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KCanG/BtM II: BGH zur Neufestsetzung von Strafen, oder: Keine analoge Anwendung der Regelungen

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 6 StR 542/24.

Das LG hat den Angeklagten wegen Zwangsprostitution in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der BGHh beanstandet die Gesamtstrafenbildung, weil das LG die für die einbezogenen Strafen wesentlichen Zumessungserwägungen nicht mitgeteilt hat. Bei der Sachlage sei eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Gesamtstrafenbildung nicht möglich.

So weit, so gut: Interessant wird der Beschluss mit der ergänzenden Stellungnahme des BGH zu der Antragsschrift des GBA – insoweit dann KCanG:

„Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine Neufestsetzung der Strafen aus der früheren Verurteilung, die sich auf Handeltreiben mit Cannabis beziehen, nicht in Betracht. Der Hinweis auf Art. 316p EGStGB iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB verfängt nicht. Denn Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB erweitert den Anwendungsbereich des Art. 313 Abs. 1 EGStGB auf Fälle, in denen der Angeklagte wegen tateinheitlicher Verwirklichung (§ 52 StGB) einer Strafvorschrift verurteilt wurde, „die aufgehoben ist oder die den Sachverhalt, welcher der Verurteilung zugrunde lag, nicht mehr unter Strafe stellt oder mit Geldbuße bedroht“, und sieht als Rechtsfolge die Neufestsetzung der Strafe vor (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 155, 192; OLG Köln, Beschluss vom 12. September 2024 – 2 Ws 553/24; BeckOK-StGB/Seel, 63. Ed., Art. 313 EGStGB Rn. 9). Die Voraussetzungen dieser Norm sind nicht gegeben. Denn das Handeltreiben mit Cannabis ist nach wie vor strafbar (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 4 KCanG); zudem fehlt es an einer tateinheitlichen (Vor-)Verurteilung.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist für eine analoge Anwendung des Art. 316p iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB, der verfassungsrechtlich unbedenklich ist, kein Raum. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Frage, ob und in welchem Umfang der rückwirkende Erlass nicht vollstreckter Strafen und die Tilgung entsprechender Verurteilungen in Betracht kommt, wurde im Gesetzgebungsverfahren angesichts der damit einhergehenden Belastungen der Landesjustiz ausführlich erörtert (vgl. dazu einerseits den Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drucks. 20/8704, S. 134, 155 sowie andererseits die Stellungnahme des Bundesrats BT-Drucks. 20/8704, S. 192; vgl. ferner Engel ZRP 2024, 50). Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber den Wortlaut der Vorschriften versehentlich zu eng gefasst und weitergehende Amnestieregelungen nicht im Blick hatte.

Gegen die vom Beschwerdeführer geforderte Neubemessung rechtskräftiger Strafen im Rahmen nachträglicher Gesamtstrafenbildung sprechen schließlich auch Sinn und Zweck des § 55 StGB. Grundgedanke der Vorschrift ist, dass Täter durch die getrennte Aburteilung von Taten, bei denen die Voraussetzungen der §§ 53, 54 StGB vorliegen, weder besser noch schlechter, sondern so gestellt werden, als wären alle Taten gemeinsam abgeurteilt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; Schäfer/
Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1228 mwN). Die von der Verteidigung begehrte Neufestsetzung der Strafen würde hingegen zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen Privilegierung von Mehrfachtätern führen, bei denen eine Entscheidung nach § 55 StGB vor Inkrafttreten des KCanG nicht getroffen worden ist.“

KCanG/BtM I: Inbesitznahme von Cannabissetzlingen, oder: Ist das schon Handeltreiben?

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Und die Berichterstattung geht dann heute weiter mit Entscheidungen des BGH zum KCanG bzw. zum BtMG.

Zunächst stelle ich den BGh, Beschl. v. 27.11.2024 – 3 StR 25/24 – vor. Es handelt sich um einen sog. Anfragebeschluss des 3. Strafsenats beim 5. und 6. Strafsenat, ob die entgegenstehende Rechtsprechung zu einer beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats aufrechterhalten.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten am 09.10.2023 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und 899 sichergestellte Cannabissetzlinge eingezogen. Der Angeklagte hatte zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Januar 2023 oder davor an einem unbekannt gebliebenen Ort in Deutschland eine Plantage mit dem Ziel eingerichtet, Marihuana zu erzeugen und es gewinnbringend weiterzuverkaufen. Die Plantage war spätestens am 11.04.2023 vollständig eingerichtet und bot Platz für mindestens 899 Cannabispflanzen. Sie war hinsichtlich Bewässerung, Düngung, Belüftung und Beleuchtung technisch so beschaffen, dass
die angebauten Pflanzen einen Mindestertrag von 25 Gramm Marihuana je Pflanze mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5%, mithin einen Gesamtertrag von 22.475 Gramm mit 1.123,75 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Ernte erbracht hätten. Jährlich wären drei Ernten möglich gewesen.

Am 11.04.2023 fuhr der Angeklagte mit seinem PKW in die Niederlande und übernahm bei einem Züchter 899 weibliche Cannabissetzlinge, um sie anschließend zu der Plantage zu transportieren, sie dort in größere Pflanztöpfe umzutopfen und nach Erreichen der Erntereife Erträge in der beschriebenen Größenordnung zu erzielen. Die zwölf bis 15 Zentimeter großen Setzlinge hatten Wurzeln ausgebildet. Sie waren in mit Erde befüllten Pflanzmulden von sieben
Kunststoffplatten (sog. Setzlingstrays) eingebracht. Bei einer polizeilichen Kontrolle im Anschluss an den Grenzübertritt nach Deutschland wurden die Setzlinge entdeckt und sichergestellt. Sie hatten nach Trocknung ein Gewicht von 200,15 Gramm und enthielten 7,005 Gramm THC.

Das LG hat die Tat als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gewertet. Bereits der Ankauf und der Transport der Cannabissetzlinge mit dem Ziel, Cannabisprodukte zu gewinnen und zu veräußern, stellten eine auf den Umsatz mit Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit und keine bloßen Vorbereitungshandlungen dar.

Der 3. Strafsenat möchte den Schuldspruch des angefochtenen Urteils dahin ändern, dass der
Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist, den Strafausspruch
aufzuheben sowie im Übrigen unter Verwerfung der weitergehenden Revision wegen des Strafausspruchs zurückverweisen.

Voraussetzung dafür ist aber, dass die Übernahme von Cannabissetzlingen in der Absicht, die zu einem späteren Zeitpunkt erwarteten Blüten als Marihuana (vgl. § 1 Nr. 6 und 8 KCanG) gewinnbringend zu verkaufen, bereits eine auf den Umsatz von Cannabis gerichtete Tätigkeit dar und sie nicht dem Stadium der straflosen Vorbereitung – ebenso wenig demjenigen des Versuchs (§ 34 Abs. 2 KCanG) – zuzurechnen ist.

Da das in der Rechsprechung des BGH zum Teil anders gesehen worden ist, fragt der 3. Strafsenat:

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Wer Cannabissetzlinge in Besitz nimmt, um ihren Ertrag nach weiterer Aufzucht in einer eingerichteten Plantage gewinnbringend zu verkaufen, verwirklicht den Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis, ohne dass ihre Einpflanzung in der Plantage erforderlich ist.

2. Der Senat fragt bei dem 5. und dem 6. Strafsenat an, ob an der anderslautenden Rechtsauffassung festgehalten wird (vgl. Urteil vom 15. März 2012 – 5 StR 559/11; Beschluss vom 27. Mai 2021 – 5 StR 337/20; Urteil vom 2. November 2022 – 6 StR 239/22), sowie vorsorglich bei den anderen Strafsenaten, ob dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.

Wegen der Einzelheiten der Begründung verweise ich auf den Volltext.

BtM/KCanG III: Besitz lebender Cannabispflanzen, oder: Einstellung aus tatsächlichen Gründen

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Und dann habe ich hier noch zwei Entscheidungen des LG Kaiserslautern, die an sich auch an einem „Gebührentag“ hätten Gegenstand der Berichterstattung sein können.

Ausgangspunkt ist der LG Kaiserslautern, Beschl. v. 24.04.2024 – 3 NBs 6214 Js 2740/23. Mit dem hat das LG ein Verfahren wegen des strafbaren Besitzes lebender Cannabispflanzen aus tatsächlichen Gründen eingestellt, aber davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen:

„Das Strafgesetz, das bei Beendigung der Tat galt (Anlagen zu § 29 BtMG), wurde geändert. Die Strafbarkeit des Besitzes lebender Cannabispflanzen richtet sich nunmehr nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 c) KCanG, wonach nur der Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen strafbar ist. Zwar wurden im vorliegenden Fall vier Cannabispflanzen bei den Angeklagten gefunden. Inwiefern sich die Besitzverhältnisse hinsichtlich dieser Cannabispflanzen gestalten, kann jedoch nicht mehr aufgeklärt werden. Zugunsten der Angeklagten muss daher unterstellt werden, dass getrennter Besitz vorlag und keiner der beiden Angeklagten mehr als drei Pflanzen besessen hat. Eine solche Tat ist jedoch nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 c) KCanG nicht mehr strafbar, weshalb das Verfahren gemäß § 206b StPO einzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO. Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung gefällt dem Verteidiger nicht. Er legt Beschwerde ein und hat mit der Erfolg. Das LG hilft ab und legt mit dem LG Kaiserslautern, Beschl. v. 08.05.2025 – 3 NBs 6214 Js 2740/23 – auch die notwendigen Auslagen der Landeskasse auf:

„Die Angeklagten hätten – wäre es zu einer Berufungshauptverhandlung gekommen – aus den Gründen des Beschlusses vom 24.04.2024 (Bl. 392 d.A.) freigesprochen werden müssen, woraufhin der Staatskasse neben den Verfahrenskosten auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten aufzuerlegen gewesen wären. Da die Einstellung des Verfahrens nach § 206b StPO insofern den Freispruch ersetzt, erscheint es angezeigt, hier eine entsprechende Kostenentscheidung zu treffen.“

BtM/KCanG II: Neuer Grenzwert/ „alte“ Drogenfahrt, oder: Freispruch auch nach Verwerfungsurteil

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 23.12.2024 – 201 ObOWi 1138/24.

Das AG hat mit Urteil v.15.07.2024 den Einspruch gegen einen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG gegen den Betroffenen erlassenen Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Nach dem Bußgeldbescheid steuerte der Betroffene am 10.12.2023 einen Klein-LKW im Straßenverkehr unter Wirkung eines berauschenden Mittels. Zum Zeitpunkt der Fahrt hatte der Betroffene in seinem Blut Tetrahydrocannabinol (THC) in einer Konzentration von 1,2 ng/ml.

Hiergegen wendet sich der Betroffene nach Zustellung des Urteils am 18.07.2024 indem er zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nach § 74 Abs. 4 OWiG) beantragt und Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Der Betroffene macht geltend, ihn treffe kein Verschulden an der Versäumung des Termins. Die GStA hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des AG vom 15.07.2024 aufzuheben, den Betroffenen freizusprechen. Es liege ein Verfahrenshindernis vor, weil die Tat nach Inkrafttreten des 6. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (BGBl. I 2024 Nr. 266) nicht mehr geahndet werden könne.

Das BayObLG folgt dem Antrag:

„c) § 354a StPO i.V.m. §§ 4 Abs. 3 OWiG, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist auch hier anwendbar, obwohl ein Urteil vorliegt, durch das der Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen worden ist, und damit ein reines Prozessurteil, das keine Feststellungen materiell-rechtlicher Art zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage enthält. § 354a StPO ist anwendbar, wenn die Sache irgendwie beim Revisions-/Rechtsbeschwerdegericht anhängig ist, und sei es nur durch einen Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO oder durch die zulässige Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO bzw. die zulässige Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG (LR/Franke StPO 26. Aufl. § 354a Rn. 9).

Es ist davon auszugehen, dass die nach § 4 Abs. 3 OWiG bedeutsame Gesetzesänderung in jeder Verfahrenslage, vom Rechtsbeschwerdegericht jedenfalls auf die hier erhobene allgemeine Sachrüge zu berücksichtigen ist, wenn die dem Betroffenen zur Last gelegte Sachverhalt nach dem zum Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdeentscheidung geltenden Recht nicht mehr ordnungswidrig ist (vgl. BayObLG, Beschl. v. 17.10.1969 – RReg. 4a St 78/69, NJW 1970, 262, 263 = BayObLGSt 1969, 142).

Die Generalstaatsanwaltschaft führt dazu aus:

„Die § 206b StPO zugrundeliegende Wertentscheidung des Gesetzgebers, wonach der vollständige Wegfall der Bußgelddrohung in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist, muss vielmehr auch bei der Auslegung des § 354a StPO Berücksichtigung finden. Der Wortlaut des § 354a StPO steht nicht entgegen; dieser enthält insoweit für den Fall des mit der allgemeinen Sachrüge anfechtbaren Verwerfungsurteils keine Einschränkung. Zudem stünde im Fall eines Sachurteils nach allgemeiner Meinung, etwa im Fall der beschränkten Anfechtung, selbst dessen Teilrechtskraft im Schuldspruch der Berücksichtigung der Rechtsänderung nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 01.12.1964 – 3 StR 35/64; BGHSt 20, 116, 118f.; BayObLG, Urt. v. 19.01.1961 – RReg. 4 St 9/61, NJW 1961, 688; Beschl. v. 17.07.2024 – 204 StRR 215/24, StraFo 2024, 353, 354f.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.05.2024 – 2 ORs 370 SRs 247/24, juris Rn. 8ff.; Fischer StGB 71. Aufl. § 2 Rn. 12 m.w.N.). Entsprechendes muss daher auch dann gelten, wenn noch überhaupt keine Rechtskraft eingetreten ist und durch die Entscheidung über das Verwerfungsurteil erst herbeigeführt werden soll (ebenso LR/Franke a.a.O.). Hinzu kommt, dass das Rechtsbeschwerdegericht den Bußgeldbescheid, aus dem sich der Tatvorwurf ergibt, als Verfahrensvoraussetzung auch nach Ergehen eines Verwerfungsurteils – jedenfalls auf die Sachrüge hin – ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muss.“

Diese in jeder Hinsicht zutreffenden rechtlichen Erwägungen macht sich der Senat nach eigener Sachprüfung zu eigen. Ein Bußgeldbescheid, dem eine Tat zugrunde liegt, die infolge Gesetzesänderung keine Ordnungswidrigkeit mehr darstellt und deshalb nicht mehr verfolgbar ist, kann nicht Verfahrensgrundlage sein, da der Richter sonst ein Gesetz anwenden müsste, zu dessen Existenzberechtigung bzw. Strenge der Gesetzgeber sich im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bekennt (Schönke/Schröder/Hecker StGB 30. Aufl. § 2 Rn. 14). Die Gesetzesänderung entfaltet dieselbe Wirkung wie ein Verfahrenshindernis.“

 

Entziehung der Fahrerlaubnis nach neuem KCanG, oder: Täglicher Cannabis-Konsum

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Heute steht dann mal wieder – es ist Samstag – der „Kessel Buntes“ an. Und in dem „köcheln“ heute zwei VG-Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis, also mal wieder Verkehrsverwaltungsrecht.

Ich beginne mit dem VG Ansbach, Beschl. v. 20.01.2025 – AN 10 S 24.2731. Der würde an sich auch an einem KCanG-Tag passen, aber zum KCanG habe ich im Moment keine berichtenswerten Entscheidungen. Daher dann heute. In der Entscheidun geht es noch einmal um die Entziehung der Fahrerlaubnis und/bei Cannabismissbrauch nach neuem Recht.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird um einstweiligen Rechtsschutz gegen den Entzug einer Fahrerlaubnis sowie die damit verbundene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins.

Die Antragstellerin war Inhaberin der Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, A (unb.), B, M, L und S. Die Antragsgegnerin erhielt Kenntnis von der vorschriftswidrigen Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel im Rahmen eines Suizidversuchs der Antragstellerin im Jahr 2022. Dem Arztbrief des behandelnden Klinikums vom 10.02.2022 war eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, Differentialdiagnose Schizophrenie Spektrum Störung zu entnehmen. Am 26.04.2022 wurde bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtiger schwerer Episode und psychotischen Symptomen diagnostiziert.

Im daraufhin eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin am 17. Mai 2023 zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf, da sich aufgrund der oben genannten Diagnosen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Fahreignung ergeben hätten. Laut dem beigebrachten ärztlichen Gutachten der pp. vom 4. September 2023 lag bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung und damit eine Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 FeV vor. Die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 bestehe, sofern die Auflage der sechsmonatigen fachärztlichen Kontrollen eingehalten werde. Eine am 28.07.2023 durchgeführte leistungspsychologische Untersuchung ergab keine Hinweise auf fahreignungsrelevante Beeinträchtigungen der psychofunktionalen Leistungsfähigkeit. Im Rahmen des Begutachtungsprozesses gab die Antragstellerin an, in der Vergangenheit über einen Zeitraum von eineinhalb bis zwei Jahren täglich Cannabis konsumiert zu haben. Die zwei während der medizinischen Untersuchung forensisch gesicherten, entsprechend den Beurteilungskriterien unter Sicht abgegebenen Urinproben ergaben keinen Hinweis auf aktuellen Drogenkonsum.

Mit Schreiben vom 25.09.2023 teilte die Antragsgegnerin dann mit, dass ausweislich des Gutachtens der pp. bei der Antragstellerin ein missbräuchlicher Drogen- und Arzneimittelkonsum in der Vergangenheit vorgelegen habe, jedoch mutmaßlich seit Anfang 2022 eine Betäubungsmittelabstinenz vorliege. Ein damit verbundener Einstellungswandel müsse im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung auf Stabilität hin überprüft werden. Sie wurde zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (ohne Reaktions- und Leistungstests) einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung folgender Fragen aufgefordert.

Nach negativer Begutachtung wurde wurde der Antragstellerin der beabsichtigte Entzug der Fahrerlaubnis angekündigt und ihr die Möglichkeit gegeben, Stellung zu nehmen. Die Antragstellerin gab dann an, dass sie von der Antragsgegnerin zuvor die Auskunft erhalten habe, dass keine Abstinenznachweise zu erbringen seien und legte ein ärztliches Attest ihres behandelnden Psychiaters vor, welches einen positiven Krankheitsverlauf und eine glaubhaft berichtete vollständige Cannabisabstinenz auswies.

Mit Bescheid vom 08.03.2024 wurde der Antragstellerin die Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, A (unb.), B, M, L und S entzogen. Zugleich verpflichtete die Antragsgegnerin sie, ihren Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides wurden angeordnet. Zudem wurde der Antragstellerin unmittelbarer Zwang angedroht.

Die Antragstellerin gab dann ihren Führerschein bei der Antragsgegnerin ab. Sie hat dann Klage erhoben und begehrt einstweiligen Rechtsschutz.

Und sie hatte Erfolg.

Ich stelle nicht die gesamte – wie immer bei einem VG umfangreiche – Begründung ein, sondern beschränke mich auf die Leitsätze. Die lauten:

1. Auch wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, rechtmäßig gewesen ist, kann viel dafür sprechen, dass sowohl der Entzug der Fahrerlaubnis wie auch die Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins gegen Treu und Glauben als allgemeiner auch im Verwaltungsrecht geltender Rechtsgrundsatz verstoßen. Das kann der Fall sein, wenn sich die Entziehung der Fahrerlaubnis vor dem Hintergrund der zum 1. April 2024 geänderten Rechtslage als widersprüchlich darstellt, das ggf. unter Anwendung des § 13a Nr. 2 FeV überwiegend wahrscheinlich sein kann, dass der Betroffene eines Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis diese ohne Weiteres wieder erteilt werden müsste.

2. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV (Alkoholmissbrauch) und um den Begriff des fahrerlaubnisrechtlich relevanten Cannabismissbrauchs nicht zu überdehnen, ist im Rahmen des § 13a Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Cannabiskonsum und einer Teilnahme am Straßenverkehr zu fordern. Hat der Betroffene keinem Zeitpunkt unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug geführt, darf ein mittelbarer Zusammenhang gerade nicht daraus gezogen werden, dass der in der Vergangenheit täglich Cannabis konsumierte, denn es ist unter Heranziehung der neuen Fassung der Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV ohne Hinzutreten weiterer Umstände gerade nicht mehr auf einen Kontrollverlust oder eine fehlende Trennfähigkeit zu schließen.