Vergütungsfestsetzung gegen den Mandanten, oder: Nur gebührenrechtliche Einwendungen sind erlaubt

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Und dann als zweite Entscheidung etwas zu § 11 RVG – also Vergütungsfestsetung gegen den Mandanten.

Die Sache kommt aus dem Zivilrecht. Der antragstellende Rechtswanwalt war Prozessbevollmächtigter der Antragsgegnerin in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Meiningen. Das Verfahren wurde durch Vergleich beendet.

Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 23.12.2021 beantragte der Antragsteller die Festsetzung einer Vergütung gegen die Antragsgegnerin. Dem ist die Antragsgegnerin entgegengetreten. Sie hat die Verjährungseinrede erhoben und eingewandt, das Mandatsverhältnis sei ein Gefälligkeitsverhältnis gewesen.

Die Rechtspflegerin hat die Vergütungsfestsetzung abgelehnt, da evtl. Vergütungsansprüche verjährt seien. Der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Antragstellers hat die Rechtspflegerin dann abgeholfen und die Vergütung des Antragstellers auf insgesamt 3.160,48 EUR festgesetzt. Dagegen wendet sich nunmehr die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.  Zur Begründung hat sie erneut vorgetragen, das Mandatsverhältnis sei ein Gefälligkeitsverhältnis gewesen. Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Dort hatte sie im OLG Jena, Beschl. v. 15.04.2024 – 1 W 118/24 – Erfolg:

„2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg.

Gemäß § 11 Abs. 5 S. 1 RVG ist die Festsetzung der Vergütung abzulehnen, soweit der Antragsgegner Einwendungen oder Einreden erhebt, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben.

Bei der von der Antragsgegnerin geltend gemachten Einwendung, bei dem Mandatsverhältnis habe es sich um ein unentgeltliches Gefälligkeitsverhältnis gehandelt, handelt es sich um eine solche nichtgebührenrechtliche Einwendung (BeckOK RVG/v. Seltmann, 63. Ed. 1.9.2021, RVG § 11 Rn. 67; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl. 2023, RVG § 11 Rn. 172). Über die Begründetheit des Einwands ist im Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht zu entscheiden. Deshalb ist grundsätzlich auch weder eine nähere Substantiierung des Einwandes zu verlangen, noch eine materiell-rechtliche Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25.04.2016 – 1 BvR 1255/14 -, Rn. 3, juris). Eine Vergütungsfestsetzung war daher bereits auf den Einwand hin abzulehnen.

Es liegt auch kein Fall vor, in dem ausnahmsweise trotz des nichtgebührenrechtlichen Einwands eine Vergütungsfestsetzung erfolgen kann, da die Behauptung eines unentgeltlichen Gefälligkeitsverhältnisses gemessen an dem im hiesigen Festsetzungsverfahren anzulegenden Maßstab nicht offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, wie vor). Die Antragsgegnerin hat konkret fassbare Umstände genannt, die nicht bereits von vornherein – ohne materiell-rechtliche Prüfung – als unbeachtlich angesehen werden können. Sie hat vorgetragen, dass sie und ihr Ehemann Rechtsanwälte gewesen aber nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen seien. Ihr Ehemann und der Antragsteller seien befreundet gewesen. Ihr Ehemann habe den Antragsgegner für das Verfahren um „Postulationsfähigkeits-Leihe“ gebeten. Die gesamte Sachverhaltsaufarbeitung sowie die vollständige Ausformulierung der Klageerwiderung sei ausschließlich durch die Antragstellerin und ihren Ehemann erfolgt. Die Haltlosigkeit der Gefälligkeitsabrede liegt damit ohne nähere Sachprüfung nicht auf der Hand, zumal der Antragsteller auch nicht vorgetragen hat, dass er Hinweise gem. § 49 Abs. 5 BRAO erteilt hat. Zwar schließt ein Verstoß gegen § 49 Abs. 5 BRAO einen Vergütungsanspruch nicht aus. Ein solcher Hinweis hätte aber ggf. eventuellen Fehlvorstellungen der Antragsgegnerin entgegengestanden. Der Einwand eines unentgeltlichen Gefälligkeitsverhältnisses ist auch nicht rechtlich unbeachtlich. Denn § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO lässt im Einzelfall etwa mit Blick auf die Person des Auftraggebers einen – wenn auch nachträglichen – Gebührenerlass zu und es wird vertreten, dass – ggf. über § 242 BGB – auch bei Gefälligkeitshandlungen ein Vergütungsanspruch nicht besteht (vgl. AG Kenzingen, Urteil vom 19. Februar 2004 – 1 C 222/03 –, juris; BeckOK RVG/v. Seltmann, 63. Ed. 1.9.2021, RVG § 5 Rn. 1; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl. 2023, RVG § 1 Rn. 94; a.A. HK-RVG/Hans-Jochem Mayer, 8. Aufl. 2021, RVG § 1 Rn. 23).

Der Beschluss vom 13.05.2022 war daher aufzuheben und die begehrte Vergütungsfestsetzung abzulehnen. Auf Fragen der Verjährung, an der die Antragsgegnerin wohl auch nicht mehr festhält, kommt es hierfür nicht mehr an. Ob ein Gefälligkeitsverhältnis tatsächlich vorliegt und ob bzw. in welchem Umfang ein solches einem Vergütungsanspruch entgegensteht, ist im Klageverfahren auf Zahlung der Anwaltsvergütung zu prüfen.“

Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren , oder: Dafür muss die Vollmacht nicht ausgestellt sein.

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Und am Gebührenfreitag heute dann als erste Entscheidung der LG Mühlhausen, Beschl. v. 16.04.2024 – 3 Qs 32/24. Der liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Angeklagten ein Verfahren wegen des Verdachts der Beleidigung gemäß §§ 185, 194 StGB. In diesem erließ das AG am 10.06.2022 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten. Dagegen hat der Angeklagte durch Schriftsatz seines Wahlverteidigers Einspruch eingelegt. Der daraufhin auf den 11.05.2023 anberaumte Hauptverhandlungstermin wurde nach einer halben Stunde ausgesetzt.

Durch Beschluss des AG ist dann das Verfahren am 21.06.2023 im Hinblick auf die rechtskräftige Strafe in einem anderen Verfahren wegen Beleidigung in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.

Der Verteidiger des Angeklagten hat die Festsetzung der bei ihm entstandenen Gebühren und Auslagen beantragt. Das AG hat die Gebühren weitgehend antragsgemäß festgesetzt. Lediglich die beantragte Terminsgebühr wurde auf 30% unterhalb der Mittelgebühr gekürzt.

Gegen den Beschluss hat der Bezirksrevisor „Erinnerung“ eingelegt. Nach seiner Auffassung hätte die Verfahrensgebühr für das Vorverfahren Nr. 4104 VV RVG in Höhe von 181,50 EUR nicht festgesetzt werden dürfen. Der Verteidiger habe erst am 21.06.2022 mit der Einspruchseinlegung die Vertretung angezeigt. Die Vollmacht datiere auf den 20.06.2022. Damit sei eine Tätigkeit im Geltungsbereich der Gebühr Nr. 4104 VV RVG weder vorgetragen noch aktenkundig. Der Verteidiger führte demgegenüber aus, dass ausweislich aktenkundig sei, dass er bereits im Geltungsbereich der Vorverfahrensgebühr tätig gewesen sei. Er habe dem Angeklagten noch vor dem 24.05.2022 geraten, keine Angaben zu machen, was dieser gegenüber der ermittelnden Polizeibeamtin mitgeteilt habe. Die Beratung, Mandantengespräche und das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie falle in den sachlichen Anwendungsbereich der Nr. 4104 VV RVG. Das Datum der Vollmacht sei unerheblich, die Bestellung könne auch vorher formlos erfolgen. Der Bezirksrevisor hat demgegenüber geltend gemacht, Voraussetzung für die Erfüllung des Gebührentatbestandes einer Verfahrensgebühr sei, dass der Rechtsanwalt einen unbedingten Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit erhalte und er diesen auch annehme. In diesem Rahmen werde regelmäßig die Vollmacht erteilt und auch unterzeichnet. Die sei hier am 20.06.2022 und damit nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens erfolgt. Es könne sein, dass der Angeklagte zuvor einen anwaltlichen Rat eingeholt habe, dies stütze aber kein abgeschlossenes Mandat zur Vollvertretung im Ermittlungsverfahren. Es habe allenfalls eine Beratung im Sinne des § 34 RVG stattgefunden, die dann auf die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG anzurechnen sei. Das LG hat die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors zurückgewiesen:

„Zu Recht hat das Amtsgericht Mühlhausen in seinem Beschluss sowohl die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG in Höhe von 181,50 EURO als auch die Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG festgesetzt.

Die Verfahrensgebühr entsteht nach der Legaldefinition „für das Betreiben des Geschäfts ein-schließlich der Information“. Ausreichend für das Entstehen der Gebühr ist jede Tätigkeit des Rechtsanwaltes, die in den Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr fällt. Ausreichend ist also zB auch eine Tätigkeit nur gegenüber dem Mandanten (Beratung, Besprechung usw) (Gerold/Schmidt, RVG W Vorbemerkung 4 Rn. 10, beck-online). Der Antragssteller ist im vorbereitenden Verfahren, also vor dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls, bereits tätig gewesen. Ausweislich BI. 15 d.A. meldete sich der Angeklagte am 24.05.2022 bei PHMin pp. und teilte mit, dass er „auf Anraten seines Rechtsanwaltes“ keine Angaben zur Sache machen und nicht bei der Polizei aussagen werde. Der Antragssteller versicherte anwaltlich, dass er dieser Rechtsanwalt gewesen sei und seinem Mandanten geraten habe, keine Angaben zu machen.“

Manche Entscheidungen führen bei mir zum Kopfschütteln. So auch dieser Beschluss des LG Mühlhausen. Man fragt sich, warum eigentlich in einer solchen Sache der Bezirksrevisor Rechtsmittel einlegt, obwohl die Sach- und Rechtslage eigentlich so klar ist, dass auch ein Bezirksrevisor erkennen sollte, dass die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG und der Nr. 7002 VV RVG durch das AG zutreffend war. Allerdings setzt das voraus, dass man das erkennen will und sich nicht – wie offenbar hier der Bezirksrevisor – auf einem „Kürzungstrip“ befindet und daher unsinnige Einwände erhebt und unsinnige Rechtsmittel einlegt. Wenn man es nicht tun würde, könnte man die zur Entscheidung über das Rechtsmittel notwendigen Ressourcen sinnvoll anderweitig nutzen.

Dies vorausgeschickt ist zur Sache nur anzumerken, dass die Entscheidung des LG zutreffend ist. Dafür reicht alleine schon, dass es in de Akte heißt, dass der Angeklagte erklärt habe, er mache „auf Anraten seines Rechtsanwaltes“ vorerst keine Angaben. Wie kann man bei der Formulierung durch die Polizeibeamten auf die Idee kommen, ein Verteidigungsauftrag habe noch nicht vorgelegen?

StPO III: Teilnahme an der (Revisions)HV nach JGG, oder: Schriftleiter und Praktikantin dürfen teilnehmen

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Und dann doch noch etwas vom BGH, nämlich zwei in dem Verfahren 5 StR 205/23 ergangene Beschlüsse. Es handelt sich um ein JGG-Verfahren und es geht um die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung.

Im BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 5 StR 205/23 – hat der BGh einem Vertreter der Schriftleitung der Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ) die Anwesenheit in der Hauptverhandlung gestattet:

„Die Zulassung von Rechtsanwalt P. beruht auf § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG. Nach dieser Vorschrift können – insbesondere zu Ausbildungszwecken – neben den in § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 JGG genannten Personen weitere zur Teilnahme an der nicht öffentlichen Hauptverhandlung zugelassen werden. Die Entscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen; in die Abwägung sind neben dem Persönlichkeitsrecht der Angeklagten auf der einen Seite die Pressefreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit einzustellen.

Wenn die Berichterstattung im Hinblick auf einen aktuellen Kriminalfall beabsichtigt ist und es gerade um den beschuldigten Jugendlichen als Person geht, überwiegen in der Regel die Gefahren einer nachhaltigen Stigmatisierung und damit einer relevanten Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung des Jugendlichen. Anders kann es aber sein, wenn lediglich – losgelöst von der Person des konkreten Beschuldigten – allgemein über die Jugendstrafrechtspflege oder bestimmte Fragen des Jugendstrafverfahrens berichtet wird. So verhält es sich hier: Die Schriftleitung der ZJJ hat wegen der aus ihrer Sicht zu erwartenden Erörterung einer zentralen Frage des Jugendstrafrechts ein wissenschaftliches Interesse an der Teilnahme und damit einen besonderen Grund im Sinne der genannten Norm dargelegt. Die Angeklagten sind der Teilnahme von Rechtsanwalt P.  an der Hauptverhandlung auch nicht entgegengetreten.“

Und dann haben wir noch einen weiteren BGH, Beschl. v. 16.08.2024 – 5 StR 203/23. In dem ist einer Praktikantin in einer Rechtsanwaltskanzlei die Teilnahme gestattet worden:

„Die Zulassung von Frau W. beruht auf § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG. Nach dieser Vorschrift können – insbesondere zu Ausbildungszwecken – neben den in § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 JGG genannten Personen weitere zur Teilnahme an der nicht öffentlichen Hauptverhandlung zugelassen werden. Die Entscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen; in die Abwägung sind neben dem Persönlichkeitsrecht der Angeklagten auf der einen Seite die Pressefreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit einzustellen.

Hier hat Rechtsanwalt T. mit Blick auf die Schwerpunktarbeit von Frau W. ein wissenschaftliches Interesse der Studentin an der Teilnahme und damit einen besonderen Grund im Sinne der genannten Norm dargelegt; ihre Teilnahme ist zudem zu Ausbildungszwecken möglich. Die Verfahrensbeteiligten sind der Teilnahme von Frau W. an der Hauptverhandlung auch nicht entgegengetreten.“

StPO II: Die Schweigepflicht des Steuerberaters, oder: Entbindung, Durchsuchung, Abwendebefugnis

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Die zweite Entscheidung kommt dann mit dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 08.05.2024 – 12 Qs 2/24 – aus Bayern. Das LG hat zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen.

Das AG hat gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen versuchter Steuerhinterziehung erlassen Der Angeklagte legte hiergegen Einspruch ein. Im Hauptverhandlungstermin am  entband der Angeklagte den Zeugen H, seinen Steuerberater, von der Schweigepflicht. Dieser verweigerte jedoch unter Hinweis auf § 55 StPO die Aussage. Das begründete er damit, dass seine Chefin, die Geschäftsführerin der Steuerberater- und Rechtsanwalts-GmbH, bei der der Zeuge angestellt war, ihm vorab gesagt habe, er solle nicht aussagen. Daraufhin unterbrach der Richter die Sitzung, erließ einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Räume der GmbH und beauftragte Beamte der Steuerfahndung Nürnberg mit dessen Vollzug. Gesucht werden sollte nach Handakten sowie schriftlichen oder elektronischen Aufzeichnungen, soweit sie das Mandatsverhältnis zwischen der GmbH und dem Angeklagten zum Gegenstand hatten. Bei der Durchsuchung wurden Unterlagen sichergestellt.

Die GmbH legte gegen die Durchsuchung Beschwerde ein. Die hatte keinen Erfolg.

„Die Voraussetzungen des § 103 StPO lagen vor.

1. Eine auf § 103 StPO gestützte Durchsuchung darf allerdings nicht angeordnet werden, wenn sie nur darauf gerichtet ist, einen Gegenstand zu finden, dessen Beschlagnahme ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 13.08.1973 – StB 34/73, juris Rn. 4; KG, Beschluss vom 17.03.1983 – ER 9/83, NJW 1984, 1133). Hier durfte sich die Durchsuchung indes auf die im Durchsuchungsbeschluss genannten Gegenstände erstrecken, weil diese nicht beschlagnahmefrei waren.

a) Die Beschlagnahmefreiheit ergab sich nicht aus § 97 Abs. 1 Nr. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, weil der Angeklagte den Zeugen H wirksam von seiner Schweigepflicht entbunden hat (§ 53 Abs. 2 Satz 1 StPO, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 97 Rn. 24), sodass ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr zustand.

Anders als die Beschwerde meint, folgt zu ihren Gunsten nichts daraus, dass der Angeklagte nach dem Wortlaut seiner Erklärung allein den Zeugen von der Schweigepflicht entbunden hat. Es ist mangels aktenkundigen Vertrags nicht abschließend klar, ob der Steuerberatungsvertrag zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen oder – was naheläge und was die Beschwerdeführerin geltend macht – zwischen dem Angeklagten und ihr abgeschlossen wurde. Das kann aber dahinstehen. Denn in jedem Fall erstreckt sich das Zeugnisverweigerungsrecht auch auf Personen, die mit dem Berufsgeheimnisträger im Rahmen der gemeinschaftlichen Berufsausübung an dessen beruflicher Tätigkeit mitwirken (§ 53a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Im Gegenzug bedeutet das aber auch, dass die Entbindung des Berufsgeheimnisträgers von der Schweigepflicht auch für diese weiteren Personen wirkt (§ 53a Abs. 2 StPO), denn die Entbindung von der Schweigepflicht ist unteilbar, der Hauptberufsträger und seine mitwirkenden Personen können nur gemeinsam entbunden werden (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 53a Rn. 14; LR-StPO/Bertheau/Ignor, 27. Aufl., § 53a Rn. 14), wovon auch hier auszugehen ist. Dieses Ergebnis entspricht auch der Auslegung der Entbindungserklärung des Angeklagten: Die Steuerberaterseite sollte nach dessen Willen reden und nicht schweigen.

Der GmbH als solcher, die als juristische Person nicht Zeuge sein kann, stand demgegenüber ein Zeugnisverweigerungsrecht von vornherein nicht zu, sodass sich die Frage nach einer Beschlagnahmefreiheit unter diesem Blickwinkel nicht stellte. Sie hatte auch kein vom Willen des Mandanten losgelöstes, eigenes geschütztes Interesse daran, Umstände und Kenntnisse aus dem Mandatsverhältnis verborgen zu halten. Die Schweigepflicht des Steuerberaters besteht nämlich zugunsten des Mandanten (aus berufsrechtlicher Sicht vgl. StBerG/Koslowski, 8. Aufl., § 57 Rn. 56) und nicht zur Verdeckung etwaiger eigener Fehler oder Versäumnisse bei der Mandatsbearbeitung.

Die vorstehenden Erwägungen gelten uneingeschränkt für die Handakte des Steuerberaters. Handakten beinhalten nach § 66 StBerG die Vertrauensbeziehung betreffende Unterlagen, die der Berufsträger von seinem Auftraggeber ausgehändigt bekommen hat, Schriftverkehr, den der Berufsträger für seinen Auftraggeber geführt hat, und Notizen des Berufsträgers über Besprechungen mit seinem Mandanten oder Dritten (vgl. Wulf/Peters, Stbg 2022, 16, 25). Dies deckt sich weitestgehend mit den in § 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO bezeichneten Unterlagen, sodass die Beurteilung der Beschlagnahmefähigkeit von Handakten bei gegebener Schweigepflichtentbindung auch demgemäß erfolgt.

b) Wegen der erteilten Schweigepflichtentbindung kommt eine Unverwertbarkeit auch nicht auf der Grundlage des § 160a Abs. 2 Satz 2, 3 StPO in Betracht.

2. Es war damit zu rechnen, dass sich relevante Unterlagen in Räumen der GmbH finden lassen würden (§ 103 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Tatvorwurf gegen den Angeklagten betraf den Veranlagungszeitraum 2018. Die zehnjährige Aufbewahrungsfrist für die Handakten (§ 66 Abs. 1 Satz 2 StBerG) war bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses noch nicht abgelaufen, die Akten mussten demnach noch vor Ort sein.

3. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungsanordnung hegt die Kammer nicht. Es spricht alles dafür, dass der Zeuge H die Auskunft zu Unrecht vollständig verweigert hat (vgl. Kammer, Beschluss vom 08.05.2024 – 12 Qs 1/24, juris). Somit, aber auch unabhängig davon, war der Zugriff auf die Unterlagen geeignet und erforderlich, um den Sachverhalt aufzuklären, wie das Amtsgericht in der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses näher ausgeführt hat.

Gegen die Verhältnismäßigkeit spricht insbesondere nicht, dass der Beschluss keinen Hinweis auf eine Abwendungsbefugnis enthielt. Grundsätzlich ist nichtverdächtigen Betroffenen zumindest vor der Vollstreckung der Zwangsmaßnahme Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstandes zu geben. Diese Abwendungsbefugnis ist regelmäßig in die Anordnungsentscheidung aufzunehmen, sodass dem herausgabewilligen Dritten der Eingriff der Durchsuchung erspart werden kann (BGH, Beschluss vom 06.09.2023 – StB 40/23, juris Rn. 21). Umgekehrt kann die Gewährung einer Abwendungsbefugnis ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Betroffene zur freiwilligen Mitwirkung nicht bereit ist und Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind (BGH, aaO). So lagen die Dinge hier. Nach Aussage des Zeugen H hat ihm die Geschäftsführerin der GmbH, eine Rechtsanwältin, vorgegeben, er solle bei Gericht nicht aussagen, obwohl die Voraussetzungen für die Auskunftsverweigerung – jedenfalls im beanspruchten Umfang – höchstwahrscheinlich nicht vorlagen (vgl. Kammer, Beschluss vom 08.05.2024 – 12 Qs 1/24, juris). Daraus kann auf fehlende freiwillige Kooperation und gegebenenfalls auf eine Neigung zur Verdunkelung geschlossen werden.“

StPO I: EuGH – Verwertung von Encro-Chat? Ja, aber, oder: LG Kiel sieht keine Auswirkungen

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Und dann heute StPO-Entscheidungen – aus der Instanz. Na ja, fast 🙂

Ich erinnere. Das LB Berlin hatte mit dem LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21); dem EuGH einige Fragen zur Verwertbarkeit der durch die EncroChat-Übewachung gewonnenen Ergebnisse vorgelegt (vgl. dazu Sondermeldung zur Verwertbarkeit von EncroChat, oder: Endlich Vorlage an den EuGH durch das LG Berlin.

Inzwischen hat sich, worüber ja auch schon an anderen Stellen berichtet worden ist, der EuGH zu den Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln in grenzüberschreitenden Strafverfahren geäußert und die präzisiert. Dabei hat er die deutsche Rspr. bestätigt, wonach die Staatsanwalt Daten, die von ausländischen Behörden gewonnen werden, auch dann verwenden dürfen, wenn die Maßnahme in Deutschland nicht zulässig gewesen wäre (EUGH, Urt. v. 30.4.2024 – C-670/22).

Ich will hier jetzt nicht – die immer – ein wenig schwer lesbare Entscheidung des EuGH einstellen, sondern nur die Grundzüge der Entscheidung mtteilen, die sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Eine EAA, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, muss nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden. Sie kann von einem StA erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.
  • Der Erlass einer solchen EAA unterliegt denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Es ist nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
  • Der EuGH stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet, von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats hat dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde.
  • Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

So traurig es ist: Aus der Entscheidung des EuGH  lässt sich wohl kein Beweisverwertungsverbot VV hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Und auf der Linie liegt dann auch gleich eine LG Entscheidung, und zwar der LG Kiel, Beschl. v. 08.05.2024 – 7 KLs 593 Js 18366/22 -, der weiterhin die Verwertbarkeit von Encrocaht bejaht:

„Auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30.04.2024 betreffend EncroChat lässt sich – entgegen den Ausführungen der Verteidigung in der Haftbeschwerde – kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung u.a. ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/41 nicht dem Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung entgegensteht, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme erlangten Daten wegen der Vertraulichkeit der technischen Grundlagen, die diese Maßnahme ermöglicht haben, nicht überprüft werden kann, sofern das Recht auf ein faires Verfahren im späteren Strafverfahren gewährleistet ist. Die Integrität der übermittelten Beweismittel kann grundsätzlich nur zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem die zuständigen Behörden tatsächlich über die fraglichen Beweismittel verfügen (EuGH, Urt . v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 90). Darüber hinaus ist die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Daraus folgt, dass die Anordnungsbehörde, wenn sie mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung um Übermittlung von Beweismitteln ersucht, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, nicht befugt ist, die Ordnungsmäßigkeit des gesonderten Verfahrens zu überprüfen, mit dem der Vollstreckungsmitgliedstaat die Beweise, um deren Übermittlung sie ersucht, erhoben hat. Insbesondere würde eine gegenteilige Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in der Praxis zu einem komplexeren und weniger effizienten System führen, das dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel abträglich wäre (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 99 f.). In einem Strafverfahren im Anordnungsstaat ist bei der Bewertung. der mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Beweismittel sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet wird, was impliziert, dass ein Beweismittel, zu dem eine Partei nicht sachgerecht Stellung nehmen kann, vom Strafverfahren auszuschließen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az, C-670/22, Rn. 130).

Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes sind auch auf die SkyECC-Daten übertragbar.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Verteidigungsrechte des Angeklagten gewahrt sind und ein faires Verfahren gewährleistet wird. Insbesondere *besteht für den Angeklagten die Möglichkeit zu sämtlichen vorliegenden Daten sachgerecht Stellung zu nehmen. Es liegen zudem die französischen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Erhebung der SkyECC-Daten vor (SB französische Beschlüsse I und II), sodass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verfahrensbeteiligten nachprüfbar waren und sind. Hinsichtlich der Übereinstimmung der im‘ hiesigen Verfahren zu Grunde liegenden Daten mit den durch die französischen, Behörden übermittelten SkyECC-Daten hat die Kammer bereits Beweis erhoben durch Vernehmung des.Zeugen pp. des LKA .Kiel, u.a. über .dessen durchgeführten Datenabgleich. Danach ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Datenverfälschung in Deutschland. ‚Soweit es den französischen Bereich betrifft, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Daten fehlerhaft und inhaltlich verfälschend aufgezeichnet und ausgewertet worden sind. Widersprüche bei den Zahlen und sonstigen Datenwiedergaben sieht die Kammer nicht. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Chats die Kommunikation nicht lückenlos wiedergeben. Das hat sie berücksichtigt und wird es weiter berücksichtigen.“

Nach der EuGH-Entscheidung wird man sich fragen (müssen), ob eigentlich EncroChat noch ein „vernünftiger“ Verteidigungsansatz ist. Jedenfalls wird das Verteidigen mit EncroChat sicherlich nicht leichter.