Ablehnung II: Verwerfung wegen Verschleppung, oder: „Richter in eigener Sache“?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 16.12.2024 – 6 StR 226/24 – also auch schon älter – ebenfalls vom 6. Strafsenat des BGH. Der Angeklagte hatte einen Verstoß gegen § 338 Nr. 3 StPO geltend gemacht, weil sein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden zu Unrecht verworfen worden sei. Damit hatte er beim BGH keinen Erfolg:

„a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

aa) Der Vorsitzende kündigte am 12. Hauptverhandlungstag, dem 19. Oktober 2023, an, die Beweisaufnahme schließen zu wollen. Anträge von Verteidigerseite wurden weder gestellt noch angekündigt. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft wies darauf hin, dass hinsichtlich des Anklagevorwurfs 4 eine Beschränkung der Strafverfolgung noch nicht beschlossen und die tateinheitliche Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz noch nicht von der Verfolgung ausgenommen worden sei; sie regte an, insoweit nach § 154a Abs. 2 StPO zu verfahren. Der Verteidiger kündigte an, im Hinblick auf den Tatvorwurf eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz einen Beweisantrag stellen zu wollen. Im Anschluss hieran verkündete der Vorsitzende den Beschluss, dass ein möglicher Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz von der Strafverfolgung ausgenommen werde. Der Angeklagte lehnte den Vorsitzenden daraufhin wegen „Verletzung des Abstimmungsverhaltens und des Kammerprivilegs“ sowie des hierdurch begründeten „Verdachts der Befangenheit“ ab und führte zur Begründung aus, der Vorsitzende habe den Beschluss über die Beschränkung der Strafverfolgung ohne Beratung verkündet und durch sein eigenmächtiges Verhalten das „Spruchprivileg der gesamten Richter nach § 76 GVG unheilbar verletzt“ sowie dem Angeklagten das rechtliche Gehör versagt.

bb) Die Strafkammer hat das Ablehnungsgesuch vom 19. Oktober 2023 unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden am selben Tag gemäß § 26a Abs. 2 Sätze 1 und 2 StPO als unzulässig verworfen, weil die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppen solle ( § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO ). Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft habe in der Hauptverhandlung am 21. September 2023 eine entsprechende Vorgehensweise angeregt, die mit den Verfahrensbeteiligten erörtert worden sei; im Anschluss daran habe die Strafkammer die Frage der Beschränkung beraten und entschieden, einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft folgen zu wollen. Lediglich irrtümlich sei der Vorsitzende davon ausgegangen, dass die Entscheidung der Kammer auch bereits protokolliert worden sei. Die Protokollierung sei nach dem Hinweis der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft am 19. Oktober 2023 nachgeholt worden. Auch eine Gehörsverletzung liege nicht vor. Der Versuch, aus einer für den Angeklagten ausschließlich positiven Beschränkung der Strafverfolgung eine Befangenheit herzuleiten, sei zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet. Aus der Gesamtschau des Gesuchs sowie des Zeitpunkts seiner Anbringung am Ende der Beweisaufnahme und zeitnah nach Ablehnung eines Aussetzungsantrags werde deutlich, dass das Ablehnungsgesuch offensichtlich ausschließlich eine Verzögerung der Hauptverhandlung bezwecke.

cc) Mit ihrer Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO , Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG macht die Revision eine Verletzung des gesetzlichen Richters im Ablehnungsverfahren sowie eine rechtsfehlerhafte Behandlung des Befangenheitsgesuchs geltend und trägt im Wesentlichen vor, die Frage einer Verfahrensbeschränkung sei entgegen den Darlegungen in dem angegriffenen Beschluss zuvor nicht von den Mitgliedern der Strafkammer erörtert worden; der Vorsitzende habe diese ohne vorhergehende Beratung mit dem Spruchkörper beschlossen und sich damit „einseitige Entscheidungsmacht angemaßt“; zugleich habe er sein rechtliches Gehör verletzt.

b) Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Die unter Mitwirkung des Vorsitzenden erfolgte Verwerfung des Befangenheitsgesuchs gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO beruht nicht auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05 , BGHSt 50, 216 ).

aa) Zwar ist die Vorschrift des § 26a StPO , die ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren im Interesse der Verfahrensbeschleunigung vorsieht und es dem abgelehnten Richter gestattet, an der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Befangenheitsgesuch mitzuwirken, als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und auf klare Fälle eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs zu beschränken (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411 f.). Eine Entscheidung nach § 26a StPO kommt daher nur in Fällen einer echten Formalentscheidung oder zur Verhinderung eines Missbrauchs des Ablehnungsrechts in Betracht. In allen anderen Fällen, in denen die Entscheidung des Ablehnungsgesuchs eine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters erfordert und er dadurch zum „Richter in eigener Sache“ würde, scheidet eine Verfahrensweise nach § 26a StPO aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2014 – 5 StR 53/14 , NStZ 2015, 175; BVerfG, NJW 2005, 3410, 3412). Dies gilt auch für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. April 2008 – 5 StR 129/07 ,wistra 2008, 267; vom 10. April 2008 – 4 StR 443/07 , NStZ 2008, 523, 524; vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 , NStZ 2011, 294). Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a , 27 StPO führt indes nicht stets, sondern nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG , wenn die Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411; BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05 , BGHSt 50, 216, 219 f. ). Dagegen liegt bei einer „nur“ schlicht fehlerhaften Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften ein Verfassungsverstoß nicht vor (vgl. BVerfG, aaO).

bb) Gemessen hieran ist die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig weder willkürlich noch lässt sie eine Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erkennen. Die Strafkammer hat es gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO mit der formalen Begründung verworfen, dass die Frage einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO vor der Antragstellung durch die Sitzungsvertreterin beraten und – bestätigt durch die dienstlichen Erklärungen der Berufsrichter und der Sitzungsvertreterin – an einem vorangegangenen Sitzungstag mit den Verfahrensbeteiligten erörtert worden war. Eine offensichtlich unhaltbare Auslegung und Anwendung des Verwerfungsgrunds gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO lag in alledem nicht.“

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