Archiv der Kategorie: Auslagen

Einstellung des OWi-Verfahrens aus „Beweisnot“, oder: Staatskasse trägt im Zweifel die notwendigen Auslagen

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Und als zweite Entscheidung dann einen „kleinen“, aber feinen Beschluss des AG Montabaur zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens. Das AG hat im AG Montabaur, Beschl. v. 18.11.2022 – 12 OWi 2085 Js 54041/22 – auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auferlegt:

„Mit Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 setzte die Zentrale Bußgeldstelle gegen die Betroffene wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit vom 28.02.2022 eine Geldbuße von 60,00 EUR fest. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen am 18.06.2022 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.06.2022, bei der Zentralen Bußgeldstelle am selben Tag eingegangen, legte die Verteidigerin der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 Einspruch ein.

Nach Akteneinsicht teilte die Verteidigerin am 12.07.2022 mit, die Betroffene sei das Fahrzeug zur Tatzeit nicht gefahren. Bei der Fahrerin handele es sich um eine Mandantin des Zeugen, der selber Rechtsanwalt sei – mit welcher dieser am Tattag einen Gerichtstermin in wahrgenommen habe. Der Zeuge Herr pp. sei aus rechtlichen Gründen daran gehindert, die Personalien seiner Mandantin mitzuteilen.

In der Folge zog die Zentrale Bußgeldstelle verschiedene Vergleichsbilder zu der Akte bei und führte am 18.07.2022 ein Ermittlungsersuchen über die Polizeiwache pp. durch. Die Kreispolizeibehörde Mettmann teilte der Zentralen Bußgeldstelle am 04.08.2022 mit, die Betroffene habe nach Belehrung am 03.08.2022 angegeben, nicht die auf dem Beweisfoto abgebildeten Person zu sein. Aufgrund der Qualität des Beweisfotos habe der Unterzeichner keine eindeutigen Ähnlichkeiten feststellen können. Auch gegenüber dem die Ermittlungen durchführenden Polizeihauptkommissar teilte der Zeuge Herr pp. mit, es habe sich bei der Fahrerin um eine Mandantin gehandelt. Er berief sich auch gegenüber dem Polizeibeamten auf seine anwaltliche Schweigepflicht.

Nach Prüfung im Zwischenverfahren erhielt die Zentrale Bußgeldstelle Ihren Bußgeldbescheid aufrecht und gab den Einspruch gemäß § 69 OWiG am 25.08.2022 an die Staatsanwaltschaft Koblenz ab.

In einem Telefonat mit der Staatsanwaltschaft Koblenz am 05.09.2022 wiederholte die Verteidigerin der Betroffenen ihre Ausführungen aus der Einspruchsbegründung. Nachdem die Verteidigerin der Betroffenen zwei Profilbilder der Betroffenen an die Staatsanwaltschaft Koblenz übermittelt hatte, sendete diese die Akte an die Zentrale Bußgeldstelle mit der Bitte, erneut zu prüfen, ob es sich bei der Fahrerin tatsächlich um die Betroffene handele. Die Qualität des Beweisfotos sei nicht gut. Die Staatsanwaltschaft fragte zudem, ob die Zentrale Bußgeldstelle den Bußgeldbescheid zurücknehme. Mit Schreiben vom 04.10.2022 teilte die Zentrale Bußgeldstelle der Staatsanwaltschaft Koblenz mit, dass der Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 zurückgenommen werde, sofern das Verfahren nicht seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt werde.

Mit Verfügung vom 19.10.2022 hat die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren gemäß § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG eingestellt, da ausreichende Beweise nicht vorhanden waren. Es wurde dabei davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, gemäß § 108a Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 4 StPO. Eine Begründung der Entscheidung hinsichtlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen enthält die Verfügung nicht.

Mit Schreiben vom 25.10.2022 hat die Verteidigerin der Betroffenen gegen die Kostenentscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz gerichtliche Entscheidung beantragt. Sie hat zudem beantragt, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Verfahrens aufzuerlegen. Das Schreiben vorn 25.10.2022 ging am selben Tag per beA bei der Staatsanwaltschaft Koblenz ein.

II…..

1. Der zulässige Antrag ist begründet.

Gemäß § 108a Abs. 1 OWIG trifft die Staatsanwaltschaft die Entscheidungen nach § 467a Abs. 1 StPO, wenn sie das Verfahren nach Einspruch einstellt, bevor sie die Akten dem Gericht vorlegt.

Dabei gilt nach § 467a Abs. 1 S. 2 StPO der § 467 Abs. 4 StPO sinngemäß, sodass bei einer Einstellung nach einer Vorschrift, die die Einstellung nach Ermessen zulässt, davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Staatsanwaltschaft hat hier das Verfahren nach § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG eingestellt, bevor sie die Akten dem Gericht vorgelegt hat. Diese Vorschrift räumt ihr hinsichtlich der Einstellung ein Ermessen ein.

Die demnach grundsätzlich gemäß bestehende § 467 Abs. 4 StPO bestehende Möglichkeit, von der Auferlegung der notwendigen Auslagen der Betroffenen zulasten der Staatskasse abzusehen, erfordert wiederum selbst eine Ermessensausübung.

Eine solche lässt sich der Einstellungsverfügung nicht entnehmen. Zudem muss es bei der Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO verbleiben, wenn Zweifel an der vollständigen Tatbestandsverwirklichung oder ihrer Nachweisbarkeit bleiben; für eine Freistellung der Staatskasse ist dann kein Raum mehr (KK-StP0/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 11, mit Hinweis auf BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 16.8.2013 — 2 BvR 864/12 = NJW 2013, 3569 = DAR 2014, 176 = NZV 2014, 95 und OLG Bamberg NZV 2009, 249).

Zwar kann (und wird in der Regel) die Bereitschaft zur Übernahme der eigenen Auslagen des Betroffenen die Anwendung der Ausnahmeregel des § 467 Abs. 4 StPO rechtfertigen (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 47 Rn. 51). Eine solche Bereitschaft wurde von der Betroffenen aber nicht signalisiert.“

AG: Aktenversendungspauschale als Servicepauschale, oder: VerfGH: Nein, das ist willkürlich

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Heute dann RVG-Entscheidungen. Einmal geht es um „ganz viel“ Honorar, einmal nur um ein paar Euro.

Ich beginne mit den „paar Euro“. Dazu äußert sich der VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.5.2022 – VerfGH 91/21. Es geht um die Erstattung der Aktenversendungspauschale Nr. 9003 VV GKG. Ich hatte an sich gedacht, dass das eine Problematik ist, die erledigt ist. Aber es scheint immer noch wieder Verwaltungsbehörden und/oder Gerichte zu geben, die mit der Pauschale Probleme haben. So auch hier:

Der Polizeipräsident Berlin hatten gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid erlassen. Deren Verteidiger hat Einspruch eingelegt und Akteneinsicht durch Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte beantragt. Der Polizeipräsident hat dem Antrag entsprochen und von dem Verteidiger eine Aktenversendungspauschale von 12,- EUR erhoben. Der Verteidiger hat diese dann der Betroffene der Betroffenen zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Nach Eingang der Einspruchsbegründung hat der Polizeipräsident den Bußgeldbescheid aufgehoben, das Verfahren eingestellt und angeordnet an, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen zu tragen hat. Auf den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG der Landeskasse die notwendigen Auslagen der Betroffenen auferlegt.

Im Rahmen der Kostenerstattung hat der Verteidiger auch die Erstattung der Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,- EUR zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Deren Erstattung hat der Polizeipräsident abgelehnt. Das AG hat den Antrag der Betroffenen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aktenversendungspauschale könne nicht erstattet werden. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Betroffenen, mit der diese geltend gemacht hat, die Verweigerung der Erstattung der Aktenversendungspauschale sei willkürlich, hatte beim VerfGH Berlin Erfolg. Das geht von einem Willkürverstoß des AG aus:

„So liegt der Fall hier. Die mit der Verfassungsbeschwerde allein angegriffene Versagung der Erstattung der Aktenversendungspauschale durch den Beschluss vom 27. April 2021 verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf eine willkürfreie Entscheidung gemäß Art. 10 Abs. 1 VvB. Der Beschluss ist insoweit, gemessen an seiner Begründung, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar. Die Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale musste sich daran orientieren, ob es sich dabei um Auslagen der Beschwerdeführerin in dem genannten Verfahren handelte und ob diese notwendig waren. Das ergibt sich aus der amtsgerichtlichen Kostengrundentscheidung, die die Staatskasse zur Tragung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin in dem gegen sie geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren verpflichtet hatte. Zu diesem der Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale zugrunde zulegenden Maßstab weist die Begründung des Amtsgerichts, die Aktenversendungspauschale sei eine Servicepauschale, die der Verteidiger dafür bezahle, dass er sich eine Akteneinsicht bei der Behörde oder eine Mitnahme der Akte erspare, keinen sachlichen Bezug mehr auf. Weder nimmt das Argument des Amtsgerichts der Aktenversendungspauschale offenkundig die Eigenschaft als Auslage der Beschwerdeführerin, noch lässt es deren Notwendigkeit offensichtlich entfallen. Eine Konkretisierung des abstrakten rechtlichen Entscheidungsmaßstabes, die einen sachlichen Bezug zwischen den Begriffen Auslage und Notwendigkeit einerseits und der Begründung des Beschlusses herstellen könnte, hat das Amtsgericht nicht ausgeführt.

Die angefochtene Entscheidung beruht, soweit sie die Erstattung der Aktenversendungspauschale betrifft, auch auf diesem Verstoß gegen das Willkürverbot, da sie keine selbstständig tragende verfassungskonforme Alternativbegründung enthält und sich bei methodisch korrekter Anwendung des einschlägigen Fachrechts auch nicht als einzig in Betracht kommende Entscheidung darstellt. Die verfahrensgegenständliche Aktenversendungspauschale kann als Auslage der Beschwerdeführerin angesehen werden. Auslagen sind Vermögenswerte, d.h. in Geld messbare Aufwendungen eines Verfahrensbeteiligten, die bei der Rechtsverfolgung bzw. der Geltendmachung prozessualer Rechte entstanden sind. Aufwendungen eines Dritten sind als Auslagen des Beteiligten anzusehen, wenn ihm der Beteiligte zum Ersatz verpflichtet ist (vgl. Gieg, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 464a StPO Rn. 6). Die Verpflichtung zur Zahlung der Aktenversendungspauschale ist gegenüber dem Verteidiger der Beschwerdeführerin durch deren Verteidigung gegen den verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeitenvorwurf entstanden. Die Beschwerdeführerin ist ihrem Verteidiger insoweit auch aus dem mit ihm bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag zum Ersatz verpflichtet.

Die Aktenversendungspauschale kann auch als notwendige Auslage angesehen werden. Notwendig ist eine Auslage, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich war (vgl. Gieg, a. a. O.). Das kann schon dann anzunehmen sein, wenn der vernünftige und besonnene Verfahrensbeteiligte sie für geboten halten durfte. Angesichts des Umstandes, dass die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, vorliegend eine Einsichtnahme in die elektronisch geführte Verfahrensakte an einem Bildschirm in den Räumen des Polizeipräsidenten in Berlin war, dürfte dies auch naheliegen. Denn diese Möglichkeit der Akteneinsicht stellt sich gegenüber der von dem Verteidiger der Beschwerdeführerin erbetenen Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte zweifellos als die deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative dar.

Ob die angegriffene Entscheidung die Beschwerdeführerin auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB verletzt, kann danach dahinstehen.“

Ich frage mich bei solchen Entscheidungen immer, was das eigentlich soll.  Ich meine, die Einordnung des Aktenversendungspauschale als erstattbare Auslage sollte zum Allgemeinwissen eines Amtsrichters gehören und man, wozu allerdings auch die Verwaltungsbehörden zählen, sollte an der Stelle nicht wieder „Fass aufmachen“, das durch die obergerichtliche Rechtsprechung seit längerem geschlossen ist. Denn das führt nur zu an sich unnötigen Rechtsmitteln, die erhebliche Zeitaufwand verursachen – und Zeit hat die Justiz ja angeblich nicht – und auch Kosten, die erheblich über dem Betrag liegen, um den gestritten wird, nämlich 12 EUR.

Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtakte, oder: Irgendetwas stimmt da mit den Zahlen nicht….

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Und dann als zweite Entscheidung der BGH, Beschl. v. 12.09.1919 – 3 BGs 293/19 – ja das Entscheidungsdatum ist richtig, die Entscheidung ist erst jetzt veröffentlicht worden. Die Entscheidung ist zwar auch nicht schön, aber: Das liegt hier m.E. am Verteidiger.

Der BGH hat in dem Beschluss über den Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtakte, wenn der Mandant inhaftiert ist, entschieden. Grundlage war folgender Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger. Er hat am 06.05.2019 die Erstattung von Kopierkosten in Höhe von 1.785,85 EUR nach Nr. 7000 RVG zzgl. hierauf entfallender Umsatzsteuer nach Nr. 7008 RVG beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sämtliche ihm im März 2019 in Form einer elektronischen Hilfsakte durch den Generalbundesanwalt beim BGH überlassenen Bestandteile der Verfahrensakte bis einschließlich Band 5 durch ihn ausgedruckt worden seien, da die Bundesanwaltschaft erklärte habe, diesem einen Laptop mit der elektronischen Hilfsakte erst nach Anklageerhebung zur Verfügung stellen zu wollen. Nach Anhörung der Kostenprüfungsbeamtin des BGH wies der Rechtspfleger den Rechtsanwalt darauf hin, dass dieser einer Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit eines vollständigen Ausdrucks digitalisierter Verfahrensakten unterliege. Mit Beschluss vom 01.07. 2019 wurde der Antrag des Rechtsanwalts auf „Erstattung umfangreicher Kopierauslagen aus der Bundeskasse“ zurückgewiesen

Hiergegen hat der Rechtsanwalt Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er abermals die unterbliebene frühzeitige Bereitstellung eines Laptops durch die Anklagebehörde angeführt und ergänzt, dass die Justizvollzugsanstalt es ihm untersagt habe, seinen eigenen Laptop zu Verteidigergesprächen mitzubringen. Dem Gebot eines ressourcenschonenden Umgangs habe er dadurch Rechnung getragen, dass ausschließlich schwarz-weiß-Kopien gefertigt worden seien. Auch habe er die Bundesanwaltschaft bereits im März darauf hingewiesen, dass er im Falle weiterer Verzögerungen bei der Bereitstellung eines Laptops werde. Der GBA hat im Erinnerungsverfahren mitgeteilt, dass dem Beschuldigten entsprechend einer schriftlichen Ankündigung vom 08.05.2019 mit Verfügung vom 09.07.2019 ein Laptop zur Verfügung gestellt wurde; am 12.09.2019 wurde das Passwort für die Dateien übersandt. Die Erinnerung hatte beim BGH keinen Erfolg.

Der BGh nimmt (noch einmal) zu den Grundsätzen für den Ersatz von Auslagen für Kopein aus der Gerichtsakte Stellung. Das lässt sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten kann verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren.
  2. Die Darlegungs- und Beweisleist im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragssteller. Es bedarf für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser hat namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist, wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung.

Zum konkreten Fall führt er dann aus:

„2. Gemessen an diesen rechtlichen Maßgaben musste dem Rechtsmittel hier der Erfolg versagt werden.

a) Zwar drängt sich angesichts des verstrichenen Zeitraums von März bis Juli 2019 auf, dass für den Erinnerungsführer zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung die Notwendigkeit eines jedenfalls teilweisen Ausdrucks der Ermittlungsakte bestand. Ihm war es eingedenk des erheblichen Verfahrensumfangs und mit Blick auf das in Haftsachen besondere Geltung beanspruchende Gebot zügiger Verfahrensführung nicht zumutbar, von März 2019 bis zur Überlassung des Datenträgers im Juli 2019 zuzuwarten und erst dann in verfahrensvorbereitende Gespräche einzutreten, die sein Mandant in dem hier umfangreichen Verfahren anhand eigener Aktenlektüre vorbereiten konnte.

b) Der Antragssteller begehrt aber weiterhin – trotz wiederholten Hinweises durch den Rechtspfleger – ohne jede Form der Substantiierung die Erstattung eines pauschalen Ausdrucks der gesamten digitalisierten Verfahrensakte zur Verfahrensvorbereitung für seinen inhaftierten Mandanten. Das erweist sich hier als unzureichend. Schon zu dem maßgebenden Umstand, dass er – zumindest – das Gebot kostenschonender Prozessführung durch eine Durchsicht der Verfahrensakten bedacht und selbst differenziert bewertet hat, was konkret als Besprechungsgrundlage erforderlich sein wird, trägt der Erinnerungsführer nicht vor. Es bleibt ferner offen, ob und an wie vielen Tagen in der Zeit nach der Übersendung der digitalisierten Verfahrensakten überhaupt Besprechungstermine stattgefunden haben oder auch nur geplant waren. Überdies ist gerichtsbekannt, dass die Verfahrensakten einen nicht unerheblichen Anteil gerichtlicher Anordnungen nach § 162 StPO sowie anwaltliche Schriftsätze enthalten, bei denen sich die Notwendigkeit einer Erörterung mit dem Mandanten nicht ohne Weiteres erschließt.“

Manch einer wird nun sagen: Mal wieder der böse BGH, der die Rechtsanwälte/Verteidiger nicht mag. Aber das ist hier m.E. nicht richtig. Denn der BGH hat, was seinen Ausführungen deutlich zu entnehmen ist, einen Erstattungsanspruch nicht grundsätzlich verneint, sondern sieht ihn in diesem Fall vielmehr als grundsätzlich gegeben an. Anders ist der Hinweis auf „den verstrichenen Zeitraum von März bis Juli 2019“, bei dem sich „aufdrängt“, dass die Notwendigkeit zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung, die Ermittlungsakten jedenfalls teilweisen auszudrucken, bestanden habe, nicht zu verstehen. Vereinfacht ausgedrückt: Du Pflichtverteidiger hättest hier, weil der Generalbundesanwalt mit dem Zurverfügstellen eines Laptops für den Beschuldigten nicht voran machte, ausdrucken dürfen, wenn ….

Und bei dem „wenn“ liegt dann das Versagen des Verteidigers, denn: Der BGH hält daran fest bzw. bestätigt die OLG-Rechtsprechung, wonach die Beweislast für die Notwendigkeit des Ausdrucks beim Verteidiger/Rechtsanwalt Das mag man für falsch ansehen, ist aber h.M., gegen die ein Anlauf nicht lohnt, sondern auf die man sich einstellen muss. Und es war hier nun wahrlich nicht viel, was der BGH gern vom Pflichtverteidiger gelesen hätte. Die vermissten Angaben sind schnell gemacht und hätten, so verstehe ich den BGH, zur Erstattung geführt. Es bestand m.E. auch kein Problem hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht. (§ 43 a Abs. 2 BRAO bzw. § 2 BORA). Denn bei den vom BGH gewünschten/erwarteten Angaben handelt es sich um solche, die unter § 2 Abs. 3 b BORA fallen dürften. Von daher: Die „Dickfelligkeit“ des Verteidigers ist nicht nachzuvollziehen und stört ersichtlich auch den BGH, der deutlich darauf hinweist, dass der Verteidiger die Angaben noch nicht einmal nach einem Hinweis des Rechtspflegers gemacht hat.

Im Übrigen: Irgendetwas stimmt da nicht. Geltend gemacht worden sind vom Pflichtverteidiger 1.785,85 EUR für die Kopien. Das ist ausweislich der Gründe des BGH-Beschlusses der Nettobetrag. Prüft man diesen an der Vorgaben der Nr. 700 Ziff. 1a VV RVG, dann lässt sich m.E. der Betrag anhand der im Beschluss mitgeteilten Umstände nicht nachvollziehen. Denn:

  • Von den 1.785,85 EUR sind die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 EUR abzuziehen, also 25,00 EUR.
  • Verbleiben also 1.760,85 EUR für die weiteren Seiten. Für die werden ggf. jeweils 01,5 EUR erstattet. D.h., dass der Pflichtverteidiger 11.739 weitere Seiten kopiert haben müsste.
  • Nach den Ausführungen des BGH ist die Verfahrensakte bis „einschließlich Band 5“ kopiert worden, eine genaue Anzahl der Seiten macht der BGH nicht. Geht man davon aus, dass ein Band Akten aus jeweils 400 Blatt besteht und unterstellt man weiter, dass jeweils Vorder- und Rückseite kopiert werden mussten, was m.E. jeweils zu Gunsten des Pflichtverteidigers günstige Annahmen sind, dann waren danach 5 x 800 Blatt = 4.000 Blatt zu kopieren. Das führt aber nur zu einem Betrag von 3.950 Blatt (4000 Blatt – 50 Blatt „erste Seiten“) x 0,15 EUR = 592,50 EUR. Zuzüglich der o.a. 25,00 EUR ergibt sich danach nur ein Erstattungsbetrag von (netto) 617,50 EUR, der dann aber doch im eklatanten Widerspruch zu den geltend gemachten 1.785,85 EUR steht.

„Etwas“ (?) zu „sparsame“ Bemessung der Grundgebühr, oder: Reisekosten des auswärtigen Verteidigers?

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Am „Money-Day“ dann zunächst eine Entscheidung des LG Hamburg, Das hat im LG Hamburg, Beschl. v. 06.04.2022 – 628 Qs 19/21 – zur Bemessung der Rahmengebühr bei einer Grudngebühr und zu den Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts Stellung genommen.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der falschen Verdächtigung freigesprochen und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt. Die geltend gemachten Auslagen sind nur zum Teil festgesetzt worden. Statt einer Grundgebühr von 200,- EUR, was der Mittelgebühr nach altem Recht entsprochen hat/hätte, wurden lediglich 110 EUR festgesetzt. Ebenfalls nicht festgesetzt wurden Fahrtkosten von 2 x 171,60 EUR für jeweils 572 km Anreise mit dem eigenen PKW und Abwesenheitsgelder bei einer Geschäftsreise in Höhe von 2 x 70 EUR. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hatte nur hinsichtlich der Reisekosten zu einem geringen Teil Erfolg:

„3. Die Beschwerde hat in der Sache nur zu einem kleinen Teil Erfolg.

a) Grundgebühr

Die beantragte Grundgebühr (Ziff. 4100 Anlage 1 zum RVG) in Höhe von EUR 200,- ist nur in Höhe von EUR 110,- festzusetzen.

Bei Rahmengebühren bestimmt gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). So liegt der Fall hier.

Dritter in diesem Sinne ist insbesondere auch die Staatskasse, die nach § 467 Abs. 1 StPO dem freigesprochenen Angeklagten die Verteidigerkosten erstatten muss (vgl. v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 51). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das grundsätzliche Gebührenbestimmungsrecht eines Anwalts nicht dadurch ausgehöhlt werden darf, dass eine Gebührenbemessung schon dann als unbillig korrigiert wird, wenn sie lediglich „gut bemessen“ ist (LG Zweibrücken, Beschluss vom 12.02.2008 – Qs 68/07 = BeckRS 2008, 16655; Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 5) . Denn jede Ermessenausübung bewegt sich innerhalb eines durch die Umstände bestimmten Rahmens, und eine Ermessensausübung ist auch dann noch billig, wenn sie an den oberen Rand des durch die Umstände bestimmten Rahmens geht (Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 12). Erst, wenn sie diesen oberen Rand überschreitet, ist sie unbillig, und damit der Weg für das Gericht frei, das anwaltliche Ermessen durch eigenes Ermessen zu ersetzen (Mayer, a.a.O.; vgl. zum insoweit eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Gerichts auch: v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 7). Diese engen Voraussetzungen liegen indes vor. Der Verteidiger des Freigesprochenen hat hier die sog. „Mittelgebühr“ angesetzt. In „Normalfällen“ (d.h. wenn sämtliche in § 14 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich genannten Umstände von durchschnittlicher Art sind) entspricht die Bestimmung der Mittelgebühr billigem Ermessen (v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 21). Das darf aber nicht dazu führen, dass der Rechtsanwalt ohne Abwägung der einzelnen Bemessungskriterien generell die Mittelgebühr abrechnet (v. Seltmann, a.a.O.). Vielmehr ist die Mittelgebühr lediglich Ausgangspunkt der Ermessensausübung. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, ist dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen (v. Seltmann, a.a.O.). So liegt es hier.

Namentlich Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weichen hier maßgeblich nach unten vom Durchschnitt ab (vgl. zu diesen Kriterien im Einzelnen: v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 28 ff., 34 ff.). Der Aktenumfang betrug bis zum Hauptverhandlungsprotokoll 62 Blatt (sowie 43 Blatt im Zeitpunkt erstmaliger Akteneinsicht). Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Vorfall in einem Kiosk. Neben der Einlassung des (ehemaligen) Beschuldigten erschöpfte sich das Beweisprogramm im Wesentlichen in zwei Zeugen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der „Geschädigte zum Beschuldigten“ wurde und es zwei „sich diametral gegenüberstehende Ermittlungsverfahren“ gab. Denn sowohl in dem hiesigen Verfahren als auch in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 2004 Js 499/19 (der hiesigen Beiakte) ging es im Kern um den gleichen Lebenssachverhalt; zumal der Umfang der Beiakte – den insoweit geltend gemachten Kopierkosten nach zu urteilen – sogar noch geringer war, als derjenige der hiesigen Akte. Auf der anderen Seite wich kein anderes relevantes Bemessungskriterium nach oben hin von der Norm ab, sodass auch insoweit keine „Kompensation“ erfolgen konnte, die eine Festsetzung der Mittelgebühr noch hätte rechtfertigen können (zu dieser Möglichkeit: Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 11; m.w.N.).

Dabei hat die Kammer auch bedacht, dass es nicht angängig ist, von den Kostenrechnungen eines Verteidigers „kleinteilige“ Abzüge vorzunehmen und sich vor diesem Hintergrund gewisse „Toleranzgrenzen“ herausgebildet haben. So werden etwa Abweichungen von bis zu 20% regelmäßig noch als verbindlich angesehen (Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 12; v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 51; m.w.N.). Vorliegend sind diese Grenzen jedoch ersichtlich überschritten.

b) Fahrtkosten

Die geltend gemachten Fahrtkosten (Ziff. 7003 Anlage 1 zum RGV) waren nur in einer Höhe von EUR 25,20 festzusetzen.

Gem. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zu erstatten sind. Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt nur insoweit zu erstatten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Sachgerecht ist die Beauftragung eines ortsansässigen Prozessbevollmächtigten. Wer darauf verzichtet und auswärtigen Beistand in Anspruch nimmt, kann den Mehraufwand grundsätzlich nicht erstattet verlangen (Schulz, in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rn. 71; Hüßstege, in Thomas/Putzo, ZPO, § 91 Rn. 42a; vgl. Herget, in Zöller, ZPO, § 91 Rn. 13, unter dem Stichwort: „Reisekosten b) des Anwalts“). Denn im Grundsatz wird der Partei zugemutet, einen an ihrem Gerichtsstandort zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen (Jaspersen, in BeckOK ZPO, 43 Edition, Stand: 01.12.2021, § 91 Rn. 169). Es gilt das Kostenschonungsgebot (Schulz, a.a.O.). Nur beim Vorliegen besonderer Umstände können diese Kosten notwendig sein (Gierl, in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 91 Rn. 52; m.w.N.).

Namentlich muss das schützenswerte Interesse der Partei an einem auswärtigen Anwalt so großes Gewicht haben, dass das Gebot der Kostenschonung dahinter zurücktritt (Jaspersen, a.a.O.). Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein entlegenes oder besonders schwieriges Rechtsgebiet die Fachkunde eines Spezialisten erfordert und ein geeigneter Anwalt vor Ort nicht verfügbar ist (Schulz, a.a.O.); wobei die Anforderungen hier im Allgemeinen hoch anzusetzen sind (Flockenhaus, in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 91 Rn. 18).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Besondere Spezialkenntnisse waren weder erforderlich noch sind diese dargetan. Zwar mag es aufgrund des damaligen Verfahrensstands und dem bis dato erfolgten Verfahrensgang aus Sicht des Freigesprochenen nachvollziehbar gewesen sein, das vorherige Mandatsverhältnis mit dem hamburgischen Strafverteidiger zu beenden. Gleichwohl sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die Beauftragung eines anderen Verteidigers aus Hamburg nicht möglich gewesen sein soll. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem – in Strafsachen ganz besonders erheblichen – Grundsatzes des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant (vgl. zum „persönlichen Vertrauen“ etwa: Schulz, in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rn. 63). Vorliegend hat der Verteidiger des Freigesprochenen zwar in der Vergangenheit bereits Familienangehörige des Freigesprochenen vertreten, war für diesen selbst jedoch noch nicht tätig. Hieran vermag auch die „langjährige Freundschaft“ zwischen dem Freigesprochenen und seinem Verteidiger nichts zu ändern.

Gleichwohl bedeutet die fehlende Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Verteidigers nicht, dass für diesen überhaupt keine Fahrtkosten angesetzt werden können. Vielmehr sind tatsächlich angefallene Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts insoweit erstattungsfähig, als sie auch dann entstanden wären, wenn die obsiegende Partei einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte (BGH, Beschluss vom 09.05.2018 – I ZB 62/17 = BeckRS 2018, 14136; dort unter Rn. 8 ff. mit umfangreichen Nachweisen zum Meinungsstand; vgl. Jaspersen, in BeckOK ZPO, 43 Edition, Stand: 01.12.2021, § 91 Rn. 169).

Ersatzfähig ist daher derjenige Anteil der Fahrtkosten, welcher auf die Wegstrecke innerhalb des hiesigen Gerichtsbezirks entfällt. Von der kürzesten Route vom Amtsgericht HamburgHarburg bis zum Kanzleisitz des Verteidigers des Freigesprochenen (J. , S.) liegen 21 Kilometer innerhalb der Landesgrenzen Hamburgs. Der Verteidiger ist diese Wegstrecke viermal gefahren. Ersatzfähig sind daher EUR 25,20 (= 4 x 21 x EUR 0,30)….“

Im Großen und Ganzen ist gegen die grundsätzlichen Ausführungen des LG zur Bemessung der Rahmengebühren nichts auszusetzen. Allerdings ist die Behauptung, dass, wenn „eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, dies Anlass für den Rechtsanwalt ist, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen“, so nicht zutreffend. Denn es führt nicht schon zwangsläufig ein nach unten vom Durchschnitt abweichendes Kriterium aus § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu einer Gebühr unter der Mittelgebühr, sondern es ist auch dann eine Gesamtbewertung aller Kriterien vorzunehmen. Das tut das LG dann hier auch, bleibt aber eine Erklärung warum die Grundgebühr nur in Höhe von 110 EUR, also 45 % unter der Mittelgebühr, angemessen sein soll, schuldig. Die mitgeteilten Umstände tragen diese Bemessung nicht. Sie sprechen vielmehr für eine amtsgerichtlichen Normalfall mit immerhin zwei Zeugen, einer Beiakte und gegenseitigen Vorwürfen bzw. einem „gegenläufigen Ermittlungsverfahren.

Und: << Werbemodus an>>: Ich nehme dann dieses Posting mal wieder zum Anlass auf Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, hinzuweisen, den man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

Wenn man wegen Corona „außerhäusig“ verhandelt, oder: Vorübergehende Kapazitätsbeschränkung

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Und als zweite Entscheidung dann der OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.04.2022 – 7 Ks 41/13 -, den ich an sich auch an einem „Corona-Tag“ hätte bringen können. Denn es geht um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die von einer Partei/einem Angeklagten ggf. zu tragenden Gercihtskosten.

Hier sind mit einer Gerichtskostenrechnung dem in dem zugrundeliegenden Gerichtsverfahren Kosten gemäß Kostenverzeichnis Nr. 9006 KV GKG (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) für Geschäfte außerhalb der Gerichtsstelle, zunächst in Höhe von 428,15 EUR, in Rechnung gestellt worden. Hintergrund war die Anmietung eines – außerhalb des Gerichtsgebäudes des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts liegenden – Raumes durch die Verwaltung des Gerichts, in dem die mündliche Verhandlung des zugrundeliegenden Gerichtsverfahrens durchgeführt wurde. Dagegen wendet sich der Kläger beim OVG und hat damit Erfolg:

„Gemäß § 3 Abs. 2 GKG werden Kosten nach dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG erhoben. Eine über diese Tatbestände hinausgehende Auferlegung von Kosten ist nicht zulässig. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 GKG ist zu unterscheiden zwischen Gebühren und Auslagen. Die Gebühren stellen eine Gegenleistung für die Inanspruchnahme der Gerichte dar; als Auslagen werden die von den Gerichten aufgewendeten (verauslagten) Beträge erhoben (Zimmermann in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 5. Aufl. 2021, § 1 Rn. 6). Nr. 9000 ff. KV GKG regelt die Erstattungsfähigkeit von Auslagen.

Gemäß Nr. 9006 KV GKG gehören zu den Auslagen die den Gerichtspersonen aufgrund gesetzlicher Vorschriften gewährte Vergütung (Reisekosten, Auslagenersatz) und die Auslagen für die Bereitstellung von Räumen in voller Höhe, die bei Geschäften außerhalb der Gerichtsstelle anfallen. Hauptanwendungsfall dieser Vorschrift ist der Ortstermin (Touissant in: Touissant, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, Nr. 9006 KV GKG, Rn. 1 m.w.N.; Volpert in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, Nr. 9006 KV GKG, Rn. 3). Der vorliegende Einzelfall ist mit einer derartigen Konstellation nicht vergleichbar. Zwar sind Auslagen für die Anmietung einer Räumlichkeit durch die Gerichtsverwaltung entstanden, in der die Sitzung des Senats am 20. Januar 2022 durchgeführt werden konnte.Allerdings handelte es sich dabei nicht um Auslagen, die durch Geschäfte außerhalb der Gerichtsstelle im Sinne dieser Vorschrift angefallen sind.Gerichtsstelle ist regelmäßig das Gerichtsgebäude. Darunter fällt aber auch jeder andere Raum, in dem üblicherweise und regelmäßig Sitzungen des betreffenden Gerichts stattfinden (vgl. wortgleich zu Nr. 9006 KV GKG in Nr. 2006 KV FamGKG: Schneider in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, Nr. 2006 KV FamGKG, Rn. 2). Die Möglichkeit eines anderen Ortes als Gerichtsstelle besteht auch dann, wenn etwa außerhäusige Gerichtstage stattfinden (Zimmermann in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 5. Aufl. 2021, Nr. 9006 KV GKG, Rn. 1; Klahr in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 36. Ed. 2022, Nr. 9006 KV GKG, Rn.2) oder wenn das Gericht Räumlichkeiten außerhalb des Gerichtsgebäudes vorübergehend nutzt, etwa wenn wegen Bauarbeiten die Nutzung des eigentlichen Gerichtssaals nicht möglich ist (Schneider in: Schneider/Volpert/Fölsch, a.a.O.). Eine vergleichbare Konstellation ist vorliegend gegeben. Ursächlich für die in Rede stehende Raumanmietung ist die derzeitige Vorgabe, dass aufgrund coronabedingter Maßgaben eine Benutzung der im Gebäude des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Verfügung stehenden Sitzungssäle grundsätzlich nur noch mit eingeschränkter Personenzahl erfolgen darf. Dem Senat ist es regelmäßig nicht mehr möglich, ohne Anmietung einer außerhäusigen Räumlichkeit durch das Gericht Termine in Planfeststellungsverfahren – wie vorliegend zugrundeliegend – überhaupt durchzuführen, solange die coronabedingten Vorgaben nur noch eine eingeschränkte Benutzung des Sitzungssaals ermöglichen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch – seit Auferlegung der Corona-Einschränkungen – derartige Verfahren wiederholt allein außerhalb des Gerichtsgebäudes verhandeln können. Auch andere Spruchkörper des Gerichts haben die externen Räumlichkeiten entsprechend in Anspruch genommen. Diese Notwendigkeit ist dabei nicht durch eine außergewöhnlich große Anzahl von Personen bedingt, sondern resultiert aus der derzeit eingeschränkten Nutzbarkeit des im Gerichtsgebäude zur Verfügung stehenden Gerichtssaals. Entgegen den Ausführungen des Bezirksrevisors in seiner Stellungnahme vom 8. März 2022 war maßgeblich für die Anmietung der Räumlichkeit im vorliegenden Verfahren deshalb auch weder die hohe Anzahl der Teilnehmer noch ein im Gebäude des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in benötigter Größe fehlender Sitzungssaal. Auf Nachfrage des Senats war von den Beteiligten als Teilnehmerzahl (inklusive der Beteiligten selbst nebst Sachverständigen und Sachbeiständen) eine Gesamtpersonenzahl aller Beteiligten von 22 Personen und damit eine über der derzeit in den Sitzungssälen des Oberverwaltungsgerichts aufgrund coronabedingter Vorgaben zulässige Personenzahl gemeldet worden. Der Senat hat in den letzten Jahren – vor Einschränkung der vorhandenen Sitzungssaalkapazität aufgrund coronabedingter Vorgaben – bereits eine Vielzahl von Verhandlungen mit weit mehr Teilnehmern in den im Gerichtsgebäude zur Verfügung stehenden Sitzungssälen durchgeführt. Die Gesamtteilnehmerzahl für die Verhandlung lag demnach nicht über dem, was üblicherweise in einer mündlichen Verhandlung für ein Planfeststellungsverfahren zu erwarten ist und zuvor auch mit den vorhandenen Räumlichkeiten des Gerichts bewältigt werden konnte. Der Justizgewährleistungsanspruch muss es auch unter coronabedingten Einschränkungen ermöglichen, Verhandlungen, die sich mit Blick auf die Teilnehmerzahl in einem grundsätzlich üblichen Rahmen halten, durchzuführen, ohne dass dadurch die Beteiligten mit nicht unerheblichen Mehrkosten belastet werden.

Auch Sinn und Zweck der in Nr. 9000 ff. KV GKG geregelten Erstattungsfähigkeit von Auslagen spricht für die vorliegend erfolgte Auslegung des Nr. 9006 KV GKG. Gegenleistung für die Inanspruchnahme der Gerichte ist grundsätzlich die Gerichtsgebühr (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.12.2016 – 20 KSt 1.16 -, BeckRS 2016, 111720). So werden weder die Nutzung des im Gericht vorhandenen Sitzungssaals noch die Kosten für sämtliche gerichtlicherseits an dem Verfahren Mitwirkende (vgl. dazu auch Nr. 9005 KV GKG – nicht als Auslagen erhoben werden Beträge, die an ehrenamtliche Richter (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 JVEG) gezahlt werden) gesondert als Auslagen in Rechnung gestellt.Sinn und Zweck der in Nr. 9000 ff. KV GKG geregelten Erstattungsfähigkeit von Auslagen ist – im Gegensatz zu Gebühren – die Möglichkeit der Auferlegung von Kosten, die aufgrund der Besonderheit des Einzelfalls entstehen, mit Blick auf Nr. 9006 KV GKG etwa, weil aufgrund der besonderen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls ein Ortstermin, eine Inaugenscheinnahme oder eine Anhörung an einem anderen Ort als im Gerichtssaal erforderlich wird, ggf. auch wegen einer außergewöhnlich hohen Anzahl von Teilnehmenden, bei der nicht erwartet werden kann, dass diese mit den üblicherweise vorhandenen Kapazitäten bewältigt werden kann. Dabei handelt es sich um Auslagen, die Folge der besonderen Situation des jeweiligen Einzelfalls sind. Eine solche Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Anmietung resultierte vielmehr daraus, dass die Nutzung des vorhandenen Sitzungssaals aufgrund von außerhalb des konkreten Einzelfalls liegenden Umständen, die auch nicht der Risikosphäre der Beteiligten oder dem konkreten Verfahren zuzuordnen sind, eingeschränkt war.

Auch ein Vergleich mit den übrigen unter Nr. 9000 ff. KV GKG aufgeführten Tatbeständen ergibt, dass Auslagen im Sinne dieser Vorschrift nicht diejenigen Aufwendungen sind, die üblicherweise anfallen. Diese sind vielmehr bereits mit der Gerichtsgebühr abgegolten. So ist bspw. gemäß Nr. 9000 Abs. 3 KV GKG für jeden Beteiligten und dessen Bevollmächtigten jeweils eine vollständige Ausfertigung oder Kopie oder ein vollständiger Ausdruck einer gerichtlichen Entscheidung oder des Sitzungsprotokolls frei von einer Dokumentenpauschale zu erteilen, erst darüber hinausgehend angeforderte oder erforderliche Mehrstücke können gesondert als Auslage in Rechnung gestellt werden. Die nach Nr. 9002 KV GKG mögliche Zustellungspauschale wird neben Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, regelmäßig nur erhoben, soweit in einem Rechtszug mehr als 10 Zustellungen anfallen, und die nach Nr. 9004 KV GKG mögliche Auslage für öffentliche Bekanntmachungen ist nicht zu erheben für die Bekanntmachung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem, wenn das Entgelt nicht für den Einzelfall oder ein einzelnes Verfahren berechnet wird.

Ist aber, wie ausgeführt, die – vorübergehende – Kapazitätsbeschränkung des gerichtseigenen Sitzungssaals ursächlich für die Anmietung von Räumlichkeiten, und steht infolge dessen ein Gerichtssaal im Gerichtsgebäude nicht uneingeschränkt zur Verfügung, handelt es sich bei aus der Anmietung resultierenden Kosten nicht um Auslagen im Sinne der Nr. 9000 ff. KV GKG, weil die Bereitstellung eines Gerichtssaals per se grundsätzlich mit den Gerichtsgebühren abgegolten ist.“