Und dann noch etwas zum Sicherungsverteidiger und/oder zur Anhörungspflicht nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO.
Mit Anklageschrift vom 07.12.2023 hat die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten und seine Ehefrau Anklage vor dem LG wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) in 48 Fällen und Steuerhinterziehung (§ 370 AO) in weiteren 48 Fällen erhoben.
Mit Beschluss vom 10.04.2024 bestellte die (damalige) Vorsitzende der 11. großen Strafkammer des LG Rechtsanwalt R 1 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten. Mit Beschluss vom 23.09.2024 ließ die 11. große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer die Anklageschrift vom 07.12.2023 zu und eröffnete das Hauptverfahren; zugleich wurden Termine zur Hauptverhandlung mit Beginn im Januar 2025 bestimmt. Mit Verfügung vom 16.01.2025 wurden die in Aussicht genommenen Hauptverhandlungstermine mit der Begründung aufgehoben, dass zunächst die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten zu überprüfen sei. Mit weiterer Verfügung vom gleichen Tag wurden sodann neue Hauptverhandlungstermine für März und April 2025 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 18.01.2025 teilte der Pflichtverteidiger mit, dass er nach derzeitigem Stand nicht uneingeschränkt an sämtlichen der nunmehr bestimmten Termine zur Verfügung stehen könne. Es wurde beantragt, Rechtsanwältin R 2 als zusätzliche Pflichtverteidigerin zur Sicherung des Verfahrens beizuordnen. Dazu wurde mitgeteilt, dass diese versichert habe, sich rechtzeitig in den Verfahrensstoff einzuarbeiten; der Angeklagte sei mit deren Beiordnung als zusätzliche Pflichtverteidigerin einverstanden. Mit Verfügung vom 28.01.2025 erfragte die Vorsitzende der Strafkammer die Verfügbarkeit der Verteidiger zu weiteren Hauptverhandlungsterminen (bis September 2025); zu dieser Anfrage zeigte der Pflichtverteidiger des Angeklagten mit Schreiben vom 31.01.2025 teilweise seine Verfügbarkeit und teilweise seine Verhinderung an. Mit Beschluss der Vorsitzenden vom 04.02.2024 wurde dem Angeklagten sodann Rechtsanwältin R 2 als Pflichtverteidigerin zur Sicherung des Verfahrens bestellt. Mit Schriftsatz vom 18.02.2025 legte Rechtsanwalt R 3 namens und mit Vollmacht des Angeklagten sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss ein. Zur Begründung teilte Rechtsanwalt R 3 mit, dass der Angeklagte sich nicht erinnern könne, zu der erfolgten Bestellung angehört worden zu sein. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er einen eigenen Verteidiger würde benennen können. Der Angeklagte wünsche, dass Rechtsanwalt R 3, den er ausgewählt und nunmehr bevollmächtigt habe, bestellt werde. Zu den Ausführungen in der Beschwerdeschrift nahm der Pflichtverteidiger R 1 mit Schriftsatz vom 20.02.2025 Stellung und teilte im Wesentlichen mit, dass am 14.01.2025 mit dem Angeklagten Rücksprache gehalten und ihm – nachdem er erklärt habe, keinen eigenen „Verteidigerwunsch“ zu haben – Rechtsanwältin R 2 vorgeschlagen worden sei, womit der Angeklagte sich einverstanden erklärt habe.
Die Strafkammer hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Das hat sie mit dem OLG Köln, Beschl. v. 30.04.2025 – 3 Ws 28/25 – verworfen:
„1. Die Entscheidung über die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO steht im Ermessen des Gerichts (vgl. MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 144 Rn. 4 mwN.). Die Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO hat zur zentralen Voraussetzung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche – „vom Willen des Beschuldigten unabhängige“ (BT-Dr.19/13829, 49) – Bestellung ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat; vielmehr muss sie zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein. Auf den Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens kommt es mithin nur dann an, soweit diese dazu führen, dass dessen zügige Durchführung ohne den weiteren Verteidiger gefährdet wäre (BGH, Beschluss vom 31.08.2020 – StB 23/20, NJW 2020, 3736 f. Rn. 13.; Beschluss vom 24.3.2022 ? StB 5/22, NStZ 2022, 696 f. Rn. 14). Auf die sofortige Beschwerde gegen die (Ablehnung der) Bestellung eines weiteren Verteidigers prüft das Beschwerdegericht, ob der Vorsitzende des Erstgerichts die Grenzen seines Beurteilungsspielraums zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO eingehalten und sein Entscheidungsermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Es kann die Beurteilung des Vorsitzenden, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung (nicht) erfordert, nur dann beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält (BGH, Beschluss vom 31.08.2020 – StB 23/20, aaO., Rn. 15.; Beschluss vom 24.3.2022 ? StB 5/22, aaO., Rn. 18).
Der Senat vermag unter Berücksichtigung des so eröffneten Prüfungsmaßstabs nicht zu erkennen, dass die in dem angefochtenen Beschluss der Vorsitzenden der 11. großen Strafkammer getroffene Entscheidung zur Beiordnung eines Sicherungsverteidigers die Grenzen des Vertretbaren überschreitet.
2. Zudem vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die erfolgte Bestellung von Rechtsanwältin R 2 als Pflichtverteidigerin zur Sicherung des Verfahrens unter Missachtung des in § 142 Abs. 5 S. 1 StPO normierten (und hier gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 StPO anwendbaren) Anhörungsrechts (mit der Folge der Möglichkeit zum Austausch der bestellten Verteidigerin nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO) erfolgt ist.
Es ist anerkannt, dass eine Anhörungspflicht nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO nicht besteht, wenn der Angeklagte sein Bestimmungsrecht bereits ausgeübt und einen Verteidiger benannt hat (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 142 Rn. 9; BeckOK StPO/Krawczyk StPO § 142 Rn. 16 jew. mwN). Aus dem oben im Einzelnen wiedergegebenen Verfahrensablauf wird indes deutlich, dass die Vorsitzende der 11. großen Strafkammer bei der Bestellung von Rechtsanwältin R 2 keinen Grund zu der Annahme hatte, der Angeklagte sei mit einer Beiordnung von Rechtsanwältin R 2 als zusätzliche Pflichtverteidigerin nicht einverstanden und hätte das ihm zustehende Wahlrecht somit nicht wirksam zugunsten von Rechtsanwältin R 2 ausgeübt. Dies folgt bereits eindeutig aus dem Inhalt der der Kammer vorgelegten Schriftsätze des Pflichtverteidigers Dr. R 1 vom 18.01. und 20.02.2025. Das Vorbringen des Wahlverteidigers in dem Beschwerdeverfahren vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Die von dem Pflichtverteidiger im vorliegenden Beschwerdeverfahren ergänzend dargelegten, dem Schriftsatz vom 18.01.2025 vorausgegangenen tatsächlichen Vorgänge sind von dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt R 3 nicht in Abrede gestellt worden. Insbesondere hat der Verteidiger Rechtsanwalt R 3 ausdrücklich als zutreffend dargestellt, dass der Angeklagte zu dem von dem Pflichtverteidiger beabsichtigten Vorgehen, gegenüber dem Gericht die Bestellung eines Sicherungsverteidigers zu beantragen, am 14.01.2025 befragt worden ist und er in diesem Zusammenhang u.a. erklärt hat, keinen Verteidiger zu kennen, den er benennen möchte. Soweit der Wahlverteidiger in diesem Zusammenhang rügt, die entsprechenden Nachfragen und Erläuterungen dazu seien nicht durch den Pflichtverteidiger selbst, sondern von einer in dessen Kanzlei tätigen Bürokraft vorgenommen worden, verhilft dies der sofortigen Beschwerde nicht zum Erfolg. Zum einen stellt dieser Einwand die Richtigkeit des Inhalts des Schriftsatzes des Pflichtverteidigers vom 18.01.2025, mit dem gegenüber der Kammer mitgeteilt wurde, der Angeklagte sei mit einer Beiordnung von Rechtsanwältin R 2 einverstanden, nicht in Zweifel. Zum anderen ist nicht im Ansatz ersichtlich bzw. vorgetragen, inwiefern sich der Angeklagte anders verhalten hätte, wenn die entsprechenden Nachfragen zu dem entsprechenden Zeitpunkt (nämlich am 14.01.2025) von dem Pflichtverteidiger selbst gehalten worden wären.“