Haft II: Haft gegen den ausgebliebenen Angeklagten?, oder: War der Ladung ggf. eine Übersetzung beigefügt?

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Im zweiten Haft habe ich dann mal wieder einen Beschluss zur Ungehorsamshaft bzw. zum Sicherungshaftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO. Es handelt sich um den LG Essen, Beschl. v. 02.10.2025 – 64 Qs 23/25.

Das LG hat mit dem Beschluss den gegen den ausländischen Angeklagten, der zur Hauptverhandlung nicht erschienenen war, erlassenen Haftbefehl aufgehoben:

„Dabei kann die Frage, ob der Angeklagte unter der Anschrift pp. tatsächlich wohnhaft war und dort am 19.10.2024 ordnungsgemäß geladen werden konnte, offenbleiben. Ebenfalls dahinstehen kann, ob die strengen Anforderungen, die für den Erlass eines Sitzungshaftbefehls ohne vorherigen Versuch der Vorführung gelten sowie die sonstigen Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit des Haftbefehlserlasses vorliegen.

Denn der Haftbefehl unterliegt, worauf die Verteidigung zutreffend hingewiesen hat, schon aus einem anderen Grund der Aufhebung.

In der richterlichen Ladungsverfügung zur Hauptverhandlung war keine Übersetzung der nach § 216 Abs. 1 StPO vorgesehenen Warnung, dass im Falle des unentschuldigten Ausbleibens die Verhaftung oder Vorführung erfolgen werde, vorgesehen. Entsprechend wurde die Warnung nicht übersetzt. Eine solche Übersetzung ist wegen des mit einer Verhaftung oder einer Vorführung verbundenen erheblichen Eingriffs erforderlich. Das Fehlen der erforderlichen Übersetzung macht zwar die Ladung nicht unwirksam, führt aber dazu, dass von den Zwangsmitteln des § 230 Abs. 2 StPO kein Gebrauch gemacht werden darf (vgl. OLG Bremen NStZ 2005, 527; OLG Dresden StV 2009, 348; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; KG aaO.; Gmel in KK-StPO 8. Aufl., § 216 Rn. 5, § 230 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 216 Rn. 4; § 184 GVG Rn. 3; Wickern in LR-StPO 26. Aufl., § 184 GVG Rn. 9; Becker in LR-StPO 27. Aufl., § 230 Rn. 15; s. auch [zu § 412 StPO] LG Heilbronn, Urteil vom 17. Juni 2010 – 5 Ns 44 Js 7003/09 – [juris = StV 2010, 406 Ls.]). Dass der Angeklagte der deutschen Schriftsprache nicht hinreichend mächtig ist, ist nach Aktenlage offenkundig. Der Umstand, dass er bei verschiedenen Kontrollsituationen niederschwellige Angaben gegenüber Polizeibeamten im Frage-Antwort Modus machen konnte, stehen dem nicht entgegen. Vielmehr belegt der Umstand, dass die Anklageschrift übersetzt worden ist und bei der einzigen förmlichen Vernehmung des Beschuldigten ein Dolmetscher hinzugezogen worden war sowie ihm bei vorläufigen Festnahmen übersetzte Belehrungen ausgehändigt wurden, dass er der deutschen Schriftsprache gerade nicht hinreichend mächtig ist.“

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