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U-Haft II: Anpassung des Haftbefehls, oder: In einfach gelagerten Sachen muss das schnell gehen

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

In der zweiten Haftentscheidung, dem OLG München, Beschl. v. 16.09.2020 -1 Ws 680/20 H -, den mir der Kollege Wamser aus Passau geschickt hat, geht es um die (erste) Haftprüfung durch das Oberlandesgericht (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 1 StPO). Das OLG hat gesagt: (Derzeit) noch nicht:

„Der am 05.03.2020 vorläufig festgenommene Angeschuldigte pp. befindet sich in dieser Sache seit dem 05.03.2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Straubing.

Der ursprüngliche Haftbefehl des Amtsgerichts Passau vom 05.03.2020 (Gz.: Gs 470/20), eröffnet am 05.03.2020, wurde zwischenzeitlich ersetzt durch einen neuen erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts Passau vorn 31.07.2020, Az.: 4 Ls 33 Js 3472/20. eröffnet am 14.08.2020.

Da die Untersuchungshaft des Angeschuldigten mit Ablauf des 04.09.2020 länger als 6 Monate andauert, hat die Staatsanwaltschaft Passau aufgrund der Verfügung des Amtsgerichts Passau vom 14.08.2020 die Akten der Generalstaatsanwaltschaft München zur Vorlage an den Senat zur Überprüfung gemäß §§ 121 Abs 1, 122 Abs.1 StPO übersandt.

II.

Eine Haftprüfungsentscheidung durch den Senat ist derzeit nicht veranlasst.

Eine Überprüfung der vorgelegten Akten durch den Senat hat ergeben. dass sich der dringende Tatverdacht gegen den Angeschuldigten hinsichtlich der Straftat gemäß Ziffer 7. des aktuellen Haftbefehls vom 31.07.2020 (Diebstahl zwischen dem 19.02.2020, 19:00 Uhr und dem 20.02.2020. 07:00 Uhr zum Nachteil der Firma pp., der erstmals in dem erweiterten Haftbefehl vom 31.07.2020 enthalten ist) frühestens durch die Mitteilung der Zeugin pp. vom 07.04.2020 und das Auffinden des Erddepots am 07.04.2020 ergeben hat, in dem alle entwendeten Gegenstände der Firma aufgefunden wurden.

Dieser Tatvorwurf mit einem Diebstahlschaden von rund 4.240 Euro wäre auch isoliert geeignet gewesen, einen Haftbefehl zu erlassen.

Der nicht unerhebliche neue Tatvorwurf des Diebstahls zwischen dem 19.02.2020, 19:00 Uhr Ui dem 20.02.2020, 07:00 Uhr zum Nachteil der Firma pp. hätte nach Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft und des damit befasste Gerichts an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag, mithin am 08.04.2020 Eingang in einen neuen Haftbefehl finden können.

Zwar wird die Einräumung einer Überlegungsfrist der Staatsanwaltschaft von bis zu 14 Tagen von den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof nicht immer einheitlich beurteilt. Der Senat folgt aber grundsätzlich der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach den Strafverfolgungsbehörden in einfach gelagerten Fällen keine Überlegungsfrist einzuräumen ist.

Mit dem Bundesgerichtshof ist der Senat der Ansicht, dass für die Fristberechnung maßgeblich ist, wann der neue bzw. erweiterte Haftbefehl hätte erlassen werden können (BGH, Beschluss vom 06.04.2017, BeckRs 2017, 108135, Rn. 8).

Allenfalls in Einzelfällen, in denen angesichts des Umfanges und der rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Erlass eines Haftbefehls in kurzer Zeit nicht möglich ist, ist bei angemessener Prüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht sowie der erforderlichen Sorgfalt bei der Formulierung des Haftbefehls davon auszugehen, dass die Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft und der Erlass des Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter eine angemessene Überlegungsfrist erfordern kann (vgl. BGH, Beschluss vom 25.7.2019 — AK 34/19, BeckRS 2019, 17175, beck-online, und 2. Strafsenat des OLG München, Beschluss vom 11.09.2019 – 2 Ws 923 – 924/19 H).

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in seiner vorgenannten Entscheidung 25.07.2019 – AK 34/19 – vielmehr ausgeführt, dass der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 9 mwN), weswegen regelmäßig der Lauf der (neuen) Sechsmonatsfrist an diesem Tage beginnt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 6, 8; KG, Beschluss vom 15. August 2013 – 4 Ws 108/13, juris Rn. 13 mwN).

Nachdem es sich bei dem gegenständlichen Verfahren zwar um ein komplexeres, aber rechtlich bzw. tatsächlich nicht überdurchschnittlich schwieriges Verfahren handelt, geht der Senat davon aus, dass vorliegend keine Überlegungsfrist zuzubilligen war.

Dies bedeutet für die Eingrenzung des Fristenlaufs, dass die neue 6-Monats-Frist des § 121 Abs. 1 StPO am 08.04.2020 zu laufen begann und sich das neue Fristende daher auf das Tagesende des 07.10.2020 errechnet.“

Die Entscheidung kann man den Ermittlungsbehörden zusammen mit der Rechtsprechung des BGH auch in anderen Konstellationen „unter die Nase reiben.“

U-Haft I: Telefonieren aus der U-Haft in Corona-Zeiten, oder: Mit den Eltern schon, mit den Schwestern nicht

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Seit längerem heute dann mal wieder drei U-Haft-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem AG Kempten, Beschl. v. v. 28.10.2020 – 1 Gs 3356/20 -, der an das gestrige Tagesthema anknüpft, also Corona. Es geht um das Telefonieren eines U-Haft-Gefangenen in Coronazeiten. Das AG hat ein Telefonat mit den Eltern, die in Tschechien wohnen, genehmigt, mit den Schwestern hingegen abgelehnt:

„Dem Antrag des Rechtsanwaltes pp. vom 20.10.2020, Telefonate zwischen den Eltern des Beschuldigten und dem Beschuldigten zu gestatten, war im Hinblick auf ein Telefonat stattzugeben.

Der Antrag, Telefonate zwischen den Schwestern des Beschuldigten und dem Beschuldigten zu gestatten, war zurückzuweisen.

Grundsätzlich widerspricht das Begehren eines Untersuchungsgefangenen, Telefonate mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt zu führen oder von solchen empfangen zu dürfen, sowohl dem Zweck der Untersuchungshaft als auch der Anstaltsordnung.

Telefonate können daher nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen genehmigt werden. Bei berechtigtem Interesse können Telefonate insbesondere mit Familienangehörigen im Einzelfall erlaubt werden. Bei Telefonaten mit nahen Familienangehörigen ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG ein großzügiger Maßstab angezeigt (vgl. BeckOK StPO/Kreuß, 37. Ed. 1.7.2020, StPO § 119 Rn. 20).

Vorliegend war ein Telefonat zwischen dem Beschuldigten und seinen Eltern zu genehmigen. Des von der Staatsanwaltschaft Kempten eingeräumte Besuchsrecht kann auf Grund der derzeitigen Lage im Hinblick auf die Corona-Pandemie nicht oder nur sehr erschwert ausgeübt werden. So Ist die Tschechische Republik derzeit vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft, so dass sich diverse Reisebeschränkungen ergeben.

Des Weiteren ist derzeit nicht vorhersehbar, ob und wie sich die Besuchsregelungen in der JVA angesichts der epidemiologischen Entwicklung In naher Zukunft ändern.

Auch Im Hinblick auf das Alter der Eitern des Beschuldigten war aus diesen Gründen ein Telefonat zu genehmigen.

Ein Telefonat mit den Schwestern des Beschuldigten war vorliegend Jedoch nicht zu genehmigen.

Auch wenn die Einschränkungen des Besuchsrechts auch die Schwestern des Beschuldigten trifft, so Ist nach Ansicht des Gerichts dem Interesse des Beschuldigten auf Kontakt mit seiner Familie durch das Telefonat mit den Eltern genügend Rechnung getragen.

Eine Ausweitung von Telefonaten auf weitere Familienangehörige widerspricht dem Zweck der Untersuchungshaft als auch der Anstaltsordnung. Dies vor allem im Hinblick auf das erhebliche Gewicht der Tat und der erheblichen Verdunkelungsgefahr.

Hinsichtlich der Schwestern des Beschuldigten ist der Beschuldigte auf die Möglichkeit des Briefverkehrs zu verweisen, welcher ebenfalls eine Kontaktaufnahme ermöglicht.“

U-Haft I: Fixierung, oder: Nicht in der U-Haft

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Heute gibt es dann drei Postings zu „Haftfragen“.

Ich beginne mit dem AG Lübeck, Beschl. v. 31.08.2020 – 9 XIV 17461 L. Das AG hat die Frage entschieden, ob in Schleswig-Holstein während der U-Haft die  die Anordnung einer Fixierung zulässig ist.Grudnlage war folgender Sachverhalt:

„Der Betroffene ist U-Haftgefangener. Die Untersuchungshaft wurde seit dem 03.07.2020.in der JVA N. vollzogen. Nachdem der Betroffene am 30.08.2020 einen Bediensteten der Untersuchungshaftabteilung mit einem gefährlichen Gegenstand angegriffen und verletzt hatte, wurde er unter Fesselung am 31.08.2020 in die JVA L. verlegt und machte bei seiner Zuführung einen zunächst ruhigen und kooperativen Eindruck. Bei der Abnahme der für den Transport angeordneten Handfesseln schlug er direkt auf die umstehenden Bediensteten ein. Der Betroffene wurde erneut an den Händen gefesselt und in den besonders gesicherten Haftraum (bgH) verbracht. Während des Transports in den bgH war der Betroffene erneut ruhig. Bei erneuter Abnahme der Handfesseln wurde der Betroffene wieder aggressiv und versuchte die Bediensteten körperlich zu attackieren. Daraufhin wurde der Betroffene gegen 12.50 Uhr fixiert. Gegen 14.00 Uhr erfolgte eine Antragstellung beim Amtsgericht Lübeck sowie gegen 15.00 Uhr eine körperliche Untersuchung des Betroffenen durch den stellvertretenden Anstaltsarzt Dr. L. Um 16.30 Uhr wurde der Betroffene 7- Punkt fixiert in der JVA angetroffen und im Beisein des ihm beigeordneten Verfahrenspflegers angehört.“

Das AG verneint die Zulässigkeit der Fixierung und hat den entsprechenden Antrag zurückgewiesen:

„Für die freiheitsentziehende Maßnahme der Fixierung fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Fixierung des betroffenen Gefangenen ist auf Basis des § 49 UVollzG SH nicht möglich. Diese von der JVA in Anspruch genommene Vorschrift nennt in Abs. 2 Nr. 6 als besondere Sicherungsmaßnahme die Fesselung. Eine Fesselung ist allerdings etwas anderes als eine Fixierung. Eine Fesselung beschränkt die Bewegungsfreiheit der Extremitäten, nicht des ganzen Körpers. Dies ergibt sich bereits aus § 51 S. 1 UVollzG SH, wonach in der Regel Fesseln nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Selbst wenn hieraus geschlossen werden könnte, dass von dieser Regel Ausnahmen möglich sein müssen und eine solche die 7-Punkt-Fixierung sei, dürfte eine solche von der regelmäßigen Fesselung abweichende besondere Fesselung nur im Interesse des Gefangenen angeordnet werden, § 51 S. 2 UVollzG SH. Hier wurde die Fixierung (als besondere Art der Fesselung) allerdings im Interesse der Bediensteten angeordnet, denn diese sollen vor weiteren Angriffen des betroffenen Gefangenen geschützt werden. Selbst bei einer extensiven Auslegung des Begriffes Fesselung könnte die hiervon der JVA durchgeführte und nachträglich beantragte Maßnahme also nicht auf § 49 Abs. 2 Nr, 6 UVollzG SH gestützt werden.

Die extensive Auslegung des Begriffes „Fesselung“ überzeugt ohnehin nicht. Eine Fixierung, also die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit in jede Richtung, ist etwas andere als eine Fesselung, die die Extremitäten beschränkt. Dies ergibt neben der Auslegung des Begriffes auch die Gesetzessystematik. § 49 UVollzG nennt ausweislich der Überschrift „Besondere Sicherungsmaßnahmen“. Unter derselben Überschrift regelt § 108 LStVollzG SH dies für den Bereich des Strafvollzugs, also einer der U-Haft sehr ähnlichen Situation, die auch in denselben Haftanstalten vollzogen wird. Hier sind als besondere Sicherungsmaßnahme ausdrücklich die Fesselung sowie die Fixierung genannt, § 108 Abs. 2 Nr. 5, 6 LStVollzG SH. Mithin unterscheidet der Landesgesetzgeber durchaus zwischen Fesselung und Fixierung. Das UVollzG wurde im Jahre 2011 beschlossen, das LStVollzG im Jahre 2016. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Jahre 2011 eine andere Begrifflichkeit verwendet hat als 5 Jahre später.

Auch ist der Gesetzgeber verpflichtet, insbesondere die Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen. Freiheitsentziehungen sind in berechenbarer messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln, BVerfG a. a. O., Randnummer 79. Dies spricht gerade in diesem Bereich gegen die den Wortlaut überdehnende Auslegung, dass eine Fixierung eine besondere Form der Fesselung sei.

Da auf Basis des U-Haftvollzugsgesetz keine Fixierung angeordnet werden kann, ist der Antrag der Justizvollzugsanstalt mangels gesetzlicher Grundlage insgesamt zurückzuweisen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Möglichkeit der Anordnung der Fixierung unmittelbar aus der Verfassung folgen würde, wie es das BVerfG für Fixierungen in Bayern angenommen hat, da die dortige Regelung der öffentlich rechtlichen Unterbringung an entsprechender Klarheit zu wünschen übrig ließ, BVerfG a. a. O., Randnummer 128, 129. Das Bundesverfassungsgericht hatte innerhalb einer Übergangsfrist trotz fehlender gesetzlicher Grundlage Fixierungen für zulässig erklärt soweit sie unerlässlich sind, um eine gegenwärtige erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer abzuwenden.

Selbst wenn man annehmen würde, dass bei Vollzug einer Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein unter diesen strengen Voraussetzungen trotz fehlender gesetzlicher Grundlage eine Fixierung zulässig wäre, so wäre sie im konkreten Fall jedoch nicht anzuordnen. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Betroffenen für andere ausgehende Gefahr nicht auch im besonders gesicherten Haftraum abgewendet werden könnte. Zwar wäre er erst einmal dort hinzubringen, seine Fesselung wäre dann zu lösen, durch geeignete Personalstärke wird es aber gelingen, den betroffenen Gefangenen in den bgH zu verbringen und dort die Fesselung zu lösen, ohne dass die dies durchführenden Beamten verletzt werden. Jedenfalls ist die Gefahr für das eingesetzte Personal bei dem unbewaffneten Gefangenen nicht so hoch, dass sein Aufenthalt in der JVA ohne Fixierung nicht riskiert werden könnte; erst dann aber dürfte eine einfach gesetzliche nicht geregelte Fixierungsmöglichkeit sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben.

Schließlich ist bei der Frage, ob sich nicht aus der Verfassung eine Fixierungsmöglichkeit ergäbe, zu berücksichtigen, dass andere Maßnahmen zwischen Aufnahme in die Haftanstalt und der Verlegung nach Lübeck möglicherweise eher angezeigt gewesen wären, um die Verbringung in den bgH, Fesslungen und jetzt eine Fixierung und gleichzeitig Gefahren für Dritte zu vermeiden. Nach dem Eindruck, den das Gericht vom Betroffenen gewonnen hat und nach den Ausführungen des Anstaltsarztes dürfte beim Betroffenen eine psychotische Symptomatik vorliegen, die zu raptusartigen Durchbrüchen führt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Betroffene auf eine psychiatrische Grunderkrankung überhaupt untersucht worden ist, geschweige denn dass versucht wurde, diese zu behandeln. Die Verlegung von der JVA N., bei der eine psychiatrische Behandlung immerhin möglich ist, in die JVA L. erscheint daher verwunderlich. Den Gefangenen bei Wiederherstellung seiner Gesundheit zu unterstützen ist aber eine der Aufgaben der JVA; bei Gefahren für Dritte wie vorliegend kämen auch Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Betroffenen in Betracht, § 21 UVollzG. Es ist nicht ersichtlich, dass solches in der bisher zuständigen JVA auch nur erwogen wurde.

Auch weckt die Durchführung der Fixierung in der JVA L. Bedenken. Der Betroffene hat sich ausweislich der Anhörung und der Schilderungen der Justizbediensteten in einem starken Erregungszustand befunden, was auch die ärztliche Stellungnahme belegt. Den Betroffenen in einem solch starken Erregungszustand ohne jede beruhigende Medikation zu fixieren scheint nicht sachgemäß und medizinisch kaum vertretbar zu sein; der Erregungszustand dürfte sich im nicht beruhigten fixierten Zustand eher verstärken. Dies muss allerdings nicht abschließend beurteilt werden, da aus vorgenannten Gründen die Fixierung ohnehin nicht anzuordnen ist.“

U-Haft-Beschränkungen, oder: Briefkontrolle, Dauerbesuchserlaubnis und Telefonerlaubnis

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Beschl. v. 11.05.2020 – 3 Ws 94/20 (UVollz), 3 Ws 110/20 (UVollz) u. 3 Ws 112/20 (UVollz) in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Betruges zu der der Angeklagaten im Rahmen der U-Haft auferlegte Beschränkungen Stellung genommen.

Das LG hatte einen an den Zeugen gerichteten Brief der Angeklagten angehalten und beschlagnahmt, weil davon auszugehen sei, dass der Brief von der Angeklagten unter Umgehung der „Postkontrolle“ verschickt worden sei. Dies sei erst aufgefallen, nachdem der Brief wegen Unzustellbarkeit als Retoure zurück in die Justizvollzugsanstalt gelangt sei. Dabei sei festgestellt worden, dass zwar der Brief selbst, nicht aber die Beschriftung des Umschlages von der Angeklagten verfasst worden sei. Dagegen hatte die Angeklagte geltend gemacht, dass sie den Brief nicht unter Umgehung der Postkontrolle verschickt habe. Die Beschriftung des Umschlages habe sie nur deshalb von einer Mitgefangenen vornehmen lassen, weil sie selbst sich am Tag der Versendung in den Finger geschnitten habe. Den Brief habe sie bereits mehrere Tage vor der Verletzung verfasst.

Außerdem sind vom LG ein Antrag auf Erteilung einer Dauerbesuchserlaubnis für die Angeklagte sowie der Antrag der Angeklagten auf Erteilung einer Erlaubnis zum Führen von Telefonaten mit mehreren Personen abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Ablehnungen zur Vermeidung einer Verdunkelungsgefahr erforderlich seien. Es lägen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Angeklagte in der Vergangenheit die „Haftkontrolle aktiv umgangen“ habe. Der Kontakt könne ausreichend mittels Briefverkehr aufrechterhalten werden. Eine Überwachung der Telefongespräche könne der bestehenden Gefahr nicht ausreichend entgegenwirken. Eine umfassende Überwachung sei nicht möglich. Eine Gewähr für die Identität der jeweiligen Gesprächspartner bestehe nicht. Dagegen hat die Angeklagte geltend gemacht, dass der Verweis auf bloßen Briefverkehr nach neun Monaten Untersuchungshaft unverhältnismäßig sei, nachdem die Beweisaufnahme „so gut wie abgeschlossen“ und „alle Zeugen vernommen“ worden seien.

Das OLG hat die Beschränkungen aufgehoben. Begründung u.a.:

„1. Das Landgericht hat das Anhalten und die Beschlagnahme des Briefes auf eine Umgehung der „Postkontrolle“ gestützt, obwohl eine Anordnung nach § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO, dass der Schriftverkehr der Angeklagten zu überwachen ist, zuvor nicht getroffen worden war. Ebenso hat das Landgericht die Erteilung von Erlaubnissen für den Empfang von Besuchen und das Führen von Telefongesprächen abgelehnt, ohne dass eine Anordnung nach § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO ergangen war, dass der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Angeklagten der Erlaubnis bedürfen. Sollen aber einer oder einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a StPO) auferlegt werden, ist eine den Anforderungen nach § 119 StPO genügende, einzelfallbezogene Anordnung (sog. Haftstatut) notwendig, die der oder dem Beschuldigten zur Kenntnis zu geben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Januar 2020 – 3 Ws 372/19 [(UVollz], juris). Eine solche Anordnung ist hier unterblieben. Sie ist insbesondere nicht in dem Aufnahmeersuchen des Amtsgerichts Hannover vom 15. Juli 2019 und dem diesem beigefügten Formblatt „Anordnungen für den Vollzug“, in dem hinter verschiedenen Textzeilen Felder mit „Ja“ oder „Nein“ angekreuzt worden sind, zu erkennen. Denn weder enthielt diese Anordnung eine Begründung noch ist die bei Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 Satz 6 StPO erforderliche Benachrichtigung der Beschuldigten hierüber erfolgt (vgl. Senat aaO).

2. Die angefochtenen Entscheidungen finden auch keine Rechtfertigung in §§ 133 ff. NJVollzG.

Zwar enthält das NJVollzG Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft. Insbesondere bedürfen auch ohne ein „Haftstatut“ nach § 119 Abs. 1 StPO Besuche in der Untersuchungshaft der Erlaubnis des Gerichts (§§ 143, 144 NJVollzG). Der Schriftverkehr von Untersuchungsgefangenen unterliegt der Überwachung (§ 146 NJVollzG). Telefongespräche von Untersuchungsgefangenen bedürfen der Erlaubnis der Vollzugsbehörde, die nur mit Zustimmung des Gerichts erteilt werden darf (§ 148 Abs. 1 NJVollzG).

Allerdings greifen diese Beschränkungen nur, soweit sie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Vollzugsanstalt erforderlich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 – 3 BGs 82/12, BGHR StPO § 119 Abs. 1 Beschränkung 1 mwN). Denn nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 30. Oktober 2014 – 2 BvR 1513/14 – (NStZ-RR 2015, 79) entschieden hat, dass auch nach der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Untersuchungshaftvollzug auf die Länder die bundesgesetzliche Regelung des § 119 StPO weiterhin die alleinige Rechtsgrundlage für Beschränkungen darstellt, die dem Zweck der Untersuchungshaft zu dienen bestimmt sind, kann der Auffassung, dass § 119 StPO in Niedersachsen für den Bereich der Untersuchungshaft keine Anwendung findet, nicht mehr gefolgt werden (so schon Senatsbeschluss vom 22. Februar 2019 – 3 Ws 67/19 (UVollz), Nds. Rpfl. 2019, 327). Dementsprechend dürfen einem Untersuchungsgefangenen Beschränkungen, die zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr erforderlich sind, ausschließlich nach § 119 Abs. 1 StPO auferlegt werden, während ohne ein solches „Haftstatut“ nur Gründe der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zum Tragen kommen können.

Da im vorliegenden Fall das Landgericht allein auf Erwägungen einer möglichen Verdunkelungsgefahr abgestellt hat, sind die Beschränkungen allein an § 119 Abs. 1 StPO zu messen, dessen Voraussetzungen mangels Haftstatuts – wie bereits ausgeführt – nicht erfüllt sind.

3. Abgesehen davon tragen auch die sachlichen Erwägungen die angefochtenen Beschränkungen nicht……“

Rest dann bitte selbst im Volltext lesen :-).

Durchsuchung III: Körperliche Durchsuchung mit Entkleidung, oder: Grundsätzlich unzulässig

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Und die dritte Entscheidung zur Durchsuchung stammt aus dem Bereich des Untersuchungshaftvollzug. Gegenstand der Entscheidung ist Zulässigkeit einer körperlichen Durchsuchung mit Entkleidung. Das OLG Hamburg hat diese im OLG Hamburg, Beschl. v.  19.05.2020 – 3 St 1/20 – als unzulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den nachfolgenden Beschluss:

„Die Antragstellerin befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 02. September 2019 seit dem 09. September 2019 als Untersuchungsgefangene in der JVA Billwerder – Teilanstalt für Frauen.

Für den Transport zum Ort der Hauptverhandlung hat die Leiterin der Teilanstalt für Frauen folgende Anordnung getroffen:

„Transporte, die im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht durchgeführt werden, sind im Wege des Transportes durch den Gefangenentransportwagen in die Untersuchungshaftanstalt Hamburg durchzuführen. Für den Transport in die Untersuchungshaftanstalt wird Frau pp. in dem dafür vorgesehenen Haftraum in der Teilanstalt für Frauen (TAF) umgekleidet. Diese Durchsuchung und Umkleidung obliegt der Revision und wird grundsätzlich 2-phasig vorgenommen. In der Regel wird eine Bedienstete der Teilanstalt für Frauen unterstützend anwesend sein.

Auf dem Rücktransport wird Frau pp. als letzte den Gefangenentransportwagen verlassen und mit identischem Ablauf in die TAF zurückgeführt. Dies erfolgt durch mind. eine Bedienstete der Revision. Im Hafthaus wird eine Durchsuchung ohne Umkleidung durchgeführt. Frau pp. wird sich im Anschluss im Haftraum umziehen und die getragene Kleidung auf direktem Wege zum Waschen in die TAF-Kammer geben. Die saubere Bekleidung wird durch die Revision durchsucht und in den Kleidersäcken verplombt.“

Die Praxis der Umsetzung dieser Anordnung ist zwischen den Parteien streitig,

Die Antragstellerin trägt vor, dass sie sich vollständig vor den Justizbeamtinnen entkleiden müsse. Sie müsse sich dann wahlweise hinhocken oder stehend vorn überbeugen. Im letzteren Fall würden die Körperhöhlen im Intimbereich zudem optisch untersucht.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass diese Praxis eine Durchsuchung im Sinne von § 50 Abs. 2 HmbUVollzG darstelle, dessen Voraussetzungen offenbar nicht gegeben seien.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Rechtswidrigkeit der mit einer Entkleidung vor den Bediensteten verbundene Durchsuchung ihrer Person festzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

Eine Inspektion der Körperhöhlen im Intimbereich finde nicht statt. Es werde sichergestellt, dass bei der Umkleidung immer eine Körperhälfte bekleidet sei, indem zunächst der Wechsel der Bekleidung des Oberkörpers und dann der Bekleidung des Unterkörpers durchgeführt werde. Gelegentlich werde die Antragstellerin hierbei aufgefordert, kurz in die Hocke zu gehen und ihren Oberkörper vorzubeugen. Diese Bewegungen dienten ausschließlich dem Zweck, verbotene Gegenstände – wie beispielsweise Rasierklingen o.ä. – aufzufinden, welche sich in den Körperfalten befinden und während dieser Bewegungen zu Boden fallen würden.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass die von ihr geschilderte Praxis eine Durchsuchung im Sinne von § 50 Abs. 1 HmbUVollzG darstelle, die – anders als § 50 Abs. 2 HmbUVollzG – keine konkrete Verdachtslage voraussetze.

II.

Der zulässige Antrag gemäß § 119a StPO ist begründet.

Auch bei Zugrundelegung der von der Antragsgegnerin geschilderten Durchsuchungspraxis handelt es sich um eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung der Antragstellerin im Sinne von § 50 Abs. 2 HmbUVollzG.

Die Durchsuchung eines Gefangenen, die mit einer Entkleidung verbunden ist, greift schwerwiegend in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gefangenen ein. Mit Rücksicht auf den vom Gesetzgeber bezweckten Schutz der Intimsphäre des Gefangenen liegt eine „körperliche Durchsuchung“ i.S.d. § 50 Abs. 2 HmbUVollzG jedenfalls bei einer explizit visuellen Kontrolle des Körpers des Gefangenen vor. Zudem ist § 50 Abs. 2 HmbVollzG hinsichtlich des Entkleidungsgrades mindestens dann einschlägig, wenn die Genitalien des Gefangenen entblößt werden müssen (vgl. zur identischen Rechtsfrage bei § 84 StVollzG BVerfG, 2 BvR 746/13, juris Rndr. 34 m.w.N.).

Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats in Strafvollzugssachen. Danach ist zwar die Anordnung eines Kleiderwechsels vor dem Verlassen der Anstalt für sich genommen nicht zu beanstanden. Bei einem Kleiderwechsel vor den Augen eines Bediensteten handelt es sich der Sache nach aber um eine mit einer Entkleidung verbundenen Durchsuchung (Beschluss des Senats vom 26. August 2013 — 3 VollzWs 17113 zu den insoweit identischen §§ 65 HmbSVVollzG, 70 HmbStVolIzG m.w.N.). Die in jener Entscheidung betroffene JVA Fuhlsbüttel hatte im Hinblick auf die zitierte Entscheidung die einschlägige Anstaltsverfügung (Nr. 14/2013 vom 11.10.2013) daraufhin der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des hiesigen Senats angepasst (vgl. Entscheidung des Senats vom 25. April 2014 — 3 Ws 17/14 (Vollz).

Nach allem ist danach die mit einer Entkleidung verbundene Praxis der Durchsuchung an den erhöhten Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 HmbUVollzG zu messen, die offensichtlich nicht vorliegen. Es sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Sicherheit und Ordnung der JVA eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung erfordern. Sie werden von der Antragsgegnerin auch nicht geltend gemacht, die lediglich fälschlich der Auffassung ist, dass es sich uni eine einfache Durchsuchung nach § 50 Abs. 1 HmbVollzG handelt, die an keine besonderen Voraussetzungen geknüpft ist.

Nach allem ist die gegenwärtige mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung der Antragstellern rechtswidrig und zukünftig zu unterlassen, es sei denn, dass die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 oder Abs. 3 HmbUVollzG vorliegen.“