Archiv der Kategorie: Corona

Pflichti I: Zweimal zu den Beiordnungsgründen, oder: Persönlichkeitsstörung/Borderline und schwieriges IfSG

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Am letzten Tag des Monats Januar – ich bin dann doch erstaunt, wie schnell die zeit an uns – zumindest an mir 🙂 – vorbeirauscht – dann noch einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung.

Hier stelle ich zunächst zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen vor, und zwar:

Ist beim Beschuldigten eine Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typ, im Sinne der Ziffer F60.31G nach ICD-10-Klassifikation, attestiert ist Unfähigkeit zur Selbstverteidigung im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO zu bejahen. Insofern kommt es nicht darauf an, ob konkret kognitive Einschränkungen vorliegen, die im Sinne einer verminderten Aufnahmefähigkeit die Verteidigungsfähigkeit einschränken. Vielmehr genügt, dass die Prädisposition keine positive Prognose für ihre fortdauernde Verteidigungsfähigkeit zulässt.

Der Begriff der schwierigen Rechtslage ist weit auszulegen, da entscheidend ist, ob die Rechtslage für einen Laien schwierig ist. Dies ist sie zumindest dann der Fall, wenn eine Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur streitig ist oder wenn sie Abgrenzungs- oder Subsumtionsprobleme bereitet, so bei ungeklärten Fragen des materiellen oder formellen Rechts. Die Rechtslage rund um die neuen Strafvorschriften des IfSG ist danach nicht einfach.

Freistellung von Kosten für Covid-Schutzmaßnahmen II, oder: Maßnahmen in 2023 nicht mehr erforderlich

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Und im zweiten Posting dann noch zwei weitere Entscheidungen zu Covid-19-Schutzmaßnahmen. Es handelt sich um zwei Beschlüsse des LG München I, jeweils Hinweisbeschlüssen, von denen ich hier nur die Leitsätze einstelle:

Angesichts der zunehmenden Lockerung im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist zumindest im Jahr 2023 nicht mehr davon auszugehen, dass in Werkstätten noch regelmäßig entsprechende Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden und diese erforderlich sind.

Bei einer fiktiven Abrechnung kommt es im Hinblick darauf, ob Desinfektionskosten noch als erforderlich anzusehen sind und üblicherweise berechnet werden, auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an.

Freistellung von Kosten für Covid-Schutzmaßnahmen I, oder: BGH entscheidet Streitfrage

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zur COVID-19-Desinfektionspauschale.

Zunächst stelle ich das BGH, Urt. v. 13.12.2022 – VI ZR 324/21 – vor. In dem Urteil hat der BGH zum Ersatz der vom Sachverständigen in Rechnung gestellten COVID-19-Desinfektionspauschale entschieden.

Der Geschädigte hatte nach einem Verkehrsunfall restlichen Schadensersatz in Höhe von 17,85 EUR für eine Covid-19-Desinfektionspauschale verlangt. Diese war ihm von dem von ihm beauftragten Kfz-Sachverständigenbüro im Zuge der Feststellung der Schadenshöhe in Rechnung gestellt worden. Im Rahmen der Begutachtung wurden sowohl bei Hereinnahme des Fahrzeugs zum Schutz der Mitarbeiter des Sachverständigen vor der Ausbreitung des Coronavirus als auch vor Rückgabe des Kfz an den Kläger zu dessen Schutz alle relevanten Fahrzeugteile, die kurzfristig berührt wurden, desinfiziert. Dabei betrug der Arbeitsaufwand jeweils mehrere Minuten.

Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG Stuttgart hat die Haftpflichtversicherung lediglich in Höhe von 8,93 EUR hin sichtlich der Desinfektionsmaßnahmen, die vor der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger erfolgt waren, verurteilt. Die Kosten für die Desinfektion bei Hereinnahme des Wagens seien dagegen nicht erstattungsfähig, da bereits zweifelhaft sei, ob der Sachkundige dem Kunden allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen gesondert in Rechnung stellen könne. Die Revision des Klägers beim BGH hatte – teilweise – Erfolg. Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen.

Hier der Leitsatz der Entscheidung:

Verlangt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls vom Schädiger die Freistellung von der Honorarforderung des von ihm mit der Erstellung eines Schadensgutachtens beauftragten Sachverständigen, richtet sich sein Anspruch grundsätzlich und bis zur Grenze des Auswahl- und Überwachungsverschuldens danach, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber dem Sachverständigen eingegangen ist, beschwert ist. Jedenfalls in diesem Fall des Freistellungsantrags ist auch für die schadensrechtliche Betrachtung (§ 249 BGB) des Verhältnisses zwischen Geschädigtem und Schädiger die werkvertragliche Beziehung (§§ 631 ff. BGB) zwischen Geschädigtem und Sachverständigem maßgeblich.

Damit sollte das Problem – hoffentlich – gelöst sein.

Corona II: Corona-Sonderzahlung an Referendare, oder: Pfändbarkeit der Corona-Sonderzahlungan Beamte

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Im zweiten Beitrag des Tages habe ich dann noch zwei Entscheidungen zusammengestellt, die unter dem Stichwort „Corona“ in meinen Blogordner gehangen haben. Es geht dabei ums Geld“.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Eine Corona-Sonderzahlung, die einem Referendar, der eine Nebentätigkeit bei einem Rechtsanwalt ausübt, als steuerfreie Unterstützung zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise gezahlt wird und die die Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 9.4.2020 erfüllt, ist eine Vergütung für eine Nebentätigkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 der hamburgischen UnterhaltsbeihilfeVO. Die Vorschrift ist weit auszulegen und umfasst alle Leistungen, die vom Nebentätigkeits-Arbeitgeber an den Referendar in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer geleistet werden.

Auch die Corona-Sonderzahlung an Beamte und Richter nach § 59a Abs. 1 S. 1 Besoldungsgesetz Schleswig-Holstein in der Fassung des Gesetzes über eine einmalige Sonderzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie ist nicht nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar.

Corona I: Wirksame (Ersatz)Zustellung in Corona-Zeiten, oder: Versuch der Übergabe gemacht?

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Und heute dann – seit längerem mal wieder – ein paar Entscheidungen, in denen Corona eine Rolle spielt. Zunächst hier eine Zwischenurteil des BFH, und zwar das BFH, Urt. v. 19.10.2022 – X R 14/21. Es geht in der Entscheidung um die Wirksamkeit einer Zustellung und damit um die Rechtzeitigkeit einer Revision.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt = Tatbestand zugrunde:

„Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts wurde am 19.06.2021, einem Samstag, im Wege der förmlichen Zustellung mittels Zustellungsurkunde in den Briefkasten der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger), einer Steuerberatungs-GmbH, eingelegt. Auf dem Briefumschlag ist als Zustellungsdatum der 19.06.2021 vermerkt. Der Zusteller hat die Zustellungsurkunde wie folgt ausgefüllt:

„Das mit umseitiger Anschrift und Aktenzeichen versehene Schriftstück (verschlossener Umschlag) habe ich in meiner Eigenschaft als

2 [X]

– Postbediensteter


9 [X]

– zu übergeben versucht. (10.1 bis 12.3)
Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den

10.1 [  ]

– zur Wohnung

10.2 [X]

– zum Geschäftsraum
gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.


13

Den Tag der Zustellung – ggf. mit Uhrzeit – habe ich auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt.
13.1 Datum: 190621
13.3 Unterschrift des Zustellers: …
13.4 Postunternehmen/Behörde: Deutsche Post
13.5 Name, Vorname des Zustellers (in Druckbuchstaben): …“

Die Revision der Kläger ging am 20.07.2021 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Auf einen Hinweis der Senatsgeschäftsstelle, dass die für die Einlegung der Revision geltende Monatsfrist versäumt sei, wandten die Kläger ein, die Zustellungsurkunde sei unrichtig. Während der Covid-19-Pandemie hätten die jeweiligen Postzusteller bei keiner einzigen förmlichen Zustellung eine persönliche Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten versucht. Dies sei auch am 19.06.2021 nicht der Fall gewesen. Gleichwohl sei in den Zustellungsurkunden stets ??objektiv unzutreffend?? angekreuzt worden, eine Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen sei nicht möglich gewesen. Damit sei die Zustellung unter Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften erfolgt; eine Heilung nach § 189 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei erst mit der am Montag, 21.06.2021 vorgenommenen Leerung des Kanzleibriefkastens eingetreten.

Die Kläger haben weiter vorgetragen, der Zusteller habe in Gesprächen mit der für den Posteingang zuständigen Mitarbeiterin und dem Geschäftsführer ihrer Prozessbevollmächtigten am 03. und 04.08.2021 erklärt, er sei aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung gehalten, keine persönlichen Zustellungen vorzunehmen. Im Übrigen müsse er dies auch nicht, weil er die Sendungen jederzeit in den Briefkasten einlegen könne.

Die Kanzleiräume befänden sich im dritten Obergeschoss eines Geschäftshauses, der Kanzleibriefkasten liege im Erdgeschoss hinter der verschlossenen Hauseingangstür. Klingeln für die Kanzleiräume seien sowohl außen am Hauseingang als auch im dritten Obergeschoss vor der Eingangstür zu den Kanzleiräumen angebracht. Der Postzusteller habe einen eigenen Schlüssel für die Hauseingangstür und damit jederzeit Zutritt zum Gebäude.

Die Senatsvorsitzende hat die Deutsche Post AG ??Großannahmestelle Brief Stadt X?? um Auskunft zu der Frage gebeten, ob es in deren Bereich die generelle Anweisung gebe, während der Covid-19-Pandemie vom Versuch einer persönlichen Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks abzusehen und statt dessen sogleich eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten vorzunehmen. Die Deutsche Post AG ??Kundenservice?? hat diese Frage mit Schreiben vom 04.05.2022 verneint und darüber hinaus ??ohne hierzu befragt worden zu sein?? ausgeführt, dass für den betroffenen Zustellungsauftrag am 19.06.2021 ein Zustellversuch unternommen worden sei. Der Geschäftsraum sei geschlossen gewesen, so dass eine Übergabe nicht möglich gewesen sei und der Auftrag in den Briefkasten des Adressaten eingelegt worden sei. Postzustellungsaufträge würden immer nach den Vorgaben der ZPO zugestellt.“

Der BFH hat die Revision als zulässig angesehen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten (§ 180 ZPO) setzt voraus, dass zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO) unternommen wurde.

2. Allein aus den allgemeinen während der Covid-19-Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen kann nicht abgeleitet werden, dass in dieser Zeit eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten ohne vorherigen Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen als wirksam anzusehen wäre.

Kann m.E. auch in anderen Verfahren(sarten) von Bedeutung sein/werden.