlung möglich war, obwohl dieser eine Mund-Nasen-Bedeckung trug und seit dem Geschehen mehr als fünf Jahre vergangen sind. Diesbezüglich wird zudem nicht deutlich, ob sich die Strafkammer des geringeren Beweiswerts des wiederholten Erkennens in der Hauptverhandlung bewusst war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, aaO; vom 22. November 2017 – 4 StR 468/17)…..“

OWi III: Verwerfung nach Terminsverlegungsantrag, oder: Anforderungen an das Verwerfungsurteil

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Und im letzten Posting zu den OWi-Entscheidungen dann etwas Verfahrensrechtliches, nämlich noch einmal etwas zu den Urteilsgründen eines nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 02.02.2023 – 201 ObOWi 1555/22. Das ist ja eine Stelle, an der immer wieder Fehler gemacht werden.

So war es auch hier, was zur Aufhebung der Verwerfungsentscheidung geführt hat:

„Die im Zulassungsantrag sowie zur Begründung der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge genügt den formellen Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG. Es ist geboten, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

1. Der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge liegt folgender, durch die Prozessakten bewiesener Verfahrensgang zugrunde:

Das Amtsgericht Kelheim bestimmte mit Verfügung vom 11.05.2022 (erstmals) Hauptverhandlungstermin auf den 24.06.2022, wobei die Ladungen dem Betroffenen am 13.05.2022 und seinem Verteidiger am 16.05.2022 zugegangen sind.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2022, beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminsverlegung mit der Begründung, er befinde sich in der Zeit vom 14.06.2022 bis 28.06.2022 im Urlaub. Eine Entscheidung über das Terminsverlegungsgesuch ist nicht erfolgt

Zum Hauptverhandlungstermin am 24.06.2022 erschienen weder der Betroffene noch der Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf deshalb den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 02.03.2022 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das Urteil enthielt lediglich den Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG, ansonsten aber keinerlei Entscheidungsgründe.

Dementsprechend fand auch der Terminsverlegungsantrag keine Erwähnung.

2. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die Aufhebung eines Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs dann veranlasst, wenn es sich — wie hier — nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt, dass das Urteil einer einschlägigen Verfassungsbeschwerde nicht standhalten würde. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass das Gericht Anträge und Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und diese insbesondere auch in seine Entscheidungen einbezieht. Diesbezüglich bestehen vorliegend durchgreifende rechtliche Bedenken, da das Amtsgericht weder das Terminsverlegungsgesuch durch Beschluss verbeschieden hat noch dieses in den Urteilsgründen erwähnt hat.

Insbesondere genügt die Urteilsbegründung nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils zu stellen sind, Danach muss ein Urteil, das den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, sich grundsätzlich mit möglichen Entschuldigungsgründen auseinandersetzen (vgl. Beck0K/Bär 37. Ed. 01.01.2023 OWiG § 80 Rn. 26). Der Richter hat mit einer die rechtliche Nachprüfung eröffnenden Begründung darzulegen, weshalb er trotz beachtlicher Hinweise für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen diese Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben als nicht ausreichend bewertet (vgl. KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 74 Rn. 40 m.w.N.). In diesem Zusammenhang muss sich der Tatrichter auch mit einem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers auseinandersetzen und ggf. darlegen, warum er diesem Gesuch nicht entsprochen hat (vgl. BayObLG DAR 2002, 463f.). Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2015 —111-3 RBs 200/15 bei juris). Dem Betroffenen ist es nämlich im Regelfall nicht zuzumuten, den Termin in Abwesenheit des Verteidigers wahrzunehmen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 30a m.w.N.). Eine Erörterung, aus welchen Gründen dem Terminsverlegungsgesuch nicht entsprochen wurde, war insbesondere nicht deshalb entbehrlich, weil der Verlegungsantrag von vorneherein unbegründet oder mutwillig gewesen wäre; vielmehr liegt nahe, dass ihm in Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 c) EMRK hätte entsprochen werden müssen (vgl. BayObLG 201 ObOW 1555/22 a.a.O.). Es entspricht zudem der Übung der Amtsgerichte, dass (zumindest) einem mit Sacher-wägungen begründeten ersten Terminsverlegungsgesuch des Verteidigers entsprochen wird.

In dieser Nichtberücksichtigung bzw. Nichterörterung des geschilderten Entschuldigungsgrundes (Terminsverlegungsantrag des Verteidigers) liegt bereits nicht nur ein Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Köln NZV 1999, 264; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 80 Rn. 41e). Durch die vom Gesetz nicht gedeckte Verfahrensweise der Tatrichterin blieb zudem das bei Durchführung der Hauptverhandlung zur Sache seitens der Verteidigung angekündigte Vorbringen des Betroffenen zur Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs rechtsfehlerhaft unberücksichtigt. Auch mit der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wurde deshalb nicht nur gegen einfaches Verfahrensrecht verstoßen, sondern insbesondere auch dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in der Sache selbst unzulässigerweise beschnitten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.01.2001, Az. 2 ObOWi 607/00 bei juris).

3. Auf den Antrag des Betroffenen war daher dessen Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG) und diese erweist sich aus denselben Erwägungen als begründet.“

Verkehrsrecht III: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Viele Strafzumessungsfehler

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Und zum Tagesschluss dann noch einmal etwas vom BayObLG, und zwar eine Entscheidung zur Strafzumessung bei verbotenem Kraftfahrzeugrennen und zur Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 23.12.2022 – 202 StR 119/22.

Das AG hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu jeweils 15 Euro verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten bestimmt. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Dessen Revision hatte Erfolg: Zu viele Strafzumessungsfehler:

„Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessung aus mehreren Gründen durchgreifend rechtsfehlerhaft ist.

a) Die Strafzumessung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht entgegen § 46 Abs. 2 StGB nicht erkennbar zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er bei Tatbegehung nicht vorbestraft war. Als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bedarf das straffreie Vorleben des Angeklagten (vgl. § 46 Abs. 2 StGB) indes regelmäßig ausdrücklicher Berücksichtigung (st.Rspr.; vgl. zuletzt u.a. nur BGH, Beschl. v. 21.09.2022 – 1 StR 479/21 bei juris = BeckRS 2022, 29664; Urt. v. 28.07.2022 – 1 StR 470/21 bei juris = NStZ-RR 2022, 374 = BeckRS 2022, 29658; Beschl. v. 30.06.2022 – 1 StR 185/22 bei juris = BeckRS 2022, 24831 und 23.03.2022 – 6 StR 61/22 = BeckRS 2022, 11327, jeweils m.w.N.).

b) Überdies hat die Berufungskammer mit der zu Lasten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung angestellten Erwägung, „dass die von der Polizei verfolgte Fahrt über eine erhebliche Fahrtstrecke innerorts mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit führte“ gegen das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, indem sie die Tatbegehung als solche strafschärfend berücksichtigt hat. Denn der Straftatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt gerade voraus, dass sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt hat, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

…..

2. Die neben der Geldstrafe angeordnete Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben, weil die Berufungskammer ihre Entscheidung mit sachfremden Erwägungen begründet hat. Zwar hat die Berufungskammer gesehen, dass es für die Verhängung der Maßregel darauf ankommt, ob der Angeklagte ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen ist. Allerdings wurde verkannt, dass sich nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Ungeeignetheit „aus der Tat“ ergeben muss. Die stark moralisierenden Erwägungen zum Auftreten des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung („betont desinteressiert“, „herablassend siegesgewiss“, sich „nur gelegentlich in überheblich-spöttischer Weise äußernd“), die schon für sich genommen bedenklich sind (vgl. nur BGH, Beschl. v. 03.08.2021 – 2 StR 217/21 = StV 2022, 224; 22.10.2020 – 2 StR 232/20 bei juris; Urt. v. 04.12.2018 – 1 StR 477/18 = NStZ-RR 2019, 105), lassen keinen konkreten Bezug zur Frage der Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr erkennen. Zudem hat die Berufungskammer die Begehung der Straftaten, die zu den späteren Verurteilungen in anderen Verfahren führten, und die daraus abgeleitete „Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber anderen Rechtsgütern“ zusätzlich für ihre Einschätzung herangezogen, dass der Angeklagte auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch charakterlich zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ungeeignet sei. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass die Taten, die diesen Verurteilungen zu Grunde lagen, in keinem Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen standen. Auch wenn es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Delikt um einen Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB handelte, kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die Strafkammer im Falle einer am Gesetz orientierten Begründung der Maßregel von dem Regelfall abgewichen wäre, sodass die Entscheidung auch insoweit auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).“