VR I: KG rüffelt Straßenverkehrsentscheidung deutlich, oder: Ungeordneter und konfuser Text in den Gründen

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Und dann mal wieder Verkehrsrecht. Und diesen Verkehrsrechtstag eröffne ich mit dem KG, Beschl. v. 13.06.2025 – 3 ORs 27/25 – in dem das KG mehr als deutlich mitteilt, was es von den Gründen eines AG-Urteils hält, durch das der Angeklagte wegen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) verurteilt worden ist. Man kann es ganz kurz zusammenfassen: Nichts. In der Schule hätte es geheißen: Setzen, sechs.

Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen  verurteilt und gegen ihn ein fünfmonatiges Fahrverbot verhängt. Die Urteilsfeststellungen lauten auszugsweise wie folgt:

„II.

Der Angeklagte befuhr am 4. Januar 2024 gegen 8:19 Uhr mit dem PKW mit dem amtlichen Kennzeichen pp. die Landsberger Allee in 12681 Berlin stadteinwärts. In Höhe des Kinos am Eastgate beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug nochmals, um die dort bereits rot abstrahlen Lichtzeichenanlage zu überfahren. Er hätte dies bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen. Das Verhalten hatte zugleich zur vorhersehbaren und vermeidbaren Folge, dass Fußgänger, die bereits bei grünem Ampellicht die Straße überqueren wollten, zurückwichen und nur so ein Unfall vermeiden konnten. Der Angeklagte handelte grob verkehrswidrig und rücksichtslos denn er schenkte aus Gleichgültigkeit der rot abstrahlen und Lichtzeichenanlage keine besondere Beachtung und beginnen somit einen objektiv besonders gefährlichen Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift.

…..“

Dagegen die (Sprung-)Revision des Angeklagten, die Erfolg hatte. Das KG führt aus:

„Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Zuschrift vom 6. Juni 2025 u.a. wie folgt ausgeführt:

„Der – nach § 335 StPO statthaften – (Sprung-)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, kann der (vorläufige) Erfolg nicht versagt werden.

Das Rechtsmittel dringt mit der erhobenen Sachrüge durch. Das Urteil des Amts-gerichts hält in mehrfacher Hinsicht einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Das Urteil ist bereits deswegen aufzuheben, weil – wie die Revision zutreffend ausführt – die schriftlichen Entscheidungsgründe maßgebliche redaktionelle Fehler aufweisen, dass sie zum einen unverständlich, widersprüchlich und lückenhaft sind und zum anderen den Anspruch jedes Angeklagten und jeder Angeklagten verletzen, dass die Gründe eines ihn bzw. sie betreffenden Urteils mit einem Mindestmaß an Sorgfalt abgefasst wurden (vgl. KG, Beschluss vom 5. September 2022 – (1) 121 Ss 100/22 (40/22) -). Diesem Defizit dürfte zu Grunde liegen, dass der Abteilungsrichter die Gründe mit einer Software diktiert und den in Teilen ungeordneten und konfusen Text hiernach nicht mehr gelesen, sondern nur noch abgezeichnet hat. Ein solches Vorgehen kann je nach Ausmaß den Bestand eines Urteils gefährden (vgl. KG aaO sowie Beschluss vom 5. April 2022 – 3 Ws (B) 86/22 -). Dass dies vorliegend der Fall ist, ergibt sich nicht nur aus den in der Revisionsbegründung aufgeführten Beispielen bzw. Zitaten aus den Urteilsgründen, die einer gedanklichen Durchdringung der in UA S. 2 unter III. aufgeführten Beweiswürdigung entscheidend entgegenstehen, sondern auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte vom Amtsgericht im Rahmen der Strafzumessungsgründe als geständig bezeichnet wird (UA S. 3), was sich nach der vorgenannten Beweiswürdigung, soweit überhaupt verständlich, schon gar nicht nachvollziehen lässt. Die Erörterungen zur Identifizierung bzw. zum Wiedererkennen des Angeklagten durch den Zeugen pp. (UA S. 2 unter III.) sind ebenfalls unklar und im Zuge der revisionsrechtlichen Prüfung nicht ausreichend nachvollziehbar.

Auch die von der Revision aufgeworfenen Zweifel, ob die Feststellungen geeignet sind, den Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 2c, Abs. 3 Nr. 2 StGB zu tragen, sind letztlich nicht von der Hand zu weisen. Nach dieser vom Amtsgericht dem Schuldspruch zugrunde gelegten Vorschrift macht sich strafbar, wer im Straßenverkehr an Fußgängerüberwegen falsch fährt und dabei grob verkehrswidrig und rücksichtslos handelt, wobei dies zu einer Gefährdung von Leib, Leben oder wertvollen Guts anderer Verkehrsteilnehmer führt.

a) …..

b) Diesbezüglich ist allerdings auch folgendes festzuhalten: Die Vorschrift und die rechtliche Anwendung des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB mit den dort aufgeführten Tatbestandsalternativen dient dazu, abstrakt besonders gefährliche Verkehrsverstöße (vgl. Fischer aaO, § 315c Rdn. 5), die von dem Täter zudem grob verkehrswidrig und rücksichtslos begangen werden, einer strafrechtlichen Sanktionierung zu unterwerfen und diese gleichzeitig von tagtäglich in großer Zahl vorkommendem „einfachen“ Fehlverhalten im Straßenverkehr, das in der Regel unter dem Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, abzugrenzen. Die Feststellungen eines entsprechenden Strafurteils nach dieser Norm müssen daher aufzeigen, dass das Gericht sich der Notwendigkeit dieser Abgrenzung bewusst gewesen ist und nicht allein den objektiven Geschehensablauf und/oder die etwaigen (Schadens-)Folgen des Verstoßes im Straßenverkehr zur Grundlage der Beurteilung gemacht hat. Der Tatrichter kann zwar durchaus von dem festgestellten Geschehen Rückschlüsse auf Ursachen von dessen Entstehung und Motiven und Gesinnung des betreffenden Verkehrsteilnehmers ziehen; diese müssen sich indes als stichhaltig und folgerichtig sowie für das Revisionsgericht nachvollziehbar erweisen (KG VRS 130, 21/22).

An den erforderlichen Darlegungen zu einem besonders gefährlichen Verkehrsverstoß fehlt es vorliegend bereits angesichts des Mangels ausreichender Feststellungen des Gerichts zu der Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Angeklagten in dem Zeitpunkt, als er den Fußgängerüberweg passierte. Der Tatrichter schildert zwar, dass der Angeklagte beschleunigt habe und der Zeuge pp. beim Fahrzeug des Angeklagten zum fraglichen Moment von einer Geschwindigkeit von 50-60 km/h ausgegangen sei (UA S. 2). Er stellt aber weder fest, welche zulässige Höchstgeschwindigkeit an dieser Stelle gilt noch gibt er an, von welcher konkreten Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Angeklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt er letztlich ausgeht. Demgemäß bleibt die Frage offen, ob ein – nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls nicht auszuschließender – Passiervorgang bei ansonsten zulässiger Fahrgeschwindigkeit ausreichend wäre, einen von § 315c Abs. 1 Nr. 2c StGB erfassten besonders schweren Verkehrsverstoß des Angeklagten abzubilden, von den subjektiven Tatbestandsanforderungen ganz abgesehen.

c) Ungeachtet dessen fehlt es schließlich noch an weiteren für den Schuldspruch erforderlichen Erwägungen. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. nur KG, Beschluss vom 21. August 2013 – (3) 121 Ss 162/13 (122/13) – und in VRS 113, 291/292) handelt grob verkehrswidrig nur, wer einen besonders schweren und gefährlichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften begeht, der nicht nur die Sicherheit des Straßenverkehrs erheblich beeinträchtigt, sondern auch schwerwiegende Folgen zeitigen kann. Demgegenüber gilt als rücksichtslos, wer sich im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens drauflos fährt (vgl. auch KG, Beschlüsse vom 19. Mai 2008 – (3) 1 Ss 494/07 (23/08) – und vom 27. Oktober 2005 – (3) 1 Ss 318/05 (83/05) – Juris -; OLG Düsseldorf VerkMitt 2000, 53/54). Die Annahme rücksichtslosen Verhaltens kann daher nicht allein mit dem objektiven Geschehens-ablauf begründet werden, sondern verlangt ein sich aus zusätzlichen Umständen ergebendes Defizit, das – geprägt von Leichtsinn, Eigennutz oder Gleichgültigkeit – weit über das hinausgeht, was normalerweise jedem – häufig aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit – begangenen Verkehrsverstoß innewohnt (KG jew. aaO). Auch ausgehend von den vorstehenden Ausführungen zu b) lassen sich dahingehende nähere Feststellungen, insbesondere zur subjektiven Tatseite, den Urteilsausführungen jedoch nicht in ausreichender Weise entnehmen.

d) Schließlich fehlt es, wie die Revision zu Recht und mit zutreffenden Ausführungen anmerkt, auch an ausreichenden und stichhaltigen Feststellungen zur Gefährdung eines der von der Norm des § 315c Abs. 1 geschützten Rechtsgüter.

Der vom Amtsgericht erkannte Schuldspruch wird daher von den getroffenen Fest-stellungen nicht gedeckt; dieser kann somit letztlich keinen Bestand haben.“

Diese Ausführungen macht sich der Senat zu eigen.

Ergänzend führt der Senat noch Folgendes aus:

Auch der pauschale Satz zur Begründung des fünfmonatigen Fahrverbots genügt nicht den An-forderungen an eine ordnungsgemäße Begründung.

Im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit der Norm ist ferner anzumerken, dass unter § 315 c Abs. 1 Nr. 2c StGB nur Fußgängerüberwege im Sinne des § 26 StVO fallen. Dies sind allein die durch Zeichen 293 (Zebrastreifen) markierten Fahrbahnflächen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2015 – 4 StR 164/15 -, BeckRS 2015,12689 sowie BGH NZV 2008, 528). Dass es sich vorliegend um eine mit „Zebrastreifen“ markierte Fahrbahnfläche und damit um einen Fußgängerüberweg im Sinne des § 26 StVO gehandelt hat, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung zu ermöglichen, sind insoweit genauere Angaben zu den örtlichen Gegebenheiten und Markierungen erforderlich. Der Umstand, dass sich aus den Urteilsfest-stellungen ergibt, dass an der betreffenden Stelle eine Fußgängerampel vorhanden ist, lässt vielmehr vermuten, dass es sich um eine sog. Fußgängerfurt handeln könnte.

Dass eine derart desolate Abfassung der Urteilsgründe den Bestand des Urteils gefährdet, ist dem befassten Richter bereits in den Verfahren 3 Ws (B) 211/21 sowie 3 Ws (B) 86/22 durch Be-schlüsse des Senats vom 28. September 2021 sowie 5. April 2022 mitgeteilt worden. Er wurde ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass die offenbar eingeschliffene Praxis der Abteilung nicht nur den Urteilsbestand gefährdet, sondern auch geeignet ist, dem Ansehen der Justiz zu schaden. In den vorgenannten Senatsbeschlüssen wurde der Abteilungsrichter auch auf seine unleserliche Unterschrift aufmerksam gemacht, die einen Buchstaben weder erkennen noch erahnen lässt. All dies hat erstaunlicherweise bislang zu keiner Abhilfe geführt.

Das Beruhen des angefochtenen Urteils auf den vorstehend dargelegten Mängeln und der damit verbundenen Verletzung des Gesetzes (§ 337 Abs. 1 StPO) ist offensichtlich.“

Ich denke, jedes weitere Wort zu dieser „Hinter-den Spiegel-Steck-Entscheidung“ ist überflüssig, außer: Die Verärgerung des KG über den offenbar unbelehrbaren Amtsrichter ist mehr als deutlich zu lesen.

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