Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

BGH: Wie wird im Urteil „prozessordnungsgemäß“ auf ein Lichtbild verwiesen?

© fotoknips - Fotolia.com

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Wir haben lange Zeit nichts vom BGH zur Fahreridentifizierung aufgrund eines Lichtbildes (im Bußgeldverfahren) gehört. Da gab es die Grundsatzentscheidung BGHSt 41, 376 und danach war Ruhe. Jetzt gibt es aber das BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/15. Zwar nicht im Bußgeldverfahren, sondern im Strafverfahren ergangen, aber – natürlich – auch im OWi-Verfahren anwendbar und bedeutsam. Im Verfahren hatte das LG in einem Urteil wegen eines Tötungsdelikts  in den Urteilsfeststellungen auf „Miniatur-Lichtbilder“ verwiesen und einen Klammerzusatz „Anlage 2 zum Protokoll vom 24. Juni 2015“ hinzugefügt. Das hatte der Angeklagte mit der Revision als nicht ausreichend gerügt. Der BGH hat es „gehalten“:

„d) Unbegründet ist auch die weitere materiellrechtliche Beanstandung der Beschwerdeführerin, das Urteil enthalte weder eine den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO genügende Verweisung auf das Bildschirmfoto noch eine zureichende Beschreibung der darauf erkennbaren „Miniatur-Lichtbilder“ und erlaube deshalb keine revisionsgerichtliche Überprüfung, ob der Tatrichter diese rechtsfehlerfrei als für die Identifizierung des Chat-Teilnehmers unergiebig angesehen habe.

aa) Das Urteil verweist in zulässiger Weise auf die zu den Akten ge-nommene, die „Miniatur-Lichtbilder“ enthaltende Ablichtung. Mit dem Klammerzusatz „Anlage 2 zum Protokoll vom 24. Juni 2015“ ist der Inhalt der Verwei-sung eindeutig bestimmt. Auch die Art und Weise genügt den Anforderungen von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO.

Will der Tatrichter bei der Abfassung der Urteilsgründe im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf eine bei den Akten befindliche Abbildung verweisen, so hat er dies deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck zu bringen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95, BGHSt 41, 376, 382). Dem hieraus von der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung und der strafrechtlichen Literatur gezogenen Schluss, eine bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten genüge dafür nicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 267 Rn. 8 mwN), kann sich der Senat jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht anschließen. Eine besondere Form schreibt die genannte Vorschrift für die Ver-weisung nicht vor. So wird teilweise auch die Notwendigkeit verneint, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen oder mitzuteilen, die Verweisung geschehe „we-gen der Einzelheiten“ (hierzu OLG Brandenburg, Beschluss vom 8. Dezember 1997 – 1 Ss (OWi) 96B/97, NStZ-RR 1998, 240 mwN). Darüber, ob der Tatrichter deutlich und zweifelsfrei erklärt hat, er wolle die Abbildung zum Bestandteil der Urteilsgründe machen (OLG Brandenburg aaO), ist deshalb stets im Einzelfall unter Heranziehung seiner Darlegungen insgesamt zu entscheiden. Insoweit gilt nichts anderes als für die Feststellungen und Wertungen des Tatrichters im Übrigen, die, um rechtlich Bestand zu haben, ebenfalls die Gebote der Eindeutigkeit und der Bestimmtheit wahren müssen.

Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht dadurch, dass es bei der Nennung und der nachfolgenden inhaltlichen Erörterung der Ablichtung einen Klammerzusatz mit dessen genauer Fundstelle angebracht hat, deutlich und zweifelsfrei erklärt, es wolle die Ablichtung zum Gegenstand der Urteilsgründe machen. Schon nach allgemeiner Lebensanschauung enthält ein unter solchen Umständen hinzugefügter Klammerzusatz die Aufforderung an den Adressaten, nicht nur die Beschreibung des Gegenstands zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich darüber hinaus durch dessen Betrachtung auch einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Wird dergestalt bei der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe verfahren, so drängt sich diese Auslegung in besonderem Maße auf, denn dem Tatrichter kann das Bewusstsein unterstellt werden, dass eine bloße Fundstellenangabe ohne Sinn bliebe.“

Einschätzung: Die Entscheidung schreibt die ständige Rechtsprechung der Obergerichte zur i.S. des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO prozessordnungsgemäßen Bezugnahme fort. Dies wird allein schon daran deutlich, dass der BGH auf die insoweit maßgebliche Grundsatzentscheidung in BGHSt 41, 376 verweist, die gerade zur Täteridentifizierung im Bußgeldverfahren ergangen ist (wegen der Vorgaben und des Standes der Rechtsprechung s. Gübner in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., 2015, Rn 2688 ff.). Aber auch nach dieser Entscheidung des BGH ist (nach wie vor) ein (ausdrücklicher) Verweis auf das Lichtbild erforderlich. Der (bloße) Angabe des Fundortes reicht m.E. nach wie vor nicht aus. Anders ist übrigens m.E. auch die vom BGH zitierte Fundstelle bei Meyer-Goßner/Schmitt nicht zu verstehen.

Gebetsmühle BGH: Immer wieder „wiederholtes Wiedererkennen“ und DNA

entnommen wikimedia.org Urheber Bin im Garten

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Urheber Bin im Garten

Heute ist in NRW und einigen anderen Bundesländern Feiertag – Fronleichnam. Aber da in anderen Bundesländern „normal“ gearbeitet wird, mache ich das volle Programm, und zwar heute mit einem Identifizierungs-/Wiedererkennungstag. Den Auftakt macht der BGH, Beschl. v. 30.03.2016 – 4 StR 102/16, der sich noch einmal mit den Anforderungen an die Urteilsgründe im Fall des wiederholten Wiedererkennens befasst. M.E. an sich auch ein Bereich, den man als große Strafkammer kennen und beherrschen sollte. Ist/war aber am LG Paderborn leider nicht der Fall, wie der BGH, Beschluss beweist.

Das LG hatte den Angeklagten, der sich nicht zur Sache eingelassen hatte, u.a. wegen Raubes verurteilt. Die Verurteilung hat das LG auf folgende Umstände gestützt:

  • Ein Mittäter hatte in der Hauptverhandlung bekundet, er habe bei einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Wahllichtbildvorlage den Angeklagten mit großer Wahrscheinlichkeit als Mittäter identifiziert; bei dieser habe ihm aber der Polizeibeamte mitgeteilt, dass der Angeklagte ohnehin schon von einem anderen identifiziert worden sei.
  • Unter verschiedenen Kleidungsstücken, die die Täter unmittelbar nach Ausführung der Tat abgelegt hatten, konnte eine Baseballkappe mit der Aufschrift „Kärcher“ sichergestellt werden, an der sich DNA-Material befand, das dem Angeklagten zugeordnet werden konnte. Nach dem Ergebnis des kriminaltechnischen Gutachtens kommt das betreffende DNA-Identifizierungsmuster unter mehr als 10 Milliarden nicht blutsverwandten Personen kein zweites Mal vor und konnte daher als individualcharakteristisch bewertet werden.6

Der BGH sieht die Beweiswürdigung des LG in zwei Punkten als lücken-/fehlerhaft an:

„b) Jedenfalls hat die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe nicht erkennbar bedacht, dass es sich bei dem Wiedererkennen des Angeklagten durch die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen vor dem Hintergrund der Einzel- bzw. Wahllichtbildvorlagen im Ermittlungsverfahren um ein wiederholtes Wiedererkennen handelte, dessen Verlässlichkeit wegen der Beeinflussung durch die Situation des ersten Wiedererkennens und der durch diese bedingten Überlagerung des ursprünglichen Erinnerungsbildes deutlich vermindert sein konnte (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. September 2012 – 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 381 mwN). Das Landgericht hätte daher in seine Bewertung, die nach den Urteilsgründen auf einer Gesamtschau der Wie-dererkennungsleistungen beruht, einstellen müssen, dass sich die Zeugen unbewusst an der Einzel- bzw. Wahllichtbildvorlage im Ermittlungsverfahren orientiert haben könnten. Das ist nicht geschehen.

Auch die Ausführungen zu den ausweislich der Urteilsgründe verlesenen DNA-Gutachten genügen den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung nicht.

Der Tatrichter hat in den Fällen, in denen er dem Gutachten eines Sach-verständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung, bei der es sich nicht um ein standardisiertes Verfahren handelt, ist es danach erforderlich, dass der Tatrichter mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und in-wieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben ha-ben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454; vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 217; Beschlüsse vom 25. Fe-bruar 2015 – 4 StR 39/15 und vom 22. Oktober 2014 – 1 StR 364/14, NStZ-RR 2015, 87, 88). Daran fehlt es hier. Die bloße Mitteilung der Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung reicht nicht aus.“

Beides ist nichts Neues, sondern wird vom BGH immer wieder – gebetsmühleartig – wiederholt/ausgeführt. Liest das eigentlich keiner?

Klassischer Fehler XXXI: Nicht nur „Worthülsen“, sondern die „ganze Einlassung“ gehört ins Urteil

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Das ist mal wieder eine Entscheidung, die ich für mich schon in Rubrik „Klassischer Fehler“ einordnen möchte. Nämlich die Frage des Umfang der Ausführungen im tatrichterlichen Urteil zur Beweiswürdigung, wenn der Verurteilung ein Geständnis des Angeklagten zugrunde liegt. Das war in einem beim LG Aachen anhängigen Verfahren wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. der Fall. Das LG hatte die Verurteilung der beiden Angeklagten auf deren Geständnisse gestützt. Zur Beweiswürdigung war in den Urteilsgründen ausgeführt:

„Die Feststellungen zur Sache […] beruhen auf den umfassenden und glaubhaften Geständnissen beider Angeklagten, die durch die in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Beweismittel bestätigt und ergänzt worden sind. Zwischen der Kammer und dem Angeklagten K. sowie der Staatsanwaltschaft ist eine Verständi-gung gemäß § 257 c StPO zustande gekommen. Die Kammer hat keinen Zweifel, dass das von ihm abgelegte umfassende Ge-ständnis zu den ihm noch vorgeworfenen Taten, das durch das übrige Beweisergebnis bestätigt und verifiziert worden ist, der Wahrheit entspricht. Soweit er sich dahin gehend eingelassen hat, dass er nicht als alleiniger Abnehmer des Rauschgifts, sondern in Absprache mit – von ihm nicht benannten Dritten – gehandelt hatte, konnte ihm dies nicht widerlegt werden und ist im Sinne seiner Einlassung ebenfalls in obige Feststellungen zur Sache eingeflossen.

In Bezug auf den Angeklagten V. ist mangels Zustimmung der Staatsanwaltschaft keine Verständigung zustande gekommen […]. Sein gleichwohl zu den ihm noch vorgeworfenen Taten abge-legtes Geständnis war ebenfalls glaubhaft und ist durch die sonstigen Beweisergebnisse bestätigt und verifiziert worden. Auch seine Einlassung zu seiner Rolle bei den Rauschgiftgeschäften konn-te ebenfalls nicht widerlegt werden und ist in diesem Sinne bei den Feststellungen zur Sache zugrunde gelegt worden.“

Liest sich auf den ersten Blick ganz gut, aber sind letztlich ja nicht mehr als Worthülsen, die das LG da aneinander gereiht hat. Der BGH drückt es im BGH, Beschl. v. 29.12.2015 – 2 StR 322/15 – eleganter aus:

„Diese Beweiserwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand, denn sie sind lückenhaft.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich aufgrund des umfassenden Eindrucks der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Kontrolle ist auf die Prüfung beschränkt, ob dem Tatrichter dabei ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder der Tatrichter an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Die Überzeugung des Tatrichters muss darüber hinaus in den Feststellungen und der den Feststellungen zugrunde liegenden Beweiswürdi-gung eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388). Die schriftlichen Urteilsgründe müssen deshalb nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen, ihre rechtliche Würdigung sowie die für die Entscheidung der Straffrage maß-geblichen Erwägungen wiedergeben (vgl. § 267 StPO); der Tatrichter ist außerdem verpflichtet, seine Beweiserwägungen so geschlossen und aus sich heraus verständlich in den schriftlichen Urteilsgründen niederzulegen, dass die Beweiswürdigung einer revisionsgerichtlichen Kontrolle anhand des genannten Maßstabes einer sachlich-rechtlichen Überprüfung zugänglich ist (st. Rspr; Senat, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 2 StR 75/14, juris; Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 StR 222/10; vgl. BGH, Urteil vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 mwN; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15, NStZ-RR 2015, 180).

Die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umfasst auch die Verpflichtung, die Einlassung des Angeklagten jedenfalls in ihrem wesentlichen Inhalt wiederzugeben. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Angeklagte ein Geständnis ablegt (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 2 StR 75/14, juris), denn ein Geständnis enthebt den Tatrichter nicht von seiner Pflicht, dieses einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. Legt der Tatrichter das Ge-ständnis des Angeklagten seinen Feststellungen in vollem Umfange zugrunde, weil er es für glaubhaft erachtet, so ist er zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, es in den Urteilsgründen in allen seinen Einzelheiten zu dokumentieren, um dem Revisionsgericht eine Kontrolle seiner Entscheidung zu ermöglichen. Es kann vielmehr – je nach den Umständen des Einzelfalls – genügen, auf die Feststellungen Bezug zu nehmen. Erforderlich ist außerdem, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegt und begründet, aus welchen Gründen er das Geständnis des Angeklagten für glaubhaft erachtet. Decken sich die Angaben des Angeklagten mit sonstigen Beweisergebnissen und stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses auch auf diese Beweisergebnisse, so ist er zu deren jedenfalls gedrängter Wiedergabe verpflichtet, da anderenfalls eine revisionsgerichtliche Überprüfung seiner Überzeugungsbildung nicht möglich ist. Diese Maßstäbe gelten auch in Fällen, in denen der Angeklagte im Rahmen einer Verfahrensverständigung ein Geständnis ablegt.2

Also mal wieder: Kleiner Grundkurs, der an sich nicht nötig sein sollte. Die Ausführungen gelten übrigens nicht nur für LG-Urteile, sondern auch und gerade für AG-Urteile, die häufig auch an der Stelle fehlerhaft sind.

OLG Stuttgart: (Private) Dashcam-Aufzeichnungen sind auch im OWi-Verfahren verwertbar

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

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Im Moment bringt das OLG Stuttgart Bewegung ins Bußgeldverfahren. Nach dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.04.2016 – 4 Ss 212/16 zur „Handyaufweichung“ 🙂 ? (vgl. dazu Aufweichung beim Handyverbot, wirklich?, oder: Neue „Verteidigungsansätze“?) nun der OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 – 4 Ss 543/15. Der behandelt – soweit ich das sehe: erstmals – die Frage der Verwertbarkeit einer privaten Dashcam-Aufzeichung im Bußgeldverfahren, und zwar als Beweismittel bei der Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes. Ein anderer Verkehrsteilnehmer hatte in seinem Pkw eine Dashcam laufen lassen – aus welchen Gründen auch immer. Die Aufnahme ist dann als Beweismittel gegen den Betroffenen verwendet worden.

Dre umfangreiche Beschluss des OLG enthält m.E. drei Kernaussagen:

  • Die Fertigung der Bildaufzeichnung stellte einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.
  • Ob der Zeuge durch den Betrieb seiner On-Board-Kamera in der von ihm gewählten Betriebsform gegen das datenschutzrechtliche Verbot des § 6b BDSG, nach dem die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur unter bestimmten Umständen zulässig ist, verstoßen hat oder ob sich die Zulässigkeit aus § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ergab, laässt das OLG offen. Die Frage kann es nicht abschließen beurteilen, da das AG „hierzu nicht sämtliche prüfungsrelevanten Tatsachen mitteilt.“ Insbesondere fehlen dem OLGAngaben zu den „Zwecken, die der Zeugen H. mit seiner Videoaufzeichnung verfolgt hat. Es bleibt offen, ob er einen solchen Zweck vorher überhaupt festgelegt hat. Es ist denkbar, dass er die Kamera deshalb verwendet hat, um mögliche Beweismittel bei einem Verkehrsunfall vorlegen zu können und so auch zivilrechtliche Ansprüche zu sichern; möglicherweise war bestimmendes Motiv aber auch, bei einem anderen verkehrsrechtlichen Sachverhalt Verkehrsteilnehmer anzeigen zu können. Da der genaue Zweck offen bleibt, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob er als berechtigtes Interesse i. S. v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG anzuerkennen wäre. Ebenso finden sich keine Feststellungen zur Betriebsform, in der die Kamera genutzt wurde (wurden bei eingeschalteter Zündung permanent Filmaufnahmen gemacht und auf einer SD-Karte gespeichert, bis deren Kapazität erschöpft ist? Wurden die Aufzeichnungen permanent gespeichert? Wer entscheidet bei der verwendeten Kamera, wann und wie welche Sequenzen der Videoaufzeichnung gesichert bzw. längerfristig gespeichert werden, um eventuell ein Überschreiben der Daten zu verhindern?). Auch diese Umstände könnten eventuell für die datenschutzrechtliche Beurteilung relevant sein.“
  • Aber: Selbst wenn eines Verstoß gegen § 6b BDSG vorliegen würde: Ein Beweisverwertungsverbot folgt daraus nicht. Und an der Stelle argumentiert das OLG mit der Rechtsprechung der Obergerichte, insbesondere des BVerfG zur Videomessung (BVerfG, Beschl. v. 20. 05. 2011 — 2 BvR 2072/10, vgl. dazu 3. Reparaturentscheidung (?) aus Karlsruhe – oder: 2 BvR 941/08 und (k)ein (?) Ende) und verneint mit der dortigen Argumentation ein Beweisverwertungsverbot:#
    • Bei der Abwägung ist zunächst zu sehen, dass es hier lediglich um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit und keiner Straftat geht. Die Videoaufzeichnung durch den Zeugen war geeignet, auch in das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer unbestimmten, letztlich vom Zufall abhängigen Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer einzugreifen. Sie wurde vom Betroffenen und allen anderen zufällig aufgezeichneten Verkehrsteilnehmern nach aller Lebenserfahrung nicht wahrgenommen, sondern geschah für sie verdeckt. Eine verdeckte Datenerhebung führt regelmäßig zur Erhöhung der Eingriffsintensität.
    • Andererseits sind die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall (Rotlichtverstoß sehr deutlich über einer Sekunde) zu berücksichtigen. Es handelt sich nicht nur um eine Ordnungswidrigkeit im Verwarnungs- bzw. Bagatellbereich, sondern um eine solche, die bereits der Verordnungsgeber der Bußgeldkatalog-Verordnung nicht nur mit deutlich erhöhter Geldbuße, sondern im Regelfall wegen des groben Fehlverhaltens auch mit einem Fahrverbot sanktioniert sehen möchte. …
    • Die Videoaufzeichnung wurde weder durch den Staat veranlasst, um grundrechtliche Sicherungen planmäßig außer Acht zu lassen, noch wurde ein Privater gezielt mit der Fertigung beauftragt, um Beweise zu erlangen, deren sich der Staat durch die Verkehrsüberwachungsbehörden selbst nicht hätte bedienen dürfen. Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn Privatpersonen wiederholt bzw. dauerhaft aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels „dashcam“-Aufzeichnungen Daten, insbesondere Beweismittel, für staatliche Bußgeldverfahren erheben, sich so zu selbsternannten „Hilfssheriffs“ aufschwingen und die Datenschutz- und Bußgeldbehörden dies dulden bzw. sogar aktiv fördern. Derartiges ist hier allerdings nicht festgestellt. Sollten die Bußgeldbehörden bzw. deren Aufsichtsbehörden einen „Orwellschen Überwachungsstaat“ durch Private befürchten (vgl. hierzu bzw. ähnlichen Überlegungen: LG Memmingen, Urteil vom 14. Januar 2016, 22 0 1983/13, juris; LG Heilbronn, Urteil vom 3. Februar 2015 — 3 S 19/14, NJW-RR 2015, 1019 ff.; AG München, Beschluss vom 13. August 2014 — 345 C 5551/14, ZfSch 2014, 692 ff.; Beschluss der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich, Düsseldorfer Kreis am 25./26. Februar 2014), stünde es ihnen zudem frei, im Rahmen des das Ordnungswidrigkeitenverfahren beherrschenden Opportunitätsgrundsatzes (§ 47 OWiG) ausschließlich auf der Ermittlungstätigkeit von Privaten mittels „dashcam“ beruhende Verfahren nicht weiter zu verfolgen. Die Bußgeldbehörden werden ihrerseits bereits bei Einleitung von Verfahren die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen und dabei auch die erforderlichen Abwägungen im Hinblick auf Bedeutung und Gewicht der angezeigten Ordnungswidrigkeit vorzunehmen haben.“

Verschmähte Liebe“ als Belastungsmotiv?

© Dan Race Fotolia .com

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In einem Verfahren wegen Vergewaltigung u.a. ging es um die Frage, ob ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat oder nicht und ob er den in beiden angeklagten Fällen einvernehmlich erfolgte oder aber mit Gewalt vom Angeklagten erzwungen wurde. Im Verfahren stand dazu Aussage gegen Aussage. Es gab aber konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs der an einer Borderlinestörung erkrankten Geschädigten. Das LG hatte seine Überzeugung vom Tathergang, soweit er von der Einlassung des Angeklagten abwich, und insbesondere davon, dass es in beiden Fällen zu nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen ist, im Wesentlichen auf die Angaben der an einer Borderlinestörung erkrankten Geschädigten/Nebenklägerin gestützt. Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hatte die Strafkammer einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzugezogen. Und mit dem von diesem eingeholten Gutachten hatte sich das LG nach Auffassung des BGH im BGH, Beschl. v. 25.02.2016 – 2 StR 308/15 nicht ausreichend auseinander gesetzt:

Die Strafkammer ist den Aussagen des Sachverständigen „gefolgt“ und hat es – nach einer kursorischen eigenen Würdigung – im Ergebnis für ausgeschlossen erachtet, dass die Nebenklägerin das „tatsächliche Geschehen falsch berichtet“ habe.

„b) Es fehlt die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Würdigung der Aussage der Nebenklägerin. Zwar lässt sich – worauf auch der Sachverständige hingewiesen hat – aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage schließen (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 175). Warum die Unwahrhypothese hier letztlich überwunden werden konnte, erschließt sich jedoch nicht und lässt durchgreifende Erörterungs- und Darstellungsmängel erkennen.

Schon die Annahme, es handele sich nur um ein „hypothetisches“ Falschbelastungsmotiv geht darüber hinweg, dass die Nebenklägerin, die an einer Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp leidet, nach den Feststellungen „nicht ausschließbar“ eine Liebesbeziehung mit dem Angeklagten erhofft hatte und auf den sexuellen Kontakt zum Angeklagten Wert legte. Die vor diesem Hintergrund nahe liegende Hypothese einer verschmähten Liebe als konkretes Motiv wird indes weder näher konkretisiert noch fallbezogen überprüft. Der Tatrichter ist jedoch bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines  Falschbelastungsmotivs gehalten, diese naheliegende Möglichkeit zu prüfen (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. März 2003 – 1 StR 524/02, NStZ-RR 2003, 206, 208).

Auch soweit der Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer im Rahmen einer Gesamtbewertung den Umständen, „die (theoretisch) für eine Falschbelastung“ sprechen können, vor allem im Hinblick auf Qualität und Kon-stanz der Aussage der Geschädigten kein durchschlagendes Gewicht zumessen, zeigen sich Erörterungsmängel. Es wurde ersichtlich nicht bedacht, dass gerade dann, wenn die Vorwürfe im Rahmen einer bestehenden sexuellen Beziehung zwischen Täter und Opfer erhoben werden, bei der emotionale Erlebnisse und neutrales Randgeschehen ohne weiteres aus neutralen Erlebnis-wahrnehmungen generierbar sind, vorhandene Realkennzeichen, die sonst auf eine erlebnisfundierte Schilderung hindeuten, im konkreten Fall wenig aussagekräftig insbesondere dafür sein können, ob ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr bestanden haben kann.

Aber auch soweit auf die Konstanz der Aussage abgestellt wird, bleibt offen, weshalb die allein im Hinblick auf das Kerngeschehen der Vergewaltigungen bestehende Konstanz maßgeblich mit zur Widerlegung der Unwahrhypothese beitragen kann. Der bloße Hinweis des Sachverständigen, dass die in zentralen und peripheren Angaben bestehenden Abweichungen für die Ge-schädigte „nicht alle wichtig“ waren, kann dies schon deshalb nicht auflösen, da an anderer Stelle auch darauf hingewiesen wird, dass die Nebenklägerin insbe-sondere zu ihrem Interesse an dem Angeklagten und ihren Kontakten zu ihm widersprüchlich berichtet habe und auch in ihrer Selbstpräsentation Abwei-chungen festzustellen seien. Überhaupt konnte der Sachverständige im Hinblick auf die teilweise inkonstanten Schilderungen der Nebenklägerin zu den Begleitumständen der Taten und der Art ihrer Beziehung zum Angeklagten im Ergebnis nur eine „abgestufte Konstanz“ feststellen (UA. S. 31).

Letztlich wäre der Tatrichter unter diesen Umständen auch gehalten gewesen, in den Urteilsgründen im Zusammenhang darzustellen, was die Nebenklägerin bei früheren Vernehmungen, beim Sachverständigen und in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung, insbesondere der Aussagekonstanz, zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 – 2 StR 258/07, StV 2008, 237; Beschluss vom 2. Dezember 2014 – 4 StR 381/14, NStZ-RR 2015, 82, 83). Die nur fragmentarische Erwähnung einzelner vom Sachverständigen in Bezug genommener Angaben der Geschädigten, wobei ihre Aussage in der Hauptverhandlung nahezu vollständig ausgeblendet wird, lässt dies nicht zu.“