Archiv der Kategorie: Strafrecht

Strafe III: Segelanweisung für ein Berufsverbot, oder: Gefahr künftiger erheblicher Rechtsverletzungen?

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Und dann haben wir hier noch den BGH, Beschl. v. 24.01.2023 – 6 StR 476/22. Der BGH hat eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern aufgehoben wegen einer mangelhaften Beweiswürdigung. Er gibt dann für die neue Hauptverhandlung eine „Segelanweisung“:

„Lediglich ergänzend bemerkt der Senat:

1. Sollte das neue Tatgericht für den Fall eines Schuldspruchs wiederum die Anordnung eines Berufsverbots erwägen, wird es – näher als bislang geschehen – in den Blick zu nehmen haben, dass § 70 StGB tatbestandlich die Gefahr künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter im maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsverkündung voraussetzt. In die gebotene Gesamtwürdigung wäre in besonderer Weise einzustellen, dass der Angeklagte bislang unbestraft ist und ihn möglicherweise schon diese erste Verurteilung und eine (drohende) Vollstreckung von weiteren Taten abhalten könnte (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 296/12, StV 2013, 699; Beschluss vom 12. September 1994 – 5 StR 487/94, NStZ 1995, 124). Dies gilt gleichermaßen mit Blick auf die länger zurückliegenden Tatzeiten, das fehlende Bekanntwerden weiterer Straftaten gerade auch im Zusammenhang mit seiner – bis zur Hauptverhandlung ausgeübten – Erziehertätigkeit sowie mit Rücksicht auf eine jedenfalls bislang nicht festgestellte tatursächliche sexuelle Devianz (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 296/12, aaO).“

Strafe II: Verurteilung wegen eines BtM-Deliktes, oder: „der Angeklagte ist ein Nazi-Verblendeter“

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Bei der zweiten vorgestellten Entscheidung handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 07.02.2023 – 6 StR 9/23.

Auch hier hatte das LG den Angeklagten u.a. wegen (bewaffneten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Der BGH bestandet die Strafzumessung:

„1. Während der Schuldspruch sowie die Maßregelanordnungen auf die durch die Sachrüge veranlasste umfassende revisionsgerichtliche Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben haben, unterliegt der Strafausspruch durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat bei seiner Strafzumessung berücksichtigt, dass „es sich bei dem Angeklagten um einen Nazi-Verblendeten handelt“, was deutlich mache, dass dieser „nicht nur im vorliegenden strafrechtlichen Kontext, sondern in komplexer Hinsicht dazu disponiert ist, sich über Normen hinwegzusetzen, die ein zivilisiertes Zusammenleben ermöglichen sollen; dies ist strafzumessungserheblich und hat sich zu seinen Lasten ausgewirkt“. Den Schluss auf diese Einstellung des bislang unbestraften Angeklagten hat es aus zahlreichen Gegenständen gezogen, die im Zuge einer Wohnungsdurchsuchung neben den zum Handel bestimmten Betäubungsmitteln sichergestellt werden konnten. Dabei handelte es sich etwa um „ein Buch mit der Aufschrift ‚Adolf Hitler‘“ und um auf einem Mobiltelefon gespeicherte Bilddateien mit Hakenkreuzsymbolen und weiteren auch antisemitischen Inhalten.

b) Diese straferschwerende Bewertung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

aa) Grundlage der Strafzumessung sind die Bedeutung der Tat für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der in ihr zutage tretenden persönlichen Schuld des Angeklagten (vgl. BGH, Urteile vom 30. September 1952 – 2 StR 675/51, BGHSt 3, 179, 180; vom 24. Juni 1954 – 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 4. August 1965 – 2 StR 282/65, BGHSt 20, 264, 266; Beschluss vom 20. Juni 2017 ? 4 StR 575/16, NStZ 2017, 577). Zwar kann auch die Gesinnung des Täters bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (§ 46 Abs. 2 StGB). Dies gilt aber nur, wenn diese aus der Tat spricht, mit ihr also in einem inneren Zusammenhang steht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 1979 – 4 StR 606/78, NJW 1979, 1835; LK/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 88). Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen – um eine strafschärfende Bewertung zu eröffnen – mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni 1954 – 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 26. Juli 1983 – 1 StR 447/83, StV 1984, 21).

Nichts anderes gilt für die mit den Gesetzen zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. Juni 2015 (BGBl. I S. 925) und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 441) in § 46 Abs. 2 StGB näher benannten rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des Täters. Zwar sollte die Bedeutung dieser Umstände für die gerichtliche Strafzumessung durch ihre gesetzliche Erwähnung stärker hervorgehoben werden und die Aufgabe des Strafrechts widerspiegeln, insbesondere zu Zwecken der positiven Generalprävention, für das Gemeinwesen grundlegende Wertungen zu dokumentieren und zu bekräftigen (vgl. BT-Drucks. 18/3007, S. 7; LK/Schneider, aaO, Rn. 77 ff. mwN; krit. – weil lediglich deklaratorischer Natur – etwa SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 46 Rn. 96; SK-StGB/Horn/Wolters, 9. Aufl., § 46 Rn. 132). Der schon vom Schuldgrundsatz eingeforderte innere Zusammenhang zur Tat ist aber auch hier zwingend (vgl. LK/Schneider, aaO, § 46 Rn. 80; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 15c; SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 46 Rn. 99).

bb) Die deshalb notwendige tatschulderhöhende Beziehung der Gesinnung des Angeklagten zur Tat hat das Landgericht nicht dargelegt. Eine solche ergibt sich – anders als möglicherweise bei Aggressions- und Gewaltdelikten – auch nicht ohne Weiteres aus dem Tatbild des festgestellten Betäubungsmittel- bzw. Straßenverkehrsdelikts.

cc) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer – zumindest auch – insoweit auf das Vorleben des Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) in rechtsfehlerfreier Weise abgestellt hat.

(1) Zwar ist es zulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte weitere nicht abgeurteilte Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 1981 – 3 StR 83/81, BGHSt 30, 165). Voraussetzung dafür ist aber, dass diese prozessordnungsgemäß festgestellt (vgl. Bruns/Güntge, Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl., Teil 4 Kapitel 14 Rn. 19; Schäfer/Sander/von Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 653, 666) und dadurch in ihrem wesentlichen Unwertgehalt abzuschätzen sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, Rn. 22; Beschluss vom 7. Januar 2015 – 2 StR 259/14, NStZ 2015, 450).“

Strafe I: „nicht unter akutem Suchtdruck gehandelt“, oder: Fehlen eines Strafmilderungsgrundes

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Und hier dann heute ein paar Entscheidungen zur Strafe bzw. zur Strafzumessung.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 14.03.2023 – 4 StR 475/22. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte:

„3. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht dem Angeklagten das Fehlen eines Strafmilderungsgrunds strafschärfend angelastet hat.

a) Die Strafkammer hat bei der Ablehnung eines minder schweren Falls im Sinne von § 30a Abs. 3 BtMG und bei der konkreten Strafbemessung zu Lasten des Angeklagten eingestellt, dass er nicht unter akutem Suchtdruck gehandelt, sondern seinen Drogenkonsum „im Griff“ gehabt habe.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Handeln unter Suchtdruck kann ein Grund sein, die Strafe zu mildern. Das bloße Fehlen eines Strafmilderungsgrundes darf aber nicht straferschwerend berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2021 – 6 StR 405/21 Rn. 2; Beschluss vom 9. November 2017 – 4 StR 393/17 Rn. 4; Beschluss vom 9. November 2010 – 4 StR 532/10 Rn. 4).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die fehlerhafte Erwägung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.

b) Damit kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass auch die strafschärfende Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe bei der Abwicklung des Drogengeschäfts „kontrolliert und planvoll vorgehen“ können, unter den hier gegebenen Umständen rechtlichen Bedenken begegnet. Denn es ist nicht ersichtlich, in welcher Weise dieser Gesichtspunkt bei der Abgabe von Marihuana an mehrere Abnehmer Ausdruck einer besonderen die Tatschuld erhöhenden kriminellen Energie des Angeklagten ist; vielmehr lässt die Erwägung besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten die Begehung des Vorsatzdelikts als solche strafschärfend angelastet hat.“

StGB III: Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen, oder: Adolf Hitler-Bild im Facebook-Post

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch das BayObLG, Urt. v. 13.06.2022 – 204 StRR 116/22 – zum Verwenden von  verfassungswidriger Kennzeichen (§ 86a StGB).

Nach dem Sachverhalt hatte die Angeklagte auf ihrem Facebook-Profil „A.H.“ ein Bild gepostet, auf dem im oberen Bereich der Kopf und Teile des Oberkörpers Adolf Hitlers mit dem Kommentar „1933: Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ und im unteren Bereich die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Kommentar: „2020: Bevölkerungsschutzgesetz“ zu sehen ist. Der Angeklagten war sich dabei – so das AG – bewusst, dass dieses Bild von einer Vielzahl von Facebook-Nutzern wahrgenommen werden konnte. Ihr Profil war, wie sie wusste, öffentlich und für jedermann einsehbar. Sie wusste auch, dass es sich bei Adolf Hitler um den Parteivorsitzenden der ehemaligen nationalsozialistischen Arbeiterpartei handelte.

Das AG hatte die Angeklagte wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das LG hatte auf die Berufung die Angeklagte frei gesprochen.

Den Freispruch hat das BayObLG auf die Revision hin aufgehoben:

„2. Diese Feststellungen zum Tatsachverhalt tragen nicht die vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung, dass die Darstellung nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB unterfalle und den Tatbestand nicht erfülle und außerdem die Tatbestandsmäßigkeit wegen des Eingreifens der sogenannten Sozialadäquanzklausel gemäß § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB a.F. (jetzt § 86 Abs. 4 StGB) entfalle.

a) Nach heute einhelliger Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt und wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, stellt das Kopfbild Adolf Hitlers ein verfassungswidriges Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (BGH, MDR 1965, 923, juris Rn. 22). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Hitler als Führer der NSDAP, als Reichskanzler oder als Staatsoberhaupt dargestellt wird (BGHSt 28, 394, 396 = NJW 1979, 1555). Es ist ferner unerheblich, ob auf der Abbildung zusätzlich ein Hakenkreuz, das Hauptkennzeichen der NSDAP (BGHSt 28, 394, 395 = NJW 1979, 1555), oder ein zum „Deutschen Gruß“ erhobener Arm zu sehen sind (OLG München, NStZ 2007, 97, juris Rn. 14 m.w.N.). Die Organisation des damaligen NS-Staates und der diesen mit einer Vielzahl von Unterorganisationen beherrschenden Partei, der NSDAP, sowie die Ausübung aller staatlicher Hoheitsgewalt durch verschiedene Behörden waren zentral auf den „Führer Adolf Hitler“ als den Kulminationspunkt aller staatlichen Gewalt ausgerichtet. Die Person Adolf Hitlers als solche repräsentiert, ohne dass es des Hinzutretens weiterer nationalsozialistischer Symbole, Kennzeichen oder Ergänzungen bedarf, den Nationalsozialismus. Allein sein Abbild stellt damit ein Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen im Sinne des § 86a StGB dar (BGH, MDR 1965, 923, juris Rn. 22; BGHSt 28, 394, 396 = NJW 1979, 1555; OLG Celle, NJW 1991, 1497; OLG München, NStZ 2007, 97, juris Rn. 14 m.w.N.; OLG Rostock, NStZ 2002, 320, juris Rn. 26; OLG Schleswig, MDR 1978, 333).

Ein Ausnahmefall einer völlig verschiedenartige Elemente zusammenfassenden Abbildung liegt nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat einen solchen Ausnahmefall bei einem in schwarzer Farbe gezeichneten Januskopf angenommen, „dessen linkes Antlitz die Gesichtszüge Adolf Hitlers und dessen rechtes Antlitz die Gesichtszüge des Bundestagsabgeordneten Franz-Josef S tragen“ und der auf den Körper eines Adlers aufgesetzt ist. Dies könne nicht als Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation angesehen werden. Die Verwendung der Gesichtszüge Hitlers in einer völlig verschiedenartige Elemente zusammenfassenden Abbildung mache weder den die Gesichtszüge Hitlers darstellenden Teil der Abbildung noch diese insgesamt zu einem solchen Kennzeichen. Zwar erinnere die Wiedergabe der Gesichtszüge Hitlers an den Nationalsozialismus, seine Organisationen, Ideen und Ziele. § 86a StGB wolle aber, soweit er sich auf Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation bezieht, diese Kennzeichen und ihre Wiedergabe, nicht aber die bezeichneten Erinnerungen von bestimmten Arten der Verwendung sowie von einer Verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland ausschließen (BGHSt 25, 133, juris Rn. 17). Hiermit ist die verfahrensgegenständliche, nicht durch andere Gestaltungselemente veränderte Abbildung Hitlers nicht vergleichbar.

b) Durch das „Posten“ auf ihrem Facebook-Profil, das nach den vom Berufungsgericht zugrundegelegten Feststellungen öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat die Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit verwendet im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. MüKoStGB/Anstötz, 4. Aufl., § 86a Rn. 23).

c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns der Angeklagten nicht wegen des Eingreifens der sogenannten Sozialadäquanzklausel gemäß § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB a.F. (jetzt § 86 Abs. 4 StGB). Es ist nicht erkennbar, dass die Verwendung des Hitlerbildes den in § 86 Abs. 3 StGB a.F. genannten oder ähnlichen Zwecken dienen sollte. Soweit das Berufungsgericht hierbei auf eine Ähnlichkeit zur staatsbürgerlichen Aufklärung abstellt, ist nicht ersichtlich, inwiefern die von der Angeklagten „gepostete“ Abbildung der Aufklärung über die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes dienen kann oder sollte. Dem Begriff der staatsbürgerlichen Aufklärung unterfallen Handlungen, die der Wissensvermittlung zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen (vgl. MüKoStGB/Anstötz, a.a.O., § 86 Rn. 37 m.w.N.). Die Gegenüberstellung eines Bildes der (damaligen) Bundeskanzlerin und eines Bildes Adolfs Hitlers unter Hinweis auf völlig inhaltsverschiedene Normen aus der jeweiligen Zeit stellt ersichtlich keine sozialadäquate Vorgehensweise und erst Recht kein Mittel einer solchen Wissensvermittlung dar.

d) Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, dass die Darstellung nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB unterfällt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Zweck des § 86a StGB die Abwehr einer Wiederbelebung verbotener Organisationen oder der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Die Vorschrift dient auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in Deutschland vermieden wird, es gebe eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden (BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 24). Ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen könnten den politischen Frieden empfindlich stören. § 86a StGB will auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (vgl. BGHSt 25, 30 = NJW 1973, 106, juris Rn. 9; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28).

Hierbei setzt die Anwendbarkeit des § 86a StGB – eines abstrakten Gefährdungsdelikts (vgl. BGHSt 47, 354, juris Rn. 20; BGHSt 52, 364, juris Rn. 25) – in Bezug auf die Verwendung eines Kennzeichens aber keinen Nachweis der Unterstützung verfassungsfeindlicher Ziele, der Ziele der verbotenen Organisation oder einer mit der Verwendung verbundenen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates voraus. Die Vorschrift verbannt derartige Kennzeichen grundsätzlich aus dem politischen Leben in Deutschland und errichtet so ein kommunikatives Tabu (vgl. BVerfG, BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 18).

bb) Im Lichte dieses weiten Anwendungsbereichs wird § 86a StGB jedoch zusätzlich zu den von § 86 Abs. 3 StGB erfassten Tatbeständen beschränkt und es werden Verwendungen ausgenommen, die dem Zweck der Vorschrift nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken sollen. Danach wird die Verwendung eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation vom Anwendungsbereich des § 86a StGB nicht erfasst, wenn sich die Gegnerschaft zu der verfassungswidrigen Organisation und ihrer Ideologie offenkundig und eindeutig ergibt und ein Beobachter sie auf Anhieb zu erkennen vermag (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 12; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28). Die Ausnahme von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Fällen, in denen die Gegnerschaft zu der von dem verwendeten Kennzeichen verkörperten Ideologie „offenkundig und eindeutig“ ist, stellt eine wichtige Schutzvorkehrung für die Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung dar (vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 48). In solchen Fällen wäre eine Inkriminierung nur schwer mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung von Personen zu vereinbaren, die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass sie gerade die Kennzeichen angreifen, die diese symbolisieren (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 13). So liegt es, wenn das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zwecke einer Kritik der verbotenen Organisation oder der ihr zugrundeliegenden Ideologie eingesetzt wird (vgl. BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28), die Verwendung des Kennzeichens, soweit damit die Erinnerung an den Nationalsozialismus heraufbeschworen wird, in einem nachdrücklich ablehnenden Sinn geschieht (vgl. BGHSt 25, 133, juris Rn. 22) oder der Kontext der Verwendung ergibt, dass eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens entsprechenden Richtung ausscheidet (vgl. BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 23; BGHSt 25, 133, juris Rn. 20, 22). Das mag etwa der Fall sein, wenn das Kennzeichen in erkennbar verzerrter, etwa parodistischer oder karikaturhafter Weise verwendet wird (vgl. BGHSt 25, 128, juris Rn. 19, 21; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 28) oder wenn – ähnlich wie in einer Wiedergabe des Kennzeichens in abwertender Verzerrung – Personen mit neonazistischer Zielsetzung in einer Wiedergabe in dem bildlichen und die Abbildung schriftlich kommentierenden Zusammenhang allenfalls eine Verhöhnung des ihnen „heiligen“ Kennzeichens erblicken würden (vgl. BGHSt 25, 133, juris Rn. 22).

Demgegenüber ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt, wenn der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft zu nationalsozialistischen Ideen nur undeutlich erkennbar ist (vgl. BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602, juris Rn. 12). Auch reicht es in Anbetracht der Tabuisierungsfunktion der Vorschrift für einen Ausschluss einer konkreten Handlung von ihrem Anwendungsbereich nicht aus, dass sie in kritischer Absicht erfolgt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 32; BVerfGK 8, 159 = NJW 2006, 3050, juris Rn. 23), wobei für eine Beurteilung der Frage, ob eine konkrete Verwendung eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation vom Anwendungsbereich des § 86a StGB auszunehmen ist, die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen sind (vgl. BGHSt 25, 30 = NJW 1973, 106, juris Rn. 12; BGHSt 52, 364 = NJW 2009, 928, juris Rn. 29).

cc) Dies zugrunde gelegt, handelt es sich nach den bisherigen Feststellungen nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung eines offensichtlich verbotenen Kennzeichens.

(1) Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts dürfte das Verhalten der Angeklagten – unabhängig von den Beweggründen, die sie dazu führten – von objektiven Beobachtern als ein Protest gegen das Vorgehen der damaligen Bundesregierung und als ein Vorwurf gegen diese, sie sei im Begriff, sich nazistischer Methoden zu bedienen, aufzufassen sein.

Damit kann die Verwendung des Hitlerbildes zwar auch als Ausdruck einer Gegnerschaft zu den Methoden des nationalsozialistischen Regimes angesehen werden, sie dient aber nicht vorrangig der Kritik an diesem System, sondern der Kritik an der damaligen Bundesregierung.

Durch die Gegenüberstellung der Bilder Hitlers und der damaligen Bundeskanzlerin als Mittel der Kritik am Vorgehen der Bundesregierung besteht gerade die Gefahr, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird.

Auch wenn die Angeklagte mit ihrer Facebook-Seite beabsichtigte, zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beizutragen, ist die grundlose Verwendung von Kennzeichen gerade das, was die Vorschrift, die die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt, verhindern sollte, denn sie sollte einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes „kommunikatives Tabu“). Die kritische Verwendung von Nazi-Kennzeichen reicht gerade nicht aus, um eine Person von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für eine solche Verwendung auszunehmen. Vielmehr ist eine eindeutige und offenkundige Gegnerschaft zur Nazi-Ideologie erforderlich (EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 – Nix ./. Deutschland, juris Rn. 54).

Eine solche eindeutige und offenkundige Ablehnung der Nazi-Ideologie enthält der Beitrag der Angeklagten auf ihrer Facebook-Seite aber nicht.

(2) Würde es sich allerdings um eine einmalige Verwendung der Art handeln, dass das Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild getreten wäre und damit eine Nachwirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt dieses Kennzeichens entsprechenden Richtung von vornherein ausgeschlossen ist, bedürfte es der Feststellung besonderer Umstände, die das Handeln als einen Verstoß gegen § 86a StGB erscheinen lassen könnten. Eine solche nur kurz in das Erscheinungsbild der Öffentlichkeit tretende Verwendung hat der Bundesgerichtshof etwa beim einmaligen Zeigen des Hitlergrußes während eines Polizeieinsatzes erwogen. Demgegenüber wäre ein solcher Verstoß dann anzunehmen, wenn das Handeln der Angeklagten den Schluss rechtfertigen würde, die Verwendung dieser Kennzeichen in der Öffentlichkeit habe – dem Schutzzweck des § 86a StGB zuwider – gedroht, sich wieder einzubürgern (vgl. BGHSt 25, 30, juris Rn. 13).

Der Umstand, dass die Angeklagte die betreffende Darstellung als kritisches Statement über die Pandemiepolitik der Bundesregierung auf ihrem Facebook-Profil geteilt hat, spricht, auch wenn sie das gepostete Bild wieder von ihrer Facebook-Seite entfernt hat, als sie von der Polizei auf die Strafbarkeit aufmerksam gemacht wurde, eher nicht für eine nur kurz in das Erscheinungsbild der Öffentlichkeit tretende Verwendung. Insoweit bedürfte es jedoch weiterer Feststellungen zur beabsichtigten oder tatsächlichen Dauer der Einstellung der betreffenden Darstellung auf dem Facebook-Profil der Angeklagten.

(3) Bei der Gesamtbetrachtung ist zudem zu berücksichtigen, ob die Verwendung des Kennzeichens unbesonnen und spontan in großer Erregung erfolgte (vgl. BGHSt 25, 30, juris Rn. 14). Auch hierzu fehlen hinreichende Feststellungen.

Die Sache ist somit nicht entscheidungsreif.“

Sorry, war mal etwas mehr Text 🙂 .

StGB II: Eine Luftpumpe wie ein Gewehr vorgehalten, oder: Eine Luftpumpe ist eine Scheinwaffe

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User:Hedwig von Ebbel

Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas vom BGH, und zwar den BGH, Beschl. v. 28.03.2023 – 4 StR 61/23.

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Raubes, und zwar nach §§ 249, 250 Abs. 1 Nr 1b StGB, verurteilt. Dagegen die Revision, die der BGh nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat:.

„1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte am Abend des 26. April 2022 der Geschädigten ihre Handtasche wegnehmen, um sich Wertgegenstände und Bargeld zu verschaffen. Ihre Tasche hatte die Geschädigte, die sich in Gesellschaft von zwei Freunden rauchend vor dem Eingangsbereich einer Gaststätte befand, neben sich auf einem Tisch abgestellt. Um an die Handtasche zu gelangen, fasste der Angeklagte den Entschluss, die Geschädigte und ihre Begleiter zu bedrohen, indem er ihnen eine Luftpumpe nach Art eines Gewehres (Langwaffe) vorhielt. Er wollte dadurch erreichen, dass sie in der Annahme, es handele sich um eine Schusswaffe, aus Angst um ihre Gesundheit keinen Widerstand leisten und seinen Forderungen nachkommen würden. In Umsetzung seines Tatplans hielt er die Luftpumpe mit ausgezogenem Kolben und mit auf Brusthöhe angehobenen Armen vor sich und trat so auf die Geschädigte zu. Er hielt ihr die Luftpumpe im Abstand von 20 bis 30 Zentimetern vor das Gesicht und forderte sie auf hineinzugehen. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, erkannten weder die Geschädigte noch ihre Begleiter die Luftpumpe als eine solche. Vielmehr besorgten sie den Einsatz einer Schusswaffe und liefen daher in das Lokal. Der Angeklagte nahm die zurückgelassene Handtasche an sich und verließ die Örtlichkeit. Bevor er sich der Tasche entledigte, entnahm er ihr das Portemonnaie der Geschädigten, um es nebst Inhalt wie u. a. Bargeld zu behalten.

b) Damit ist ein schwerer Raub festgestellt. Insbesondere begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB verwirklicht, keinen rechtlichen Bedenken.

aa) Die Vorschrift erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d. h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 18; BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 – 4 StR 394/06 Rn. 6; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 250 Rn. 10, § 244 Rn. 26). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind allerdings vom Anwendungsbereich des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB aufgrund einer einschränkenden Auslegung solche Gegenstände auszunehmen, die für einen objektiven Beobachter schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder in ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – 2 StR 160/16 Rn. 7; Urteil vom 18. Januar 2007 – 4 StR 394/06 Rn. 7 f.; jeweils mwN; s. zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB aF BGH, Beschluss vom 9. September 1997 – 4 StR 423/97 Rn. 6; Beschluss vom 20. Juni 1996 – 4 StR 147/96 Rn. 5; Urteil vom 12. November 1991 – 5 StR 477/91, BGHSt 38, 116 ff.).

bb) Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die vom Angeklagten verwendete Luftpumpe war auch für einen objektiven Beobachter nicht offenkundig ungefährlich. Insbesondere durch ihren Einsatz als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen hätte mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen eingewirkt werden können (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – 2 StR 160/16 Rn. 8, zu einem Schlüssel). Der Gegenstand war „seiner Art nach“ (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1972 – 4 StR 134/72, BGHSt 24, 339, 341) dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Damit steht die vom Täter zugleich beabsichtigte Täuschung des Tatopfers hinsichtlich der von dem mitgeführten Gegenstand ausgehenden Drohwirkung – hier: als vermeintliche Schusswaffe – nicht derart im Vordergrund, dass die Anwendung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB den (Wort-)Sinn des Gesetzes verfehlen würde (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1991 – 5 StR 477/91, BGHSt 38, 116, 119). Denn eine Täuschung des Opfers wird bei dem Gebrauch jeder „Scheinwaffe“ im Hinblick auf deren objektive Ungefährlichkeit angestrebt.“

Das ist mal wieder einer der BGH-Entscheidungen, bei denen ich mich frage: Warum muss man wenn doch nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen wird, weil die Revision „offensichtlich unbegründet“, ist, so viele Worte machen. M.E. ist das dann für mich nicht „offensichtlich“. Der BGH hat aber wohl offensichtlich ein anderes Verständnis vom Begriff „offensichtlich“.