Archiv der Kategorie: Straßenverkehrsrecht

OWi III: „Schild war für den Fahrer nicht erkennbar“, oder: Das hilft bei der Halterhaftung nicht.

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Und als dritte Entscheidung dann die angekündigte AG-Entscheidung, und zwar der AG Maulbronn, Beschl. v. 01.02.2024 – 4 OWi 135/23. Er behandelt eine in Zusammenhang mit § 25a StVG – Stichwort: Halterhaftung – stehende Frage.

Die Bußgeldbehörde hat dem Antragsteller als Halter einer Fahrzeugs gem. § 25a Abs. 1 StVG die Kosten eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens wegen eines mit diesem Fahrzeug am 20.01.2023 begangenen Parkverstoßes auferlegt, und zwar eine Gebühr von 20,00 EUR und Auslagen in Höhe von 3,50 EUR auf. Dagegen legt der Halter Antrag auf gerichtliche Entscheidung ein, der keinen Erfolg hatte:

„Gemäß § 25a Abs. 1 StVG werden dem Halter eines Kraftfahrzeugs die Kosten eines Bußgeldverfahrens wegen eines Parkverstoßes auferlegt, wenn der für den Verstoß verantwortliche Führer des Fahrzeugs vor Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht ermittelt werden kann oder seine Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordern würde. Dabei ist auch im Rahmen der Kostenfrage nach § 25a StVG Voraussetzung, dass objektiv ein Parkverstoß begangen wurde (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, StVG § 25a Rn. 20; Hentschel/König/Dauer/König, 47. Aufl. 2023, StVG § 25a Rn. 3, 5; jeweils m.w.N.). Bei einem mittels Verkehrszeichen eingerichteten Halte- oder Parkverbots erfordert dies, dass die entsprechenden Zeichen tatsächlich vorhanden und objektiv auch erkennbar waren. Dagegen können subjektive Aspekte, also etwa Fragen der Erkennbarkeit für einen konkreten Fahrer oder etwaige dessen Verantwortlichkeit ausschließende Aspekte naturgemäß keine Rolle spielen, weil dieser – als weitere Bedingung der Kostenauferlegung nach § 25a Abs. 1 StVG – ja gerade nicht bekannt ist.

Die genannten Voraussetzungen für die Kostenauferlegung sind hier erfüllt. Das Fahrzeug der Marke VW mit dem amtlichen Kennzeichen pp. war am 20.01.2023 gegen 09:56 Uhr in K. in der S-Straße auf Höhe der Hausnummer 5 ohne vorgeschriebene Parkscheibe geparkt. Das Erfordernis der Parkscheibe ergab sich aus dem Umstand, dass dort eine mittels der Verkehrszeichen 314.1 und 318 kenntlich gemachte Parkraumbewirtschaftungszone eingerichtet war. Die Verkehrszeichen waren ausweislich der vorliegenden Lichtbilder auch objektiv ohne Weiteres erkennbar. Der Antragsteller war zum damaligen Zeitpunkt Halter des Fahrzeugs. Der verantwortliche Fahrer konnte nicht ermittelt werden, weil dieser vom Antragsteller nicht benannt wurde und keine sonstigen erfolgversprechenden Möglichkeiten bestanden, diesen zu ermitteln. Verfolgungsverjährung ist spätestens am 24.04.2023 eingetreten.

Da somit die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 StVG vorlagen, waren durch die Bußgeldbehörde dem Antragsteller als Halter des Fahrzeugs die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Ein Ermessensspielraum, der es der Behörde ermöglicht hätte, hiervon abzusehen, besteht nicht. Die erhobenen Kosten sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist daher zurückzuweisen.“

M.E. zutreffend.

OWi II: Messbeamte kennt die Messvorschriften nicht, oder: Auswirkungen auf die Geldbuße?

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Und die zweite Entscheidung kommt dann vom OLG Celle. Das hat sich im OLG Celle, Beschl. v.  19.01.2024 – 2 ORbs 348/23 – mit dem Einwand eines Betroffenen gegen die Festsetzung der Regelgeldbuße bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auseinandergesetzt, der dahin ging, dass der Messbeamte die nach der (niedersächsischen) Richtlinie für die Geschwindigkeitsüberwachung aufgeführte Qualifikation, nicht habe nachweisen können. Das habe schuldmindernd berücksichtigt werden müssen.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und dann in „Dreier-Besetzung“ verworfen:

„b) Der Rechtsfolgenausspruch lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Amtsgericht hat zutreffend die Regelgeldbuße nach BKat Nr.11.1.4. (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für Lkw außerhalb geschlossener Ortschaften um 16 – 20 km/h) in Höhe von 140,00 € festgesetzt und festgestellt, dass Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend nicht um einen Regelfall handelt, nicht ersichtlich sind.

Ein solcher Anhaltspunkt ergibt sich entgegen der Ansicht des Betroffenen auch nicht aus dem vom Amtsgericht festgestellten Umstand, dass der Messbeamte die in den Niedersächsischen Richtlinien für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs durch Straßenverkehrsbehörden unter 3.3 des Abschnitts 3 aufgeführte Qualifikation, die eine Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung) vorsieht, nicht nachweisen konnte.

In Ziffer 3.3 „Personal“ des Abschnitts 3 der Richtlinie heißt es:

„Das Messpersonal der Straßenverkehrsbehörden für den Umgang mit mobil-stationären Messgeräten muss qualifiziert sein, mit dem eingesetzten Messgerät beweissichere Geschwindigkeitsmessungen vorzunehmen.

Qualifikationsmerkmale sind insbesondere:

  • Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung),.

Als reine Verwaltungsvorschrift entfaltet diese Richtlinie keine Außenwirkung. Allerdings dürfen die Verkehrsteilnehmer erwarten, dass sich die Verwaltungsbehörde über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall nicht ohne sachliche Gründe hinwegsetzt. Insoweit können sich solche Richtlinien über Art. 3 GG für den Bürger rechtsbildend auswirken, so dass im Einzelfall der Schuldgehalt einer Tat geringer erscheint (vgl. hiesiger 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 25.07.2011 – 311 SsRs 114/11 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 04.09.1995 – 1 ObOWi 375/95 -, juris; OLG Dresden DAR 2010, 29).

Die gilt aber nicht für jede Art von Abweichung von der Richtlinie. Abweichungen von Verwaltungsvorschriften sind insoweit mit Abweichungen von der Bedienungsanleitung vergleichbar. Einzelne Abweichungen etwa im Hinblick auf die Protokollierung des Messvorgangs nehmen einer Messung nicht den Charakter eines standardisierten Messverfahrens, weil ihnen keine eigenständige Bedeutung für die Integrität der Messung zukommt (vgl. Senat, Beschluss vom 28.03.2023, 2 ORbs 68/23, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.02.2023, 2 ORbs 35 Ss 4/23, juris; BayOblG, Beschluss vom 21.11.2022, 201 ObOwi 1291/22, juris). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf die Abweichung von Verwaltungsvorschriften in der Weise übertragen, dass sich eine Abweichung nur dann schuldmindernd auswirken kann, wenn ein Einfluss der Abweichung auf das Verhalten des Betroffenen oder das Messergebnis denkbar ist.

Anders als bei einer Unterschreitung des Regelabstandes zwischen geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen und Messstelle (Nr. 4 der Anlage 1 „Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten“ der Richtlinie), die jeweils Gegenstand der oben zitierten Entscheidungen zum geringeren Schuldgehalt waren, ist es aber gerade nicht denkbar, dass allein die fehlende Kenntnis des Messbeamten von den mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften das Verhalten des Betroffenen beeinflusst. Ebenfalls ist nicht erkennbar, dass sich die fehlende Schulung des Messbeamten zu Verkehrsvorschriften im vorliegenden Fall auf das Messergebnis ausgewirkt hätte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand des Betroffenen, die B  sei bereits im Bereich ihrer einspurigen Zuführung als Kraftfahrstraße ausgewiesen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen hierfür noch gar nicht gegeben seien, nach Erweiterung der B  zu zwei Spuren erfolge dann die Aufhebung der Kraftfahrstraße, obwohl hier doch de facto noch eine Kraftfahrstraße vorliege mit der Folge, dass für den Betroffenen im einspurigen Bereich eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zulässig gewesen sei, im Verlauf des zweispurigen Bereichs dann aber nur noch eine solche von 60 km/h, weil er einen 7,5 t-Lkw gefahren habe. Obwohl das in der Beschwerdeschrift nicht weiter dargelegt wird, scheint der Betroffene damit einen Zusammenhang ziehen zu wollen zwischen der fehlenden Rechtskenntnis des Messbeamten und der Durchführung der Messung an einer Stelle, an der ein Lkw-Fahrer damit rechne, sich noch auf einer Kraftfahrstraße zu befinden und deshalb statt nur 60 km/h bis zu 80 km/h fahren zu dürfen.

Es wäre dann aber nicht die fehlende Rechtskenntnis des Messbeamten, sondern letztlich der Standort der die Kraftfahrstraße aufhebenden Verkehrszeichen, der schuldmindernd zu würdigen wäre. Das Amtsgericht hat jedoch hinreichend überprüft und festgestellt, dass die Aufhebung der Kraftfahrstraße an dieser Stelle nicht willkürlich ist, sondern der nachfolgenden Zusammenführung mit dem aus A. kommenden Verkehr geschuldet ist. Soweit der Betroffene diesbezüglich einem Tatbestandsirrtum unterlegen sein sollte, ist dem bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass ihm ohnehin nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. Im Übrigen folgt die Einordnung einer Straße als Kraftfahrstraße nach § 18 Abs. 1 StVO allein aus ihrer Beschilderung durch die zuständigen Behörden und nicht aus ihrer Bauart. Weder den Kraftfahrern noch dem Messpersonal obliegt es, den verkehrsrechtlichen Charakter einer Straße unabhängig von ihrer Beschilderung zu interpretieren.“

Der Einwand des Betroffenen lässt mich ein wenig ratlos zurück. Denn warum soll die Unkenntnis des Messbeamten vom Inhalt der Richtlinie nur Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße haben, und nicht auch auf das Fahrverbot? In Betracht käme doch ein Wegfall des Fahrverbotes, wenn man die Rechtsprechung zur Unterschreitung des vorgeschriebenen Mindestabstands der Messstelle zum Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung heranziehen würde. M.E. muss man ggf. früher ansetzen und versuchen, die Verwertbarkeit der Messung anzugreifen, weil die Vorgaben für ein standardisiertes Messverfahren nicht (mehr) vorgelegen haben.

Und: Die Entscheidung ist mal wieder Gelegenheit <<Werbemodus an>> auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, zu verweisen, das man hier vorbestellen kann; das Werk kommt bald. <<Werbemodus aus>>.

OWi I: Poliscan FM 1 ist weiterhin standardisiert, oder: Das KG schaut in die Glaskugel des BVerfG?

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Und heute am Donnerstag dann dreimal OWi, und zwar zweimal OLG, einmal AG.

Ich mache den Opener mit dem KG, Beschl. v. 08.12.2023 – 3 ORbs 229/23 -, in dem das KG noch einml/mal wieder zur Standardisierung von Poliscan FM 1 Stellung nimmt.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschindigkeitsüberschreitung verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen Urteilsfeststellungen hat der Betroffene einen PKW auf öffentlichem Straßenland geführt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 31 km/h nach Toleranzabzug überschritten. Die Geschwindigkeit von 64 km/h hat ein Geschwindigkeitsüberwachungsgerät vom Typ Poliscan FM 1 gemessen.

In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigerin einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt und ihn wie folgt begründet:

„Das Sachverständigengutachten wird ergeben,

– dass nicht festgestellt werden kann, dass zur Ermittlung der Geschwindigkeit nur Messwerte verwendet worden sind, die innerhalb des zugelassenen Bereiches (maximal 50 m, minimal 20 m) entstanden sind;

– dass anhand der gespeicherten Daten nicht bestätigt werden kann, dass die gemessene Geschwindigkeit 64 km/h (nach Abzug der Toleranz 3 km/h) betragen hat.

Es kann nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden. Es ist weder sichergestellt, noch nachgewiesen, dass die Bestimmung der Geschwindigkeit ausschließlich unter Verwendung von Messwerten im zugelassenen Bereich (max. 50 m. min. 20 m.) erfolgte.

In der XML-Datei sind bei „PositionFirstMeasurement“ und „PositionLastMeasurement“ bei der verwendeten Softwareversion 4.4.9. fixe Werte hinterlegt – nämlich als Uhrzeit jeweils der Beginn der Messreihe und als Entfernung die fixen Werte aus der Bauartzulassung. Es liegt eine gezielte Datenvernichtung vor. Es geht dabei nicht um die Frage der Speicherung aller Rohmessdaten, sondern um den Nachweis, dass das Messgerät im zugelassenen Messbereich gearbeitet hat“.

In dem Zusammenhang hatte die Verteidigerin auf einen Beschluss des KG vom 24.01.2020 verwiesen, welcher denktheoretisch die Möglichkeit einer staatlich veranlassten Vereitelung der Rekonstruktion in den Raum gestellt, sich aber mangels entsprechender Anhaltspunkte weder zum Vorliegen noch zu möglichen Konsequenzen einer solchen willkürlichen Vereitelung verhalten habe.

Das AG hat den Antrag abgelehnt, da die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Es stützt seine Verurteilung u.a. auf die Messung, die ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Es handle sich um ein standardisiertes Messverfahren.

Der Betroffene hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die keinen Erfolg hatte. Da der Beschluss recht umfangreich begründet ist, stelle ich hier nur die Leitsätze ein, und zwar:

    1. Die fehlende Erfassung des Messbereichs bei der konkreten Messung mit der Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. – einer sog. Hilfsgröße – führt ebenso wie die fehlende Speicherung der Rohmessdaten nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 1 OWi 2 SsBs 100/21).
    2. Die Veränderung der Gerätesoftware lässt die Standardisierung in der Regel nicht entfallen.
    3. Dem Beschwerdeführer steht weder ein einfachgesetzlicher noch gar ein verfassungsrechtlich verankerter Anspruch auf die Generierung von Beweismitteln – hier: die Erfassung von Messgrößen im Messbereich – zu.
    4. Auch die mit der aktualisierten Gerätesoftware gewonnenen Messdaten unterliegen nicht einem (ungeschriebenen) Beweisverwertungsverbot. Ein solches käme ohnedies nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Rechtsverstößen in Betracht, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch unberücksichtigt geblieben sind.

Den Rest dann bitte selbst lesen. Und wer das tut, stößt sich vielleicht auch an einer Formulierung/Passage, wenn es nämlich heißt:

„bb) Dieser Rechtsprechung ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 –, juris) auch nicht entgegengetreten.

Mit der dem Verfahren zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Rechts auf ein faires Verfahren durch die Nichtspeicherung von Rohmessdaten des Geschwindigkeitsmessgerätes LEIVTEC XV 3 verletzt seien. Die nachträgliche Prüfung der Messung sei dadurch unmöglich. Er könne seine Verteidigerrechte nicht wahrnehmen und die Handhabung konterkariere den Grundsatz der Waffengleichheit.

Zwar ist die Verfassungsbeschwerde u.a. wegen nicht hinreichender Substantiierung nicht zur Entscheidung angenommen worden, aber den Beschlussgründen ist zu entnehmen, dass die Nichtspeicherung nur dann problematisch sei, wenn dem Beschwerdeführer ein Anspruch aufgrund eines verfassungsrechtlich verankerten Rechts auf Schaffen bzw. Vorhalten potentieller Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten zustünde. Das Gericht hebt erneut hervor, dass das standardisierte Messverfahren und die damit verbundenen reduzierten Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, Beweiswürdigung und Darlegungserfordernissen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sind. Es betont zugleich, dass der Beschwerdeführer nur aufgrund ordnungsgemäß zustande gekommener Messergebnisse verurteilt werden darf und ihm ein Einsichts- und Auskunftsanspruch gegen die Behörden hinsichtlich anlässlich der Messung entstandener, aber nicht zu den Akten gelangter Daten zusteht (vgl. grundlegend BVerfG NJW 2021, 455).

Dieser Anspruch des Betroffenen wird nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Durch das Stellen von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen und Beweisanregungen hat der Betroffene ausreichende prozessuale Möglichkeiten, weiterhin auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 a.a.O.; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 15. September 2023 – Vf. 20-VI-21 –, juris).

Der Anspruch umfasst aber nicht ein Recht auf Erfassen und Speicherung von bei der Messung entstandener Daten zwecks nachträglicher Überprüfung bzw. Plausibilisierung durch die Verteidigung.“

Na? Ja, ist in meinen Augen schon putzig. Da nimmt das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Und dann fängt man als OLG an, die – nicht tragende (!!!) – Begründung des BVerfG auszulegen und anzunehmen, was das BVerfG wohl gemeint hat. Ich habe zumindest Bedenken, wenn sich OLG als Wahrsager/Glaskugelgucker betätigen.

Verkehr III: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Nicht mehr nach (mehr) als 6 Monaten

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Und im dritten Posting dann noch eine Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort. Hier aber keine speziellle „§-142-er-Problematik“, sondern eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsfrage,

In dem Verfahren wird dem Angeklagten mit der Anklage vom 19.05.2023 eine am 26.10.2022 begangene fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr und anschließendes unerlaubtes Entfernen zur Last geleg. Die StA hat erstmals mit der Anklage Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gestellt.

Den hat das AG dann jetzt mit AG Bautzen, Beschl. v. 25.01.2024 – 40 Ds 620 Js 31577/22 – zugleich mit der Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt:

„Der Antrag der Staatsanwaltschaft Görlitz auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war abzulehnen. Die Vorschrift des § 111a StPO bietet im Wege einer vorläufigen Maßnahme die Möglichkeit, die Allgemeinheit vor den Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer bereits vor einer Endentscheidung zu schützen. Zwar steht einer entsprechenden Beschlussfassung des Ge¬richts nicht im Wege, dass die Staatsanwaltschaft die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erst längere Zeit nach Tatbegehung beantragt hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. A, 111a, RZ 1, 3).

In dem hier vorliegenden Fall ist der Antrag auf vorläufige Entziehung erst 6 Monate nach dem Unfallereignis beantragt worden. Seit dem Unfall am 26.10.2022 sind keine weiteren verkehrs-rechtsrelevanten Vorkommnisse verursacht durch den Angeklagten bekannt geworden. Der Angeklagte ist Berufskraftfahrer und auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Für eine vorläufige Entziehung ist daher kein Raum (Beschluss LG Görlitz 3 Qs 162/23).

Nach allem war der Antrag daher – zum derzeitigen Zeitpunkt – abzulehnen.“

Verkehr II: Grenze für den „bedeutenden Schaden“ oder: LG Bielefeld hebt auf 1.800 EUR an

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Und dann etwas zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort bzw. zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB und der Frage: Wann hat man es mit einem „bedeutenden Schaden“ im Sinn dieser Vorschrift zu tun? Da geht es ja fröhlich hin und her in der Rechtsprechnung. Das LG Bielefeld hat daran jetzt teilgenommen und mit dem LG Bielefeld, Beschl. v. 02.02.2024 – 10 Qs 51/24 – den „Grenzwert“ auf 1.800 EUR angehoben:

„2. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen erweist sich die Beschuldigte jedoch nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Das Regelbeispiel ist nicht verwirklicht. Danach ist von der Ungeeignetheit eines Täters zum Führen eines Kraftfahrzeugs auszugehen, wenn dieser sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, obwohl er weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

Entgegen der Annahme des Amtsgerichts ist kein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entstanden.

a) Zwar hat die Beschwerdekammer des hiesigen Landgerichts in Überstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang einen bedeutenden Fremdschaden ab einer Wertgrenze von 1.500,00 Euro angenommen. In diesem Licht steht auch die zuletzt geänderte Rechtsprechung des OLG Hamm. Mit Beschluss vom 05.04.2022 (5 RVs 31/22) hat das Oberlandesgericht bekräftigt, dass die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB im Hinblick auf die allgemeine Preissteigerung nunmehr jedenfalls nicht unter 1.500 Euro liegt. Aus dieser Formulierung wird indes schon deutlich, dass der unterste Rahmen nicht zwingend bei 1.500 Euro liegt, sondern lediglich unterhalb dessen liegende Schadensbeträge jedenfalls keinen bedeutenden Schaden darstellen (LG Bochum, B. v. 06.12.2022, Az. 1 Qs 59/22).

Bei der Beurteilung eines Schadens als bedeutend im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist – neben anderen Faktoren – im Wesentlichen auch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und der Einkommen zu berücksichtigen (vgl. BGH, B. v. 28.09.2010, Az. 4 StR 245/10; LG Nürnberg-Fürth, B. v. 15.01.2020, Az. 5 Qs 4/20; LG Hamburg, B. v. 09.08.2023, Az. 612 Qs 75/23; LG Oldenburg, B. v. 12.01.2023, Az. 3 Qs 425/22;). Sie hat sich gerade in den letzten Jahren bedeutend aufgrund der aufkommenden Inflation nachhaltig verändert (vgl. eingehend LG Dresden, B. v. 15.09.2023, Az. 17 Qs 66/23). Bereits aus diesem Grunde erscheint eine Anhebung der Wertgrenze mittlerweile angebracht. Zudem ist die Wertgrenze bereits schon deshalb nicht zu niedrig zu bemessen, weil sonst die Relation zu den anderen Merkmalen „Tötung oder nicht unerhebliche Verletzung eines Menschen“ nicht gewahrt wäre (Valerius, in: LK-StGB, 13. A. [2020], § 69 Rn. 130; Heintschel-Heinegg/Huber, in MüKo-StGB, 4. A. [2020], § 69 Rn. 72).

Ausgehend davon hat sich die Kammer darauf verständigt, den Wert, ab welchem ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB anzunehmen ist, auf 1.800,00 Euro anzuheben. Diese moderate Erhöhung trägt der allgemeinen Preissteigerung Rechnung und setzt die Merkmale „Tötung oder nicht unerhebliche Verletzung eines Menschen“ und „bedeutender Schaden“ in ein dem Ziel des Regelbeispiels entsprechendes Verhältnis.

Es bleibt aber zu berücksichtigen, dass auch ein Schaden unterhalb der Wertgrenze zu einer Maßregel nach § 69 führen kann, wenn der Tatrichter nach der stets erforderlichen einzelfallbezogenen Prognoseentscheidung diese Rechtsfolge für geboten erachtet (OLG Stuttgart, U. v. 27.04.2018, Az. 2 Rv 33 Ss 959/17).

b) Aufgrund dieser Überlegungen ist die Wertgrenze eines bedeutenden Schadens im vorliegendem Fall nicht überschritten worden. Die Kalkulation der Reparaturkosten durch die VW-Fachwerkstatt C. in A. vom 03.07.2023 zeigte für den Fahrzeughalter Herrn D. einen Betrag von 1.675,38 Euro (vgl. Bl. 50 ff. d.A.) auf, bleibt somit derzeit also unter dem Schwellenbetrag.“

So weit, so gut. Das LG führt dann noch aus:

„3. Ob das Alter oder der Gesundheitszustand zum Tatzeitpunkt zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen werden, ist dagegen derzeit offen. Ob sie die Ungeeignetheit nach § 69 Abs. 1 StGB belegen, muss der möglichen Beweisaufnahme vorbehalten bleiben.

Bei der Tat ist zumindest nach derzeitigem Stand der Ermittlungen kein Verhalten der Beschuldigten zutage getreten, dass deutliche, der Geeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs entgegenstehende gesundheitliche oder charakterliche Mängel aufzeigt. Zwar ergeben sich aus der Beschwerdebegründung der Beschuldigten selbst Anhaltspunkte dafür, dass die Begehung der ihr vorgeworfenen Tat auf einen gesundheitlichen Mangel zurückzuführen ist. Eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich ein möglicher gesundheitlicher Mangel auf die künftige Eignung des Beschuldigten zum Führen von Kraftfahrzeugen auswirkt, besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen jedoch nicht. Entsprechende Feststellungen bleiben dem Tatrichter vorbehalten.“

Nun ja, da würde ich dann aber doch sagen: „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Den mit der Problematik zusammenhängenden Fragen nimmt sich dann vielleicht doch besser das Straßenverkehrsamt an.