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Haft I: Haftgrund der sog. Schwerkriminalität, oder: Analoge Anwendung ist „dünnes Eis“

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Nach dem „Strafvollzugstag“ gestern dann heute ein Haft-Tag, also Entscheidungen zu Haftfragen.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 20.06.2023 – 4 Ws 88/23. Das OLG hat Stellung genommen zur Frage der analogen Anwendung des § 112 Abs. 2 StPo – Haftgrund der sog. Schwerkriminalität.

Die StA wirft dem Angeschuldigten vor, seine Stieftochter in der Zeit von 2012 bis 2017 sexuell missbraucht zu haben. Im Einzelnen wirft sie ihm neun Fälle schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB a.F. sowie einen Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 3 StGB a.F. vor.

Deswegen hat die StA den Erlass eines Haftbefehls gegen den Angeschuldigten unter Berufung auf den Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO beantragt. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die in der Anklageschrift aufgeführten Straftatbestände seien in § 112 Abs. 3 StPO nicht ausdrücklich benannt, so dass diese Norm keine Anwendung finde. Im Übrigen lägen weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr vor. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Dagegen die Beschwerde der StA, die keinen Erfolg hatte.

Zur Anwendung des § 112 Abs. 3 StPO führt das OLG aus:

„Entgegen der Ansicht des Landgerichts findet § 112 Abs. 3 StPO auf die Norm des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. – analoge – Anwendung. Zutreffend ist zwar, dass § 112 Abs. 3 StPO grundsätzlich nur auf die Normen Anwendung findet, die enumerativ in § 112 Abs. 3 StPO aufgezählt werden (vgl. Böhm in MüKOStPO, 2. Aufl. 2023, StPO, § 112, Rn. 88; Graf in KK, StPO, 9. Aufl. 2023, § 112, Rn. 41), wozu § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. nicht zählt. Insoweit ist die Regelung des § 112 Abs. 3 StPO aber analog anzuwenden.

Die Gesetzesbegründung steht dem nicht entgegen. Ein Wille des Gesetzgebers, Straftaten, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder am 1. Juli 2021 begangen wurden, aus dem Anwendungsbereich auszuschließen, ist nicht ersichtlich.

Ausweislich des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung vom 21. Oktober 2020 sollte in Fällen schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder die Anordnung der Untersuchungshaft erleichtert werden (Seite 2 des Gesetzesentwurfes). Durch die Aufnahme des mit der Regelung des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. wortgleichen § 176c Abs. 1 Nr. 2a) StGB n.F. in den Katalog des Untersuchungshaftgrundes der Schwerkriminalität in § 112 Absatz 3 StPO soll die hohe Bedeutung des geschützten Rechtsgutes zum Ausdruck gebracht werde (Seite 54 des Gesetzesentwurfes). Dass der Gesetzgeber sog. Altfälle anders bewerten wollte, ist nicht ersichtlich und erscheint dem Senat abwegig. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Aufnahme des dem § 176c Abs. 1 Nr. 2a) StGB n.F. entsprechenden § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. übersehen hat. Es liegt damit eine planwidrige Regelungslücke vor und eine Analogie ist aufgrund der Gleichheit des gesetzlich nicht geregelten Falls mit dem gesetzlich geregelten Fall geboten. Aufgrund des identischen Regelungsgehalts dieser beiden Normen kann der Bedeutung des geschützten Rechtsguts nur Rechnung getragen werden, wenn auch die Taten erfasst werden, die längere Zeit zurückliegen. Das Analogieverbot des § 103 Abs. 2 GG steht dem nicht entgegen, da dieses nicht auf das Strafverfahrensrecht Anwendung findet (vgl. BGH, Beschl. v . 25. November 2006 – 1 BGs 184/2006).“

Ich habe Bedenken, ob das richtig ist. Der § 112 Abs. 3 StPO ist ja schon eine Art Ausnahmevorschrift. Und die wendet man analog an? Und das bei einem Haftgrund (!!)?

Aber: Die Anwendung hat hier nichts gebracht, denn:

„Die Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 StPO sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Der Haftgrund der Schwerkriminalität ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass nach den Umständes des Falles die Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nicht auszuschließen sein darf oder die ernstliche Befürchtung besteht, dass der Beschuldigte weitere Straftaten ähnlicher Art begehen werde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15. Dezember 1965 – 1 BvR 513/65 in BVerfGE 19, 342 ff.). Es müssen auch hier stets Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, dass ohne Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnten. Der zwar nicht mit „bestimmten Tatsachen” belegbare, aber nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsverdacht kann u.U. bereits ausreichen. (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15. Dezember 1965 – 1 BvR 513/65 in BVerfGE 19, 342 ff.).

Zutreffend hat das Landgericht einen solchen Verdacht vorliegend verneint. Zwar hat der Angeschuldigte mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Allerdings hat der Angeschuldigte – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – bisher keinerlei Fluchttendenzen gezeigt. Unter dem 4. Mai 2023 ist dem Angeschuldigten die Anklageschrift zugestellt worden; dennoch ist nicht bekannt, dass er nunmehr Tendenzen in diese Richtung gezeigt hätte. Dies trotz des Umstandes, dass er, wie sich aus dem durch die Polizei ausgewerteten Chat zwischen ihm und seiner Ehefrau ergibt, eine realistische Straferwartung hat. In diesem Chat hat der Angeschuldigte geäußert, er werde „bestimmt 5-10 Jahre eingesperrt“ werden.

Auch ist vorliegend ein Verdunkelungsverdacht nicht gegeben…..“

Und da frage ich mich natürlich: Warum entscheidet man die Frage der analogen Anwendung des § 112 Abs. 3 StPO, wenn es darauf dann letztlich nicht ankommt. Dann kann man die Frage auch offen lassen, bevor man sich auf „dünnes Eis“ begibt.

Haft I: Nochmals Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: Kein Mittel der Verfahrenssicherung

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Und heute dann ein Tag mit Haftentscheidungen.

Ich beginne hier mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 26.05.2023 – 1 Ws 40/23. Ergangen ist der Beschluss in einem Haftbeschwerdeverfahren gegen einen Haftbefehl u.a. wegen des Tatvorwurfes der bandenmäßigen Beitragsvorenthaltung, des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges sowie der Steuerhinterziehung jeweils in einer Vielzahl von Fällen. Das OLG macht in der Entscheidung interessante Ausführungen zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) und auch zu den Fragen der §§ 121, 122 StPO.

Ich stelle hier wegen des Umfangs der Entscheidung nur die Leitsätze vor und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext zum Selbststudium. Die Leitsätze luten:

1. Die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist kein Mittel der Verfahrenssicherung, sondern eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten. Es sind daher aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen an den Haftgrund und die Qualität des Anlassdeliktes zu stellen.

2. Als die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Taten nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO kommen nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes in Betracht bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, wobei jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach den erforderlichen Schweregrad aufweisen muss.

3. Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet sein, die eine so starke Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die naheliegende Gefahr besteht, er werde noch vor rechtskräftiger Verurteilung in der den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache weitere gleichartige Taten begehen. Diese Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens, wobei auch Indiztatsachen zu berücksichtigen sind.

4. Betrugstaten nach § 263 StGB können auch dann taugliche Anlasstaten nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO darstellen, wenn lediglich aufgrund der in der Baubranche geltenden Beitragspflicht zur Sozialkasse Bau der § 263 StGB hier nicht von dem nicht im Katalog der Anlasstaten genannten spezielleren § 266a StGB verdrängt wird.

5. Die Ruhensvorschrift des § 121 Abs. 3 StPO findet Anwendung auch auf die Frist nach § 122a StPO für den Vollzug einer auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Untersuchungshaft.

Vollzug III: Nichtraucherschutz im (U-Haft)Vollzug, oder: Fürsorgepflicht der JVA

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Und die dritte Entscheidung betrifft dann den U-Haft-Vollzug, und zwar dort die Frage nach dem Nichtraucherschutz.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 22.09.2022 bis 14.03.2023 in Untersuchungshaft in der JVA X und wandte sich mehrfach mit Anträgen, die die Durchsetzung des Rauchverbots in der JVA zum Inhalt hatten, an diese. Mit Schreiben vom 28.12.2022 stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte u.a. die Umsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes durch die JVA X, Feststellung der Rechtswidrigkeit und Ortsbegehung sowie Sicherstellung der Videoaufnahmen durch das Gericht. Er fügte dem Antrag eine Skizze bei, die die räumlichen Verhältnisse der Abteilung D, in welcher er zum Antragszeitpunkt eine Zelle hatte, zeigt. Hierzu gab er an, seine Mitgefangenen würden im Gang zwischen den Zellen auf einer Tischtennisplatte sitzen und Zigaretten/Tabak konsumieren. Die Abteilung sei zeitweise komplett mit grauem Rauch durchzogen und „versinke in Zigaretten-/Tabakgestank“. Wenn er seine Zelle zum Duschen oder Aufschluss verlasse, sei er dem Rauch auf der Abteilung vollkommen ausgesetzt. Wenn seine Zelle geschlossen sei, ziehe der Zigaretten- bzw. Tabakrauch durch den unteren Schlitz der Zellentür in seine Zelle, da die rauchenden Gefangenen weiterhin Aufschluss hätten und rauchen würden.

Am 14.03.2023 wurde der Beschwerdeführer in die JVA Z verlegt.

Die JVA X nahm zum Antrag des Beschwerdeführers dahin Stellung, dass der Schutz von Nichtrauchern beachtet werde. Das AG hat denn den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde hatte mit dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.06.2023 – 12 Qs 40/23 – Erfolg:

„1. Im Rahmen der Zulässigkeit ist das Rechtsschutzinteresse trotz Erledigung der behaupteten Beeinträchtigung durch Verlegung des Beschwerdeführers gegeben. Bei einer Verletzung des Nichtraucherschutzes, der – wie vorliegend durch den Beschwerdeführer beschrieben – zu einer länger andauernden Beeinträchtigung geführt haben soll, liegt ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor. Dieser gebietet es, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen, auch wenn die Beeinträchtigung tatsächlich nicht mehr fortbesteht. Nur so kann verhindert werden, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in bestimmten Fallgestaltungen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 – 204 StObWs 277/20, juris Rn. 20 m.w.N.).

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die JVA X hat ihre Fürsorgepflicht verletzt, indem sie nicht durch geeignete Maßnahmen verhindert hat, dass der Beschwerdeführer in seiner Zelle einer erheblichen Rauchbelästigung ausgesetzt war.

a) Nach Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG, der für die Untersuchungshaft entsprechend gilt (Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 1.4.2023, BayUVollzG Art. 25 Rn. 6), ist der Schutz der Nichtraucher, soweit es bauliche und organisatorische Maßnahmen ermöglichen, zu gewährleisten. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Nr. 1 lit. b des Bayerischen Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (GSG) ist das Rauchen in Innenräumen der Gebäude der Behörden des Freistaats Bayern verboten. Nach Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GSG kann die Anstaltsleitung das Rauchen in Einzel-, Gemeinschaftshafträumen und anderen Gemeinschaftsräumen gestatten (Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed., Art. 58 BayStVollzG Rn. 11). Dies gilt jedoch nicht, wenn aus baulichen oder sonstigen Gründen eine räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern in Aufenthaltsräumen im Bereich eines Anstaltsbetriebes nicht möglich ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 – 204 StObWs 277/20, juris Rn. 25 f. m.w.N.).

b) Der Beschwerdeführer hat die von ihm gerügte Verletzung des Nichtraucherschutzes hinreichend konkret vorgetragen. Danach kam es laufend zu einer Rauchbelästigung, da die Mitgefangenen, deren Zellen über einen längeren Zeitraum aufgeschlossen waren, fortwährend rauchten und der Rauch durch den Schlitz an seiner Zellentür in seine Zelle gelangte bzw. auf dem Gemeinschaftsflur präsent war, wenn der Beschwerdeführer seine Zelle verließ. Da es sich dem Vortrag des Beschwerdeführers nach um eine ständige Belästigung handelte, kann im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes nicht verlangt werden, dass er – entsprechend einem Lärmprotokoll – einzelne Vorkommnisse genau dokumentiert.

Die JVA X ist dem Vortrag des Beschwerdeführers insoweit entgegengetreten, als sie in ihrer Stellungnahme vom 29.03.2023 ausführte, auf den Gemeinschaftsflächen bestünde Rauchverbot und etwaige Verstöße würden – soweit sie bekannt seien – disziplinarisch geahndet. Die Kammer hat hierzu ergänzend einen Dienstleiter der JVA X befragt. Dieser gab an, der Beschwerdeführer habe sich auf einer kleinen Abteilung befunden, in welcher Mitgefangene untergebracht gewesen seien, die arbeiten durften. Diese Mitgefangenen hätten sich tagsüber frei bewegen dürfen, was zur Folge gehabt habe, dass ihre Zellentüren häufig geöffnet wurden bzw. offenstanden. Da es den Gefangenen erlaubt sei, in ihrer eigenen Zelle zu rauchen, dringe dieser Rauch durch die offenen Türen auf den Gemeinschaftsflur und könne auch durch die Türschlitze in die Zellen der weiteren Gefangenen gelangen. Dies macht den Vortrag des Beschwerdeführers, wonach Rauch in seine Zelle dringe und auf dem Gemeinschaftsflur vorhanden sei, plausibel. Die Kammer geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer – unabhängig von der Frage, ob Mitgefangene tatsächlich nicht nur in ihren Zellen, sondern auch auf dem Flur geraucht haben – jedenfalls für einen erheblichen Zeitraum dem Rauch, der von den Zellen der Mitgefangenen durch geöffnete Türen austrat und durch den Schlitz der Zellentür in die Zelle des Beschwerdeführers eintrat, ausgesetzt war.

c) Der Schutz vor Passivrauchen war jedenfalls in der Zelle des Beschwerdeführers, in der er sich nicht nur kurzfristig aufhielt, zu gewährleisten. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund seiner Inhaftierung einer Beeinträchtigung seiner Gesundheit nicht in gleicher Weise entziehen kann, wie eine Person, die sich auf freiem Fuß befindet und ohne Weiteres den Ort wechseln kann, um einer Raucheinwirkung zu entgehen. Angesichts der nicht auszuschließenden gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens greift die gemeinschaftliche Unterbringung eines Rauchers und eines Nichtrauchers – jedenfalls wenn der Betroffene ihr nicht zustimmt – in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der nichtrauchende Gefangene hat Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal (BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 – 204 StObWs 277/20, juris Rn. 25 f. m.w.N.).

Auf welche Weise die JVA den Nichtraucherschutz umsetzen hätte müssen, hat die Kammer nicht zu entscheiden. Die JVA hat jedenfalls im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens mit geeigneten Maßnahmen dafür zu sorgen, dass dort einsitzende Nichtraucher auf ihrer Zelle keiner Beeinträchtigung durch Zigarettenrauch ausgesetzt sind. Die Kammer verkennt nicht, dass die effektive Umsetzung des Nichtraucherschutzes angesichts der Vielzahl an Rauchern in der JVA nicht einfach ist. Im Falle der Unterbringung eines Nichtrauchers in einer Abteilung, in der sich Gefangene mehr oder weniger frei bewegen können und es somit zu offenstehenden oder häufig geöffneten Türen kommt, muss die JVA jedenfalls mit zusätzlichen Maßnahmen sicherstellen, dass kein Zigarettenrauch in die Zelle von nichtrauchenden Mitgefangenen eindringt.“

U-Haft III: Zuständigkeitswechsel bei Haftbeschwerde, oder: Umdeutung der nicht erledigten Haftbeschwerde

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Und dann noch als dritte Entscheidung der OLG Hamm, Beschl. v. 25.04.2023 – 3 Ws 127/23. Es geht umd die Frage der Zuständigkeit zur Entscheidung über eine (nicht erledigte) Haftbeschwerde bei einem Zuständigkeitswechsel im Laufe des Verfahrens.

Dazu meint das OLG – ebenso wie die überwiegende Meinung, so dass die Leitsätze reichen:

1. Eine Haftbeschwerde, die nach Aufhebung eines erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht an einen anderen Spruchkörper eingelegt worden ist, ist grundsätzlich in einen Haftprüfungsantrag umzudeuten.

2. Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn eine Umdeutung lediglich zu einer sachlich nicht gebotenen kurzfristig erneuten Haftentscheidung desselben Spruchkörpers führen und die Anrufung des Beschwerdegerichts ohne sachlich zwingende Gründe verzögern würde, weil derselbe Spruchkörper erst kurz zuvor eine ausreichend begründete Haftentscheidung (gegebenenfalls als Beschwerdegericht) getroffen hat. Hat der neue Spruchkörper zur Zeit der Beschwerdeeinlegung jedoch noch keine begründete Haftentscheidung getroffen, ist es sachlich nicht gerechtfertigt, diesem lediglich die bloße Abhilfeentscheidung (§ 306 Abs. 2 StPO) zu überlassen.

U-Haft II: Zusätzliche Beschränkungen in der U-Haft, oder: Das geht nicht „standardmäßig“

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Und als zweite Entscheidung zu Haftfragen dann hier der LG Stuttgart, Beschl. v. 18.04.2023 – 9 Qs 22/23. Das ist einer der Beschlüsse, bei dem man nach dem Lesen weiß, dass das AG „nicht glücklich“ damit ist/sein wird.

Es geht um die Anordnung Haftbeschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO in einem Verfahren wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit einer Schusswaffe u.a. Das AG hatte neben der U-Haft wegen Fluchtgefahr zusätzlich angeordnet, dass Besuche sowie die Telekommunikation des Beschuldigten der Erlaubnis bedürfen und zu überwachen sind. Auch sei der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen. In den Beschlussgründen wurdeausgeführt, dass die Anordnungen „wegen des Vorliegens der Haftgründe erforderlich und zumutbar seien. Zudem entsprächen die Anordnungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass der Beschuldigte Fluchtversuche unternimmt, da er schon vor der Festnahme untergetaucht gewesen sei.

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass beschränkender Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

1. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart, der die Strafkammer folgt, sind Haftbeschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO nur zulässig, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine reale Gefahr für die gesetzlichen Haftzwecke besteht, die nicht anders als durch die in Rede stehenden Beschränkungen abgewehrt werden können (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. Februar 2022 — 1 Ws 21/22, juris Rn. 8). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll aus grundrechtlichen Erwägungen jede Beschränkung auf ihre konkrete Erforderlichkeit geprüft und begründet werden, eine standardmäßige Beschränkung der Rechte des Untersuchungsgefangenen ist nicht zulässig (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Januar 2021 — 3 Ws 7-9/21). Bei der Anwendung des § 119 Abs. 1 StPO ist insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb nur unvermeidlichen Einschränkungen seiner Grundrechte unterworfen werden darf (BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2014 — 2 BvR 1513/14, juris Rn. 18).

Hieraus folgt insbesondere, dass beschränkende Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO nur dann zulässig sind, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine reale Gefahr für die gesetzlichen Haftzwecke besteht; die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbrauchen könnte, genügt hingegen nicht (OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Bremen, Beschluss vom 10. Mai 2022 —1 Ws 30/22).

2. Von diesen Maßstäben ausgehend hält der angefochtene Beschluss der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Konkrete Anhaltspunkte für eine reale Gefahr für die gesetzlichen Haftzwecke werden in der Entscheidung des Amtsgerichts nicht dargelegt und sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Angeklagte, sei es aus der Justizvollzugsanstalt heraus oder mithilfe von auf freiem Fuß befindlichen dritten Personen, Fluchtvorbereitungen getroffen hätte.

a) Dabei hat die Strafkammer nicht übersehen, dass sich der Beschuldigte einem vor dem Amts-gericht Ellwangen geführten Strafverfahren durch Flucht entzogen hatte und erst nach mehreren Monaten und umfangreichen Fahndungsmaßnahmen festgenommen werden konnte. Dieser Umstand rechtfertigt die Anordnung von Haftbeschränkungen jedoch nicht, wenn es, wie vorliegend, an konkreten Anhaltspunkten für aktuelle Fluchtplanungen fehlt. Denn in solchen Fällen wird der Gefahr der Flucht eines Beschuldigten bereits durch dessen Inhaftierung hinreichend begegnet, zumal ein Entweichen aus der Untersuchungshaft anderer Planungen bedarf als das Untertauchen eines Beschuldigten, der sich auf freiem Fuß befindet (OLG Stuttgart a.a.O., juris Rn. 11).

b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Beschuldigte strafrechtlich nicht unerheblich vorbelastet ist und nach polizeilichen Erkenntnissen der rechten Szene angehört.

Zwar kann zur Feststellung einer Gefahr, die die Anordnung von haftgrundbezogenen Beschränkungen rechtfertigen kann, auch auf tatsachengestützte allgemeine Erfahrungssätze zurückgegriffen werden (OLG Bremen, Beschluss vom 7. September 2022 — 1 Ws 97/22). Ein Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Beschuldigter, der sich vor seiner Inhaftierung der Festnahme durch Flucht zu entziehen versuchte, auch aus der Haft heraus Fluchtvorbereitungen trifft, besteht jedoch nicht (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Auch folgt eine konkrete Fluchtgefahr nicht allei-ne aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene.

c) Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Vollzug der Untersuchungshaft für den Be-schuldigten schon allein aus Gründen der Sicherheit und Ordnung in der Vollzugsanstalt nach den einschlägigen justizvollzugsrechtlichen Vorschriften des Landes Baden-Württemberg mit di-versen Beschränkungen verbunden ist, ohne dass es hierfür gesonderter Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO bedarf. So ermächtigen etwa die §§ 13, 14, 17, 19, 20 und 21 JVollzGB II die zuständige Justizvollzugsanstalt zu umfangreichen Überwachungsmaßnahmen im Zusammen-hang mit den Verkehr mit der Außenwelt und die §§ 43 bis 53 JVollzGB II rechtfertigen Maßnah-men zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt.“