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Corona I: Volksverhetzung und Corona-Impfpflicht, oder: Verharmlosen der NS-Verbrechen

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In die 30. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona/Covid-19. Beides sind „Aufarbeitungsentscheidungen“. Sie behandeln Fragen, zu den ich hier schon verschiedentlich Entscheidungen eingestellt habe.

Ich beginne mit dem KG, Urt. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22) – zur Frage der Volksverhetzung durch Verharmlosen der NS-Verbrechen im Zusammenhang mit der Corona-Impfpflicht.

Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) freigesprochen, weil es die Eignung der Tat-handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verneint hat. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (Sprung-)Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Revision hatte Erfolg.

Das AG hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Am 13.04.2021 befand sich der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alte und in Oldenburg lebende Angeklagte mit Bekannten in Berlin, um an der angemeldeten Versammlung „Nein zum lfsG 28b“ im Bereich des Regierungsviertels teilzunehmen. Der Angeklagte und seine Begleiter erreichten den Versammlungsort allerdings erst am frühen Mittag, als die Versammlung bereits beendet war. Bei sich führte der Angeklagte insgesamt 17 Sticker in der Größe 11 × 7,5 cm, auf denen auf weißem Grund der in einen schwarzen Torbogen eingebrachte Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ zu sehen ist. Einen dieser Sticker klebte der Angeklagte im Bereich der …-Allee / Ecke …allee in … Berlin gegen 12:35 Uhr auf einen dort aufgestellten gläsernen Informationskasten. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Schriftzug angelehnt war an den Spruch „Arbeit macht frei“, welcher während der NS-Zeit als Torbogenaufschrift an mehre-ren nationalsozialistischen Konzentrationslagern angebracht war, unter ande-rem auch in dem Lagerkomplex Auschwitz. Der Aufkleber ließ sich rückstands-los wieder entfernen.

Das KG sieht die Rechtsfrage anders als das AG und hat aufgehoben und zurückverwiesen. Nach seiner Auffassung hat das AG nicht genügende Feststellungen zu der Frage getroffen, um die Frage beurteilen zu können, ob eine Eignung der geschilderten Handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens zu Recht verneint worden ist:

„aa) Die Eignung zur Friedensstörung ist ein Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 3 StGB, das zusätzlich zu der Äußerung hinzutreten muss und zu dem der Tatrichter die erforderlichen Feststellungen zu treffen hat (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – [5] 161 Ss 74/20 [31/20] –, juris). Tatbestandlicher Erfolg ist die konkrete Eignung, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen (vgl. Fischer, a. a. O., § 130 Rn. 13a m. w. N.). Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der Äußerung an (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021 – Ss 72/2020 [2/21] –, juris Rn. 23).

bb) Gemessen daran erweisen sich die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen als lückenhaft.

(1) Dabei ist es allerdings entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht weder maßgeblich auf die Stimmungslage in der Bevölkerung noch auf die politische Situation zur Tatzeit abgestellt und insoweit auch keine Feststellungen getroffen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, bei der hier in Rede stehenden Tatbestandsvariante des Verharmlosens einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art eigens festzustellen und nicht wie bei den anderen Varianten des Billigens oder Leugnens indiziert (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861, 2862). Dem Begriff des öffentlichen Friedens ist da-nach im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu le-gen, wobei der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ebenso wenig ein Eingriffsgrund ist wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechts-bewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (vgl. BVerfG, a. a. O.).  Äußerungen sind vielmehr erst geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgut-gefährdende Handlungen hin angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Nach diesen Grundsätzen könnte die Berücksichtigung der Stimmungslage in der Bevölkerung und der politischen Situation zur Tatzeit lediglich dazu führen, in der Handlung des Angeklagten einen weiteren Beitrag zur Vergiftung des politischen Klimas zu sehen, nicht aber dazu, ihr einen unfriedlichen Charakter zu verleihen (vgl. OLG Saarbrücken, a. a. O.). Soweit dagegen in der Rechtsprechung teilweise (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 – 60 Qs 16/22 –, juris Rn. 46; LG Berlin, Beschluss vom 16. August 2022 – 544 Qs 72/22 –; LG Würzburg, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 1 Qs 80/22 –, juris Rn. 17; LG Köln, Beschluss vom 4. April 2022 – 113 Qs 6/22 –) vertreten wird, dass diese Umstände auch bei der Tatbestandsvariante des Verharmlosens maßgeblich in die Gesamtwürdigung einzustellen sind, vermag der Senat dem angesichts der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu folgen.

(2) Das Amtsgericht hat es jedoch unterlassen, neben Art, Inhalt und Form auch im ausreichenden Maße das Umfeld der Äußerung des Angeklagten festzustellen.

So lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend die örtlichen Gegebenheiten entnehmen, obwohl sich entsprechende Feststellungen insbesondere angesichts des Ortes der zuvor beendeten Versammlung im Bereich des Regierungsviertels aufgedrängt hätten. Es fehlen unter dem Aspekt der Herabsetzung von Hemm-schwellen vor allem Feststellungen dazu, ob sich der gläserne Informationskasten bereits innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bun-des und der Länder (§ 16 VersG) befand. Ferner verhält sich das angefochtene Urteil auch nicht dazu, inwieweit es in unmittelbarer Nähe des Tatorts Denkmäler oder Bauwerke gab, die – wie etwa Synagogen – im Hinblick auf den Schutzbereich des § 130 Abs. 3 StGB besonders sensibel sind (siehe auch § 15 Abs. 2 VersG).

Auch fehlen Feststellungen dazu, für welchen Personenkreis der Aufkleber auf dem nach den Urteilsgründen für Dritte ungehindert wahrnehmbaren gläsernen Informationskasten im konkreten Fall erkennbar war bzw. welche Personen bereits von ihm Kenntnis genommen haben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris). Insoweit hätte es ferner unter dem Aspekt der aggressiven Emotionalisierung auch Feststellungen dazu bedurft, ob es sich bei etwaigen umstehenden Personen um unbeteiligte Passanten oder etwa um ehemalige Demonstrationsteilnehmer handelte, die durch den Inhalt des Aufklebers hätten aufgewiegelt werden können. In diesem Fall wären auch Feststellungen zum Ablauf und zur „Friedlichkeit“ der zuvor beendeten Versammlung und zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen gewesen…..“

Den Rest der Entscheidung des KG dann bitte selbst lesen.

Strafzumessung III: Falsche Einkommensschätzung, oder: Zulässigkeit von Finanzermittlungen

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Und dann zum Schluss des Tages noch einmal der OLG Celle, Beschl. v. 31.03.2023 – 3 Ss 3/23. „Noch einmal“, weil ich über den hier schon einmal berichtet habe (vgl. hier: StPO II: Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses, oder: Name des Angeklagten und Aktenzeichen fehlen).

Ich komme jetzt auf den Beschluss noch einmal wegen der Ausführungen des OLG zur Tagessatzhöe zurück:

„2. Die Festsetzung der Höhe der Tagessätze auf 200 EUR hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung indes nicht stand.

Gemäß § 40 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters, wobei in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen ist, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Wenn der Angeklagte – der zu Auskünften nicht verpflichtet ist – keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen macht, sind diese grundsätzlich durch Finanzermittlungen aufzuklären (vgl. Nr. 14 RiStBV). Eine Schätzung des Einkommens ist immer dann angezeigt, wenn eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögern würde oder der Ermittlungsaufwand zu der zu erwartenden Geldstrafe in einem unangemessenen Verhältnis stünde (BeckOK StGB/Heintschel-Heinegg, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 40 Rn. 18). Eine volle Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel ist dabei nicht geboten. Jedoch darf nicht „ins Blaue hinein“ geschätzt werden; vielmehr setzt eine Schätzung die konkrete Feststellung der Schätzungsgrundlagen voraus; bloße Mutmaßungen genügen nicht. Die Grundlagen, auf welche sich die Schätzung stützt, müssen festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil überprüfbar mitgeteilt werden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 –, juris).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Das Landgericht hat das Einkommen des Angeklagten auf 6.000 € netto nach Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen geschätzt, wobei es berücksichtigt hat, dass der Angeklagte nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter eines „größeren“ Handwerksbetriebes mit einer „gewissen“ Anzahl von Angestellten sei. Zudem sei der Betrieb des Angeklagten auch Ausbildungsbetrieb und die Betriebsräumlichkeiten seien großzügig und gut ausgestattet.

Die getroffenen Feststellungen zu dem von dem Angeklagten betriebenen Handwerksbetrieb tragen nicht die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte in dem relevanten Betrachtungszeitraum ein monatliches Nettoeinkommen von 6.000 Euro netto nach Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen erzielt hat.

Insoweit bleibt bereits im Ausgangspunkt die vom Landgericht in Ansatz gebrachte Höhe der abgezogenen Unterhaltsverpflichtungen unklar, denn das angefochtene Urteil erschöpft sich in der Mitteilung, ein Sohn des Angeklagten sei noch in der Ausbildung und werde von dem Angeklagten unterhalten. Das Urteil lässt jedoch Informationen dazu vermissen, ob die Ehefrau des Angeklagten ein eigenes Einkommen erzielt oder ob auch Unterhaltszahlungen des Angeklagten an seine Ehefrau in Abzug zu bringen waren.

Im Übrigen stellen sich die dargestellten Erwägungen des Landgerichts zur Höhe des Einkommens als bloße Mutmaßungen dar, denn das Urteil lässt konkrete Feststellungen zur Größe des Betriebes, zur Anzahl der Angestellten und Auszubildenden vermissen.

3. Da die Festsetzung der Tagessatzhöhe in aller Regel losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig überprüft werden kann (vgl. BGHSt 27, 70, 72; 34, 90, 92) und hier keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung bestehen, führt der festgestellte Mangel lediglich zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang und zu einer entsprechenden Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Festsetzung der Tagessatzhöhe.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten, der hierzu keine Angaben macht, können in zwei Schritten Finanzermittlungen durchgeführt werden. Zunächst kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über die Kontostammdaten des Angeklagten ersucht werden (§ 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG). Ein solches Auskunftsersuchen ist nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.2.2015 ? 4 Ws 19/15, NStZ 2016, 48). Nach Erhalt der Auskunft zu den Kontostammdaten können die betreffenden Kreditinstitute um Auskunft zu den dort geführten Konten des Angeklagten ersucht werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2021 – III-2 RVs 11/21 –, juris). Alternativ kommt hinsichtlich der aufzuklärenden Einkommensverhältnisse auch die Anordnung einer Durchsuchung in Betracht, wobei allerdings die Möglichkeit der Finanzermittlungen sowie die Schätzungsbefugnis gem. § 40 Abs. 3 StGB in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen sind (BeckOK StGB/Heintschel-Heinegg, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 40 Rn. 16).“

Strafzumessung II: Strafzumessung beim Unbestraften, oder: Strafmilderungsgrund „Unbestraftsein“

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Die zweite Entscheidung kommt dann mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 4 StR 133/23 – auch vom 4. Strafsenat des BGH. Dort hatte die Revision gegen ein im zweiten Durchgang ergangenes Urteil des LG Münster – erneut – Erfolg:

„Das Landgericht hatte die Angeklagte im ersten Rechtsgang unter Freisprechung im Übrigen wegen Beihilfe durch Unterlassen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Revision der Angeklagten hob der Senat das Urteil im Strafausspruch auf und verwarf die weiter gehende Revision. Die Feststellungen wurden aufrechterhalten.

Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht die Angeklagte erneut zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Strafausspruch kann – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2021 – 5 StR 148/20 Rn. 18 mwN) – wiederum keinen Bestand haben.

a) Das Landgericht hat bei der Ablehnung eines minder schweren Falls gemäß § 176a Abs. 4 StGB (in der ab 27. Januar 2015 geltenden Fassung) und bei der konkreten Strafzumessung das Vorleben der Angeklagten lediglich unter den Gesichtspunkten ihrer eigenen Missbrauchserfahrung und ihrer besonderen Haftempfindlichkeit als Erstverbüßerin berücksichtigt.

b) Die Unbestraftheit eines Angeklagten ist ein gewichtiger Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), dessen Berücksichtigung es regelmäßig bedarf (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2022 – 6 StR 61/22 Rn. 2 mwN; Beschluss vom 29. September 2016 – 2 StR 63/16 Rn. 15; Urteil vom 27. Oktober 1987 – 1 StR 492/87, NStZ 1988, 70; Beschluss vom 26. Mai 1982 – 3 StR 110/82, NStZ 1982, 376).

c) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das straffreie Vorleben der Angeklagten hat die Strafkammer nicht ausdrücklich strafmildernd angeführt. Auch im Übrigen lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass das Landgericht das Fehlen von Vorstrafen bei der Strafrahmenwahl und der konkreten Strafzumessung beachtet hat. Es ist daher zu besorgen, dass ihm dies trotz der Übernahme der bindenden Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten aus dem Urteil im ersten Rechtsgang aus dem Blick geraten ist.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne diesen Rechtsfehler eine niedrigere Strafe verhängt hätte.“

Strafzumessung I: Verbreitung/Herstellung von KiPo, oder: Abstellen auf ein „tatsächliches Geschehen“

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Strafzumessungsentscheidungen hätte ich länger nicht mehr. Heute kommen dann mal wieder drei.

Und als erste der BGH, Beschl. v. 22.05.2023 – 4 StR 124/23. Das LG hat den Angeklagten  „wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung und mit Herstellung kinderpornographischer Inhalte sowie wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften“ verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„….

Ergänzend zur Antragsschrift bemerkt der Senat:

Soweit das Landgericht in den Fällen II.1. und 2. der Urteilsgründe strafschärfend berücksichtigt hat, dass die kinderpornographischen Schriften ein tatsächliches und nicht nur ein wirklichkeitsnahes Geschehen zum Gegenstand hatten, lässt dies nicht besorgen, dass das Landgericht dies losgelöst von den konkreten Umständen strafschärfend berücksichtigt und damit gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen haben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 657/98 , BGHSt 44, 361, 366 f. ). Das Landgericht hat vielmehr erkennbar auf die Schwere der konkreten Rechtsgutsverletzung abgestellt, die es nicht nur in dem erheblichen Gewicht der in dem Video festgehaltenen sexuellen Handlung, sondern auch darin gesehen hat, dass dieses ein reales Geschehen unter Beteiligung zweier Kinder zeigte. Die von der Revision beanstandete strafschärfende Erwägung begegnet daher unter den hier gegebenen Umständen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2015 – 4 StR 570/14 ; Beschluss vom 17. Dezember 2008 – 2 StR 461/08 , NStZ-RR 2009, 103).“

OWi II: Geschwindigkeitsmessung mit Provida, oder: Nachträgliche Auswertung vom ProViDa-Video erlaubt

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Als zweite Entscheidung dann das AG Dortmund, Urt. v. 14.02.2023 – 729 OWi-264 Js 110/23 -12/23 – zur Geschwindigkeitsüberschreitung und Zulässigkeit der nachträglichen Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeitsfeststellung durch nachträgliche Auswertung eines ProViDa-Videos. Das AG sagt: Ist zulässig und ist dann wie folgt vorgegangen:

„Das Gericht hat das Video des Vorfalls in Augenschein genommen und auch die bei-den Videoprints, anhand derer die Messung stattgefunden hat.

Zunächst war festzustellen bei Inaugenscheinnahme des Videofilms, dass das Video im Bereich startete, indem die Geschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt wurde. Zu Beginn des Videos sind also die beidseitigen 80 km/h-Beschilderungen erkennbar und auch das Fahrzeug des Betroffenen, hinter das sich das Fahrzeug um 15:25:29 Uhr setzte.

Die Zeitangabe konnte das Gericht feststellen durch urkundsbeweisliche Verlesung des oberen rechten Datenfeldes des Messgerätes, eingespielt in die Videoaufnahme des Messsystems. In diesem Bereich unmittelbar vor der Front, ggf. eine Fahrzeug-länge davor, war zu dieser Zeit die linksseitige Beschilderung 60 km/h an der Fahr-bahn und ebenso die rechtsseitige Beschilderung sichtbar, an der der Betroffene vorbeigefahren ist und die er bei ordnungsgemäßer Sorgfalt im Straßenverkehr hätte beachten können und müssen.

Auf dem Video war dann sichtbar, wie der Betroffene im gleichbleibenden Abstand vor dem Polizeifahrzeug auf der linken Fahrspur herfuhr. Anhand der für das Polizei-fahrzeug durch das Messgerät stets eingespielten Geschwindigkeit, die das Gericht jeweils urkundsbeweislich verlesen konnte und die sich rechts unter im Video erkennen ließ, konnte festgestellt werden, dass der Betroffene stets die zulässige Höchst-geschwindigkeit während des gesamten zwischen 15:25:22 Uhr und etwa 15:29 Uhr gefertigten und in Augenschein genommenen Videos überschritten hat, bis nach dem geschwindigkeitsbegrenzenden 80-Km/h-Bereich ein Bereich von 120 km/h Höchst-geschwindigkeit folgt.

Bei Inaugenscheinnahme der maßgeblichen Prints der Messung (hier eingefügt; auf die beiden Prints wird wegen der Einzelheiten – insbesondere zur Größe des Fahr-zeugs des Betroffenen auf der linken Fahrspur, des gleichbleibenden Abstands zum videografierenden Polizeifahrzeug, der Erkennbarkeit der Beschilderung und der 2-spurigen Fahrbahnführung – verwiesen gem. § 267 Abs. 1 Nr. 3 StPO) konnte das Gericht feststellen, dass beide Prints aus einer Nachfolgesituation um 15:25:31 Uhr (unteres Print) und 15:25:37 Uhr (oberes Print) gefertigt wurden. Wegen der eingespielten und von der Eichung des Gerätes umfassten Uhrzeitangabe wurden die Datenfelder der Prints urkundsbeweislich verlesen. Das Polizeifahrzeug befand sich zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Fahrzeug des Betroffenen auf dem linken Fahrstreifen und folgte diesem im gleichmäßigen Abstand. Ein Vergleich der Prints ergab dabei, dass das Fahrzeug des Betroffenen sich von dem Fahrzeug der Polizei geringfügig entfernte während der festgestellten Messstrecke, so dass dies eine zusätzliche Sicherheit zu Gunsten des Betroffenen bei der Geschwindigkeitsberechnung bot.

Das Gericht hat anhand der eingespielten und urkundsbeweislich verlesenen Daten in dem 1. genannten gefertigten Print einen Stand des Wegstreckenzählers von 188.981 Metern feststellen können und bei dem 2. Bild von 15:25:37 Uhr einen Weg-streckenzählerstand von 189.177 Metern. Hieraus ließ sich eine Differenz von 196 Metern für die freigewählte und freiwählbare Messstrecke feststellen.

Anhand der beiden Prints und der darin enthaltenen urkundsbeweislich verlesenen Datenfelder hat das Gericht dann auch die Zahl der einzelnen von dem Messgerät genutzten Einzelbilder zur Aufzeichnung feststellten können. Diese ergaben sich aus einem Vergleich des Einzelbildzählers auf dem 1. zeitlich gefertigten Lichtbild von 334.009 Bildern und bei dem 2. gefertigten Lichtbild von 334.167 Bildern, woraus sich eine Differenz von 158 Bilder für die gewählte Messstrecke ergab. Jedes dieser Bilder ist entsprechend der Bedienungsanleitung des ProViDa-Messgerätes und der technischen Gegebenheiten des Messsystems 0,04 Sekunden lang, so dass sich eine Messzeit von 6,32 Sekunden errechnen lässt.

Die Geschwindigkeit war dann zu berechnen anhand der Formel: 196 Meter Mess-strecke x 3,6 : 6,32 Sekunden. Hieraus ergab sich eine zu bestimmende Geschwindigkeit von 111,65 km/h. Hiervon hat das Gericht einen Toleranzabzug entsprechend der Bedienungsanleitung von 6 km/h vorgenommen, so dass sich nach Streichung der Nachkommastellen eine Geschwindigkeit von 105 km/h als vorwerfbare Geschwindigkeit ergab und folgerichtig eine Überschreitung von 45 km/h. Diese Art der Geschwindigkeitsfeststellung ist anerkannt, auch wenn sie kein standardisiertes Messverfahren darstellt (hierzu etwa: OLG Hamm Beschl. v. 22.6.2017 – 1 RBs 30/17, BeckRS 2017, 122484; AG Castrop-Rauxel Urt. v. 26.8.2022 – 6 OWi-264 Js 1170/22-486/22, BeckRS 2022, 22074; AG Lüdinghausen Urt. v. 20.4.2015 – 19 OWi-89 Js 1431/14-139/14, BeckRS 2015, 10022).“