Archiv der Kategorie: Strafvollzug

Auch eine StVK sollte mal rechnen, oder: Verwertungsverbot für getilgte Vorstrafen

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Für die Strafvollstreckungsrechtler unter uns weise ich hin auf den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 03.06.2015 – 2 Ws 194/15. Es geht um die Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB. Die war vom LG nach Einholung eines kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens abgelehnt worden. Das OLG sagt, so nicht. Denn:

„Als ungünstigen Risikofaktor wertete der Sachverständige hierbei maßgeblich die Vordelinquenz des Verurteilten. Die sich den Ausführungen des Sachverständigen anschließende Strafvollstreckungskammer hat insoweit verkannt, dass die im Gutachten ausführlich erörterten – einschlägigen – Vorstrafen des Verurteilten aus den Jahren 1998 und 2001 nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers hätten verwertet werden dürfen, da diese Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister getilgt sind und somit ein gesetzliches Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG, das auch bei Entscheidungen über die Aussetzung des Strafrestes einer Freiheitsstrafe nach § 57 StGB zu beachten ist, besteht (vgl. BeckOK-Bücherl, Stand: 15.1.2015, § 51 BZRG, Rn. 28; KG Berlin, Beschluss vom 6.3.1998, 1 AR 216/985 Ws 141/98, BeckRS 1998, 15153; OLG Celle, Beschluss vom 5.8.2011, 1 Ws 282/11, BeckRS 2011, 21234).

Auch § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG kann eine solche Verwertung nicht rechtfertigen, da mit Geisteszustand i.S. des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG der psychische Zustand des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatbegehung gemeint ist und nicht die – hier im Rahmen der Strafaussetzung – zu treffende Prognoseentscheidung zur Gefährlichkeit des Verurteilten (BGH, Beschluss vom 28.08.2012, 3 StR 309/12).“

Also: Verwertungsverbot für getilgte Vorstrafen auch bei der Legalprognose nach § 57 StGB. Gelegentlich sollte man als StVK auch mal rechnen.

Urinkontrolle im Strafvollzug – geht immer

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Zum Wochenausklang nichts Großes und nichts Schweres mehr, sondern zunächst nur einen (kleinen) Beschluss des OLG Hamm, betreffend eine Frage des Strafvollzugs. Nämlich die nach der Zulässigkeit einer Urinkontrolle. Braucht die einen konkreten Verdacht auf Betäubungsmittelmissbrauch? Der OLG Hamm, Beschl. v. 16.06.2015 – 1 Vollz (Ws) 250/15 – sagt: Nein:

„Der Senat hat bereits zu § 56 Abs. 2 StVollzG entschieden, dass eine Urinkontrolle auch ohne konkreten Verdacht auf Betäubungsmittelmissbrauch angeordnet werden kann (Beschl. v. 03.04.2007 – 1 Vollz(Ws) 113/07). Für das neue Recht ergibt sich dies unmittelbar aus § 65 StVollzG NW. Insofern besteht mithin kein Bedarf an Rechtsfortbildung.“

Gefangenengewerkschaft

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Und um die Herausgabe dieser Unterlagen ist dann gestritten worden. Nachdem die Unterlagen herausgegeben worden sind, geht es noch um die Feststellung der Rechtswidrigkeit der zunächst unterbliebenen Aushändigung der Unterlagen. Die StVK hat die Maßnahme der JVA nicht beanstandet. Das OLG hat das anders gesehen:

Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Vorschriften ergibt sich, dass Gefangene bestimmte Gegenstände schon aufgrund gesetzlicher Anordnung nicht besitzen bzw. empfangen dürfen. Insoweit besteht allenfalls auf Tatbestandsseite ein gewisser Beurteilungsspielraum (vgl. dazu: Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193) der Justizvollzugsanstalt. Bei anderen Gegenständen hängt der Besitz bzw. Empfang von einer Erlaubnis ab, welche im Ermessen der Anstalt steht.29

Bzgl. der Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung ist auf eine abstrakte, vom Verhalten des einzelnen Gefangenen unabhängig zu beurteilende Gefährdung abzustellen (vgl. nur BVerfG NStZ 2003, 621 m.w.N.) Eine solche (auch nur abstrakte) Eignung der Antragsformulare für eine Gefährdung der Sicherheit der Anstalt ist nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht Grund der Versagung, dass etwa mittels der Papierblätter gefährliche, waffenähnliche Gegenstände hergestellt werden könnten oder dass sie einen gedanklichen Inhalt aufweisen, der die Sicherheit der Anstalt gefährden könnte. Auch einen ordnungsgefährdenden Inhalt, also einen Inhalt, der das geordnete Zusammenleben der Gefangenen beeinträchtigen könnte, weist ein bloßes Antragsformular nicht auf. Zu dem Inhalt des Antragsformulars wurden nähere Feststellungen nicht getroffen, so dass angesichts der Bezeichnung „Antragsformular“ und angesichts der erfolgten Aushändigung eines Exemplars davon auszugehen ist, dass es lediglich die Erklärung erhält, dass der Vereinigung beigetreten wird und es Leerstellen enthält zur Angabe bestimmter persönlicher Daten des Antragstellers. Der gedankliche Inhalt des Antragsformulars ist damit nicht gefährlich. Auch eine Gefährdung des Vollzugsziels ist nicht zu erkennen.31

Letzteres ist indes so nicht zutreffend. Die Grundrechte der Vereinigungs- bzw. Koalitionsfreiheit sind – von Art. 9 Abs. 2 GG abgesehen – vorbehaltslos gewährleistet ist und gelten auch im Bereich des Strafvollzuges (OLG Karlsruhe NStZ 1983, 527; OLG Nürnberg NStZ 1986, 286; LG Mannheim NStZ 1982, 487, 488; wohl auch: KG Berlin NStZ 1982, 222). Vom Schutzbereich der Grundrechte ist auch die Mitgliederwerbung umfasst (BVerfGE 84, 372, 378). Diese Grundrechte unterliegen zwar verfassungsimmanenten Schranken (vgl. BVerfG NStZ 1983, 331; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Nürnberg a.a.O.; BayObLG NStZ 1982, 84 m. Anm. Seebode). So mögen sie durch diese einschränkbar sein, soweit dies für einen funktionierenden Strafvollzug erforderlich ist. Diese Grundsätze wurden – nach Maßgabe der Ausführungen im angefochtenen Beschluss – aber weder durch den Leiter der Justizvollzugsanstalt im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung noch durch die Strafvollstreckungskammer berücksichtigt.Bei der erneuten Behandlung und Entscheidung wird die Strafvollstreckungskammer mithin zu prüfen haben, ob der Leiter der JVA X I die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 oder Abs. 3 GG (der angefochtene Beschluss enthält keine näheren Angaben zu den Zwecken und dem Betätigungsfeld der Gefangenengewerkschaft; ebenso enthält er auch keine Angaben, ob der Betroffene in den personellen Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG fällt) im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hinreichend berücksichtigt hat. Weitere Feststellungen erscheinen dem Senat möglich.

Ich will nicht nach Bulgarien (zurück)

entnommen wikimedia.org Uploaded by Fry1989

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Ob der Verfolgte in einem beim KG anhängigen Ausliferungsverfahren sich selbst gegen das Auslieferungsersuchen des bulgarischen Staats mit dem Satz „Ich will nicht nach Bulgarien (zurück)“ geweht hat, weiß ich nicht. Jedenfalls könnte man aber den Satz über den KG, Beschl. v. 15.04.2015 – (4) 151 AuslA 33/15 (36/15) – schreiben und würde damit ins Schwarze treffen. M.E. hat das KG wohl zu Recht ein Auslieferungshindernis i.S. des § 73 Satz 2 IRG angenommen. Nach dieser Vorschrift i.V.m. Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union und Art. 3 EMRK besteht ein solches, wenn zu besorgen ist, dass die Untersuchungshaft und – bei einer Verurteilung – die Strafhaft gegen den Verfolgten im Falle seiner Auslieferung in einer Justizvollzugsanstalt vollzogen würden, die europäischen Mindeststandards nicht genügt und in der er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. OLG Celle StraFo 2015, 75; OLG Bremen BeckRS 2014, 10396). Und davon geht das KG aus bzw. muss es ausgehen:

„Die für den Vollzug vorgesehene Justizvollzugsanstalt in S. verfügt nach dem Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 29. Januar 2015 – CPT/Inf (2015) 12 – über 676 Haftplätze.Zum Zeitpunkt des in der Zeit vom 24. März bis zum 3. April 2014 durchgeführten Besuchs der Delegation des CPT in Bulgarien war das gesamte, damals mit 885 Inhaftierten belegte Gefängnis überfüllt. Zellen waren u.a. mit sechs Insassen (auf 9 m²), 13 Insassen (auf 24 m²) oder acht Insassen (auf 16 m²) belegt. Teile des Gebäudes waren baufällig, Wände waren mit Schimmel bedeckt und Fenster zerbrochen. Das gesamte Gefängnis war von Ungeziefer befallen. Zum Teil hatten die Gefangenen bei kleinen und hoch in den Wänden eingelassenen Fenstern in den überfüllten Zellen kaum Zugang zu natürlichem Licht und Frischluft. Die Betten bestanden teilweise nur aus verschlissenen Matratzen und schmutzigen Decken. Die sanitären Einrichtungen waren in einem Zustand fortgeschrittenen Verfalls und extrem verschmutzt, in Teilen des Gefängnisses werden sie als „grauenhaft“ beschrieben. Das CPT berichtet außerdem über Korruption von endemischen Ausmaßen (auch) in dem Gefängnis in S., wobei Insassen dazu genötigt werden, für die Gewährung ihnen gesetzlich zustehender Rechte Zahlungen an das Gefängnispersonal zu leisten.

Durchgreifende Fortschritte vermochte das CPT auch bei seinem vom 13. bis zum 20. Februar 2015 durchgeführten erneuten Besuch in Bulgarien nicht festzustellen. Fehlende Fortschritte und teilweise sogar Verschlechterungen waren vielmehr Veranlassung, am 26. März 2015 eine öffentliche Erklärung nach Art. 10 Abs. 2 der Europäischen Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe abzugeben (CPT/Inf (2015) 17). Nach den Feststellungen des CPT bei seinem Besuch im Februar 2015 ist Gewalt unter den Gefangenen und Korruption ein andauerndes Problem (auch) im S.er Gefängnis. Unverändert steht den meisten Gefangenen in S. nur eine Zellenfläche von wenig mehr als 2 m² zur Verfügung. Gebäude und sanitäre Einrichtungen sind weiter verfallen. Die Mehrheit der Gefangenen hat nachts keinen Zugang zu einer Toilette.

Angesichts der vom CPT getroffenen Feststellungen, die durch die nur sehr allgemein gehaltenen Darlegungen des Generaldirektors der Hauptdirektion „Strafvollzug“ nicht entkräftet werden, ist für eine Auslieferung derzeit kein Raum. Der Senat erwartet nicht, dass durch eine erneute Anfrage in Bulgarien noch eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung einer menschenrechtskonformen Unterbringung – z.B. in der Justizvollzugsanstalt Vr., die ausweislich der CPT-Berichte nach umfassenden Renovierungen einen besseren Standard aufweist – erlangt werden kann.“

Vielleicht wäre es besser, mal dorthin ein paar Euros zu schicken…..

Nebenkosten(abrechnung) auch im Strafvollzug

Wasserkocher„Auch Kleinvieh macht Mist“, und zwar sowohl für denjenigen, der einen nur kleinen Geldbetrag immer wieder zahlen, als auch für denjenigen, der Leistungen, die an sich nicht viel kosten, kostenfrei zur Verfügung stellen muss. Das weiß jeder, der sich insbesondere auch mit Nebenkosten im Mietrecht befassen muss. Das wird dann häufig um kleine/kleinste Beträge heftig gestritten. Und mit so einem Streit um „Nebenkosten“ hat auch der OLG Naumburg, Beschl. v. 30.01.2015 – 1 Ws (RB) 36/14 – zu tun, allerdings mit einer Besonderheit. Es geht um „Nebenkosten“ im Strafvollzug bzw. um die Frage, ob einem Gefangenen der Strom zum Betreiben (s)eines Wasserkochers und (s)eines Fernsehens kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Darum hatten sich ein Gefangener und die JVA, in der er seine Strafe verbüßte, gestritten. Die Sache ist dann zum OLG gekommen und das OLG Naumburg meint – hier die Leitsätze:

  1. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Bedürfnisse eines Strafgefangenen deckt die Benutzung eines Gerätes zur Zubereitung von heißem Wasser, etwa Wasserkocher oder Kaffeemaschine, sowie eines Radios und eines Fernsehgerätes über die bereits von der Justizvollzugsanstalt kostenlos zur Verfügung gestellte elektrische Energie zur Nutzung eines Elektrorasierers und einer elektrischen Zahnbürste hinaus den durch das Existenzminimum gesicherten Grundbedarf des Gefangenen.
  2. Die Gewährung effektiven Grundrechtsschutzes gebietet jedoch nicht grundsätzlich die kostenlose Zurverfügungstellung von elektrischer Energie durch die Justizvollzugsanstalt. Diese ist vielmehr berechtigt, sowohl das Bedürfnis nach heißem Wasser oder aber nach Information anderweitig zu befriedigen, soweit den Gefangenen eine Nutzung im zureichenden Maße möglich ist.

Im entschiedenen Fall gab es den Strom dann aber kostenfrei:

„Eine solche effektive Gewährung des Grundbedarfs der Strafgefangenen ist dann nicht mehr gegeben, wenn anhand der konkreten Ausgestaltung der Gemeinschaftsnutzung von Küchen und Fernsehgeräten durch die Antragsgegnerin festzustellen ist, dass den Gefangenen eine Nutzung nicht in zureichendem Maße möglich ist. Dies ist vorliegend der Fall.

Die durch das Landgericht festgestellten Nutzungsmöglichkeiten der Gemeinschaftseinrichtungen durch die Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt … decken den Grundbedarf der Gefangenen nicht, soweit eine Nutzung nur zu den Aufschlusszeiten möglich ist. Diese würden zwar nach Auffassung des Senats zwischen Montag und Freitag ausreichen, soweit eine Nutzung des Gemeinschaftsfernsehens hier zwischen 10:00 und 11:00 Uhr, zwischen 14:45 und 17:00 Uhr und zwischen 18:00 und 21:00 Uhr und darüber hinaus eine Küchenbenutzung bereits ab 6:00 Uhr möglich ist. Am Wochenende genügen die Möglichkeiten der Benutzung der Gemeinschaftseinrichtungen jedoch nicht mehr zur Deckung des Grundbedarfs. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist hier eine Küchennutzung nicht uneingeschränkt und nur bis 18:00 Uhr möglich. Auch die Benutzung des Gemeinschaftsfernsehgerätes ist nur zwischen 9:00 und 11:00 Uhr und zwischen 14:00 und 18:00 Uhr möglich. Das Landgericht hat hier zu Recht festgestellt, dass diese Zeiträume nicht genügen, den Grundbedarf der Gefangenen effektiv zu decken. Tatsächlich wären die Strafgefangenen bei einer ausschließlichen Benutzung des Gemeinschaftsfernsehgerätes von wesentlichen Informationsquellen ausgeschlossen, soweit ihnen die Möglichkeit genommen ist, wesentliche Bestandteile des Fernsehprogramms, etwa die Hauptnachrichtensendungen, zu sehen.

Gleiches gilt für eine Küchennutzung nur zu den Aufschlusszeiten, soweit die Gefangenen nach den Feststellungen des Landgerichts Mahlzeiten für den jeweiligen Abend und den nachfolgenden Morgen zumindest am Wochenende bereits zum Mittag bekommen und diese dann in den durch die Antragsgegnerin im Haftraum zur Verfügung gestellten Kühlschrank aufbewahren. Eine Beschränkung der Möglichkeit heißes Wasser nach 18:00 Uhr und vor 9:00 Uhr zuzubereiten, schränkt die Gefangenen hier aber über Gebühr ein.

Soweit eine ausreichende Benutzung der Gemeinschaftseinrichtungen durch die Antragsgegnerin nicht gewährleistet ist, steht den Strafgefangenen jedoch ein Anspruch auf kostenlose Bereitstellung von elektrischer Energie zu, um einen effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten.“