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U-Haft II: Nicht über 4 Jahre Haft + soziale Bindungen, oder: Außervollzugsetzung

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Die zweite Entscheidung stammt vom LG Halle. Das nimmt im LG Halle, Beschl. v. 16.09.2021 – 3 Qs 503 Js 6064/21 (96/21), den mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt hat – einer meiner „eifrigen“ Einsender – zum weiteren Vollzug der U-Haft, wenn einerseits eine Freiheitsstrafe von nicht über vier Jahren droht, aber andererseits erhebliche soziale Bindungen des Beschuldigten gegenüberstehen.

„Die Kammer hält wie das Amtsgericht den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO für gegeben. Im Falle einer Verurteilung hat der Beschuldigte — bei einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe gemäß § 29a Abs. 1 BtMG —aufgrund der hohen Menge Cannabis eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten. Die Kammer teilt die Ansicht des Amtsgerichts, dass die bestehenden sozialen Bindungen des Beschuldigten nicht ausreichen, um den daraus resultierenden Fluchtanreiz zu hemmen.

Allerdings geht die Kammer davon aus, dass die zu erwartende Freiheitsstrafe auch ohne strafmildernd zu berücksichtigendes Geständnis voraussichtlich nicht in einem Bereich von über vier Jahren liegen wird. Dabei sind insbesondere die vom Verteidiger vorgetragenen strafmildernden Umstände zu berücksichtigen und dass der Beschuldigte zwar bereits wegen eines Betäubungsmitteldelikts auffällig geworden ist, sich diese Vorstrafe aus dem Jahr 2019 jedoch lediglich auf eine Tat des unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit ‚Verstoß gegen das Waffengesetz“ aus dem Jahr 2017 bezieht, die im Strafbefehlsverfahren mittels einer Geldstrafe geahndet wurde, sowie die zwar erhebliche, aber nicht äußerst hohe Menge des Betäubungsmittels. Angesichts dieser Straferwartung ist die Kammer der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der sozialen Bindungen des Beschuldigten zu seiner Freundin, mit der er vor seiner Inhaftierung in einer eigenen Wohnung zusammenlebte und seiner festen Arbeitsstelle mit dem nicht unerheblichen Netto-Einkommen von ca. 2.300 EUR im Monat die erteilte engmaschige Meldeauflage und die Hinterlegung einer Kaution in Höhe von 15.000,00 EUR die hinreichende Erwartung begründen, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren stellen wird und so der Zweck der Untersuchungshaft auch auf diese Weise erreicht werden kann, so dass der Haftbefehl gemäß § 116 StPO außer Vollzug gesetzt werden konnte.“

U-Haft I: Beschleunigung auch nach dem Urteil, oder: Wenn das Protokoll „über Monate“ nicht fertig wird

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Ich habe hier seit längerem keine Haftentscheidungen mehr vorgestellt. das hole ich dann heute nach. Also 3 x Haft.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 21.09.2021 – 1 Ws 160/21, den mir der Kollege Böttner aus Hamburg geschickt hat. Thematik: Beschleunigungsgrundsatz, und zwar nach Urteilserlass. Hier hatte die Strafkammer die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls mehrere Monate nicht erledigt. Das OLG meint: Das geht nicht:

„Allerdings stellt sich der weitere Vollzug der Untersuchungshaft, die nunmehr bereits ein Jahr und zwei Monate andauert, nicht mehr als verhältnismäßig im Sinne von § 120 Abs. 1 StPO dar. Zwar gilt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen nach dem Urteilserlass in nur noch abgeschwächter Form, so dass Verfahrensverzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil grundsätzlich geringer ins Gewicht fallen und das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs sich durch den erfolgten Schuldspruch vergrößert hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 07. März 2014 4 Ws 21/14 —, juris). Gleichwohl hat auch nach Erlass eines Urteils eine Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Inhaftierten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse zu erfolgen. Bei der Bewertung der, Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auf objektive Kriterien an, die etwa in der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung liegen können. Dabei sind mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft stets höhere Anforderungen an das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes für deren Fortdauer zu stellen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon langandauernden Untersuchungshaft zu dienen (BVerfG – 3. Kammer des 2. Senats -, Beschluss vom 16. März 2006 – 2 BA 170/06 -, dort Rn. 29 mit weiteren Nachweisen; bei juris).

Solche, nicht mehr hinnehmbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen, liegen nach Auffassung des Senats vor: Das Urteil der Kammer ist innerhalb der – gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO auf neun Wochen verlängerten – Absetzungsfrist am 28. Juni 2021 zu den Akten gelangt. Die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgte demgegenüber aber erst am 5. September 2021, mithin mehr als vier Monate nach Verkündung des Urteils und mehr als zwei Monate nach Ablauf der Absetzungsfrist. Eine derartige Verzögerung, auf die der Angeklagte keinen Einfluss nehmen kann und durch die das Revisionsverfahren mangels Zustellbarkeit des Urteils (§ 274 Abs. 4 StPO) keinen Fortgang nehmen kann, verletzt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen in einem Maße, aufgrund dessen der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig ist. Soweit es in der Nichtabhilfeentscheidung der Kammer heißt, dass „aufgrund zwischenzeitlicher urlaubsbedingter Abwesenheiten des Vorsitzenden und der Protokollführerinnen konnte das Hauptverhandlungsprotokoll noch nicht fertiggestellt werden“, liegt hierin kein sich aus dem Verfahren ergebender Umstand, der die damit einhergehende Verzögerung rechtfertigen könnte. Die Hauptverhandlung, welche unmittelbar vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 121 StPO begann, konnte innerhalb von elf Hauptverhandlungstagen durchgeführt werden. Diese Termine erstreckten sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten, so dass schon in dieser Zeit Teilprotokolle gefertigt wurden und damit erhebliche Zeit zur Verfügung stand, die Fertigstellung des Protokolls insgesamt vorzubereiten, so dass dieses jedenfalls in der Absetzungsfrist hätte vorliegen können. Nicht nachvollziehbar erscheint dem Senat dagegen, dass innerhalb eines mehrmonatigen Zeitfensters urlaubsbedingte Abwesenheiten ausschlaggebend für die zeitliche Verzögerung gewesen sein sollen. Zum einen dürfte es sich hierbei um überschaubare Zeiträume gehandelt haben, zum anderen sind derartige Abwesenheiten absehbar, so dass verfahrensorganisatorisch darauf hinzuwirken ist, dass etwaige (Teil-)protokolle zügig – ggf. vor Urlaubsantritt – gefertigt werden. Dies war vorliegend auch leistbar und nicht etwa mit einem solchen Aufwand verbunden, dass das Beschleunigungsgebot dahinter zurückzutreten hätte. Das vorliegende Verfahren hatte nämlich gemessen am Umfang und der Dauer anderer Verfahren, die in die Zuständigkeit einer Großen Strafkammer gehören, einen noch überschaubaren Umfang. Entsprechendes gilt für das Protokoll der Hauptverhandlung, weshalb dessen Fertigstellung erst. am 5. September 2021 eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung darstellt (vgl. hierzu auch (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2021, – 5 StR 481/20 juris). Das Bundesverfassungsgericht hat mit der bereits zitierten Entscheidung schon eine Verfahrensdauer von zwei Wochen bis zur vollständigen Absetzung des Urteils und einen Zeitraum zwischen Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls und der Zustellung des Urteils von drei Wochen als Verzögerung angenommen, welche im Hinblick auf die zu erledigenden Vorgänge kaum noch zu rechtfertigen seien. Dabei hat es auch ausgeführt, dass gesetzliche Höchstfristen nicht als Regelfristen anzusehen seien. Vorliegend ist eine Verfahrensverzögerung von mehreren Monaten festzustellen. Die dem Senat aus anderen Verfahren bekannte Auslastung der Kammer und ihrer auch noch in anderen Strafkammern eingesetzten Mitglieder mit zahlreichen Haftsachen kann in der Sache nicht dazu führen, dass absehbar erforderliche prozessuale Handlungen, wie das Fertigstellen des Hauptverhandlungsprotokolls, über Monate unerledigt bleiben.

Dies gilt nicht nur für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, dessen zeitliche Beschränkung aus § 122a StPO nach Urteilserlass nicht unmittelbar gilt, sondern auch für den seitens der Generalstaatsanwaltschaft angenommenen Haftgrund der Fluchtgefahr. Ungeachtet der Frage, ob eine solche tatsächlich anzunehmen wäre, wäre der Vollzug weiterer Untersuchungshaft auch diesbezüglich nicht mehr verhältnismäßig.“

U-Haft III: Der Haftgrund Wiederholungsgefahr, oder: Aus der EncroChat-Überwachung folgt Netzwerk

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Und dann noch einmal EncroChat – in Verbindung mit U-Haft. Das AG Flensburg nimmt im AG Flensburg, Beschl. v. 27.05.2021 – 485 Gs 527/21 131 Js 24455/20 – zur Wiederholungsgefahr i.S. von § 112 A StPO Stellung und argumentiert dabei mit den Erkenntnissen aus EncroChat.

„Es besteht auch nach wie vor auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 Nummer 2 StPO. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass an die Annahme der Wiederholungsgefahr strenge Anforderungen zu stellen sind. Fehlt – wie hier – eine Vorstrafe, so darf eine Wiederholungsgefahr – namentlich in den Fällen der Nr. 2 – nur bejaht werden, wenn sonstige schwerwiegende Gründe die Wiederholung mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen (vgl. OLG Dresden, StV 2006, 534-535). Die Wiederholungsgefahr in diesem Sinne muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden, die eine so starke Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die Gefahr begründet ist, er werde gleichartige Taten bis zur rechtskräftigen Verurteilung in der dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache begehen. Diese Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens. Die die Gefahr begründende Tatsache ist – in der Regel – eine innere Neigung oder wenigstens Bereitschaft, Straftaten zu begehen. Auf diese innere Einstellung ist nach den Grundsätzen der Prognosemethodik aufgrund von (äußeren) Hilfstatsachen zu schließen. Diese Tatsachen umfassen die Vortaten und alle Lebensverhältnisse des Betroffenen, die die Prognose zulassen, es sei die Gefahr begründet, dass er weitere Straftaten begehen werde (vgl. OLG Dresden, aaO).

Diese Prognose ist hier zu stellen. Es wird zunächst auf die Ausführungen im Haftbefehl Bezug genommen. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, eine Vielzahl von die Rechtsordnung schwerwiegenden beeinträchtigende Straftaten begangen zu haben und dabei zum Betäubungsmittelhandel mit einer Vielzahl von Personen verflochten gewesen zu sein, die auch nicht alle ermittelt oder gar inhaftiert sind, vor allem nicht die Kuriere und Zulieferer. Die ausgewerteten EncroChat-Protokolle betreffen 16 Kontakte, die nicht alle identifiziert werden konnten. Auch wenn die EncroChat-Smartphones spätestens seit Juni 2020 als Kommunikationsmittel ausgefallen sind, ändert dies nichts an der Tatsache, dass der Handel mit Betäubungsmittel im Kilobereich ein Netzwerk erfordert, das weder „aus dem Nichts“ betreten noch ohne weiteres jeder Zeit verlassen werden kann. So betrifft bereits der allererste entschlüsselte Chat vom 27.03.2021 mit dem gesondert Verfolgten M., Nutzer der EncroChat-Kennung (E-Mail) die Preise für „Gras“ im Bereich von 50-100 kg, stellt also ersichtlich keine Kommunikation von Neueinsteigern im Rauschgiftgeschäft dar, zumal A. M. wenige Tage danach, am 2.04.2020 um 14:29 Uhr anfragt, ob er sich die Waffe des Beschuldigten ausleihen könne (SB Auswertung Chatprotokolle – Reiter vilefly S. 2). Das weist deutlich auf eine längere gemeinsame Vorgeschichte und Vertrautheit hin…..“

U-Haft II: (Wieder)Invollzugsetzung des Haftbefehls, oder: Immer Vorführung erforderlich

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Nürnberg. Das hat im OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.08.2021 – Ws 735/21 – zum Verfahren Stellung genommen, wenn  ein zunächst ausgesetzter Haftbefehl durch das Beschwerdegericht wieder in Vollzug gesetzt wird. Das OLG meint:

„Auf die weitere Haftbeschwerde sind der Haftbefehl des Amtsgerichts Amberg vom 30.06.20 1 und der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 15.07.2021 aufzuheben, da der aufgrund des mit dem Beschluss des Landgerichts Amberg in Vollzug gesetzten Haftbefehls erneut fest genommene Beschuldigte nicht dem zuständigen Gericht vorgeführt wurde.

1. Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben und der Haftbefehl damit wieder in Vollzug gesetzt, ist der Beschuldigte unverzüglich nach seiner erneuten Festnahme gemäß § 115 Abs l 1 StPO dem zuständigen Gericht vorzuführen. Dies ist anerkannt für den Fall, dass ein ausgesetzter Haftbefehl gemäß § 116 Abs. 4 StPO wieder in Vollzug gesetzt wird (KK-StPO/Graf, 8. Auflage, § 115 Rn 3, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 115 Rn 2). Nichts anderes kann vor dem Hintergrund der in Art. 104 Abs. 3 Satz 1 GG getroffenen Regelung für den vorliegenden Fall gelten, dass der zunächst ausgesetzte Haftbefehl durch das Beschwerdegericht wieder in Vollzug gesetzt wird. Daran ändert nichts, dass – wie auch im Fall des § 116 Abs. 4 StPO – der Ergreifung derselbe Haftbefehl mit demselben Sachverhalt zu Grunde liegt, wozu der Beschuldigte nach seiner ersten Ergreifung bereits angehört und ihm auch im Beschwerdeverfahren rechtlichess Gehör gewährt worden war. Auch bei der erneuten Festnahme nach der Aufhebung der Außervollzugsetzung des Haftbefehls durch das Beschwerdegericht handelt es sich damit um eine Ergreifung im Sinn des § 115 Abs. 1 StPO.

2. Der Beschuldigte wurde aufgrund des mit dem Beschluss des Landgerichts Amberg in Vollzug gesetzten Haftbefehls erneut festgenommen und nicht dem zuständigen Gericht vor geführt.

3. Aufgrund der fehlenden Vorführung des Beschuldigten vor den zuständigen Richter ist Haftbefehl aufzuheben.

a) In die materielle Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darf nur auf Grund ein s förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen eingegriffen werden (Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG). Art. 104 Abs. 1 GG verstärkt den in Art 2 Abs. 2 Satz 3 G enthaltenen Gesetzesvorbehalt, indem er neben der Forderung nach einem „förmlichen“ freiheiheitsbeschränkenden Gesetz die Pflicht, dessen Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt. Verstöße gegen die durch Art 104 GG gewährleisteten Voraussetzungen und Form freiheitsbeschränkender Gesetze stellen daher stets auch eine Verletzung der Freiheit der Person dar. Das in § 115 StPO enthaltene Gebot, den Beschuldigten nach Ergreifung auf Grund eines Haftbefehls von dem zuständigen Richter vor der Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Haftbefehls vernehmen zu lassen, gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, der Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. September 2001 — 2 BvR 1144/01 —, Rn. 16 – 17, juris).

b) Offen bleiben kann vorliegend, ob die fehlende Vorführung nachgeholt werden könnte (vgl. KK-Graf, StPO, 3. Auflage, § 115 Rn 6). Da der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Amberg mit Beschluss vom 09.08.2021 die Vorführung und Anhörung des Beschuldigten abgelehnt hat, ist eine Heilung des Rechtsverstoßes jedenfalls nicht absehbar.“

U-Haft I: Verzögerung durch Überlastung des Gerichts, oder: Vorhersebarer Geschäftsanfall interessiert nicht

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Heute ist dann seit längerem mal wieder ein Hafttag. Den beginne ich mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.08.2021 – 1 Ws 188/21 – 1 Ws 202/21. Ergangen ist die Entscheidung im Verfahren der Haftprüfung nach den §§ 121 f. StPO – also Haftprüfung durch das OLG nach sechs Monaten.

Der Angeklagte befindet sich seit 10.02.2021 aufgrund Haftbefehls des AG vom 26.01.2021 in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten unter dem 17.04.2021 Anklage erhoben. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19.07.2021 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Die Vorsitzende hat sieben Termine zur Hauptverhandlung ab dem 13.10.2021 bestimmt. Die geplante Durchführung der Hauptverhandlung erstreckt sich über einen Zeitraum von sieben Wochen. Zur Begründung der Terminierung hat die Vorsitzende auf die Terminslage der Kammer verwiesen und auf den auf ihre Überlastungsanzeige ergangenen Beschluss des Präsidiums des Landgerichts vom 03.05.2021 Bezug genommen.

Das OLG sagt: Aufhebung des Haftbefehls aus Gründen der Verhältnismäßigkeit (§ 120 Abs. 1 StPO) , weil das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot nicht hinreichend beachtet worden ist.

Ich lasse jetzt mal die allgemeinen Textbausteine des OLG weg – da wird nur bekannte Rechtsprechung des BVerfG referiert. Zur Sache führt das OLG dann nur aus:

„…. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (BVerfGE 36, 264, 273 ff.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 – 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23). Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264, 275; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 – 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23; Beschluss des 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 – 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 – 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 30; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. Januar 2019 — 2 BvR 2429/18 —, juris, Rn. 59).

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die beschleunigte Bearbeitung in Haftsachen genügt das Verfahren nicht.

Der Senat verkennt nicht, dass das vorliegende Verfahren tatsächlich komplex ist, so dass der damit verbundene Mehraufwand auch bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrens-und Untersuchungshaftdauer ins Gewicht fällt. Gründe, die den von dieser grundsätzlichen Anforderung abweichenden Beginn der Hauptverhandlung von fast sechs Monaten nach Anklageerhebung als gerechtfertigt erscheinen ließen, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die Planung der Hauptverhandlung wird, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der von dem Bundesverfassungsgericht geforderten vorausschauenden, auch größere Zeiträume umfassenden Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche (vgl. BVerfG StV 2008, 198), den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht hinreichend gerecht.

Die eingetretene Verzögerung kann nicht mit der außerordentlichen Belastung der Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken gerechtfertigt werden. Die Überlastung des Gerichts ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Der hohe Geschäftsanfall ist nicht unvorhersehbar kurzfristig eingetreten und nicht nur von vorübergehender Dauer. Die Sicherstellung einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen hätte rechtzeitig durch geeignete gerichtsorganisatorische Maßnahmen der Justiz erfolgen müssen. Der auf die Überlastungsanzeige der Kammervorsitzenden ergangene Präsidiumsbeschluss vom 03.05.2021 hat die sich abzeichnende Terminierungssituation der Strafkammer nicht verbessert. Eine Hilfsstrafkammer wurde nicht eingerichtet.

Die Fortdauer der Untersuchungshaft erweist sich nach allem als nicht mehr verhältnismäßig. Ein etwaiger Ausgleich der eingetretenen Verzögerungen ist nach dem vorgelegten Termins- und Ladungsplan der Strafkammer nicht vorgesehen und auch aus anderen Gründen nicht zu erwarten, so dass der Haftbefehl wegen des Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot nicht aufrecht erhalten bleiben darf.“