Erstattung I: § Einstellung nach 47 Abs. 2 OWiG, oder: Wenn das AG erforderlich Sachaufklärung „scheut“

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Und dann am RVG-Tag noch einmal zwei LG-Entscheidungen zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens.

Den Opener macht der LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 21.03.2025 – 5/9 Qs OWi 20/25 – in einem Verfahren, das vom AG nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden ist.  Das AG hatte gem. § 467 Abs. 4 StPO, § 46 OWiG davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Dagegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt. Dieses hatte Erfolg:

„Der Schriftsatz des Verteidigers vom 25.02.2025 (BI. 67 der Akte) ist als außerordentlicher Rechtsbehelf der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 18.11.2024 (BI. 48 der Akte), fälschlicherweise ausgefertigt unter dem 19.11.2024 (BI. 49 der Akte), auszulegen. Diese ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise zulässig und auch in der Sache begründet.

Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom 18.11.2024 das Ordnungs-widrigkeitsverfahren gegen den Betroffenen gem. § 47 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt und gern. § 467 Abs. 4 StPO, § 4te OWiG davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Der gerichtliche Einstellungsbeschluss nach § 47 Abs. 2 OWiG ist grundsätzlich unanfechtbar, § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG.

Indes ist nach verfassungsrechtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung in Fällen groben prozessualen Unrechts dem Betroffenen ein außerordentlicher Rechtsbehelf in Form einer einfachen Beschwerde zuzugestehen. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu in seinem Kammerbeschluss vom 15.08.1996 (Az.: 2 BvR 662/95 — bei juris, Rn. 14) aus: „Bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war anerkannt, dass gerichtliche Entscheidungen, gegen die ein ordentlicher Rechtsbehelf nicht mehr statthaft ist, ausnahmsweise zurückgenommen werden können, wenn sie auf einer unrichtigen tatsächlichen Grundlage ergangen waren; diese Rechtsprechung galt selbst für der vollen Rechtskraft fähige Beschlüsse, etwa im Revisionsverfahren (vgl. RGSt 59, 420). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH MDR 1951, S. 771) und ihm folgend von der obergerichtlichen Rechtsprechung übernommen und fortgesetzt worden (vgl. nur OLG Stuttgart, MDR 1982, S. 341, 342; OLG Celle, NStZ 1983, S. 328, 329; OLG Rostock, NZV 1994, S. 287, 288 jeweils m.w.N.).

Geht es um die Beseitigung groben prozessualen Unrechts, ist es danach grundsätzlich zumutbar, Abhilfe zunächst durch Einlegung auch eines außerordentlichen Rechtsbehelfs im fachgerichtlichen Verfahren zu suchen.“ (LG Wiesbaden, Beschluss vom 7. Juni 2024 — 2 Qs 47/24 Rn. 11, juris)

Grobes prozessuales Unrecht liegt nicht schon in jeder fehlerhaften Gesetzesanwendung. Ginge man hiervon aus, würde hiermit eine generelle Beschwerdemöglichkeit eingeführt, gleich einem ordentlichen Rechtsbehelf, welcher nach dem Gesetz aber in Fällen wie dem vorliegenden ausdrücklich ausgeschlossen ist. Grobes prozessuales Unrecht liegt aber dann vor, wenn eine Entscheidung erkennbar auf sachfremden oder offensichtlich unhaltbaren Erwägungen beruht, sie sich letztlich als willkürlich erweist.

So liegt der Fall hier. Bereits mit Schriftsatz vom 17.10.2024 hatte der Verteidiger vorgetragen, dass der Betroffene nicht der Fahrer des Fahrzeugs zum Tatzeitpunkt gewesen sei, es handele sich wohl um einen Familienangehörigen (BI. 41 der Akte). Mit Schreiben vom 06.11.2024 (BI. 44 der Akte) teilte das Amtsgericht dem Betroffenen und dem Verteidiger mit, dass es erwäge, „wegen Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Sachaufklärung“, das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ohne Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen einzustellen. Dem widersprach der Betroffene durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 14.11.2024 (BI. 46 der Akte), da er unschuldig sei und es nicht angehe, eine Einstellung ohne Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durchzuführen. In der Folge kam es zu dem angefochtenen Beschluss.

Das Amtsgericht hat mit seinem Schreiben vom 06.11.2024 zu erkennen gegeben, dass der Sachverhalt aus seiner Sicht nicht ausreichend aufgeklärt war und entsprechend weitere Sachaufklärung erforderlich gewesen wäre. Dies lag auch auf der Hand, weil der Betroffene seine Fahrereigenschaft bestritten hat. Scheut das Gericht aber eine von ihm selbst für erforderlich gehaltene Sachaufklärung und stellt daraufhin das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG ein, kann das Ermessen hinsichtlich der Auslagenentscheidung willkürfrei regelmäßig nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben hat. Dass das Amtsgericht hingegen Ermessenserwägungen angestellt hat, die dem Willkürverbot standhielten, ist nicht ersichtlich, weil das Amtsgericht nicht näher begründet hat, warum es davon abgesehen hat, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Entsprechend war die Auslagenentscheidung wie aus der Beschlussformel ersichtlich abzuändern.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Die deutlichen Worte des LG in Richtung AG sind zu begrüßen, zumal sie nicht nur in der vorliegenden Sache Bedeutung habe, sondern darüber hinaus gehen. Denn in der Praxis wird von der Gerichten gern und manchmal auch vorschnell die Flucht in den § 47 Abs. 2 OWiG ergriffen, um sich langwierige Beweisaufnahmen, wie sie hier auch wohl drohten, zu ersparen. Das ist in Zeiten knapper Ressourcen zwar nachvollziehbar, kann aber nicht insofern zu Lasten des Betroffenen gehen, dass er den vom Gericht gewählten Weg der Arbeitserleichterung nun auch noch damit „bezahlen“ soll, dass er auf seinen notwendigen Auslagen „sitzen bleibt“.

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