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BVerfG II: Durchsuchung im KiPo-Verfahren, oder: Wenn die abgebildete Person „minderjährig“ wirkt

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Und im zweiten Posting dann ein BVerfG-Beschluss, der sich zu den Anforderungen an die Anordnung einer Durchsuchung in einem „KiPo-Verfahren“ äußert. Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung und des Besitzes jugendpornographischer Inhalte. Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens war eine Meldung des National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) darüber, dass ein dem Beschwerdeführer zuzuordnendes Konto eines Messengerdienstes ein Video an mehrere andere Kontakte versandt habe. In dem 50-sekündigen Video ist eine männliche ejakulierende Person zu sehen. Nach Auffassung der Ermittlungsbehörden und der angegriffenen Entscheidungen ist die Person etwa 15 bis 17 Jahre alt.

Auf Grundlage dieses Videos erließ das AG einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnanschrift des Beschuldigten. Bei deren Durchführung stellten die Ermittlungsbehörden das Smartphone, den Laptop und das Tablet des Beschuldigten vorläufig sicher.

Dagegen dann die Rechtsmittel bei AG und LG, die keinen Erfolg haben. Beim BVerfG rügt der Beschuldigte dan u.a. eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG. Es fehle bereits ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht. Die im Video abgebildete Person sei geschlechtsreif. Ihre körperliche Entwicklung sei abgeschlossen und lasse nicht auf eine minderjährige Person schließen. Es sei unmöglich, einen Jugendlichen nur anhand von Bildmaterial von einem jungen Erwachsenen zu unterscheiden. Eine andere Betrachtung verbiete sich ohne weitere verdachtsbegründende Anknüpfungstatsachen, die hier nicht vorlägen.

Die Sache hatte beim BVerfG mit dem BVerfG, Beschl. v. 21.10.2024 – 1 BvR 2215/24 – keinen Erfolg:

„2. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung der gerügten Grundrechte nicht gemäß den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG aufgezeigt. Das gilt insbesondere für die gerügte Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer zeigt nicht substantiiert auf, wieso die Annahme des Amts- und Landgerichts, es habe ein Anfangsverdacht für die vorgeworfene Straftat vorgelegen, eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts darstellen soll. Denn der Beschwerdeführer geht von einem falschen verfassungsrechtlichen Maßstab für den erforderlichen Verdachtsgrad aus.

a) Das Gewicht des mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 115, 166 <197 f.>; BVerfGK 2, 290 <295>; 5, 84 <88>). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende, plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen, sodass ihr Ergebnis nicht mehr verständlich ist und sich somit der Schluss auf Willkür aufdrängt (vgl. BVerfGE 59, 95 <97> m.w.N.; BVerfGK 18, 414 <418>). Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte der Beschwerdeführenden beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; 115, 166 <199>; BVerfGK 5, 25 <30 f.>).

b) Die Verfassungsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die angegriffenen Beschlüsse diesem Anforderungen nicht gerecht würden. Es begegnet insbesondere keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass Amts- und Landgericht die Annahme, dass sich der Beschwerdeführer im Besitz von zumindest jugendpornographischen Inhalten befunden und diese an mehrere Empfänger versandt hat, auf das versandte Video gestützt haben, weil auf sie die im Video abgebildete Person minderjährig wirkt. Das kann als zureichender tatsächlicher Anhaltspunkt für die Strafbarkeit des Besitzes und der Verbreitung auch von anderem jugend- oder kinderpornographischen Material genügen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, Rn. 22 und vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, Rn. 40; dagegen aber wohl BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 und 2 BvR 886/19 -, Rn. 29).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt allein die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass die im Video abgebildete Person tatsächlich volljährig sein könnte, nicht den Anfangsverdacht entfallen. In einem – wie hier – frühen Stadium der Ermittlungen ist es verfassungsrechtlich ausreichend, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die in einem pornographischen Video abgebildete Person jünger als 18 Jahre alt ist; ein höherer Verdachtsgrad wie etwa eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit oder gar eine Schuldüberzeugung sind nicht erforderlich. Die Frage der Volljährigkeit ist letztlich eine Frage, die abschließend erst durch die weiteren Ermittlungen und das weitere Verfahren zu klären ist. Zwar können konkrete Anhaltspunkte für die Minderjährigkeit einer abgebildeten Person nicht in jedem Fall allein vorliegendem Bildmaterial entnommen werden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 und 2 BvR 886/19 -, Rn. 29). Vorliegend sind die Fachgerichte aber nachvollziehbar davon ausgegangen, dass das Video hinreichend aussagekräftig ist, um zur Einschätzung der Minderjährigkeit der abgebildeten Person zu gelangen; das Landgericht begründet dies insbesondere damit, dass das Gesicht der Person geradezu kindliche Züge aufweise.“

BVerfG I: Anforderungen an die Klageerzwingung, oder: Genug ist genug.

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Und auf geht es in die 51. KW, die letzte „volle“ Arbeitswoche vor Weihnachten und dem Jahreswechsel. Und ich starte hier mit zwei BVerfG-Entscheidungen in die Woche. Beide stammen vom BVerfG und beide betreffen StPO-Fragen.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 19.09.2024 – 2 BvR 350/21 -, der sich mal wieder zu den Darlegungsanforderungen an einen Klageerzwingungsantrag äußert. Das OLG Stuttgart hat die nach Auffassung des BVerG „überspannt“, also „darf“ man „nacharbeiten“.

„Es begegnet vor diesem Hintergrund keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Denn diese Darlegungsanforderungen sollen die Oberlandesgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge bewahren und in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Dezember 2022 – 2 BvR 378/20 -, Rn. 81).

Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden, sondern müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO erfordert zwar die Mitteilung des wesentlichen Inhalts der angegriffenen Bescheide sowie der Einlassung des Beschuldigten (vgl. BVerfGK 14, 211 <215> m.w.N.). Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen ist aber dann überschritten, wenn sich der Antragsteller mit rechtlich Irrelevantem auseinandersetzen oder die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen beziehungsweise Einlassungen des Beschuldigten auch in ihren irrelevanten Abschnitten oder gar zur Gänze wiedergeben soll, obwohl sich deren wesentlicher Inhalt aus der Antragsschrift ergibt (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 – 2 BvR 1107/16 -, Rn. 22; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2015 – 2 BvR 912/15 -, Rn. 23).

b) Gemessen daran verstößt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Der Strafsenat hat die Darlegungsanforderungen überspannt, weil er den Antrag auf gerichtliche Entscheidung für unzulässig hielt, obwohl die Beschwerdeführerin den wesentlichen Inhalt der Beschuldigteneinlassung und der Einstellungsentscheidungen dargestellt und sich mit den rechtlich relevanten Umständen hinreichend befasst hat. Im Einzelnen:

….“

BVerfG II: Karlsruhe locuta, causa „Encro“ finita? oder: BVerfG segnet BGH-Rechtsprechung zu EncroChat ab

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Und dann als zweite Entscheidung vom BVerfG der BVerfG, Beschl. v. 01.11.2024 – 2 BvR 684/22 – mit dem das BVerfG zur EncroChat-Rechtsprechung des BGH Stellung nimmt und die abgesegnet hat.

Es ging um den BGH, Beschl. v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21 – über den ich auch berichtet hatte (vgl. Außer der Reihe: Volltext zum 5. Ss des BGH zu Encro, oder: Daten sind verwertbar – mich wundert das nicht). Dagegen ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, die das BVerfG nun zurückgewiesen hat.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es sieht weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter; insoweit bitte selbst lesen. Im Übrigen führt es aus:

„3. Unabhängig davon weist die Kammer darauf hin, dass auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof festgestellten, im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wie dargelegt maßgeblichen Verfahrenstatsachen eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist. Insoweit sei insbesondere angemerkt:

a) Unmittelbare Prüfungsgegenstände der Verfassungsbeschwerde sind das Urteil des Landgerichts Hamburg und der Beschluss des Bundesgerichtshofs. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Verwertung der aus Frankreich zur Verfügung gestellten EncroChat-Daten, soweit sie den Beschwerdeführer betreffen. Die Frage der Verwertung von im Wege der Rechtshilfe erlangten Beweismitteln ist nach nationalem Recht zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a., C-511/18, C-512/18, C-520/18, EU:C:2020:791, Rn. 222; Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Das gilt auch für Erkenntnisse, die mittels einer EEA gewonnen wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Maßstab für die Prüfung sind damit in erster Linie die Grundrechte des Grundgesetzes. Denn die Anwendung innerstaatlichen Rechts, das unionsrechtlich nicht vollständig determiniert ist, prüft das Bundesverfassungsgericht primär am Maßstab dieser Vorschriften (vgl. BVerfGE 152, 152 <169 Rn. 42 f.> – Recht auf Vergessen I).

b) Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG scheidet aus.

aa) (1) Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein (vgl. BVerfGE 34, 238 <245>; 80, 367 <376, 379 f.>; 106, 28 <39, 44>; 130, 1 <35>; BVerfGK 14, 20 <23>). Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als besondere Ausprägungen unter anderem das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 35, 202 <220>; 54, 148 <153 f.>; 106, 28 <39>; 118, 168 <183 ff.>; 130, 1 <35>). Abhängig von der Art der in der strafgerichtlichen Entscheidung verwerteten Informationen kann ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) oder in das Recht am eigenen Wort (durch die Wiedergabe einer Äußerung) vorliegen (vgl. BVerfGE 106, 28 <44>; 130, 1 <35>). Ist keine speziellere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen, greift die Verwertung von personenbezogenen Informationen jedenfalls in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; 80, 367 <373>; 113, 29 <45 f.>; 115, 166 <187 f.>; 115, 320 <341>).

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nach Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen zulässig, wenn sie durch oder auf Grundlage eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, erfolgen (vgl. BVerfGE 65, 1 <44, 54>; 67, 100 <143>; 78, 77 <85>; 84, 239 <279 f.>; 92, 191 <197>; 115, 320 <344 f.>; 130, 1 <36>). Soweit Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung verwertet werden, ist eine Rechtfertigung des Eingriffs jedoch ausgeschlossen. Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegen einem aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden absoluten Beweisverwertungsverbot im Strafprozess (vgl. BVerfGE 109, 279 <324, 331 f.>; 120, 274 <337>).

(2) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung im Strafprozess ist § 261 StPO (vgl. BVerfGE 130, 1 <29 ff.>; so zuvor bereits ohne nähere Begründung BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats BVerfGK 17, 311 <314>). Für die Verwertung von Beweisen, die aus dem Ausland in ein deutsches Strafverfahren eingeführt wurden, gelten insoweit grundsätzlich keine Besonderheiten. Rechtmäßig erhobene oder in das Strafverfahren unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen eingeführte Informationen dürfen auf Grundlage des § 261 StPO grundsätzlich verwertet werden (vgl. BVerfGE 130, 1 <36 ff.>). Wurden Informationen rechtswidrig erlangt, besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz, wonach die Verwertung der gewonnenen Informationen stets unzulässig wäre (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 18, 193 <202 f.> m.w.N. zur ständigen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Welche Folgen ein Rechtsverstoß bei der Informationserhebung oder bei der Einführung von Informationen in ein Strafverfahren hat und ob aus dem Verstoß ein Beweisverwertungsverbot folgt, obliegt in erster Linie der Beurteilung durch die zuständigen Fachgerichte (vgl. BVerfGE 130, 1 <31>; BVerfGK 4, 283 <285>; 9, 174 <196>; 14, 107 <111>; 18, 193 <203>). Die strafgerichtliche Praxis geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist und dass die Frage nach dem Vorliegen eines Verwertungsverbots jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfGK 14, 107 <111>; BGHSt 38, 214 <219 f.>; 44, 243 <249>; 51, 285 <289 f. Rn. 20>; vgl. auch Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, vor § 94 Rn. 10 ff.). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots stellt dabei eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 40, 211 <217>; 44, 243 <249>; 51, 285 <290 Rn. 20>).

Hiergegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 16, 22 <27>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94 -, Rn. 10 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 1502/04 -, Rn. 8). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (vgl. BVerfGK 18, 193 <203>). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; stRspr). Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (vgl. BVerfGE 113, 29 <61>; BVerfGK 18, 444 <449>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1998 – 2 BvR 446/98 -, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 -, Rn. 26 f.). Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl. BVerfGE 34, 238 <245 f.>; 80, 367 <374 f.>; 109, 279 <324>).

bb) Die Würdigung des Bundesgerichtshofs im angegriffenen Beschluss, wonach die EncroChat-Daten keinem aus einem Verfahrensfehler abgeleiteten Beweisverwertungsverbot unterliegen, ist nach diesen Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung wurden im Urteil des Landgerichts nicht verwertet. Dass der Bundesgerichtshof die Verwertung der Informationen, deren Erhebung im Ausland den wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen im Sinne des deutschen und europäischen ordre public (vgl. Gleß/Wahl/Zimmermann, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 73 IRG Rn. 1 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen) nicht widerspricht, vor dem Hintergrund der von ihm vorgenommenen Abwägung der widerstreitenden Interessen davon abhängig macht, ob die Voraussetzungen der – nicht unmittelbar anwendbaren – § 100e Abs. 6, § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO vorliegen, und dabei auf eine Betrachtung zum Verwertungszeitpunkt abstellt, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; der Bundesgerichtshof unterschreitet damit das verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit Gebotene jedenfalls nicht. Auch gegen die Annahme des Bundesgerichtshofs, die durch französische Behörden durchgeführte Beweiserhebung habe auch nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und europäischen ordre public verstoßen, ist auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhalts von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.“

Ich denke, damit dürfte die Diskussion um EncroChat und vergleichbare Messengerdienste allmählich zum Ende kommen. Besser wäre wahrscheinlich die Formulierung: „…. sollte….“.

BVerfG I: Keine Vorlage zum BVerfG in KiPo-Verfahren, oder: Recht auf den gesetzlichen Richter

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Zum Start in die 50 KW. – ja, das Jahr ist bald rum – gibt es heute zwei Entscheidungen vom BVerfG.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 10.09.2024 – 2 BvR 618/24. Mit ihm hat das BVerfG vorab zu einer Verfassungsbeschwerde gegen den BayObLG, Beschl. v. 14.03.2024 – 206 StRR 87/24 – Stellung genommen. In diesem Beschluss hatte das BayObLG den Strafrahmen aus § 184b Abs. 3 StGB in der bis zum 27.06.2024 geltenden Fassung für verfassungswidrig erachtet, auf eine Vorlage an das BVerfG jedoch verzichtet hat, weil es davon ausgegangen ist, dass das Tatgericht auch unter Zugrundelegung des Strafrahmens der alten Fassung des Gesetzes, nämlich, § 184b Abs. 3 StGB in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung, die eine niedrigere Mindeststrafe vorsah, zu demselben Strafausspruch gelangt wäre.

Das BVerfG sieht darin möglicherweise eine Verletzung der Rechts auf den gesetzlichen Richter und hat die Vollstreckung aus dem LG-Urteil ausgesetzt:

„b) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet. Nach derzeitigem Stand ist zumindest offen, ob das Bayerische Oberste Landesgericht das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch die Entscheidung, auf eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu verzichten, verletzte.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann auch das Unterlassen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellen (vgl. BVerfGE 138, 64 <87 f. Rn. 71>). Nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen ist jedoch als solcher Verstoß zu bewerten (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; 13, 132 <144>; 29, 166 <172 f.>; 67, 90 <95>; 76, 93 <96 f.>; 87, 282 <284 f.>). Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst überschritten, wenn die – fehlerhafte – Auslegung und Anwendung einfachen Rechts willkürlich (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; 87, 282 <284 f.>; stRspr) oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 58, 1 <45>; 82, 286 <299>).

bb) Es erscheint nach vorläufiger Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest möglich, dass die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, auf eine Vorlage des § 184b Abs. 3 StGB alte Fassung nach Art. 100 Abs. 1 GG zu verzichten, an diesem Maßstab gemessen, nicht tragfähig ist.

Das Bayerische Oberste Landesgericht war davon überzeugt, dass der gesetzlich angeordnete Strafrahmen, den auch das Landgericht zur Anwendung brachte, verfassungswidrig sei. Es ging jedoch davon aus, dass eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG entbehrlich sei, da das Landgericht auch unter Zugrundelegung des Strafrahmens der alten Fassung des Gesetzes (§ 184b Abs. 3 StGB in der Fassung des Sechzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 30. November 2020 <BGBl I S. 2600>, die bis zum 30. Juni 2021 in Kraft war), die eine niedrigere Mindeststrafe vorsah, zum selben Strafausspruch gekommen wäre.

Diese Auffassung begegnet schwerwiegenden Bedenken, die eingehender Prüfung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens bedürfen. Der gesetzliche Strafrahmen ist Grundlage und Ausgangspunkt der Strafzumessung (vgl. von Heintschel-Heinegg, in: ders./Kudlich, BeckOK StGB, § 46 Rn. 10 <Aug. 2024>). Der Strafrahmen bringt die gesetzgeberische Wertung, wie schwer das Unrecht der Tat zu bemessen ist, zum Ausdruck. Das Ergebnis der nach § 46 Abs. 2 StGB vorzunehmende Abwägung ist notwendigerweise abhängig von dem konkret anwendbaren Strafrahmen. Es erscheint nach vorläufiger Bewertung fernliegend, dass die Anwendung eines anderen Strafrahmens zum exakt gleichen Strafausspruch führt.

Dies gilt auch im vorliegenden Zusammenhang. Das Landgericht ging in seiner Strafzumessungsentscheidung ausdrücklich davon aus, dass es nicht bei der Mindeststrafe bleiben könne, sondern dass die Strafe diese zu überschreiten habe. Die für den Strafausspruch maßgebliche Erwägung knüpft damit an die konkret angedrohte Mindeststrafe an. Angesichts dessen spricht viel dafür, dass, wäre die ältere Fassung der Strafnorm zur Anwendung gekommen, die eine Geldstrafe beziehungsweise eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsah, auch eine andere Strafe festgesetzt worden wäre.

Das Landgericht setzte sich allerdings auch mit den damals noch nicht umgesetzten Plänen zu einer Änderung des Strafrahmens auseinander. Das Bayerische Oberste Landesgericht entnimmt dem, im Anschluss an die Generalstaatsanwaltschaft München, dass das Landgericht auch im Falle einer geringeren Mindeststrafe zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten gekommen wäre. Ob die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts die Schlussfolgerungen des Oberlandesgerichts zu tragen vermögen, bedarf eingehender Prüfung im Hauptsacheverfahren.

3. Aufgrund der damit eröffneten Folgenabwägung ist die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe geboten. Der Vollzug der Freiheitsstrafe bringt einen endgültigen Rechtsverlust mit sich und stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar. Erwiese sich das Begehren des Beschwerdeführers im Hauptsacheverfahren hingegen als unbegründet, so wären die durch eine vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung hervorgerufenen Folgen gering. Sie treten hinter dem Aussetzungsinteresse des Beschwerdeführers zurück. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Vollstreckung der Strafe in Zukunft vereiteln könnte.“

Keine Pauschgebühr für den entbundenen Pflichti?, oder: OLG Frankfurt und BVerfG irren mal wieder

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Heute – man sieht es an der Überschrift – ist „Gebührenfreitag. Und heute gibt es unter dem Thema nur Entscheidungen zur Pauschgebühr nach § 51 RVG. Wer hätte das gedacht? Ich kann einen „Pasuchgebührenfreitag“ machen. Tja, tot Gesagte leben eben länger.

Ich beginne hier mit zwei – nicht so schönen – Entscheidungen – dann sind die schon mal weg – zur Frage des Bewilligungszeitpunkts. Dazu haben sich das OLG Frankfurt am Main und dann das BVerfG geäußert.

Der Rechtsanwalt war in einem Staatsschutzprozess zum Pflichtverteidiger bestellt. Er ist nach eineinhalb Jahren aber aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entpflichtet worden. Der Rechtsanwalt hat dann beim OLG Frankfurt am Main eine Pauschgebühr in Höhe von 290.000 EUR zusätzlich zur Gewährung der Pflichtverteidigergebühr bzw. einen Vorschuss hierauf be-antragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe in der vergangenen Zeit im Wesentlichen den Staatsschutzfall bearbeitet, könne aber infolge seiner Entpflichtung sein Gehalt nun nicht mehr aus den Termingebühren „quersubventionieren“. Wegen seiner Einkommenssituation ste-he er vor der Zurückgabe seiner Anwaltszulassung. Das OLG hat den Antrag im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 02.07.2024 – 2 ARs 12/24 abgelehnt:

„Der Senat vertritt im Anschluss an den Wortlaut und die Gesetzesbegründung zum RVG in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Pauschvergütung für abgeschlossene Verfahrensabschnitte grds. nicht in Betracht kommen kann, wenn das Verfahren noch nicht insgesamt beendet ist. Der Konzeption des Gesetzgebers im RVG liegt ein Kompensationsmodell zu Grunde, das eine Pauschgebühr nur als Ausnahme für „Sonderopfer“ vorsieht, vom Grundsatz aber davon ausgeht, dass die Gebühren im Verfahren insgesamt eine ausreichende Honorierung der Tätigkeit eines Pflichtverteidigers sicherstellen. Da der Gesetzgeber in Strafsachen unter Auflösung der obergerichtlichen Kasuistik zur BRAGO im RVG die Gebühren insgesamt erhöht und Sondergebühren eingeführt hat, kann erst nach Abschluss des Verfahrens überhaupt geprüft werden, inwieweit nach Festsetzung der Gebühren dem Verteidiger eine sonderopferfähige Tätigkeit abverlangt worden ist. Das ergibt sich u.a. auch daraus, dass bis zum Abschluß nicht feststeht, wer Kostenschuldner ist und davon abhängig, wie überhaupt nach welchen Ziffern (Festgebühren oder Rahmengebühren) abgerechnet werden kann.

Insoweit kommt vorliegend bis zum Abschluß des Verfahrens bereits aus Rechtsgründen keine Pauschvergütung in Betracht.

Der vom Antragsteller hilfsweise gestellte Antrag auf „Vorschuß auf eine noch festzusetzende Pauschgebühr“ ist ebenfalls derzeit nicht tatsachenfundiert begründet.

Ein solcher Antrag ist zwar grds. möglich, setzt aber voraus, dass zum Einen bei dem Umfang und der Schwierigkeit des Verfahrens die gesetzlichen Gebühren zum jetzigen Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen und prognostisch ein „Sonderopfer“ begründen wird, zum Zweiten, dass dieses „Sonderopfer“ nicht durch den vom Gesetzgeber dafür vorgesehen Kompensationsansatz im Laufe des Verfahrens, namentlich durch die Hauptverhandlungsgebühren und die Mehrfachverteidigung kompensiert werden wird und Drittens in der Person des Pflichtverteidigers überhaupt ein „Sonderopfer“ entstehen kann, was dieser tatsachenfundiert darzulegen hat. Letztlich ist Viertens dafür notwendig, dass insbesondere bei einem Verfahren, das längere Zeit in Anspruch nehmen wird, die Teilabrechnung auf Basis der gesetzlichen Gebühren nicht ausreicht, das derzeit nicht dargelegte und auch ansonsten nicht erkennbare Sonderopfer, zu vermeiden.

Diese Voraussetzungen sind zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls erkennbar alle noch nicht gegeben, so dass auch ein Vorschuß auf eine mögliche Pauschvergütung ausgeschlossen ist.

Dagen hat der Pflichtverteidiger dann Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Es führt im BVerfG, Beschl. v. 08.08.2024 – 1 BvR 1680/24 – aus:

„Unabhängig davon, ob das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im hier angegriffenen Beschluss Ausmaß und Bedeutung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Strafverteidiger in dem konkreten Staatsschutzverfahren angesichts des vorgetragenen Bearbeitungsinhalts und -umfangs im Ausgangspunkt richtig gewürdigt hat, hat der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte nicht den Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat maßgeblich darauf abgestellt, dass eine Pauschvergütung beziehungsweise ein Vorschuss auf eine solche vor Abschluss des Strafverfahrens nicht in Betracht komme, weil bis zum Abschluss nicht feststehe, wer Kostenschuldner sei und wie abgerechnet werden könne. Dass diese Rechtsprechung schon im Grundsatz verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Er setzt sich überdies nicht damit auseinander, weshalb er als vorzeitig entbundener Strafverteidiger anderen kostenrechtlichen Maßstäben unterliegen soll als ein weiterhin tätiger, der ebenfalls erst nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr abrechnen könnte.“

Die Entscheidungen sind m.E. beide falsch. Ich will mich hier kurz fassen – mehr dazu demnächst im AGS. Es ist nicht nachvollziehbar, warum man auch in den Fällen der Entbindung des Pflichtverteidigers vom Pflichtverteidigungsmandat für die Gewährung einer Pauschgebühr auf den Abschluss des Verfahrens abstellt. Zum Antragszeitpunkt gilt: Das RVG nennt keinen Zeitpunkt für die Stellung des Antrags. Daher ist es zwar grundsätzlich allgemeine Meinung, dass ein Pauschgebührenantrag grds. erst gestellt werden, wenn die zu vergütende Tätigkeit abgeschlossen ist und die gesetzliche Gebühr gem. § 8 RVG fällig ist. I.d.R. wird das angenommen, wenn zumindest die Instanz abgeschlossen ist (allgemeine Meinung, s. u.a. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl. 2021, § 51 Rn 75). Etwas anderes gilt aber m.E. jedenfalls dann, wenn die Pauschgebühr nur für einen Verfah-rensabschnitt geltend gemacht wird. Denn dann kommt es auf die erforderliche Gesamtschau des gesamten Verfahrens nicht an. Da eine Pauschgebühr nur für einen bestimmten Verfah-rensabschnitt verlangt wird, kann es nur darauf ankommen, ob dieser „besonders umfangreich“ oder „besonders schwierig“ war ). Deshalb muss eine Pauschgebühr für einen Verfahrensabschnitt geltend gemacht werden können, wenn dieser abgeschlossen ist. Das gilt in den Fällen der vorzeitigen Entbindung des Pflichtverteidigers vom Mandat entsprechend, denn auch in dem Fall macht der Pflichtverteidiger quasi für einen „Verfahrensabschnitt“, nämlich nur für den Zeitraum seiner Beteiligung an dem – nun ohne seine Beteiligung – fortgeführten Verfahren, eine Pauschgebühr geltend. Es besteht doch überhaupt kein Grund, den ehemaligen Pflichtverteidiger bis zum Abschluss des Verfahrens – ggf. in weiter zeitlicher Ferne – warten zu lassen. Jedenfalls sehe ich den nicht und wäre daher hoch erfreut, wenn das BVerfG, den Grund es offenbar gibt, dargelegt hätte. So hat man den Eindruck, dass das Verfas-sungsgericht über den Fall hinweg bügelt.

Das gilt auch für den „Vorwurf“ an den Rechtsanwalt, er setze sich nicht damit auseinander, weshalb er als vorzeitig entbundener Strafverteidiger anderen kostenrechtlichen Maßstäben unterliegen solle als ein weiterhin tätiger, der ebenfalls erst nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr abrechnen könnte. Meint das BVerfG das ernst? Sieht es den Unterschied nicht oder will es ihn nicht sehen? Denn der nicht entbundene Pflichtverteidiger ist noch im Verfahren tätig, der entbundene hingegen nicht mehr. Warum soll er, der ja nun mit dem Verfahrens nichts mehr zu tun hat, bis zu dessen Abschluss warten? Die Entscheidung(en) führen zu zumindest leichtem Kopfschütteln.