Archiv der Kategorie: Sonstige Gerichte

Fälligkeit der anwaltlichen Vergütungsforderung, oder: Ruhen des Verfahrens

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In der zweiten Entscheidung, dem LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.10.2023 – 26 Ta (Kost) 6085/23 – geht es um die Fälligkeit der anwaltlichen Vergütungsforderung in den Fällen des „Ruhens des Verfahrens“.

Dazu das LAG:

„1. Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts ist zulässig. Die Vergütung der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist fällig.

a) Nach § 8 Absatz 1 Satz 2 RVG soll der in einem gerichtlichen Verfahren tätige Anwalt seine Vergütung nicht nur und erst dann geltend machen können, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist, sondern unter anderem auch dann, wenn das Verfahren mehr als drei Monate geruht hat. Die Kammer schließt sich der Auffassung an, nach der insoweit auch ein drei Monate andauernder Stillstand des Verfahrens genügt. Entscheidend ist dabei aber, dass das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es das Verfahren von sich aus bis auf Weiteres nicht weiter betreiben will (vgl. LAG Köln 17. November 2011 – 7 Ta 30/11, Rn. 11; OLG Karlsruhe 22. November 2007 – 5 U 147/05, NJW-Spezial 2008, 92 f.). Einer förmlichen Ruhensanordnung im Sinne von § 251 ZPO bedarf es nicht.

b) Dem ist hier dadurch genügt, dass beantragt worden ist, das Verfahren terminlos zu stellen sowie den angesetzten Gerichtsterm in aufzuheben und das Arbeitsgericht dem nachgekommen ist. Hintergrund war die Fortsetzung einer eingerichteten Einigungsstelle. Die Beteiligten haben das Verfahren auch nach über einem Jahr nicht wieder aufgerufen.“

Kessel

KCanG II: „Kessel Buntes“ vom LG, AG und VG, oder: Funkzellenabfrage, Mietverhältnis, Erkennungsdienst

Kessel

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Und dann im zweiten Posting ein „Kessel Buntes“ zum KCanG, nämlich eine LG-, eine AG und eine VG-Entscheidun. Im Einzelnen:

Der Anordnung steht einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO steht nicht entgegen, dass kein Verdacht einer besonders schweren Straftat im Sinne des § 100g Abs. 2 StPO vorliegt, da eine solche Katalogtat für eine Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 StPO nicht erforderlich ist. (Anschluss an: LG Hamburg, Beschl. v. 06.06.2024 – 621 Qs 32/24; entgegen: BGH, Beschl. v. 10.01.2024 – 2 StR 171/23).

Eine Kündigungsgrund kann auch nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetz – KCanG – grundsätzlich dann gegeben sein, wenn der Bereich der eigenen Wohnung durch die Auswirkungen des Cannabiskonsum überschritten wird, da insofern dann ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und damit eine erhebliche Störung des Hausfriedens in Betracht kommt (§ 241 Abs. 2, § 535, § 543 Abs. 1, § 549, § 569 Abs. 2, § 573, § 573c, § 574, § 574a BGB unter Beachtung des KCanG).

Zu den Auswirkungen der Neuregelungen des KCanG auf die für eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Abs. 1 Alt. StPO erforderliche Gefahrenprognose.

Mal wieder Befreiung vom sog. Verhüllungsverbot, oder: Tragen einer Niqab

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Author Manuelfb55

Und als zweite Entscheidung dann OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 13.08.2024 – 7 A 10660/23.OVGzur Frage der Befreiung vom Verhüllungsverbot im Straßenverkehr zum Tragen eines Gesichtsschleiers/Niqab.

Darüber habe ich ja schon ein paar Mal berichtet, so dass m.E. die Leitsätze des OVG reichen:

1. Gegen das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Zur Ablehnung des Antrags einer Niqab-Trägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO (hier: nicht beanstandet).

Rest dann bitte in der umfangreich begründeten Entscheidung selbst lesen.

Präventive Sicherstellung eines Motorrades, oder: Gefahren-/Verdachtslage

Heute dann im Kessel Buntes noch zwei Entscheidung aus dem verwaltungsrechtlichen Bereich.

Zunächst macht das OVG-Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.04.2024 – 7 A 10988/23.OVG – den Opener. Es geht um die präventive Sicherstellung eines Motorrades. Das OVG sagt: das ist grundsätzlich erlaubt, aber aAn die Gefahrenprognose sind hohe Anforderungen zu stellen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutung genügen nicht:

„Zwar kann, wie hier geschehen, eine präventiven Zwecken dienende Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – POG – grundsätzlich neben einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (sog. doppelfunktionale Maßnahme) angeordnet werden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 247/16 –, juris Rn. 21, 25 ff.; OVG RP, Beschluss vom 20. April 2022 – 7 B 10279/22.OVG –, n.v.).

Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrades des Klägers lagen hier indes nicht vor.

1. Nach § 22 Nr. 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Unter einer polizeilichen Gefahr ist eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung führen würde. Dabei sind vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nicht nur die Individualrechtsgüter, wie Leib, Leben und Eigentum anderer erfasst, sondern auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 – 6 C 21/07 –, juris Rn. 13; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 27; Rühle, Polizei- und Ordnungsrecht Rheinland-Pfalz, 9. Aufl. 2023, § 3 Rn. 2 ff.). § 22 Nr. 1 POG enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 32; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40; Beschluss vom 24. März 2021 – 5 B 1884/20 –, juris Rn. 9; VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 58). Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. März 2009 – 1 A 10632/08.OVG –, juris Rn. 26; Beschluss vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09.OVG –, juris Rn. 28; Beschluss vom 26. August 2011 – 7 E 10858/11.OVG –, ESOVGRP; Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40 f. m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 10 CS 15.1435 u.a. –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris Rn. 25). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 41).

Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 33; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 35; OVG Nds., Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 34/14 –, juris Rn. 34). Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex-ante-Sicht entscheidend (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 59). Auch für die der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsanordnung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist maßgeblicher Zeitpunkt der bei Vornahme der Sicherstellungsanordnung (stRspr. des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 4. September 2018 – 7 B 10912/18.OVG –, ESOVGRP; so auch OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2007 – 5 A 1056/06 –, juris Rn. 2 ff.; BayVGH, Urteil vom 23. Februar 2016 – 10 BV 14/2353 –, juris Rn. 16; HessVGH, Beschluss vom 25. April 2018 – 8 B 538/18 –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Beschluss vom 4. Juni 2019 – 1 LB 225/18 –, juris Rn. 40).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrades des Klägers getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt…..“

Rest dann bitte im verlinkten Volltext nachlesen.

Regress des Polizeibeamten für eine Einsatzfahrt, oder: 92 km/h innerorts, mit Blaulicht, ohne Martinshorn

Ein Polizeibeamter, der auf dem Weg zu einem Einsatz ein bisschen „zu tief geflogen “ ist und einen Verkehrsunfall verursacht hat, verstößt grob fahrlässig gegen dienstliche Sorgfaltspflichten, wenn es nur um einen Einbruch gegangen ist. So das VG Berlin im VG Berlin, Urt. v. 18.03.2024 – 5 K 65/21. Folge: Der Dienstherr kann Regress nehmen:

„2. Auch materiell ist der Bescheid rechtmäßig. Der Kläger hat ihm obliegende Pflichten grob fahrlässig verletzt und so an einem Dienstfahrzeug einen Schaden verursacht, den er zumindest in der geltend gemachten Höhe ersetzen muss.

Der Kläger hat die ihm nach der Straßenverkehrsordnung obliegenden Pflichten verletzt.

Er hat, obwohl er eine entsprechende Freigabe erhalten hatte, keine Wegerechte im Sinne von § 38 Abs. 1 StVO in Anspruch genommen; dafür hätte er blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwenden müssen; dies hätte die Anordnung bedeutet: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“ (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO). Vielmehr hat er nur blaues Blinklicht eingeschaltet und damit lediglich Sonderrechte im Sinne von § 35 StVO genutzt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist (unter anderem) die Polizei von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Abs. 8 bestimmt, dass Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Hieran gemessen durfte der Kläger, der sich auf einer Einsatzfahrt zu einem gegenwärtig stattfindenden Einbruch befand, die allgemeinen Verkehrsregeln, insbesondere auch die Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit, missachten. Dies jedoch nur in einem Umfang, der in einem angemessenen Verhältnis zur dadurch verursachten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht.

Das hat der Kläger nicht beachtet, indem er an einem Freitagabend um kurz nach 18:00 Uhr innerorts sein Dienstfahrzeug mit 95 km/h bzw. (kurz vor Einleitung der Vollbremsung) mit 92 km/h geführt hat. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um rund 90 % war weder geboten noch gerechtfertigt.

Die Verhältnisse am Unfallort verlangen vom Kläger größere Vorsicht und damit eine niedrigere Geschwindigkeit: Der Eichborndamm ist zwar eine Durchgangsstraße im Bezirk Reinickendorf; sie liegt jedoch im innerörtlichen Bebauungszusammenhang und ist rechts und links von Wohnhäusern gesäumt; der Unfallort liegt in Fahrtrichtung gesehen hinter einer leichten Rechtskurve, wie das vom Kläger vorgelegte Luftbild deutlich macht. Zum Unfallzeitpunkt, einem Freitagabend kurz nach 18:00 Uhr, war es bereits dunkel (Sonnenuntergang ca. 16:30 Uhr, Dämmerungsende ca. 17:10 Uhr).

Unter diesen Umständen musste der Kläger mit der Möglichkeit rechnen, auf ein Hindernis zu treffen. Das konnte ein anderes Kraftfahrzeug sein, das vom rechten Fahrbahnrand anfährt, aus einer Grundstücksausfahrt (von links oder rechts) herausfährt oder das (wie offenbar geschehen) auf der Fahrbahn wendet. Das hätte aber auch ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger, ein Rollstuhlfahrer oder ein Radfahrer sein können.

Diesem jederzeit zu erwartenden Hindernis hätte der Kläger seine Geschwindigkeit anpassen müssen, um rechtzeitig bremsen und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeiden zu können. Die Datenauswertung des konkreten Bremsvorgangs hat gezeigt, dass bei einer Geschwindigkeit von 92 km/h auch eine 50 m (2,7 Sekunden) vor der Kollision eingeleitete Vollbremsung den Zusammenprall nicht verhindern konnte. Vielmehr hatte der Kläger 13,5 m (1,1 Sekunden) vor der Kollision noch eine Geschwindigkeit von 61 km/h und traf mit einer Geschwindigkeit von 30-35 km/h auf das Fahrzeug des Unfallgegners.

Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Bremsweg exponentiell mit der Geschwindigkeit wächst. Bei einer Geschwindigkeit von 75 km/h (also einer Reduzierung gegenüber der gefahrenen Geschwindigkeit von 92 km/h um knapp ein Fünftel) hätte sich der Bremsweg rechnerisch (s = v2 ./. 2a, das heißt Bremsweg = Quadrat der Geschwindigkeit in m/s, geteilt durch das Doppelte der Bremsverzögerung in m/s2, hier laut Unfalldatenschreiber 7,2 m/sec2) um mehr als ein Drittel (von 45,5 auf 30,1 m) reduziert.

Der Einsatzzweck rechtfertigte nicht die Inkaufnahme der Gefährdung Dritter. Es handelte sich zwar um einen Einsatz im Zusammenhang mit einem gegenwärtigen Einbruch; eine akute Gefährdung von Personen, gar Lebensgefahr, stand jedoch nicht in Rede.

Durch diese Pflichtverletzung hat der Kläger den Schaden auch verursacht. Wäre er (pflichtgemäß) langsamer gefahren, wäre sein Bremsweg kürzer gewesen, und er hätte den Zusammenprall vermeiden können.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob und wie es sich auf die Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, dass der Kläger kein Signalhorn eingeschaltet hatte. Zwar ist es naheliegend, dass das Signalhorn die (akustische) Wahrnehmbarkeit des Einsatzfahrzeuges erhöht und damit die Gefahr der Kollision verringert hätte. Allerdings haben die beteiligten Polizeibeamten angegeben, dass bei dem zweiten Einsatzfahrzeug, das dem des Klägers folgte, das Signalhorn eingeschaltet war. Es bedürfte gegebenenfalls weiterer Aufklärung, in welchem Abstand das zweite Einsatzfahrzeug von dem des Klägers gefahren ist und wie sich dieser Abstand auf die Lautstärke des Signals im bzw. bei dem unfallgegnerischen Fahrzeug ausgewirkt hat. Auch wenn man unterstellt, dass das Unterlassen, das Signalhorn einzuschalten, die Gefahr des Zusammenpralls in diesem konkreten Einzelfall nicht erhöht hat, bleibt es bei dem (für den Unfall jedenfalls kausalen) Verstoß gegen die Pflicht, auch bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten mit angemessener Geschwindigkeit zu fahren.

Dem Kläger ist auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Ein Beamter verhält sich grob fahrlässig im Sinne des § 48 BeamtStG, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt. Dieser Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Welchen Grad der Fahrlässigkeitsvorwurf erreicht, hängt von einer Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 28. Juli 2023 – 2 A 411/22 -, juris Rn. 8 m.w.N.).

Daran gemessen ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig zu bewerten. Ihm musste sich aufdrängen, dass unter den konkreten örtlichen Verhältnissen (innerörtliche Straße mit Wohnbebauung, leichte Rechtskurve, Werktag kurz nach 18:00 Uhr) eine Geschwindigkeit von 92 km/h zu hoch ist, um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern, Schäden am Fahrzeug (und damit letztlich auch die Gefährdung des Einsatzzwecks) zu verhindern.

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob und in welchem Umfang den Unfallgegner ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. Insoweit bedürfte der Sachverhalt gegebenenfalls noch weiterer Aufklärung. Denn die Angaben der drei Insassen des unfallgegnerischen Fahrzeugs unterscheiden sich wesentlich von denen des Klägers und der anderen Polizeibeamten, soweit diese Angaben gemacht haben. Während diese berichteten, der Unfallgegner sei vom rechten Fahrbahnrand losgefahren und habe (mehr oder weniger plötzlich) gewendet, schilderten jene, der Unfallgegner sei entlang des Mittelstreifens gefahren und habe dann – nach Setzen des Blinkers und dem Blick in Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter – gewendet, ohne dass das Fahrzeug des Klägers wahrnehmbar gewesen sei.

Selbst dann, wenn der Unfallgegner seinerseits seine Pflichten nach der Straßenverkehrsordnung beim Wenden und/oder Anfahren vom Fahrbahnrand verletzt haben sollte, änderte das nichts daran, dass der Kläger bei einer geringeren Geschwindigkeit und einem kürzeren Bremsweg den Zusammenprall hätte verhindern können. Wegen seiner überhöhten Geschwindigkeit handelte es sich für ihn auch nicht um ein unabwendbares Ereignis; vielmehr hätte er den Unfall durch angepasste Geschwindigkeit vermeiden können.

Jedenfalls ein Mitverschuldensanteil von 50 % ist dem Kläger anzulasten; nur in dieser Höhe hat der Beklagte ihn in Anspruch genommen. Dem Kläger steht es im Übrigen frei, mögliche Ansprüche gegen den Unfallgegner wegen des behaupteten Mitverschuldensanteils von mehr als 50 % geltend zu machen. Diese Ansprüche gehen nach Zahlung des hier streitgegenständlichen Schadenersatzes gemäß § 72 Abs. 2 LBG auf den Kläger über.“