Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

OWI II: Fahreridentifizierung, oder: Verlesung der Datenzeile ist keine Inaugenscheinnahme des Fotos

Bei der zweiten OWi-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2020 – III – 5 RBs 63/20. Er „behandelt“  die Verlesung der sog. Datenzeile eines Messfotos und grenzt die von die Inaugenscheinnahme eines Messfotos ab.

Das AG hat den Betroffenenwegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt. Dabei hat es sich wegen der Fahrereigenschaft des Betroffenen auf das Messfoto bezogen. Gegen die Verurteilung die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der mit der Verfahrensrüge geltend gemacht wird, das AG habe sich bei der Urteilsfindung auf ein Lichtbild, nämlich das Messfoto, gestützt, das nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei. Also: Inbegriffsrüge nach § 261 StPO i.V.m. §§ 249 ff. StPO, 77, 77a, 78 OWiG. Die Rüge hat Erfolg:

„Die entsprechenden Rügetatsachen (Nichtinaugenscheinnahme des in den Urteilsgründen in Bezug genommenen Lichtbildes BI. 4 d.A.) sind durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen. Bei der Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 273 Rn. 7 m. w. N.), so dass der Nachweis hierüber – bzw. über ihr Fehlen – durch das Hauptverhandlungsprotokoll geführt werden kann.

Schweigt das Hauptverhandlungsprotokoll über die Inaugenscheinnahme – wie vorliegend -, so gilt diese als nicht erfolgt.

Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde lediglich das Datenfeld des Messfotos BI. 4 d. A. durch Bekanntgabe seines wesentlichen Inhalts gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 OWiG zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 04.02.2020 hierzu unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Zweibrücken (Beschluss vom 28.02.2018 — 1 Owi 2 Ss Bs 106/17) die Ansicht vertritt, dass die Verlesung der Datenzeile die Inaugenscheinnahme des Messfotos ebenso umfassen müsse, wie die Inaugenscheinnahme des Messfotos die Einführung der Datenzeile -in die Hauptverhandlung beinhalte, kann dem nicht gefolgt werden. Das OLG Zweibrücken führt in der zitierten Entscheidung lediglich zutreffend und in Anschluss an die Rechtsprechung des BGH aus, dass, wenn sich ausnahmsweise der gedankliche Inhalt einer Urkunde auf einen Blick erfassen lässt, deren Inaugenscheinnahme auch deren Inhalt zum Gegenstand der Hauptverhandlung macht. Erschließt sich der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten der Urkunde bei der Inaugenscheinnahme, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist dieser mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.02.2018 — 1 Owi 2 Ss Bs 106/17 = BeckRS 2018, 3367, beck-online). Umgekehrt kann dies jedoch nicht gelten. Während der Inhalt von Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 StPO durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird, d.h. durch unmittelbares Umsetzen von Schrift- und Zahlenzeiehenin Worte (bzw. in Gedanken in der Ersatzform des Selbstlesens nach § 249 Abs. 2 S. 1 StPO), erfolgt der Augenschein durch sinnliche Wahrnehmung, nämlich Sehen, Hören, Schmecken, Riechen oder Befühlen (vgl. zur Abgrenzung BayObLG, Beschluss vom 06.03.2002 ­1 ObOWi 41/02 = NZV 2002, 379, beck-online). Durch das Erfordernis des Verlesens einer Urkunde in der Hauptverhandlung kommt zum Ausdruck, dass es nicht auf den optischen Eindruck des Schrift- bzw. Ziffernträgers ankommt sondern auf dessen gedanklichen Inhalt, der den Verfahrensbeteiligten durch Verlesung zur Kenntnis gebracht werden soll. Käme es im Einzelfall doch auf den optischen Eindruck an, müsste der Schriftträger zum Gegenstand der Inaugenscheinnahme gemacht werden (BayObLG a.o.a.O.). Die optische Wahrnehmung des den Fahrer zeigenden Lichtbildes, kann — jedenfalls zum Zwecke der Identifizierung des Fahrers — nicht durch die bloße Bekanntgabe durch die Vorsitzende ersetzt werden. Der optische Gesamteindruck muss — anders als die Datenzeile im Rahmen der Inaugenscheinnahme des Gesamtbildes — nicht im Rahmen der Mitteilung der Datenzeile durch die Vorsitzende von den Verfahrensbeteiligten zwingend mit erfasst werden.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil auch. Denn das Amtsgericht hat ausdrücklich das Messfoto BI. 4 d. A. zum Beweis der Fahrereigenschaft des Betroffenen zum Tatzeitpunkt herangezogen. Dieses Bild ist auch nicht identisch mit dem Bild auf Bl. 3 d. A., was der Senat aufgrund der zulässig erfolgten Bezugnahme auf beide Bilder in den Urteilsgründen nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO, vgl. BI. 5 des Urteils, 3. Abs. am Ende, selbst beurteilen kann. Auf den Bildern im Fallprotokoll, welches in Augenschein genommen wurde, wurden nämlich die Gesichter der Beifahrer durch ein weißes Rechteck unkenntlich gemacht. Auf die fehlende Ähnlichkeit der Beifahrer mit dem Betroffenen hat das Amtsgericht in seinen Ausführungen zu dessen Fahrereigenschaft jedoch ausdrücklich Bezug genommen. Das Amtsgericht hat sich seine Überzeugung daher nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gebildet, so dass das angefochtene Urteil der Aufhebung unterliegt.“

Und: Auf ein Neues 🙂 .

OWi I: Qualifizierter Rotlichtverstoß, oder: Tatsächliche Feststellungen und Beweiswürdigung

© sablin – Fotolia.com

So, bevor mir wieder andere Entscheidungen dazwischen kommen: Heute starte ich in die nachösterliche Zeit mit drei OWi-Entscheidungen. Wird auch mal wieder Zeit.

Und den Reigen eröffnet der OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.02.2020 – 1 Ss-OWi 1508/19, der zu den Anforderungen an tatsächlichen Feststellungen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß äußert. Das AG hatte verurteilt, das OLG hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen bzw. einer fehlerhaften Beweiswürdigung auf:

„1. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht. Sie sind lückenhaft und ermöglichen keine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht.

a) In Massenverfahren wie den Bußgeldsachen sind an die Feststellungen des Urteils nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen (OLG Bamberg, Beschl. v. 1.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 71 Rn. 106b). Die Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe sind dennoch mit denen des Strafverfahrens zu vergleichen, da auch im Bußgeldverfahren dem Rechtsbeschwerdegericht nur das Urteil und nicht der gesamte Akteninhalt als Prüfungsgrundlage zur Verfügung steht. Aus diesem heraus muss sich die Überprüfbarkeit auf sachlich-rechtliche Mängel für das Rechtsbeschwerdegericht ergeben. Maßstab der Überprüfung ist damit§ 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 1 StPO. Die den Tatbestand erfüllenden Tatsachen müssen danach jedenfalls in dem Umfang angegeben werden, dass eine Prüfung des Rechtsmittelgerichts auf die Klarheit, Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Freiheit von Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze ermöglicht wird (KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 120).

b) Eine solche lückenlose Darstellung der Feststellungen in den Urteilsgründen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß erfordert die Wiedergabe der näheren Umstände des Verstoßes. Die Feststellungen müssen die Unterscheidung treffen, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattfand, da sich daran orientiert, ob weitere Ausführungen zu den örtlichen Gegebenheiten zu machen sind. Bei einem innerörtlichen Verstoß darf das Gericht von Ausführungen zu der Dauer der Gelbphase und der zulässigen Höchstgeschwindigkeit absehen. Bei einem Verstoß außerorts hingegen, muss neben diesen Angaben auch die Entfernung des Betroffenen vom durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich angegeben werden, da der Betroffene nur verurteilt werden kann, wenn er die Möglichkeit des Anhaltens vor der Lichtzeichenanlage hatte (OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2010 – III-4 RBs 374/10; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2014 – 3 Ss OWi 228/14; Freymann/Wellner/Wern, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 37 StVO Rn. 93).

c) Gemessen hieran sind die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft. Insbesondere sind keine Angaben zur Dauer der Gelbphase, der Geschwindigkeit des Betroffenen und dem Abstand seines Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage vorhanden. Die bloße Feststellung, dass es dem Betroffenen möglich gewesen wäre, die Verkehrsordnungswidrigkeit zu vermeiden, lässt sich aufgrund dieser fehlenden Informationen zu den weiteren Umständen der Verkehrssituation nicht durch das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfen. Zudem kann den Feststellungen des Amtsgerichts nicht eindeutig entnommen werden, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattgefunden hat, mithin also letztlich offenbleiben muss, welche Anforderungen die Urteilsfeststellungen unterliegen.

2. Neben den Feststellungen ermöglicht auch die Beweiswürdigung nicht die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, da sie ebenfalls lückenhaft ist.

a) Die Beweiswürdigung ist nach § 46 1 OWiG, § 261 StPO die Aufgabe des Tatrichters und durch das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt zu überprüfen. Die Beweiswürdigung muss sich allerdings innerhalb der Gesetze der Logik und der allgemeinen Erfahrungssätze halten und in sich widerspruchslos und lückenlos sein (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 204; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 125). Die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen muss dem Rechtsbeschwerdegericht diese Überprüfung ermöglichen (statt Vieler BGH, Beschl. v. 25. 9. 2012 – 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 381).

b) Nach diesen Maßstäben weist das Urteil des Amtsgerichts in Bezug auf die Beweisgrundlage für die Annahme der Nettorotlichtzeit, die für einen qualifizierten Rotlichtverstoß erforderlich ist, einen weiteren Darstellungsmangel auf. Das Amtsgericht stützt in nicht hinreichender Weise die Annahme eines qualifizierten Verstoßes von 1,5 Sekunden auf Lichtbilder der Akte und die Aussage des Zeugen pp.

c) Der bloße Hinweis auf die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder Bl. 13 und Bl. 14 der Akte in der Hauptverhandlung ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der § 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erfüllen. Danach ist die Bezugnahme für Abbildungen auf Bestandteile der Akte gestattet, um auf Einzelheiten und Details der Bezugsobjekte nicht weiter eingehen zu müssen. Mit der Ausführung, dass eine Inaugenscheinnahme der Lichtbilder stattgefunden hat, wird hingegen nur der Beweiserhebungsvorgang wiedergegeben, der für sich genommen ohne Aussagekraft ist (OLG Hamm, Besch. v. 19.5.1998 – 2 Ss OWi 553/98). Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Abbildungen darf nicht wie hier unerwähnt bleiben, da eine Überprüfung des Aussagegehalts der in Augenschein genommenen Lichtbilder durch das Rechtsbeschwerdegericht dann nicht möglich ist (Jahn/Brodowski, FS Rengier, 2018, S. 409, 416 f.; KK-StPO/Kuckein/Bartel aaO., § 267 Rn. 19).

d) Auch die Darstellung der Zeugenaussage des Zeugen … erfüllt nicht die an die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen nach § 46 1 OWiG § 261, § 267 StPO gestellten Anforderungen. Die nach § 261 StPO vorzunehmende Gesamtwürdigung der Beweismittel fordert vom Tatrichter zwar nicht, alle Einzelheiten darzulegen, wie er zu den Feststellungen gelangt ist (BGH, Beschl. v. 17.2.2009 – 3 StR 490/08, NStZ 2009, 403). Einer Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist die Beweiswürdigung aber nur dann zugänglich, wenn nicht nur der bloße Inhalt von Zeugenaussagen angegeben wird, sondern auch eine eigene Auseinandersetzung des Tatrichters mit dieser Beweisgrundlage (BGH, Beschl. v. 15.1.1.1984 – 4 StR 675/84, NStZ 1985, 184; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 126). Andernfalls liegt nur eine Beweisdokumentation vor und keine Beweiswürdigung (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 267 Rn. 12).

Das amtsgerichtliche Urteil gibt lediglich die Aussage des Zeugen pp. als Ergebnismitteilung wieder, ohne dass eine für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Inhalt vollzogen wird. Die Fragen der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen bleiben offen.“

Beweiswürdigung und Verständigung mit Mitangeklagten, oder: Man muss Inhalt und Zustandekommen der Absprache kennen

© FotolEdhar Fotolia.com

Und als zweites Posting des Tages dann etwas vom BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 29.01.2020 – 1 StR 471/19. Thematik: Beweiswürdigung in den Fällen, in denen eine Verständigung eine Rolle spielen kann:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten der Angeklagte und die Mitangeklagten vereinbart, dem Geschädigten P. im Jugendtreff “ “ in N. bei einem Betäubungsmittelgeschäft über 150 g Marihuana die Betäu- bungsmittel ohne Bezahlung und zudem das von P. üblicherweise in einer Bauchtasche mitgeführte Bargeld wegzunehmen. Im Rahmen der Tatausführung zogen sowohl der Angeklagte als auch der Mitangeklagte C. jeweils ein Messer mit einer Klingenlänge von mindestens 9 cm, um den Tatplan umzusetzen. Nachdem sie P. gewaltsam festgehalten hatten und dabei auch in den Besitz der Bauchtasche mit 700 Euro Bargeld gelangt waren, ergriffen sie – der Angeklagte W. mit der Bauchtasche, der Mitangeklagte C. mit den 150 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 5 % THC – die Flucht. Der Mitangeklagte T. half durch seine Anwesenheit, die Drohwirkung des Auftretens des Mitangeklagten C. und des Angeklagten gegenüber der Gruppe um P. zu ver- stärken.

Nachdem gegen P. und die von ihm benannten Zeugen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren, machten sowohl P. als auch die zum Tathergang vernommenen Zeugen überwiegend von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch. Vom Tatgeschehen hat sich das Landgericht im Wesentlichen auf der Grundlage der insoweit deckungsgleichen Geständnisse der Mitangeklagten C. , T. und B. überzeugt. Im Hinblick auf deren Angaben hält das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er sei zwar am Tatort anwesend gewesen, habe aber weder selbst ein Messer mit sich geführt noch vom Messer des C. gewusst, für widerlegt. Dem Urteil lag eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO mit den Mitangeklagten C. , T. und B. zugrunde, deren Inhalt in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt wird (UA S. 4).

2. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg; die seinen Tatbeitrag betreffende Beweiswürdigung ist lückenhaft und hält deshalb sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Sofern Inhalt und Begleitumstände einer Verständigung – wie etwa bei einer Verständigung mit einem Mitangeklagten – für die Beweiswürdigung relevant sein können, ergibt sich die Notwendigkeit einer Berücksichtigung in der Hauptverhandlung stattgefundener Verständigungsgespräche bereits aus § 261 StPO (BGH, Beschluss vom 6. März 2013 – 5 StR 423/12, BGHSt 58, 184 Rn. 14). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss deshalb bei der Verurteilung eines Angeklagten aufgrund von Geständnissen der Mitangeklagten, die Gegenstand einer verfahrensbeendenden Absprache waren, die Glaubhaftigkeit der Geständnisse in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise gewürdigt werden. Dazu gehört insbesondere die Erörterung des Zustandekommens und des Inhalts der Absprache. Nur bei einer Darlegung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Geständnisses und des Inhalts der Absprache in den Urteilsgründen ist es dem Revisionsgericht möglich, die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben durch den Tatrichter auf Rechtsfehler zu überprüfen, insbesondere ob dem Tatrichter bewusst war, dass sich der geständige Angeklagte durch ein Nichtgeständige zu Unrecht belastendes Geständnis möglicherweise lediglich eigene Vorteile verschaffen wollte (BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2003 – 1 StR 464/02 Rn. 19, BGHSt 48, 161, 168; vom 8. Dezember 2005 – 4 StR 198/05 Rn. 50; vom 6. November 2007 – 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78 Rn. 19; vom 6. März 2013 – 5 StR 423/12, BGHSt 58, 184 Rn. 14 f.).

b) Da das angefochtene Urteil lediglich den Umstand einer mit den Mitangeklagten getroffenen Verständigung im Sinne von § 257c StPO nennt, aber weder etwas vom Inhalt der Absprache mit den Mitangeklagten noch zu ihrem Zustandekommen mitteilt (UA S. 4), genügt die Beweiswürdigung den genannten Darlegungsanforderungen nicht und ist daher lückenhaft. Einer näheren Darlegung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Geständnisse hätte es schon deshalb bedurft, weil die Geständnisse der Mitangeklagten nur im Kerngeschehen übereinstimmend waren, insbesondere hinsichtlich der Verteilung der Beute jedoch voneinander abwichen (UA S. 15 f.).

Soweit die Revision beanstandet, der sich nicht aus den Urteilsgründen ergebende Umstand, dass die Verständigung mit den Mitangeklagten für den Fall eines Geständnisses jeweils Jugendstrafen mit Strafaussetzung zur Bewährung beinhaltete, sei im Rahmen der Beweiswürdigung nicht erörtert worden, liegt darin eine verfahrensrechtlich zulässig gerügte Verletzung des § 261 StPO in Form einer Inbegriffsrüge (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 6. März 2013 – 5 StR 423/12, BGHSt 58, 184 Rn. 14 f.), die aus den genannten Gründen ebenfalls durchgreifen würde.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil zum Nachteil des Angeklagten auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Zwar hat der Angeklagte hinsichtlich seiner Tatbeteiligung ein Teilgeständnis abgelegt. Jedoch hat das Landgericht die Überzeugung von der Verwendung eines Messers durch den Angeklagten, die dieser in Abrede gestellt hat, im Wesentlichen auf die Angaben der Mitangeklagten gestützt. Sowohl den Schuldspruch des besonders schweren Raubes (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) als auch denjenigen des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) hat das Landgericht mit dem Messereinsatz des Angeklagten begründet. Soweit das Landgericht seine Überzeugung von der Verwendung eines Messers ergänzend auch auf die Angaben des Geschädigten P. bei seiner Anzeigeerstat- tung gestützt hat, kann dies ein Beruhen des Urteils auf der lückenhaften Beweiswürdigung nicht ausschließen. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts hatte P. , der in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch machte, bei der Anzeigeerstattung den Sachverhalt teilweise falsch dargestellt und – um sein eigenes Betäubungsmitteldelikt zu verschleiern – zudem verheimlicht, dass die Täter von ihm auch Drogen erbeutet hatten (UA S. 3 f.).

StGB I: Bedingter Vorsatz bei der Geldwäsche, oder: Anwerbung als Finanzagent über das Internet

© fotomek – Fotolia.de

So, heute dann drei Entscheidungen zum materiellen Recht.

Zunächst ein Beschluss des KG, und zwar das KG, Urt. v. 26.09.2019 – (2) 121 Ss 11/19 (18/19). Das ist schon etwas älter, was dem Umstand geschuldet ist, dass das KG ja – gelinde ausgedrückt – Internet-Probleme hatte.

In der Entscheidung nimmt das KG zum bedingter Vorsatz bei der Geldwäsche (§ 261 Abs. 1, 2 StGB) Stellung und meint: Hat ein Angeklagter angesichts der Gesamtumstände erkannt, dass die Geldbeträge illegaler Herkunft sind, begründen diese Feststellungen ein wesentliches Indiz dafür, dass der Angeklagte auch willentlich gehandelt hat:

„Für die Tathandlungen des § 261 Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist Vorsatz notwendig, wobei bedingter Vorsatz grundsätzlich genügt. Das „billigende in Kauf nehmen“ muss sich auf die Tatbestandsmerkmale beziehen; dass also der Gegenstand aus einer geeigneten Vortat herrührt und beispielsweise die Ermittlung seiner Herkunft vereitelt wird. Im Rahmen des § 261 Abs. 2 StGB muss der Täter die illegale Herkunft des Gegenstandes zum Zeitpunkt seines Erlangens gekannt haben. Die Strafbarkeit des Verwahrens oder Verwendens ist dadurch im Ergebnis eingeschränkt. Der Täter braucht die Vortat in ihrer rechtlichen Bewertung indes nicht als Verbrechen einzuordnen; es genügt, wenn er die Umstände kennt oder von solchen Umständen ausgeht, die eine geeignete Vortat ausmachen (vgl. Schmidt/Krause in Leipziger Kommentar, 12. Aufl. § 261 Rn. 36).

In Abgrenzung zum bedingten Vorsatz wird für die Annahme bewusster Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit iSd. § 261 Abs. 5 StGB verlangt, dass der Täter bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem er den Gegenstand erlangt, lediglich aus Leichtfertigkeit keine Kenntnis von seiner Herkunft hat und dieser Leichtfertigkeitsvorwurf nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt zu begründen ist (vgl. Schmidt/Krause, aaO Rn. 40). Nach den überzeugenden Ausführungen der Kammer ist das hier der Fall.

Nachvollziehbar erörtert sie zunächst, dass sich den Angeklagten aufgrund der näheren Umstände die illegale Herkunft des Geldes quasi aufgedrängt habe. Dafür spricht, dass der Finanzagent über das Internet ohne konkreten Anlass angeworben und ihm von Unbekannten ein hoher Geldbetrag anvertraut wird, bei dem Transfer ist kein Grund für den Umweg über den Finanzagenten ersichtlich, es winkt eine unverhältnismäßig hohe Bezahlung für eine geringfügige Leistung und das Phänomen des Finanzagenten sei in der Öffentlichkeit inzwischen bekannt. Anhand von konkreten, sich aus den Tatumständen ergebenden Anhaltspunkten erläutert die Kammer sodann, dass für die Angeklagten, die über zehn Jahre im Finanzdienstleistungssektor tätig und mit Geldangelegenheiten umfänglich vertraut gewesen seien, ersichtlich gewesen sei, dass die offerierte Provision von 20% gemessen an dem erforderlichen Aufwand überzogen hoch war. Zudem hätten die Angeklagten Bedenken an der Redlichkeit des Unternehmens gezeigt und bezüglich der Finanztrade LTD im Internet recherchiert, doch keine Homepage und auch keine Kontaktdaten gefunden. Dass Kontaktpersonen sie mehrfach anlasslos auf die Legalität der Zusammenarbeit hingewiesen hätten, sei ein weiteres Anzeichen für ein illegales Geschäft gewesen.

Damit ist nicht nur das für den Vorsatz erforderliche Wissenselement rechtfehlerfrei belegt. Vielmehr bilden die getroffenen Feststellungen auch eine ausreichende Grundlage für den von der Strafkammer gezogenen Schluss, die Angeklagten hätten auch willentlich gehandelt. Die von den Angeklagten vorgebrachten Einwände vermögen die Würdigung der Kammer nicht zu erschüttern. Aufgrund der vorgenannten Erwägungen dringt die Behauptung, sie hätten ihre Tätigkeit in dem festen Glauben und der festen Überzeugung aufgenommen, es handele sich um ein legales Geschäftsgebaren, und angesichts der vorherigen Recherchen auch davon überzeugt sein können, nicht durch. Die Begründung der Kammer, dass die genannten Gesamtumstände die Angeklagten erkennen ließen, dass es sich um illegale Tätigkeiten und eine illegale Herkunft der Gelder handelte, ist rechtsfehlerfrei. Anhaltspunkte dafür, dennoch ernsthaft auf ein legales Geschäft vertrauen zu können, lagen hingegen nicht vor. Indem sie zwar möglicherweise darauf hofften oder sich anschließend keine weiteren Gedanken machten und nicht weiter damit beschäftigten, in ihrer anfänglichen Kenntnis der eine geeignete Vortat ausmachenden Umstände jedoch dennoch weiterhandelten, fanden sie sich damit ab und nahmen eine illegale Herkunft der Gelder sowie den Taterfolg billigend in Kauf.“

Beweiswürdigung III: Aussage-gegen-Aussage-Problematik, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v.  25.11.2019 – (1) 53 Ss 104-19 (72-19) – von einem OLG, das in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung zur Aussage-gegen-Aussage-Problematik Stellung genommen hat.

Das AG hatte den Angeklagten freigesprochen, das LG hatte ihn verurteilt. Das OLG hat wegen Fehler in der Beweiswürdigung aufgehoben:

Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 261 StPO). Sie ist lückenhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2012 – 4 StR 305/12 -).

Da der Angeklagte nach der Urteilsdarstellung umfassend von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat und außer der Aussage der Zeugin T. gegen den Angeklagten keine weiteren belastenden Indizien für das Tatgeschehen sprechen, sind die Darstellungsvoraussetzungen, wie sie von der Rechtsprechung für eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation entwickelt wurden, zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss vom 02. September 2015 – 2 StR 101/15 -; BGH NStZ-RR 2016, 87; Beschluss vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98 -; BGHR StPO 261 Beweiswürdigung 15; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4 Ss 32/16 -). Die Entscheidung hängt also allein davon ab, ob das Tatgericht der einzigen Belastungszeugin glaubt. Der Tatrichter muss daher im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegungen einbeziehen, insbesondere ist die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer sorgfältigen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BGH a.a.O.). Grundsätzlich ist in Aussage-gegen-Aussage-Fällen davon auszugehen, dass die Aussage des Belastungszeugen unwahr ist. Erst wenn die weitere Prüfung ergibt, dass die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, wird sie verworfen und es gilt dann die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage des Zeugen handelt. Im Vordergrund stehen grundsätzlich die sich auf die Qualität einer Aussage beziehende Inhaltsanalyse anhand der Realkennzeichen und die Konstanzanalyse, die der Beurteilung des Aussageverhaltens einer Person insgesamt dient und sich auf aussageübergreifende Qualitätsmerkmale bezieht, die sich aus dem Vergleich von Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergeben.

Das so gefundene Ergebnis gewinnt aber erst Bedeutung unter Berücksichtigung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Aussage. Zu diesem Zweck sind vor allem die Angaben der Personen, denen gegenüber sich das mögliche Tatopfer zu den Tatvorwürfen geäußert hat, zu berücksichtigen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30.05.2000 – 1 StR 582/99 -; BGH NStZ 2011, 45; zu den Grundprinzipien der Glaubhaftigkeitsüberprüfung vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98 -; BGHSt 45, 164; Maul StraFo 2000, 257 ff.; BGH NStZ-RR 2014, 219).

Von Relevanz ist insbesondere, ob der Zeuge aus freien Stücken ausgesagt hat oder durch Dritte oder besondere Umstände hierzu gedrängt wurde. Auch muss sich aus dem Urteil ergeben, was der Zeuge bei früheren Vernehmungen zum Tatvorwurf bekundet hat. Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der Entscheidung nur dann möglich, wenn die Aussage des einzigen Belastungszeugen insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiedergegeben und erörtert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2012 – 5 StR 63/12 -; StV 2013, 7; StV 2014, 723). Dies gilt auch für die entscheidenden Teile früherer Aussagen (vgl. BGH, NStZ-RR 2015, 120; NStZ-RR 2015, 52; NStZ-RR 2016, 87).

Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht ausreichend gerecht. Zwar teilt das Urteil mit, wie die Aussage der einzigen Belastungszeugin T. zustande kam und was sie vor der Kammer ausgesagt hat.

Indes fehlt es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Geschädigten bei der Polizei und vor dem Amtsgericht. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen – wie hier – nur die Aussage einer Belastungszeugin zur Verfügung steht, muss aber der mit dem Tatvorwurf zusammenhängende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).

Zwar stellt das Landgericht die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung dar; die Darstellung ihrer Aussage bei der Polizei beschränkt sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Hinsichtlich der Aussage der Zeugin vor dem Amtsgericht beschränkt sich die Darstellung im Urteil nur darauf mitzuteilen, dass sich die Bekundungen der Zeugin vor dem Amtsgericht nicht von denen vor der Berufungskammer unterscheiden.

Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Geschädigten zum Kerngeschehen vorgenommen und eventuelle Abweichungen zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – 4 StR 526/96, NStZ-RR 1997, 172). Mit der Urteilsdarstellung ist nämlich nicht festgestellt, dass zwischen den Aussagen keinerlei Differenzen bestehen.

Schließlich versäumt das Urteil auch darzustellen, was die Geschädigte ihrem Freund und dem Zeugen F. gegenüber von dem Vorfall berichtet hat.“