BtM III: Fahrerlaubnisentziehung nach altem Recht, oder: Auswirkungen des CanG auf die Entziehung?

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Und dann habe ich im dritten Posting eine weitere Entscheidung aus Bayern. Es handelt sich um den BayVGH, Beschl. v. 23.04.2025 – 11 CS 25.203 – zur Frage der Auswirkungen des CanG auf eine vor Inkrafttreten des CanG am 01.04.2024 ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis. Hätte an sich also auch in einen „Kessel Buntes“ gepasst.

Der BayVGH meint zu der Frage:

„2. Zu Unrecht nimmt das Verwaltungsgericht ferner an, dass das Suspensivinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.

Es geht zunächst aus den im angegriffenen Beschluss vom 20. Januar 2025 dargelegten Gründen, auf die Bezug genommen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), zutreffend davon aus, dass die Entziehung im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, B. v, 14.6.2024 – 3 B 11.23 – ZfSch 2024, 533 Rn. 5; U. v, 30.8.2023 – 3 C 15.22NJW 2024, 1361 Rn. 8 m.w.N.), hier bei Erlass des Entziehungsbescheids am 8. März 2024, rechtmäßig war.

Der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 2023 (BGBl I Nr. 315), i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV kann wegen der zum 1. April 2024 erfolgten Rechtsänderung nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden.

Der Grundsatz von Treu und Glauben gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts. Er bedarf der Konkretisierung, die anhand von Fallgruppen bzw. Ausprägungen vorgenommen wird (vgl. BVerwG, U. v, 12.6.2024 – 6 C 11.22NVwZ 2024, 1577 Rn. 41 m.w.N.). Zu diesen gehört der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, der ein hoheitliches Handeln voraussetzt, das im Widerspruch zu früher begründetem Vertrauen des Bürgers steht (Schubert in MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 72). Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist widersprüchliches Verhalten erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Handelnde dadurch für den anderen Teil einen Vertrauenstatbestand schafft, auf den sich sein Gegenüber verlassen darf, oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BVerwG, U. v, 30.6.2010 – 5 C 2.10 – juris Rn. 12; BGH, U. v, 5.6.1997 – X ZR 73/95 – juris Rn. 25 m.w.N.; Krebs in Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 92 f.), was der Fall ist, wenn das frühere Verhalten zu dem späteren in unlösbarem Widerspruch steht (vgl. BVerwG, U. v, 2.7.1992 – 5 C 51.90BVerwGE 90, 287 = juris Rn. 22 m.w.N.). Bei der Anwendung des § 242 BGB im öffentlichen Recht ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Verwaltung zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtet ist, was der Anwendung ein eigenes Gepräge verleiht, auch wenn der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wegen der gleichzeitigen Verpflichtung auf das „Recht“ keinen absoluten Vorrang genießt. Die im Privatrecht entwickelten Konkretisierungen von Treu und Glauben lassen sich nicht unbesehen ins öffentliche Recht übertragen. Die öffentlichen Interessen haben einen höheren Stellenwert, auch wenn sie keinen absoluten Vorrang beanspruchen (Schubert a.a.O. § 242 Rn. 70).

Hieran gemessen macht die Antragsgegnerin zu Recht geltend, dass sie nicht verpflichtet oder gehalten war, entgegen geltendem Recht auf das bereits mit Schreiben vom 25. September 2023 angeordnete, negative Fahreignungsgutachten vom 8. Januar 2024 hin untätig zu bleiben, was im Ergebnis eine Rückwirkung bzw. Erstreckung des seit 1. April 2024 geänderten Rechts auf Altfälle bewirken würde, ohne dass der Gesetzgeber dies vorgesehen hat. Die Regelung in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, wonach regelmäßiger Cannabiskonsum die Fahreignung entfallen ließ, galt bis zum Inkrafttreten ihrer Änderung durch das Cannabisgesetz am 1. April 2024 und war wegen des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts unverändert der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen (BVerwG, B. v, 14.6.2024 – 3 B 11.23 – ZfSch 2024, 533 Rn. 5; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 2 StVG Rn. 54). Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung hat der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht vorgesehen (wie etwa durch Art. 316p i.V.m. Art. 313 EGStGB, vgl. dazu NdsOVG, B. v, 23.9.2024 – 12 PA 27/24 – juris Rn. 9). Sie ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Regelung auch nicht verfassungsrechtlich geboten (vgl. BayVGH, B. v, 31.10.2024 – 11 ZB 24.1246 – DAR 2025, 42 Rn. 13; vgl. auch BVerfG, B. v, 30.3.2007 – 1 BvR 3144/06BVerfGK 10, 553 Rn. 23; B. v, 9.10.2000 – 1 BvR 791/95SozR 3-2200 § 551 Nr. 15 Rn. 24 ff.: Nichtanwendung günstigeren Rechts ohne ausdrückliche Rückwirkungsanordnung ist nicht verfassungswidrig).

Die Anwendung des geltenden Rechts erscheint auch zeitlich kurz vor einer Rechtsänderung nicht widersprüchlich oder treuwidrig, insbesondere nicht, wenn es sich wie hier um eine gebundene Entscheidung auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts handelte und das über die Fahreignung urteilende medizinisch-psychologische Gutachten gemäß Nr. 1 Buchst. c der Anlage 4a zur FeV auf der Grundlage anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze, die in den Beurteilungskriterien ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BayVGH, B. v, 5.6.2024 – 11 CS 24.324 – juris Rn. 20; Derpa a.a.O. § 11 FeV Rn. 20a), gefertigt worden ist. Der Antragstellerin hätte Widerspruch einlegen können mit der Folge, dass die letzte Behördenentscheidung voraussichtlich nach der sie begünstigenden Rechtsänderung ergangen wäre. Weiter bleibt es ihr unbenommen, den angefochtenen Bescheid bestandskräftig werden zu lassen und einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis unter nunmehr erleichterten Voraussetzungen zu stellen. Insofern stellt sich – worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist – die Situation für sie nicht anders dar wie für denjenigen, der erst nach Entziehung der Fahrerlaubnis seine Fahreignung wiedererlangt bzw. dies nachweisen kann. Im Fahrerlaubnisrecht ist ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen nicht vorgesehen, da § 20 FeV (Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung) der allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschrift des Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG als lex specialis vorgeht (vgl. BayVGH, U. v, 14.7.1994 – 11 B 94.362NZV 1995, 47/48 zur Vorgängerregelung in § 15c StVZO; Siegmund in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 17.7.2024, § 2 StVG Rn. 96 f.).

Das gesetzlich vorgesehene, antragsabhängige Neuerteilungsverfahren würde in den von der Rechtsänderung durch das Gesetz vom 27. März 2024 zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) betroffenen Fällen mittels des Einwands des Rechtsmissbrauchs umgangen, mit der Folge, dass eine rechtmäßige Entziehung wirkungslos und die ursprüngliche Fahrerlaubnis der Antragstellerin trotz gutachtlich bescheinigtem Verlust der Fahreignung ohne weiteres bestehen bliebe. Da die Fahrerlaubnis mit der Entziehung erlischt (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 6 Satz 1 FeV), mit Bekanntgabe gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG keine Fahrberechtigung mehr besteht und die ursprüngliche Fahrerlaubnis mit Neuerteilung auch nicht wieder auflebt, stellt sich die Situation auch nicht so dar, dass die Behörde alsbald wieder den gleichen Verwaltungsakt erlassen müsste (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est). Vielmehr prüft sie in einem erst auf entsprechenden Antrag hin vorgeschalteten Verfahren zunächst, ob die Erlaubnis und in welchem Umfang (vgl. § 76 Nr. 11b FeV) sie wieder zu erteilen ist und stellt mit Neuerteilung auch einen neuen Nachweis über die ggf. geänderte Fahrberechtigung und deren zeitliche Geltung aus. Zwar wird regelmäßig keine erneute Prüfung der Fahrbefähigung angeordnet, jedoch u.a. geprüft, ob Anhaltspunkte für eine fehlende Befähigung (vgl. § 20 Abs. 2 FeV) oder Eignung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 11 ff. FeV) vorhanden sind. So wird regelmäßig eine Sehtestbescheinigung nach Anlage 6 Nr. 1 zur FeV, ein behördliches Führungszeugnis und ein Nachweis über die Ausbildung in Erster Hilfe gefordert. Ferner prüft die Fahrerlaubnisbehörde, ob die Nichteignung des Betroffenen nach wie vor feststeht, bei (vormaligem) Cannabiskonsum ggf. also, ob eine Änderung des Konsumverhaltens dies ausschließt (vgl. Derpa a.a.O. § 13a FeV Rn. 15), ob im Falle des Cannabismissbrauchs bei fortgeschrittener Drogenproblematik weiterhin Abstinenz einzuhalten ist (vgl. Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Dt. Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Dt. Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Aufl. 2022, S. 165 ff. Kriterien D 2.4 N, D 2.5 K; vgl. auch die entsprechende Anforderung in bestimmten Fällen des Alkoholmissbrauchs, dazu BayVGH, B. v, 13.3.2025 – 11 ZB 24.2066 – juris Rn. 16 ff.), ob eine Abhängigkeit im Sinne von Nr. 9.2.3 der Anlage 4 zur FeV n.F. vorliegen könnte, ob beim individuellen Konsummuster überhaupt zu erwarten ist, dass das THC im Blutserum jemals unter den Grenzwert von 3,5 ng/ml absinkt (vgl. Derpa a.a.O. § 2 StVG FeV Rn. 56-62), ob also realistisch zu erwarten ist, dass der Konsum vom Fahren getrennt werden kann, oder ob ein regelmäßiger Gebrauch von Medizinalcannabis gemäß Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV n.F. zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit unter das erforderliche Maß führt. Die von der Fahrerlaubnisbehörde anzustellenden Ermittlungen sind nicht in das Entziehungsverfahren und das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzuverlagern. Das Ergebnis des Neuerteilungsverfahrens bleibt abzuwarten.

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