Verteidigervergütung nach Verbindung von Verfahren, oder: OLG Koblenz irrt gewaltig

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Und dann Gebührenfreitag.

Ich stelle heute zunächst einen „unschönen“ Beschluss des OLG Koblenz vor. In dem OLG Koblenz, Beschl. v. 19.02.2025 – 6 Ws 651/24 – geht es mal wieder um die Verteidigervergütung nach Verbindung von Verfahren. Die damit zusammenhängenden Fragen beschäftigen die (Ober)Gerichte immer wieder. Und die Entscheidungen sind für Verteidiger insbesondere deshalb von Bedeutung, weil häufig um recht hohe Beträge gestritten wird.

Folgender – etwas komplizierter – Sachverhalt:

Das AG hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Diesem Strafverfahren lagen das führende Ermittlungsverfahren FÜ V 1 und die Verbundverfahren V 2, V 3, V 4 sowie als sog. Fallakten geführte neun weitere Verfahren F 1 – F 9 zugrunde.

In dem führenden Verfahren FÜ V 1 erging am 18.08.2023 Haftbefehl gegen den Verurteilten. Im Rahmen der Haftvorführung am selben Tag wurde ihm der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet; dieser beantragte Akteneinsicht. Im Nachgang zum Vorführungstermin wiederholte er mit Schriftsatz vom 18.08.2023 seinen Antrag auf Akteneinsicht in das führende Verfahren und zeigte unter anwaltlicher Versicherung ordnungsgemäßer Vertretungsvollmacht die Verteidigung des Verurteilten auch „in allen von Ihnen, sehr geehrter Herr Staatsanwalt W. bekannt gegebenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren/Strafverfahren“ an. Zugleich beantragte er hinsichtlich der weiteren – nicht konkret bezeichneten – Ermittlungsverfahren Akteneinsicht und seine Bestellung als Pflichtverteidiger bereits im Vorverfahren. Ferner bat er darum, das Bestellungsschreiben zu den jeweiligen Verfahrensakten zu geben

Am 25.08.2023 verband die Staatsanwaltschaft die den neun Fallakten zugrundeliegenden Verfahren zunächst zu dem Verfahren V 2 hinzu. Mit Beschluss des AG vom 15.09.2023 wurde der Rechtsanwalt dem Verurteilten in diesem Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt. Am 22.9.2023 wurde ihm Akteneinsicht in das Verfahren V 2 einschließlich der neun Fallakten gewährt.

Mit staatsanwaltschaftlicher Verfügung vom 02.11.2023 wurden das Verfahren F 1 gemäß § 170 Abs. 2 StPO und das Verfahren F 9 hinsichtlich des Tatvorwurfs der Sachbeschädigung vorläufig gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt; am selben Tag wurde hinsichtlich der verbleibenden Fälle Anklage zum AG erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens am 16.11.2023 hat das AG am 28.11.2023 das Verfahren V 2 mit dem führenden Verfahren FÜ V 1 verbunden und zugleich die Pflichtverteidigerbestellung des Rechtsanwalts auf das hinzuverbundene Verfahren erstreckt. Durch Beschluss vom 14.12.2023 wurde der Verbindungsbeschluss dahingehend ergänzt, dass sich die Beiordnung des Rechtsanwalts auch auf die mit dem Verfahren V 2 verbundenen neun als Fallakten geführte Verfahren erstreckt.

Zuvor hat das AG am 16.10.2023 das Verfahren V 3 und am 13.11.2023 das Verfahren V 4 mit dem führenden Verfahren FÜ V 1 verbunden und jeweils die Pflichtverteidigerbestellung des Rechtsanwalts auf das hinzuverbundene Verfahren erstreckt, wobei in dem Verfahren V 3 die bis dahin bestehende Pflichtverteidigerbestellung des Rechtsanwalts aufgehoben wurde.

Nach Ende des Verfahrens hat der Rechtsanwalt die Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 8.017,80 EUR brutto beantragt. Dabei hat er neben den Gebühren für das führende Verfahren FÜ V 1 und die hinzuverbundenen Verfahren V 2, V 4 und V 3 für jede der neun Fallakten F 1 – F 9 die Festsetzung einer Grundgebühr (Nrn. 4101, 4100 VV RVG), einer Verfahrensgebühr (Nrn. 4105, 4104 VV RVG) und der Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) geltend gemacht. Das AG hat die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 3.191,58 EUR festgesetzt. Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts wurde als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Rechtsanwalt „sofortige Beschwerde“ eingelegt, mit welcher er die Festsetzung einer Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 8.017,80 EUR weiterverfolgt. Er ist der Auffassung, Grund- und Verfahrensgebühren sowie die Auslagenpauschale seien ihm gemäß § 48 Abs. 6 RVG jeweils auch für die als Fallakten geführten Verbundverfahren zuzuerkennen.

Nachdem das Verfahren gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen worden ist, hat diese mit dem angefochtenen Beschluss den Beschluss des AG abgeändert, die an den Rechtsanwalt zu zahlende Vergütung auf insgesamt 3.594,57 EUR festgesetzt und die weitere Beschwerde zugelassen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, der Rechtsanwalt habe eine gebührenauslösende Tätigkeit in den neun Fallakten vor der Verbindung mit dem Verfahren V 2 nicht glaubhaft gemacht. Zudem handele es sich insoweit nur um „eine Angelegenheit“ i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG, sodass auch aus diesem Grund keine eigenständigen Gebühren für die den Fallakten zugrundeliegenden Verfahren angefallen seien.

Im Einzelnen hat die Strafkammer dem Rechtsanwalt in dem Verfahren FÜ V 1 die Grundgebühr Nrn. 4100, 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nrn. 4104, 4105 VV RVG, eine Terminsgebühr Nrn. 4103, 4102 VV RVG, eine Terminsgebühr Nrn. 4108, 4109 VV RVG und zwei Auslagenpauschalen Nr. 7002 VV RVG sowie in den Verbundverfahren V 2 und V4 jeweils nur eine Grundgebühr Nrn. 4100, 4101 VV RVG, nur eine Verfahrensgebühr Nrn. 4104, 4105 VV RVG, eine Verfahrensgebühr Nrn. 4106, 4107 VV RVG und zwei Auslagenpauschalen Nrn. 7002 VV RVG sowie im Verbundverfahren V 3 eine Grundgebühr Nrn. 4100, 4101 VV RVG, eine Verfahrensgebühr Nrn. 4104, 4105 VV RVG, eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nrn. 4141, 4106, 4107 VV RVG und eine Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie weitere Auslagen und USt, insgesamt also 3.594,57 EUR zugesprochen.

Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Rechtsanwalts, mit welcher er weiterhin die Rechtsauffassung vertritt, bei den neun als Fallakten geführten Verfahren habe es sich bis zur Verfahrensverbindung vergütungsrechtlich um mehrere Angelegenheiten gehandelt, in denen gesonderte Gebühren entstanden seien. In den einzelnen Verfahren sei auch bereits vor der Verfahrensverbindung eine anwaltliche Tätigkeit erbracht worden. Diese sei in dem Schriftsatz vom 18.8.2023 zu sehen. Zudem sei mit dem Verurteilten anlässlich des Vorführungstermins über die Verteidigungsübernahme in sämtlichen Verfahren, das grundsätzliche Verteidigungsverhalten, das Akteneinsichtsgesuch und das Vorhaben, sich im Weiteren abzustimmen, gesprochen worden. Insoweit sei auch ohne Kenntnis des jeweiligen konkreten Tatvorwurfs eine sach- und fachgerechte Verteidigertätigkeit möglich.

Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg. Das OLG geht im OLG Koblenz, Beschl. v. 19.02.2025 – 6 Ws 651/24 – mit dem LG davon aus, dass die Vergütung nach den Nrn. 4100, 4101 und 4104, 4105 VV RVG sowie die Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) für die Tätigkeit des Verteidigers in dem Verfahren V 2 insgesamt nur einmal und nicht – wie von Rechtsanwalt beantragt – zusätzlich für jede der einzelnen Fallakten festzusetzen sei.

Wen die falsche Begründung des OLG interessiert, der kann sie im verlinkten Volltext nachlesen. Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze.

1. Voraussetzung dafür, dass der Pflichtverteidiger neben den Gebühren im führenden Verfahren weitere Gebühren für Tätigkeiten in hinzuverbundenen Verfahren erhält, ist, dass er in letzteren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist. Seine dahingehende Tätigkeit muss einen konkreten Verfahrensbezug dergestalt aufweisen, dass sie auf einen hinreichend nach Tatort und Tatzeit abgrenzbaren Tatvorwurf bezogen ist.

2. Für die Bestimmung des Begriffs derselben Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG ist maßgebend, wie die Strafverfolgungsbehörden die Sache behandeln. Dass aus organisatorischen oder statistischen Gründen zunächst separat geführte Verfahren eines Beschuldigten zu einem späteren Zeitpunkt zusammengeführt und dann einheitlich bearbeitet werden, begründet keine kostenrechtlich eigenständigen Angelegenheiten der Ursprungsverfahren.

Anzumerken ist hier – aus Platzgründen – nur Folgendes:

Wie gesagt „unschön“ und: Die Entscheidung lässt mich verärgert zurück. Denn es ist in meinen Augen mal wieder eine dieser Entscheidungen, der man – zumindest ich – deutlich anmerkt, dass man letztlich vom Ergebnis her argumentiert und sich sagt, dass kann doch wohl nicht sein, dass der Verteidiger für das bisschen Arbeit mehr als 8.000 EUR vergütet bekommen soll. Gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und die Vergabe gesonderter Aktenzeichen allein aus organisatorischen oder statistischen Gründen hat man nichts einzuwenden, jedenfalls erkenne ich das nicht. Aber, wenn sich daraus für den Verteidiger positive Gebührenfolgen ergeben, dann darf kann/darf das doch nicht sein. Und dann überlegt man, was man machen kann, um dessen Gebührenanspruch zu beschränken. Und wie so häufig in solchen Fällen kommt man dann zu falschen Lösungen. Warum falsch? Dazu nur kurz:

Das OLG irrt in seiner Annahme, der Verteidiger habe vor der Verbindung/Erstreckung keine Tätigkeiten in den Verfahren „Fallakten“ erbracht. Denn es übersieht, dass sowohl Grundgebühr als auch Verfahrensgebühr jeweils mit der ersten Tätigkeit des Verteidigers entstehen (ebenso falsch wie das OLG übrigens LG Siegen, Beschl. v. 19.2.2024 – 10 Qs 4/24; LG Hildesheim, Beschl. v. 31.1.2022 – 22 Qs 1/22; LG Koblenz, Beschl.- v. 18.11.2024 – 3 Qs 45/24). Die kann aber immer nur in einem Umfang erbracht werden, der dem Kenntnisstand des Verteidigers vom Verfahren bzw. den Verfahren entspricht. Und der war hier mager, aber das kann man dem Verteidiger doch nicht zurechnen. Denn was soll er, der von seinem Mandanten anlässlich des Vorführungstermins und des geführten Gesprächs über weitere Verfahren informiert worden ist, denn anderes tun, als die Verteidigungsübernahme in sämtlichen Verfahren zu erklären, das grundsätzliche Verteidigungsverhalten, das Akteneinsichtsgesuch und das Vorhaben, sich im Weiteren abzustimmen, mit dem Mandanten zu vereinbaren und das zu dem einzigen ihm zu dem Zeitpunkt bekannten Aktenzeichen mitzuteilen. Das war die zu dem Zeitpunkt mögliche „sach- und fachgerechte Verteidigertätigkeit“, in den auch von der Staatsanwaltschaft nur pauschal bekannt gegebenen Verfahren, die dann auch honoriert werden muss. Alles andere – Warten bis konkrete Verfahrensdaten bekannt gegeben sind – würde darauf hinauslaufen, die Staatsanwaltschaft zur Herrin über den Gebührenanspruch des Verteidigers zu machen und würde eine honorarlose Zeit entstehen lassen, in der der Verteidiger tätig wird und wegen der Mandatsübernahme tätig werden muss, ohne dass dafür Gebühren entstehen. Das sieht das RVG aber nicht vor und würde auch dem gesetzgeberischen Anliegen bei Schaffung des RVG, nämlich Verteidiger zu frühzeitigem Tätigwerden anzuregen, zuwider laufen.

Das OLG irrt auch bei der Annahme, es habe auch bis zur Verbindung der neun Fallaktenverfahren F 1 – F 9 mit dem Verfahren nur V 2 nur eine Angelegenheit vorgelegen. Es ist zwar alles richtig, was das OLG sich an Rechtsprechung und Literatur zusammen gesucht hat, um seine Auffassung zu stützen, nur zieht das OLG den falschen Schluss und übersieht das m.E. entscheidende Kriterium, dass nämlich die neun Fallakten alle ein eigenes Aktenzeichen hatten, von der Staatsanwaltschaft also als eigenständige Ermittlungsverfahren angesehen wurden. Dabei ist es völlig egal, ob man aus statistischen Gründen – um also ggf. eine höhere Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaft „vorzutäuschen“ – so vorgegangen ist. Das interessiert in dem Zusammenhang den Verteidiger nicht. Im Übrigen lässt sich doch kaum deutlicher als durch die Vergabe eine eigenständigen Aktenzeichens für jede vom Beschuldigten angeblich begangene Tat nach außen hin zeigen, dass man von Eigenständigkeit ausgeht.

Fazit: Gewogen und erheblich zu leicht befunden.

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