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StPO I: Fortsetzungstermin/Sachverhandlung?, oder: Verhandlung über HB-Invollzugsetzung reicht nicht

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Und weiter geht es. Heute mit StPO-Entscheidungen, und zwar vom BGH. An der Spitze hier der BGH, Beschl. v. 15.02.2022 – 4 StR 503/21.

Das LG hat den Angeklagten wegen leichtfertiger Geldwäsche in vier Fällen sowie wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensbeanstandung, mit der das Rechtsmittel Erfolg hatte.Nach Auffassung des BGH hat der Angeklagte nämlich zu Recht einen Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO beanstandet. Die Hauptverhandlung sei nach vier Verhandlungstagen nämlich länger als drei Wochen unterbrochen worden. Am 14.06.2021, dem letzten Tag der Unterbrechungsfrist, sei nicht im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fortgesetzt worden:

„Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Nach ständiger Rechtsprechung gilt eine Hauptverhandlung dann als fortgesetzt, wenn zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird. Dies ist stets der Fall, wenn es zu Verfahrensvorgängen kommt, die die zur Urteilsfindung führende Sachverhaltsaufklärung betreffen. Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen kann ausreichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht (Senat, Urteil vom 16. Januar 2014 ? 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220; BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 ? 3 StR 202/15, NStZ 2016, 171, und vom 19. Januar 2021 ? 5 StR 496/20, NStZ 2021, 381). Nach dieser Maßgabe hat am 14. Juni 2021 eine Verhandlung im Sinne des § 229 Abs. 1 StPO nicht stattgefunden. Die Prüfung und Erörterung, ob der außer Vollzug gesetzte Haftbefehl wegen Verstoßes des Angeklagten gegen die Auflage, dem Gericht unverzüglich seine neue Anschrift mitzuteilen, wieder in Vollzug zu setzen war, betraf nicht den Fortgang der Aufklärung des Sachverhalts. Auch war, wie die Revision zutreffend ausführt (…), wegen der Anordnung der Vorführung des Angeklagten die Durchführung der Beweisaufnahme möglich, da dessen Anwesenheit in der Hauptverhandlung vom 14. Juni 2021 sichergestellt war. Mithin lag kein Umstand vor, dass die möglicherweise für den Fortsetzungstermin in Aussicht genommene weitere Förderung des Verfahrens in der Sache infolge unvorhersehbarer Ereignisse nicht stattfinden konnte (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 5. November 2008 ? 1 StR 583/08, NJW 2009, 384). Das Beruhen des Urteils im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf einem Verstoß gegen § 229 StPO kann regelmäßig ? wie auch hier ? nicht ausgeschlossen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Mai 2013 ? 4 StR 106/13, StV 2014, 2 m.w.N.). Ein besonders gelagerter Ausnahmefall, in dem die Fristüberschreitung ersichtlich weder den Eindruck von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit der Erinnerung beeinträchtigt hat, liegt hier nicht vor.“

Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend, dass auch die im Hauptverhandlungstermin am 14. Juni 2021 vorgenommene Dolmetschervereidigung keine Verhandlung zur Sache darstellte. Denn hiermit wurden erst die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, damit an diesem Termin die Verhandlung überhaupt fortgesetzt werden konnte, das Verfahren mithin noch nicht sachlich gefördert (vgl. zu einer Pflichtverteidigerbestellung BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 ? 3 StR 254/07 , NStZ 2008, 115 mwN).

U-Haft I: Beschleunigung auch nach dem Urteil, oder: Wenn das Protokoll „über Monate“ nicht fertig wird

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Ich habe hier seit längerem keine Haftentscheidungen mehr vorgestellt. das hole ich dann heute nach. Also 3 x Haft.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 21.09.2021 – 1 Ws 160/21, den mir der Kollege Böttner aus Hamburg geschickt hat. Thematik: Beschleunigungsgrundsatz, und zwar nach Urteilserlass. Hier hatte die Strafkammer die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls mehrere Monate nicht erledigt. Das OLG meint: Das geht nicht:

„Allerdings stellt sich der weitere Vollzug der Untersuchungshaft, die nunmehr bereits ein Jahr und zwei Monate andauert, nicht mehr als verhältnismäßig im Sinne von § 120 Abs. 1 StPO dar. Zwar gilt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen nach dem Urteilserlass in nur noch abgeschwächter Form, so dass Verfahrensverzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil grundsätzlich geringer ins Gewicht fallen und das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs sich durch den erfolgten Schuldspruch vergrößert hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 07. März 2014 4 Ws 21/14 —, juris). Gleichwohl hat auch nach Erlass eines Urteils eine Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Inhaftierten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse zu erfolgen. Bei der Bewertung der, Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auf objektive Kriterien an, die etwa in der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung liegen können. Dabei sind mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft stets höhere Anforderungen an das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes für deren Fortdauer zu stellen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon langandauernden Untersuchungshaft zu dienen (BVerfG – 3. Kammer des 2. Senats -, Beschluss vom 16. März 2006 – 2 BA 170/06 -, dort Rn. 29 mit weiteren Nachweisen; bei juris).

Solche, nicht mehr hinnehmbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen, liegen nach Auffassung des Senats vor: Das Urteil der Kammer ist innerhalb der – gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO auf neun Wochen verlängerten – Absetzungsfrist am 28. Juni 2021 zu den Akten gelangt. Die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgte demgegenüber aber erst am 5. September 2021, mithin mehr als vier Monate nach Verkündung des Urteils und mehr als zwei Monate nach Ablauf der Absetzungsfrist. Eine derartige Verzögerung, auf die der Angeklagte keinen Einfluss nehmen kann und durch die das Revisionsverfahren mangels Zustellbarkeit des Urteils (§ 274 Abs. 4 StPO) keinen Fortgang nehmen kann, verletzt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen in einem Maße, aufgrund dessen der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig ist. Soweit es in der Nichtabhilfeentscheidung der Kammer heißt, dass „aufgrund zwischenzeitlicher urlaubsbedingter Abwesenheiten des Vorsitzenden und der Protokollführerinnen konnte das Hauptverhandlungsprotokoll noch nicht fertiggestellt werden“, liegt hierin kein sich aus dem Verfahren ergebender Umstand, der die damit einhergehende Verzögerung rechtfertigen könnte. Die Hauptverhandlung, welche unmittelbar vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 121 StPO begann, konnte innerhalb von elf Hauptverhandlungstagen durchgeführt werden. Diese Termine erstreckten sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten, so dass schon in dieser Zeit Teilprotokolle gefertigt wurden und damit erhebliche Zeit zur Verfügung stand, die Fertigstellung des Protokolls insgesamt vorzubereiten, so dass dieses jedenfalls in der Absetzungsfrist hätte vorliegen können. Nicht nachvollziehbar erscheint dem Senat dagegen, dass innerhalb eines mehrmonatigen Zeitfensters urlaubsbedingte Abwesenheiten ausschlaggebend für die zeitliche Verzögerung gewesen sein sollen. Zum einen dürfte es sich hierbei um überschaubare Zeiträume gehandelt haben, zum anderen sind derartige Abwesenheiten absehbar, so dass verfahrensorganisatorisch darauf hinzuwirken ist, dass etwaige (Teil-)protokolle zügig – ggf. vor Urlaubsantritt – gefertigt werden. Dies war vorliegend auch leistbar und nicht etwa mit einem solchen Aufwand verbunden, dass das Beschleunigungsgebot dahinter zurückzutreten hätte. Das vorliegende Verfahren hatte nämlich gemessen am Umfang und der Dauer anderer Verfahren, die in die Zuständigkeit einer Großen Strafkammer gehören, einen noch überschaubaren Umfang. Entsprechendes gilt für das Protokoll der Hauptverhandlung, weshalb dessen Fertigstellung erst. am 5. September 2021 eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung darstellt (vgl. hierzu auch (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2021, – 5 StR 481/20 juris). Das Bundesverfassungsgericht hat mit der bereits zitierten Entscheidung schon eine Verfahrensdauer von zwei Wochen bis zur vollständigen Absetzung des Urteils und einen Zeitraum zwischen Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls und der Zustellung des Urteils von drei Wochen als Verzögerung angenommen, welche im Hinblick auf die zu erledigenden Vorgänge kaum noch zu rechtfertigen seien. Dabei hat es auch ausgeführt, dass gesetzliche Höchstfristen nicht als Regelfristen anzusehen seien. Vorliegend ist eine Verfahrensverzögerung von mehreren Monaten festzustellen. Die dem Senat aus anderen Verfahren bekannte Auslastung der Kammer und ihrer auch noch in anderen Strafkammern eingesetzten Mitglieder mit zahlreichen Haftsachen kann in der Sache nicht dazu führen, dass absehbar erforderliche prozessuale Handlungen, wie das Fertigstellen des Hauptverhandlungsprotokolls, über Monate unerledigt bleiben.

Dies gilt nicht nur für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, dessen zeitliche Beschränkung aus § 122a StPO nach Urteilserlass nicht unmittelbar gilt, sondern auch für den seitens der Generalstaatsanwaltschaft angenommenen Haftgrund der Fluchtgefahr. Ungeachtet der Frage, ob eine solche tatsächlich anzunehmen wäre, wäre der Vollzug weiterer Untersuchungshaft auch diesbezüglich nicht mehr verhältnismäßig.“