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StPO III: Antragsberechtigung im Adhäsionsverfahren, oder: Gewillkürte Prozessstandschaft zulässig

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Und im dritten Posting dann die dritte BGH-Entscheidung, und zwar der BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 6 StR 495/23, in dem sich der BGH zur Antragsberechtigung im Adhäsionsverfahren äußert, und zwar wie folgt:

„2. Die Adhäsionsentscheidungen haben ebenfalls Bestand. Auch soweit der Angeklagte unter Ziffer 4 der Urteilsformel zur Zahlung von Schadensersatz an die b. GmbH verurteilt worden ist, liegt ein wirksamer Adhäsionsantrag und damit die für das Annexverfahren von Amts wegen zu prüfende notwendige Verfahrensvoraussetzung vor (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 1988 – 2 StR 244/88, NStZ 1988, 470).

a) Zwar hat die geschädigte Gesellschaft den Anspruch nicht selbst geltend gemacht (§ 403 Satz 1 StPO); es liegt allerdings ein näher begründeter Antrag von a. GmbH vor, den Angeklagten zur Zahlung von Schadensersatz an ihre Tochtergesellschaft, die b. GmbH, zu verurteilen.

b) Anlass zu näherer Erörterung gibt insoweit allein die hier an § 403 Satz 2 StPO zu messende Antragsbefugnis.

aa) Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ist hiernach antragsbefugt, wer einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch geltend macht. Diese Ergänzung des § 403 StPO wurde eingefügt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2099, 2105); sie begründet – korrespondierend mit der bislang zum Entschädigungsrecht des Verletzten ergangenen Rechtsprechung (BT-Drucks. 19/27654, S. 106 f.) – eine Antragsbefugnis auch für Personen, die nicht unmittelbare oder mittelbare Verletzte der Tat oder deren Erben sind (vgl. § 403 Satz 1 StPO). Der Gesetzgeber hat die Antragsberechtigung insoweit von der – durch dasselbe Reformgesetz eingefügten – Legaldefinition des Verletztenbegriffs in § 373b StPO entkoppelt (vgl. BT-Drucks. aaO), um den Kreis der Berechtigten nicht auf die Verletzten nach § 373b StPO zu beschränken (vgl. KMR-StPO/Nepomuck, 118. Lfg., § 403 Rn. 1; LR/Wenske, 27. Aufl., § 403 Rn. 2; SSW-StPO/Schöch/Werner, 5. Aufl., § 403 Rn. 1).

Der Antragssteller nach § 403 Satz 2 StPO kann deshalb etwa als Rechtsnachfolger des Verletzten, namentlich im Wege des vertraglichen (vgl. § 398 BGB) oder gesetzlichen Forderungsübergangs (vgl. § 116 Abs. 1 SGB X), einen eigenen Anspruch oder – nach Ermächtigung durch den Verletzten – einen fremden Anspruch im eigenen Namen geltend machen (sogenannter gewillkürte Prozessstandschaft).

Dieses Normverständnis wird über den Gesetzeswortlaut hinaus durch die Regelungssystematik des Fünften Buches der Strafprozessordnung belegt (vgl. LR/Wenske, aaO; aA KMR-StPO/Nepomuck, aaO, Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 403 Rn. 4; SSW-StPO/Schöch/Werner, aaO, Rn. 3). Hiernach bestehen für Adhäsionskläger, die nicht Verletzte der Tat und damit prozessual nicht in gleicher Weise wie diese schutzwürdig sind, eigene, allerdings stark begrenzte Verfahrensrechte. So sind insbesondere die §§ 406d ff. StPO schon mangels Verletzteneigenschaft (§ 373b StPO) grundsätzlich nicht anwendbar (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 108). Allein das Akteneinsichtsrecht ist für die nach § 403 Satz 2 StPO Antragsberechtigten zur Anspruchsdurchsetzung spezifisch geregelt (vgl. § 406e Abs. 4 StPO; LR/Wenske, aaO sowie § 406e Rn. 47). Dem steht auch die Gesetzesgenese nicht entgegen (aA BeckOK-StPO/Ferber, 49. Ed., § 403 Rn. 1). Der Gesetzgeber wollte mit § 403 Satz 2 StPO eine Antragsberechtigung für Personen sicherstellen, die nur mittelbar durch die Tat geschädigt sind (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 106). Hingegen ist den Gesetzesmaterialien – insbesondere im Lichte der vorgenannten gewichtigen normativen Gesichtspunkte – kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass er sich ausdrücklich gegen eine erweiterte Antragsbefugnis ausgesprochen hat.

bb) Das Antragsrecht ergibt sich hier aus dem Gesichtspunkt der Prozessstandschaft.

(1) Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozessführung ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1951 – GSZ 3/51, BGHZ 4, 153, 164 ff.; Urteile vom 4. Juni 1959 – VII ZR 217/58, BGHZ 30, 162, 166; vom 24. Oktober 1985 – VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 152; vom 10. Juni 2016 – V ZR 125/15, NJW 2017, 486). Das schutzwürdige Eigeninteresse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; vom 5. Februar 2009 – III ZR 164/08, NJW 2009, 1213, 1215). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1992 – I ZR 251/90, BGHZ 119, 237, 242). Eine solche Prozessführungs-befugnis ist im Zivilprozess (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – I ZR 145/02, BGHZ 161, 161, 165; vom 2. Oktober 1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127), aber auch im Adhäsionsverfahren von Amts wegen zu prüfen.

(2) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Senat vermag der Antragsschrift noch tragfähige Ausführungen zum Verhältnis der Gesellschaften zueinander, insbesondere zum bestehenden wirtschaftlichen Interesse (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1994 – I ZR 99/92, NJW-RR 1995, 358, 361) und der erteilten Ermächtigung, zu entnehmen.“

StPO I: Verurteilung beruht auf DNA-Mischspur, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

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Und heute dann schon wieder 🙂 StPO, an sich wäre mal wieder OWi dran, aber dafür habe ich kein Material. Daher hier dann StPO.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 StR 353/23. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt . Die dagegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

„Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Täterschaft des Angeklagten durchgreifende Darstellungsmängel im Hinblick auf die Ergebnisse molekulargenetischer Gutachten aufweist.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts warf der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 25. September 2022 im Abstand von wenigen Minuten, fünf bis zehn Meter neben der Fahrbahn stehend, frontal Steine auf drei die Bundesautobahn 30 mit etwa 100 km/h befahrende Pkw, wobei er in der Absicht handelte, jeweils die Frontscheibe zu treffen und Beschädigungen zu verursachen. Die Steine trafen in zwei Fällen plangemäß die Windschutzscheibe, in einem Fall die Frontpartie des anvisierten Fahrzeugs, wodurch Beschädigungen von mindestens 900 Euro je Fahrzeug entstanden.

2. Die Strafkammer hat sich von der Täterschaft des Angeklagten unter anderem aufgrund von an einem Stein und am Griff eines Metalltors im Zugangsbereich zu dem betreffenden Autobahnabschnitt gesicherten DNA-Mischspuren überzeugt. Die Darstellung der Ergebnisse der molekulargenetischen Gutachten entspricht nicht den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung daran stellt.

Während bei Einzelspuren jedenfalls das Gutachtenergebnis in Form einer numerischen biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage mitgeteilt werden muss, ist bei Mischspuren grundsätzlich darzulegen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187; Beschluss vom 9. November 2021 ‒ 4 StR 262/21; Beschluss vom 18. August 2021 ‒ 5 StR 217/21; Beschluss vom 12. August 2021 ‒ 2 StR 325/20; Beschluss vom 14. Juli 2021 ‒ 6 StR 303/21; Henke, NStZ 2023, 13, 15 f. jeweils mwN). Daran fehlt es hier. Ausnahmsweise kann im Urteil die DNA-Analyse der Hauptkomponente einer Mischspur nach den für die Einzelspur entwickelten Grundsätzen dargestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, Rn. 10 ff.), wenn die Peakhöhen von Hauptkomponente zu Nebenkomponente durchgängig bei allen heterozygoten DNA-Systemen im Verhältnis 4:1 stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 6 StR 183/20). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist dem Urteil ebenfalls nicht zu entnehmen.

3. Der Senat kann angesichts der begrenzten Aussagekraft der übrigen Beweisanzeichen nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Das verlesene Behördengutachten des Landeskriminalamts zum Vergleich des „Profilgrundmusters“ von in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen „Turnschuhen Venice, blau/rot“ mit einer in Tatortnähe im öffentlich zugänglichen Bereich gesicherten „Schuheindruckspur“ ist für die Täterschaft des Angeklagten – jedenfalls ohne nähere Feststellungen zum Verbreitungsgrad dieser Schuhe – nur von begrenzter Aussagekraft. Überdies sind in den Urteilsgründen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen von Sachverständigengutachten so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 2020 ‒ 1 StR 28/20, juris Rn. 4; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 267 Rn. 34 mwN). Nach dem hier ausschließlich mitgeteilten Inhalt, wonach sich die Spur dem Schuhpaar mit dem Referenzmuster „venrippkegel“ „zuordnen lasse“, kann der Senat die Schlüssigkeit des Gutachtens nicht beurteilen. Die darüber hinaus herangezogene Funkzellenauswertung ist nicht aussagekräftig, da nach den Urteilsgründen die Funkzelle, in die das Mobiltelefon des Angeklagten zur Tatzeit eingeloggt war, sowohl den Wohnort des Angeklagten als auch den Tatortbereich versorgt.“

Rechtsfolge I: Mildere Strafe bei versuchtem Mord, oder: Keine Strafmilderung nur bei Erschwerungen

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Und heute dann am letzten Tag im April – vier Monate des Jahres 2024 liegen also schon hinter uns – einige Entscheidungen zu Rechfolgen. Das war schon länger nicht mehr Thema.

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Urt. v. 01.02.2024 – 4 StR 287/23, über das ich schon einmal berichtet habe (StGB II: Hat der Angeklagte „heimtückisch“ gehandelt?, oder: Überraschen in einer hilflosen Lage). Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die  Revision des Angeklagten, der u.a. auch die Strafzumessung beanstandet. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und macht Erörterungsmängel im Rahmen der Strafzumessung und Maßregelanordnung geltend. Beide Rechtsmittel waren unbegründet:

„….

2. Entgegen der Auffassung der Revision weist die Strafzumessung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Zwar ist im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne nicht ausdrücklich strafmildernd aufgeführt, dass der Angeklagte sich zur Tat aufgrund der vorangegangenen „Provokation“ durch den Geschädigten entschloss. Der Senat schließt unter den hier gegebenen Umständen jedoch aus, dass dem Tatgericht dieser in den Urteilsgründen mehrfach erwähnte Gesichtspunkt im Rahmen der Strafzumessung aus dem Blick geraten sein könnte. Anderenfalls wäre die mit vier Jahren und neun Monaten eher milde bemessene Freiheitsstrafe nicht verständlich.

III.

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Strafzumessung und Maßregelanordnung weisen weder einen den Angeklagten begünstigenden noch einen ihn beschwerenden (vgl. § 301 StPO) Rechtsfehler auf.

1. Die Strafrahmenwahl begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten gemildert hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegt ein den Bestand des Strafausspruchs gefährdender Erörterungsmangel nicht vor.

a) Nach § 23 Abs. 2 StGB kann der Versuch milder bestraft werden als die vollendete Tat. Ob eine Strafrahmenverschiebung wegen Versuchs gemäß § 23 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt, ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer Gesamtschau aller Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. August 2023 ‒ 4 StR 98/23 Rn. 5; Urteil vom 25. Januar 2023 ‒ 1 StR 284/22 Rn. 16; Beschluss vom 22. Oktober 2019 ‒ 5 StR 449/19 Rn. 8). Dabei ist zu beachten, dass das Vorliegen des vertypten Milderungsgrunds regelmäßig eine geringere Schuld indiziert (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 922). Eine Versagung der Strafmilderung setzt deshalb erschwerende Umstände voraus, die in den Urteilsgründen im Einzelnen festgestellt und dargelegt werden müssen. Den wesentlichen versuchsbezogenen Umständen (Nähe der Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und aufgewandte kriminelle Energie) kommt im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau aller tat- und täterbezogenen Umstände besonderes Gewicht zu (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 15. September 1988 ‒ 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347, 355). Eine sorgfältige Abwägung und umfassende Begründung ist insbesondere in Fällen geboten, in denen die Versagung der Strafmilderung wegen Versuchs die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2023 ‒ 4 StR 286/23 Rn. 12; Urteil vom 25. Januar 2023 ‒ 1 StR 284/22 Rn. 16; Beschluss vom 22. Oktober 2019 ‒ 5 StR 449/19 Rn. 8; Urteil vom 15. Juni 2004 ‒ 1 StR 39/04).

b) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen ist das Schwurgericht mit dem knappen, aber tragfähigen Hinweis auf die fehlende Vollendungsnähe gerecht geworden. Die hiergegen von der Revision erhobenen Einwände verfangen nicht. Eine weitere Begründung war unter den hier gegebenen Umständen von Rechts wegen nicht geboten.

2. Die Strafzumessung im engeren Sinne weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Insbesondere vermag der Senat den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass das Landgericht ‒ rechtlich bedenklich ‒ die erlittene Untersuchungshaft strafmildernd berücksichtigt hat. Es hat vielmehr zugunsten des Angeklagten bedacht, dass er als Erstverbüßer besonders haftempfindlich ist. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2021 ‒ 4 StR 457/20 Rn. 12).“

OWi I: Unternehmerverstöße gegen das FahrpersonalG, oder: Wer ist Unternehmer und ist die Geldbuße ok?

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Und dann ein OWi-Tag.

Den eröffne ich mit zwei Entscheidungen des OLG Hamm zum FahrpersonalG, und zwar zu Verstöße eines Unternehmers gegen das FahrpersonalG. In beiden Entscheidungen geht es darum, dass dem betroffenen Unternehmer Verstöße gegen § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG zur Last gelegt worden waren. Diese Vorschrift verlangt vom Unternehmer, dass er dafür sorgt, dass die vorgeschriebenen Lenkzeiten und Fahrtunterbrechung oder die erforderlichen Ruhezeiten vom Fahrer eingehalten werden.

Zur konkreten Vorstellung nehme ich dann mal den OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 31/24. Das OLG das amtsgerichtliche Urteil, mit dem der Betroffene zu einer Geldbuße von 25.000 EUR verurteilt worden ist, wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben. Begründung, in der das OLG zunächst die Stellungnahme der GsTA „eingerückt“ hat:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet worden und hat auch in der Sache – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

Das Urteil unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, da es keine ausreichenden Feststellungen zu den Tatvorwürfen enthält.

a) Die Vorschrift des § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG, auf welche das Amtsgericht die Verurteilung u. a. gestützt hat, nimmt Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006. Gemäß Art. 2 Abs. 1 a) der vorgenannten Verordnung gilt diese nur für Güterbeförderungen im Straßenverkehr, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteigt.

Gemäß ihres Art. 2 Abs. 2 gilt sie in räumlicher Hinsicht zudem ausschließlich für Beförderungen im Straßenverkehr innerhalb der Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist in dem angefochtenen Urteil indes nicht festgestellt. Insbesondere enthält die mit dem Urteil verbundene Verstoßliste keine entsprechenden Fahrzeug- bzw. Streckeninformationen. Es ist daher unklar, ob der Anwendungsbereich der angewandten Bußgeldnorm überhaupt eröffnet ist.

Gleiches gilt, soweit Verstöße – jedenfalls ausweislich der diesbezüglichen Liste – zum Teil auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 b) FPersG.i. V. m. Art. 32 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 165/2014 gestützt werden, da diese Verordnung gemäß ihres Art. 3 Abs. 1 nur für Fahrzeug gilt, die dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 unterfallen, was vorliegend nicht ausreichend festgestellt ist.

b) Auch die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs führt zur Aufdeckung von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen. Insbesondere ist zu bemängeln, dass das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen hat (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG). Die Feststellung, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, die verhängte Geldbuße könne den Betroffenen in finanzielle Nöte stürzen, zumal dessen Verteidiger auf entsprechende Nachfrage keine Angaben gemacht habe, reichen insoweit nicht aus. Weitergehende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sind nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich. Hiervon kann bei einer Summe von 25.000,- € indes nicht die Rede sein.

2. Auf die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

Die Sache bedarf insgesamt erneuter Verhandlung und Entscheidung.“

Diesen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.“

Und dann gibt es aber noch reichlich Eigenes 🙂 :

„Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Ordnungswidrig sind nur Verstöße, die von einem Unternehmer (§ 8 Abs. 1 und § 8a Abs. 1 FPersG) begangen worden. sind. Bei der hier vorliegenden Internationalen Speditions-GmbH & Co. KG erfüllt der Betroffene nur dann das besondere persönliche Merkmal eines „Unternehmers“, wenn und soweit er als vertretungsberechtigtes Organ (Geschäftsführer) der Komplementär-GmbH (§ 9 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG) gehandelt hat bzw. wenn und soweit er – ohne selbst Geschäftsführer zu sein – von dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH oder einem sonst dazu Befugten beauftragt ist, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten oder ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen und aufgrund dieses Auftrags gehandelt hat (§ 9 Abs. 2 Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 OWiG) (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (OWi) 67/06 III – juris Rn. 6).

Im Übrigen kann zur Bestimmung des Unternehmerbegriffs ergänzend auch auf die entsprechende Regelung in § 3 PBefG Bezug genommen werden. Danach gilt als Unternehmer, wer den Verkehr im eigenen Namen unter eigener Verantwortung und für eigene Rechnung betreibt. Im eigenen Namen betreibt ein Unternehmen, wer nach außen hin als Inhaber des Unternehmens auftritt. Unter eigener Verantwortung bedeutet, dass der Handelnde der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde gegenüber die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Betriebs trägt. Für eigene Rechnung handelt derjenige, dem Lasten und Nutzen des Betriebes, wenn auch nicht ganz, so doch mindestens zu einem erheblichen Teil zufallen. Folglich gilt als Unternehmer, wer u.a. die Fahrzeuge einsetzt, Verträge abschließt, Arbeitskräfte bestellt, Fahrzeuge zur Reparatur gibt, Art und Inhalt der Buchführung bestimmt und jederzeit die Kontrollmöglichkeit hat. Für diese rechtliche Beurteilung der Unternehmereigenschaft ist dabei vor allem die Eintragung im Handelsregister, die Gewerbeanmeldung sowie die Erteilung der CEMT-Genehmigung für den Verkehr zwischen Staaten der EU und anderen Staaten ein wichtiges Indiz und bedarf entsprechender konkreter Feststellungen durch das Tatgericht (OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 2 Ss OWi 1265/07 -juris Rn. 23).

Die bloße tatsächliche Wahrnehmung der dem Inhaber des Betriebes aus dem Fahrpersonalgesetz erwachsenen Pflichten durch den Betroffenen würde für eine Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG nicht ausreichen. Erforderlich wäre vielmehr ein Auftrag, der ausdrücklich und unter Hinweis auf die Verantwortlichkeit für die Pflichten, die dem Betriebsinhaber bei der Überwachung des Fahrpersonals obliegen, erteilt worden wäre. Dabei hätte der Betroffene damit beauftragt werden müssen, diese Pflichten in eigener Verantwortung zu erfüllen, d.h. mit entsprechenden Selbständigkeit und Entscheidungsfreiheit (vgl. OLG Hamm a.a.O., OLG Schleswig VRS 58, 384, 386). Der Betroffene hätte in der Lage sein müssen, von sich aus ohne Weisung des Betriebsinhabers die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erfüllung der Pflichten aus dem Fahrpersonalgesetz notwendig waren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006, a.a.O., Rn. 7, juris).

Entsprechende Feststellungen lässt die angefochtene Entscheidung vermissen. Dort ist ausgeführt, der Betroffene sei bis zum 15. Juli 2019 Geschäftsführer (gemeint ist wohl Geschäftsführer der Komplementär-GmbH) gewesen und ab dem 16. Juli 2019 habe pp. die Geschäftsführung und zugleich die Aufgabe des Verkehrsleiters übernommen, es sei jedoch originäre Aufgabe des Betroffenen als bis dahin Verantwortlicher und Geschäftsführer, dafür Sorge zu tragen, dass ein neuer Geschäftsführer und Verkehrsleiter seinen Aufgaben unter Einhaltung der Rechtsvorschriften nachkomme. Aus diesen Erwägungen allein kann eine Verantwortlichkeit des Betroffenen für die Zeit ab dem 15. Juli 2019 jedoch nicht begründet werden. Eine solche würde nur dann bestehen, wenn – was im Einzelnen festzustellen wäre – der Betroffene von dem Geschäftsführer gemäß den vorstehenden Ausführungen konkret mit der Überwachung des Fahrpersonals in eigener Verantwortung beauftragt worden wäre, was ggf. auch durch die Vernehmung einzelner Mitarbeiter aufgeklärt werden kann. Zudem werden die einschlägigen Handelsregisterauszüge (auch betreffend die Komplementär-GmbH) beizuziehen und durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzubeziehen sein.

2. Die bußgeldbewehrte Pflichtwidrigkeit besteht darin, dass der Unternehmer nicht dafür sorgt, dass die Sozialvorschriften eingehalten werden, also in einem Unterlassen. Das Amtsgericht muss folglich Feststellungen dazu treffen, welche Verpflichtungen den Betroffenen treffen, ob und inwieweit der Betroffene gegen diese Verpflichtungen verstoßen hat und ‚ob die Pflichtverletzung kausal zu Verstößen gegen Sozialvorschriften geführt hat. Solche Feststellungen fehlen bislang gänzlich und müssten zunächst noch getroffen werden.

Dabei wird das Amtsgericht davon auszugehen haben, dass der Unternehmer verpflichtet ist, das Fahrpersonal in regelmäßigen zeitlichen Abständen auf die maßgeblichen Lenk- und Ruhezeiten hinzuweisen, wöchentlich die Schaublätter der EG-Kontrollgeräte zu überprüfen und im Übrigen die Fahrten so zu disponieren, dass den Fahrern unter Berücksichtigung des Bestimmungsortes, der Streckenführung und der Zeiten für An- und Abfahrt sowie für Be- und Entladung die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten möglich ist. Bei Vernachlässigung dieser Pflichten wird ferner zu prüfen sein, ob festgestellten Verstöße gegen Sozialvorschriften ursächlich auf die fehlende oder unzulängliche Belehrung und Überwachung zurückzuführen sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (0Wi) 67/06 III – juris Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2007 – IV-2 Ss (OWi) 83/07 – (OWi) 64/07 III – juris Rn. 18 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris Rn. 20 f.; vgl. zu den Verpflichtungen Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Werkstand 249. EL September 2023, Verordnung (EU) 561/2006 Art. 10 Rn. 4 ff.).

Entsprechende Feststellungen im Hinblick auf den Pflichtenkreis des Unternehmers werden sich wohl erst nach Auswertung von Geschäftsunterlagen bzw. der diesbezüglichen Vernehmung des Zeugen H. und erforderlichenfalls auch der zeugenschaftlichen Vernehmung von einzelnen Fahrern treffen lassen.

Soweit es um die Frage geht, ob Verstöße des Unternehmers gegen die ihm obliegenden Pflichten sich kausal durch Verstöße gegen Sozialvorschriften ausgewirkt haben, kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen Verstöße den Fahrern jeweils subjektiv vorwerfbar sind. Denn Sanktionsgrund gegenüber dem Unternehmer ist die Verletzung seiner einheitlichen umfassenden Aufsichts- und Überwachungspflicht, während der Fahrer – worauf es hier nicht ankommt – mit jedem einzelnen Verstoß gegen die Bestimmungen der EU-Verordnungen ordnungswidrig handelt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Juli 2010 – 2 Ss-OWi 276/10 – juris Rn. 19). Daher ist es in diesem Zusammenhang ausreichend, wenn das Vorliegen von – kausal verursachten – Verstößen gegen Sozialvorschriften objektiv festgestellt werden kann. Nicht auch wird es einer zeugenschaftlichen Vernehmung von Fahrern zu der Frage bedürfen, inwieweit der Verstoß jeweils dem Fahrer individuell vorwerfbar ist.

3. Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 gilt nur für Beförderungen im Straßenverkehr ausschließlich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung).

Aus den Feststellungen des Urteils muss sich daher ergeben, dass es sich bei den Fahrten, bei denen es infolge des Pflichtverstoßes des Betroffenen zu Verstößen gegen die zulässige Lenk- bzw. Ruhezeit gekommen. ist, um Beförderungen innerhalb des vorgenannten räumlichen Gebiets gehandelt hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 -juris Rn. 17; OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 juris Rn. 5).

4. Die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung vermögen eine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht. zu tragen. Ein vorsätzlicher Verstoß kann nur dann bejaht werden, wenn der Betroffene positiv gewusst hat, dass er seinen Organisations-, Anweisungs- bzw. Überprüfungspflichten nicht gerecht wird oder dies jedenfalls billigend in Kauf genommen hat.

Es ist aber zulässig, aus dem Vorhandensein einer Vielzahl festgestellter Verstöße . Rückschlüsse auf das subjektive Element zu ziehen.

5. Der Vorwurf, nicht für die Einhaltung der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten von (mehreren) Fahrern oder die richtige Verwendung von EG-Kontrollgeräten Sorge getragen zu haben, knüpft an ein (echtes) Unterlassen an, weshalb regelmäßig von nur einem einheitlichen Verstoß auszugehen und nur eine einzige Geldbuße festzusetzen ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 30.01.2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris)

6. Die Urteilsgründe müssen stets eine in sich geschlossene, aus sich heraus verständliche Darstellung der Feststellungen und der sie tragenden Beweiserwägungen enthalten (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 267 Rn. 2). Zwar kann bei einer Vielzahl von sich wiederholenden gleichartigen Sachverhalten wegen der Einzelheiten auf eine in dem Urteil enthaltene tabellarische Aufstellung Bezug genommen werden. Jedoch entbinden tabellarische Darstellungen nicht davon, den zugrunde liegenden Sachverhalt, insbesondere das zugrunde liegende tatsächliche Geschehen zunächst einleitend in verständlicher Weise in Worten zu beschreiben.

Entscheidend ist, dass der Verstoß jeweils – differenziert nach Art des Verstoßes (also Lenkzeitverstoß, Ruhezeitverstoß pp.) – in verständlicher Weise beschrieben wird und nur wegen der Gesamtzahl der Verstöße auf Daten Bezug genommen wird, die sich in der in die Darstellung einbezogenen tabellarischen Aufstellung befinden.

Diesen Anforderungen wird die vom Amtsgericht bisher gewählte Art der Darstellung nicht gerecht.

7. Wenn – wie hier – unter nahezu vollständiger Ausschöpfung des Bußgeldrahmens ein Bußgeld in erheblicher Höhe‘ festgesetzt wird, so muss das Urteil in hinreichendem Umfang Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten.

Einen entsprechenden Hinweis hatte •der Senat dem Amtsgericht in der vorliegenden Sache bereits in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2022 erteilt, durch den das vorangegangene Urteil des Amtsgerichts aufgehoben worden war.

Insoweit weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Einkünfte auch durch Schätzung ermittelt werden können. Eine Schätzung ist dann angezeigt, wenn ein Betroffener keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben macht und eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögem würde oder der Ermittlungsaufwand zu der konkreten Geldbuße in einem unangemessenen Verhältnis stünde. Als Kriterium einer Schätzgrundlage kommen regelmäßig der – ausgeübte – Beruf eines Betroffenen aber auch sonstige Anzeichen seines sozialen Status in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. September 2021 – 1 OWi 2 SsBs 62/20 – juris Rn. 27; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 111-3 RBs 82/19 -, juris Rn. 19; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom • 11. Februar 2020 – 201 ObOW12771/20 juris Rn. 11). Sollte der Betroffene vorliegend weiterhin keine Angaben zu seinen Einkünften machen, wird das Amtsgericht im Wege einer Schätzung das durchschnittliche Gehalt des Geschäftsführers eines Speditionsunternehmens der Größenordnung des hier in Rede stehenden Unternehmens zugrunde legen dürfen. Bewertungskriterien dürften hierbei insbesondere der Jahresumsatz, die Anzahl der Mitarbeiter und die Größe des Fuhrparks sein.

8. Das Amtsgericht hat bei der Bemessung der Geldbuße zu Lasten des Betroffenen gewürdigt, dieser sei aufgrund vergangener Bußgeldverfahren bereits sensibilisiert, obwohl sich aus den Feststellungen ’nicht ergibt, dass es gegen den Betroffenen in der Vergangenheit überhaupt weitere Bußgeldverfahren gegeben hat, welcher Vorwurf Gegenstand dieser Verfahren war und ob es zu der Festsetzung von Bußgeldern gekommen ist.“

Auf derselben Linie liegt dann die zweite Entscheidung, der OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 334/23, den ich daher nicht mehr vollständig einstelle.

OWi II: OLG beanstandet wortreich Schuldspruch, oder: Aufhebung nur der Rechtsfolgen? – Brett vorm Kopf

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Und dann die zweite Entscheidung, der OLG Jena, Beschl. v. 04.04.2024 – 1 ORbs 191 SsBs 9/24, der mich (auch) ein wenig ratlos zurücklässt.

Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim OLG – Einzelrichter – Erfolg hat. Genauer: „teilweise Erfolg hat“, denn das OLG hat „im Rechtsfolgeausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.“

Zur Begründung bezieht es sich auf die Zuschrift der GStA, die es „einrückt“. In der heißt es:

„Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 30.01.2024 ebenfalls beantragt, das Urteil wegen sachlich-rechtlicher Mängel aufzuheben.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift ausgeführt:

„1. Das angegriffene Urteil leidet zum einen an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, weil es die Einlassung des Betroffenen nicht wiedergibt. Zwar ergibt sich aus der Verfahrensvorschrift des § 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG nicht, dass das Gericht in jedem Fall verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben, in der die Einlassung des Betroffenen mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird.  Gänzlich entbehrlich ist die Wiedergabe und Auseinandersetzung mit der Einlassung grundsätzlich nur in seltenen Ausnahmefällen, die sachlich und rechtlich einfach gelagert und von geringer Bedeutung sind (Göhler, OWiG, 18. Aufl. (2021), § 71 Rn. 43 m.w.N.)

Anhand der Urteilsbegründung lässt sich nur erahnen, dass der Betroffene seine Fahrer-eigenschaft abgestritten hat. Dies folgt insbesondere aus den Ausführungen zu den Ein-schätzungen der Sachverständigen bzw. den Angaben zu einem Beweisantrag zur Einvernahme des Zeugen P. Das Urteil schweigt jedoch zu der Frage, ob der Betroffene seine Fahrereigenschaft qualifiziert oder lediglich pauschal bestritten hat. Angesichts dessen lässt sich durch das Rechtsbeschwerdegericht aber nicht beurteilen, ob der Bußgeldrichter eine (evtl.) Einlassung des Betroffenen zur Fahrereigenschaft unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Ausführungen der Sachverständigen rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Insbesondere bei der oftmals problematischen und daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machenden Frage einer Fahreridentifizierung ist es regelmäßig für die Überprüfung der Beweiswürdigung unabdingbar mitzuteilen, ob und wenn ja, wie, sich der Betroffene eingelassen hat

Eine Wiedergabe bzw. Auseinandersetzung mit einer Einlassung des Betroffenen war schließlich schon deshalb nicht entbehrlich, weil der Betroffene wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden ist.

2. Das angegriffene Urteil leidet hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft auch in-soweit an einem weiteren Darstellungsmangel, als sich aus dem Urteil nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht hinreichend rechtlich nachprüfbarer Weise ergibt, worauf das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen zur Tatzeit stützt.

Gründet die Überzeugung des Tatrichters von der Identität des Betroffenen zum Tatzeitpunkt auf einer Lichtbildidentifizierung der Person des Betroffenen, muss auf ein bei den Akten befindliches und nicht selbst oder als Kopie in das Urteil unmittelbar aufgenommenes Messfoto bzw. Frontfoto oder Radarfoto, soll es zum Bestandteil der Urteilsurkunde werden, deutlich und zweifelsfrei nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen werden, um so über die Dokumentation und Beschreibung der Art und Weise der Beweiserhebung hinaus unmissverständlich auch den Willen zur Verweisung bei Abfassung der Urteilsgründe zum Ausdruck zu bringen Notwendig und ausreichend ist vielmehr, dass der Wille zur Bezugnahme unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit eindeutig und bestimmt zum Ausdruck gebracht ist (BayObLG Beschl. v. 18.2.2021 —202 ObOWi 15/21, BeckRS 2021, 14749, Rn. 4 m.w.N.). Eine diesen Mindestanforderungen genügende Bezugnahme ist hier nicht erfolgt.

Das Tatgericht hat seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen aufgrund eines Bezugsbildes gestützt („Bild der Geschwindigkeitsmessung“), ohne freilich hier oder an anderer Stelle seines Urteils einen Hinweis auf die konkrete Fundstelle des erwähnten „Bezugsbildes“ bzw. das nach seiner Überzeugung den Betroffenen abbildende „Foto“ oder „Messfoto“ in den Gerichtsakten zu geben, wozu allerdings zumindest die Angabe einer bestimmten Blattzahl erforderlich, aber auch regelmäßig ausreichend gewesen wäre (BayObLG a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das Amtsgericht hat damit auch unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit nicht in zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch ausdrückliche und genaue Nennung der Fundstelle in den Akten -ggf. in Verbindung mit einer unmittelbar anschließenden zusätzlichen Beschreibung der als charakteristisch erachteten Merkmale der Physiognomie des Betroffenen – deutlich und zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solche hinaus auf ein bestimmtes Messfoto Bezug zu nehmen. Es hat deshalb das in den Gründen genannte Foto nicht wirksam zum Bestandteil der Gründe seines Urteils gemacht mit der Folge, dass es dem Senat wegen des Fehlens einer prozessordnungsgemäßen Bezugnahme verwehrt bleibt, die fragliche Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen und selbst zu beurteilen, ob diese als taugliche Grundlage einer Identifizierung in Betracht kommt.

Eine für den Fall der fehlenden Bezugnahme alternativ erforderliche Beschreibung des Frontfotos durch das Tatgericht fehlt zudem in Gänze.

Sieht der Tatrichter – wie hier – von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit ermöglicht wird….

Bei der Beantwortung der Frage, ob nach diesen Grundsätzen die vom Tatgericht gegebene Beschreibung des Fahrers ausreichend ist, darf jedoch die sonstige Beweissituation nicht außer Betracht bleiben. Bestreitet der Betroffene mit näheren Ausführungen, der Fahrer gewesen zu sein, und benennt er etwa andere Personen, die als Fahrer in Betracht kommen, so kann eine eingehendere Darstellung der Beweiswürdigung – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer erweiterten Beweisaufnahme geboten sein. Umgekehrt kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände – der sich aus dem Foto ergebenden Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien, etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit – auch dann zur Überführung des Beschuldigten ausreichen, wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein diesen Schluss nicht rechtfertigt (so Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Mai 2006 —1 Ss 106/06 —, juris, Rn. 23)“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat vollumfänglich an. Die Beweiswürdigung ist daher in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei ordnungsgemäßer Beweiswürdigung eine der Betroffenen günstigere Entscheidung ergangen wäre. Damit beruht das angegriffene Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern.

Auf die weitergehend erhobene Rügen der Verteidigung kommt es nicht an.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Stadtroda zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).“

Es ist ja schön, dass wir das alles noch einmal lesen dürfen, was das OLG da aus anderen abegschrieben hat. Nun ja, warum auch nicht, da die Frage ja schon zig-mal entschieden sind.

Nur, was neu ist und war ich nicht verstehe:  Warum wird nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben ist. Es ist doch nichts beschränkt und die Ausführungen des OLG beziehen sich allein auf den Schuldspruch. Der hätte doch aufgehoben werden müssen, zumal das OLG zu den Rechtsfolgen kein Wort verliert. Was übersehe ich? Wo und warum habe ich „ein Brett vorm Kopf“?

Ich habe dem Kollegen, der mir die Entscheidung geschickt hat, geraten, doch ganz schnell Berichtigung zu beantragen. 🙂