Der auswärtige Verteidiger in Bußgeldverfahren, oder: Reisekosten für auswärtige Verteidiger?

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Die zweite Entscheidung, der LG Hildesheim, Beschl. v. 12.12.2022 – 22 Qs 18/22 – nimmt Stellung zur Auslagenerstattung für den auswärtigen Rechtsanwalt in Bußgeldsachen. Die Frage macht gerade in Bußgeldsachen häufig Schwierigkeiten.

Der Betroffene hatte im Bußgeldverfahren einen auswärtigen Verteidiger beauftragt. Dieser hat, nachdem der Betroffene frei gesprochen worden ist und das AG der Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen auferlegt hat, die Erstattung seiner Reisekosten (224,28 EUR Fahrtkosten und 50 EUR Abwesenheitsgeld nebst anteiliger Umsatzsteuer) beantragt. Das AG hat diese festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Staatskasse hatte Erfolg:

„Das so verstandene Rechtsmittel der Landeskasse hat im vollen Umfang Erfolg. Die Reisekosten des Verteidigers (224,28 € Fahrtkosten und 50 € Abwesenheitsgeld nebst anteiliger Umsatzsteuer) sind keine aufgrund des Urteils des Bußgeldrichters vom 9. August 2021 aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen.

Aus der Bezugnahme in § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO auf § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2. ZPO ergibt sich, dass Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nach VV RVG Nr. 7003 ff. „nur insoweit“ zu erstatten sind, als seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig ist (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 464a Rn. 12).

1. Selbst auf Grundlage der Rechtsauffassung des Amtsgerichts hätten die Kosten des auswärtigen Verteidigers daher nicht in voller Höhe festgesetzt werden dürfen, sondern – wie der Verteidiger selbst im Schriftsatz vom 29. August 2022 ausgeführt hat – nur in Höhe der Reisekosten eines Rechtsanwalts mit der höchstmöglichen Entfernung im Amtsgerichtsbezirk (BGH, Beschl. v. 9. Mai 2018 I ZB 62/17, MDR 2018, 1022), was hier zu festsetzbaren Reisekosten von etwa 63,60 € nebst Umsatzsteuer geführt hätte (33,60 € Reisekosten für jeweils etwa 40km Hin- und Rückweg zzgl. 30 € Abwesenheitsgeld).

2. Nach der Rechtsprechung der Kammer lässt sich diese zivilgerichtliche Rechtsprechung (n. d. v. g. Beschl. v. 9. Mai 2018, zuletzt etwa Beschl. v. 14.09.2021, VIII ZB 85/20 MDR 2021, 1486ff.) aber nicht auf Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen. Sie betrifft ganz andere Verfahrenssituationen, nämlich Zivilprozesse mit Anwaltszwang.

a) Im Strafverfahren ist hingegen § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO seit jeher differenziert ausgelegt worden. So ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts – unabhängig von (Amts-)Gerichtsbezirken – grundsätzlich nur dann bejaht worden, wenn das Verfahren ein schwieriges und abgelegenes Rechtsgebiet betrifft, weshalb nur ein Anwalt mit besonderen Kenntnissen auf diesem Spezialgebiet zur ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage ist und ein solcher Spezialist am Sitz des Prozessgerichts nicht ansässig ist (vgl. LG Koblenz NStZ 2003, 619; OLG Köln NJW 1992, 586; OLG Jena StV 2001, 242; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt Rn. 12, s. a. Kotz: Aus der Rechtsprechung zu den Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen in Strafsachen 2010/2011, NStZ-RR 2012, 265, 266f.). Ferner kommt bei einem schweren Schuldvorwurf dem besonderen Vertrauensverhältnis regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu. Wenn der auswärtige Verteidiger gemäß §§ 141, 142 StPO als Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können, dürfen seine als Wahlverteidiger geltend gemachten Auslagen dahinter nicht zurückbleiben (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 12.10.2017 ,1 Ws 140/17, BeckRS 2017, 129463; OLG Nürnberg ZfS 2011, 226).

Hingegen hätte die unreflektierte Anwendung der vorgenannten zivilistischen Rechtsprechung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Strafverfahrens hingegen auch die Konsequenz, dass in Fällen notwendiger Verteidigung die Fahrtkosten eines auswärtigen Wahlverteidigers, der zum Verteidiger hätte bestellt werden können, nur bis zur Höhe der im (Amts-)Gerichtsbezirk maximal anfallenden Reisekosten erstattungsfähig wären und wohl auch nicht auf die Schwierigkeit oder Entlegenheit des Rechtsgebiets abgestellt werden könnte (vgl. Beschl. der Kammer v. 30. August 2022, 22 Qs 9/22).

b) Im Ordnungswidrigkeitenverfahren treten die vorgenannten Konstellationen nur ganz selten auf. Im Verfahren kann sich der Betroffene selbst vertreten und die Sachverhalte sind regelmäßig – wie hier bei dem Vorwurf eines überschaubaren Verkehrsverstoßes – einfach gelagert.

Wie die die Landeskasse vertretende Bezirksrevisorin zutreffend ausgeführt hat, ist es dann dem Betroffenen grundsätzlich zumutbar, einen Rechtsanwalt am Gerichtssitz zu mandatieren, für dessen Terminswahrnehmung keine Reisekosten anfallen (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 14.05.2007, 22 Qs 6/07; vom 15.04.2010, 22 Qs 4/10; vom 15.01.2013, 22 Qs 8/13; vom 26.11.2014, 22 Qs 14/14, vom 12.03.2015, 22 Qs 1/15, vom 25.08.2017, 22 Qs 11/17 und v. 30. August 2022, 22 Qs 9/22).

c) In den vorgenannten Entscheidungen hat die Kammer hingegen dem Betroffenen regelmäßig Reisekosten in Höhe der nicht umsatzsteuerbelasteten Kosten einer fiktiven Informationsfahrt des Betroffenen zu einem Rechtsanwalt am Gerichtssitz zuerkannt.

Dies kommt im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht. Eine persönliche Besprechung in der Kanzlei des mandatierten Rechtsanwalts hat es nicht gegeben, sodass auch nicht fiktiv für den Fall der Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort davon ausgegangen werden kann, dass der Betroffene diesen zum Zwecke der Information bzw. persönlichen Beratung aufgesucht hat und in entsprechender Höhe in jedem Falle Reisekosten entstanden wären.

Vielmehr sind – dem einfachen und überschaubaren Sachverhalt entsprechend – schriftliche beziehungsweise telefonische Besprechungen erfolgt. Diese hätten – wie die Bezirksrevisorin ebenfalls zutreffend ausgeführt hat – in gleicher Weise bei Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort erfolgen können (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl. 2021, Rn. 173 zu VV RVG Nr. 7003), sodass insgesamt keine Reisekosten zu den notwendigen Auslagen gehören.“

Anzumerken ist: Leider kann man, da die Entscheidung nun überhaupt keine konkreten Umstände aus dem Verfahren mitteilt, nicht abschließend beurteilen, ob die Entscheidung zutreffend ist oder nicht. Es spricht allerdings einiges dafür, dass hier in der Tat die Zuziehung eines auswärtigen Verteidigers nicht erforderlich gewesen sein dürfte. Das LG spricht von einem „einfachen und überschaubaren“ Sachverhalt, der offenbar eine persönliche Beratung und Besprechung nicht erfordert hat. Wenn aber, was offenbar der Fall war, die telefonische Beratung ausgereicht hat, dann dürfte auch die Zuziehung eines Verteidigers, der vor Ort war, ausgereicht haben  (zu allem eingehend auch Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1366 ff. m.w.N. ).

Aber: Das ist nur der erste Schritt. Denn: Liegen die Voraussetzungen für die Erstattung der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nicht vor, wovon das LG ausgeht, führt das lediglich dazu, dass nur die Mehrkosten, die gegenüber der Beauftragung eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts angefallen sind, nicht erstattungsfähig sind. Der Angeklagte bzw. auch der Betroffene ist in jedem Fall berechtigt, einen im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen mit der Folge, dass dessen Reisekosten ohne eine Notwendigkeitsprüfung zu erstatten sind. Das hat das LG hier m.E. falsch gesehen. ich verweise nur auf § 137 StPO.

Aber trotzdem: Vorsicht bei der Wahl des Verteidigers.

Ein Gedanke zu „Der auswärtige Verteidiger in Bußgeldverfahren, oder: Reisekosten für auswärtige Verteidiger?

  1. Rechtsanwalt Thorsten Hein

    Genau daran stoße ich mich auch: dass hier Rechtsanwält*innen unmittelbar am Gerichtssitz gegenüber anderen Kolleg*innen im Gerichtsbezirk bevorteilt werden. Das kann nicht sein.

    Und der im Zivilrecht obsiegenden Partei stehen ja auch in solchen Verfahren, in denen kein Anwaltszwang herrscht, stets die fiktiven oder tatsächlichen Reisekosten für einen im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalt zu. Dabei kommt es nicht darauf an, wie einfach die Sache war. Warum soll dies in Straf- und OWi-Sachen anders sein?

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