Heute gibt es dann mal drei etwas ungewöhnliche Entscheidungen bzw. Entscheidungen, mit deren Thema man als Rechtsanwalt/Verteidiger sicherlich nich jeden Tag zu tun hat.
Ich starte mit dem LG Verden, Beschl. v. 14.04.2025 – 2 Qs 35/25. In dem Beschluss geht es um die Herausgabe beschlagnahmter Kryptowerte. Die Antragstellerin war im Frühjahr 2023 Opfer eines Ransomware-Angriffs. Im Zuge des Angriffs verschafften sich die Täter Zugang zum IT-System der Antragstellerin. Die Datenbanken und Anwendungen (inkl. Kundendaten) wurden durch die Angreifer verschlüsselt, sodass die Mitarbeiter der Antragstellerin keinen Zugriff mehr auf diese hatten. Zur Wiederherstellung des Zugriffs forderten die Täter ein Lösegeld in Höhe von 400.000,00 $. Man einigte sich mit den unbekannten Tätern schließlich auf ein Lösegeld in Höhe von 7,41598504 Bitcoin zum damaligen Kurswert von 202.000,00 €. Das Lösegeld wurde in Form von Bitcoin in zwei Zahlungen von jeweils ca. 100.000,00 € an zwei unterschiedliche Bitcoin-Wallets gezahlt. Die Kryptowerte wurden über unterschiedliche Zwischenkonten schließlich auf zwei Wallets überwiesen, ein Wallet verwaltet durch die Kryptoexchange-Plattform Binance, das andere durch die Kryptoexchange-Plattform Huobi. Von den insgesamt 7,41598504 Bitcoin landeten letztlich insgesamt 3.381079 Bitcoin auf dem Wallet bei der Kryptoexchange-Plattform Binance.
Als Inhaber des Wallets auf der Plattform Binance konnte pp. ermittelt werden. Mit Beschluss des AG wurde ein Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des pp. angeordnet. Es wurden zudem sämtliche Ansprüche des pp gegen die Binance Holdings Ltd. bis zu einer Höhe von 7,41598504 Bitcoin gepfändet. Da ein Nachweis individueller Bitcoins nicht möglich sei, wurde die Einziehung einer Kryptowährung, die dem Wert des Erlangten (7,41598504 Bitcoin) entspricht, angeordnet. Die Binance Ltd. transferierte dann 3.674,34 Solana, äquivalent zu 7,41598504 Bitcoin, auf ein Paper-Wallet der Polizei Nordrhein-Westfalen.
Die Antragstellerin hat Antrag auf Rückgabe der beschlagnahmten Kryptowährungen gestellt. Das AG hat das abgelehnt. Die Beschwerde hatte beim LG Verden keinen Erfolg.
„1.a) Das Amtsgericht hat den Antrag auf Herausgabe von 7,41598504 Bitcoin bzw. 3.674,34 Solana (im folgenden Kryptowerte) an die geschädigte Antragstellerin im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antragstellerin steht kein Anspruch gemäß § 111n Abs. 1 StPO hinsichtlich der sichergestellten 3.674,34 Solana zu.
b) Gemäß § 111n Abs. 1 StPO wird eine bewegliche Sache, die nach § 94 StPO beschlagnahmt oder auf andere Weise sichergestellt oder nach § 111c Abs. 1 StPO beschlagnahmt worden ist und für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben. Eine analoge Anwendung auf Forderungen, die der Beschuldigte aus der Straftat erlangt hat, ist ausgeschlossen (Huber in BeckOK StPO, 54. Edition, Stand 01.01.2025, § 111n, Rn. 7). Die Herausgabe beweglicher Sachen wird damit bis zum Eigentumsübergang auf den Staat infolge einer rechtskräftigen Einziehungsanordnung vollständig in der Strafprozessordnung geregelt (BT-Drs. 18/9525, Bl. 83). Forderungen und Daten sind keine beweglichen Sachen, sondern nur die Urkunden und Datenträger, auf denen sie gespeichert sind (vgl. Hohmann in MüKo StPO, 4. Auflage 2021, Rn. 11). Bei Kryptowerten handelt es sich um digitale Vermögenswerte ohne Sachqualität (umfassend zur Einordnung Rieländer ZEuP 2024, 769).
Entsprechend dieser Maßstäbe handelt es sich bei den sichergestellten Kryptowerten nicht um bewegliche Sachen im Sinne des § 111n Abs. 1 StPO, weshalb nach dieser Vorschrift kein Anspruch auf Herausgabe besteht.
2.a) Der Antragstellerin steht auch kein Anspruch auf Herausgabe der Kryptowerte analog § 111n Abs. 1 StPO zu. Für eine analoge Anwendung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage.
b) Zwar ist die Vorschrift des § 111n Abs. 1 StPO grundsätzlich analogiefähig, da es sich nicht um einen Strafausspruch handelt, dessen Grundlage außerhalb des Gesetzes weder geschaffen noch verschärft werden darf (BGH NJW 2007, 3352 zu § 111k StPO a.F). Es liegt aber bereits keine planwidrige Regelungslücke vor. Inbegriff der planwidrigen Regelungslücke ist, dass der streitgegenständliche Sachverhalt (noch) nicht gesetzlich geregelt ist und die Nichtregelung durch den Gesetzgeber unabsichtlich unterblieben ist. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.
c) Der Gesetzgeber hat die Herausgabe von nicht beweglichen Sachen an den letzten Gewahrsamsinhaber, § 111n Abs. 1 StPO, oder den Geschädigten, § 111n Abs. 2 StPO, im Ermittlungsverfahren (d.h. in den §§ 111c ff. StPO) bewusst nicht geregelt mit der Absicht, dass beschlagnahmte nicht bewegliche Sachen an diese Personen nicht im Wege einer vorläufigen Entscheidung herausgeben werden sollen.
aa) Im Rahmen der Beschlagnahmeregelungen, §§ 94 ff. StPO, und den Vorschriften zur Vollziehung der Beschlagnahme, §§ 111c ff. StPO, verwendet der Gesetzgeber unterschiedliche Begriffe, um das Objekt der Regelung zu beschreiben. In § 94 Abs. 1 StPO schreibt der Gesetzgeber vor, dass Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen sind. In § 111c Abs. 1 StPO sieht der Gesetzgeber vor, dass die Beschlagnahme einer beweglichen Sache dadurch vollzogen wird, dass die Sache in Gewahrsam genommen wird. Die Beschlagnahme einer Forderung oder eines anderen Vermögensrechtes, das nicht den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegt, wird hingegen durch Pfändung vollzogen, § 111c Abs. 2 Satz 1 StPO. Zuletzt regelt § 111c Abs. 3 StPO die Beschlagnahme von Grundstücken oder Rechten hieran.
bb) Der Antragstellerin ist insoweit zuzustimmen, dass der Anwendungsbereich des § 94 Abs. 1 StPO nicht auf körperliche Gegenstände beschränkt wurde. Der Begriff des „Gegenstands“ im Sinne des § 94 StPO ist vielmehr weiter als der der beweglichen und unbeweglichen Sachen (BVerfG NJW 2005, 1917, 1920). Erfasst wird alles, was einen Beweiswert haben und für die Untersuchung von Bedeutung sein kann (BVerfG a.a.O). Die verfahrensbezogene Konkretisierung hat der Richter von Verfassungs wegen im jeweiligen Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschluss zu leisten (BVerfG a.a.O). Demgegenüber ordnet der Gesetzgeber die Gesamtheit an beschlagnahmefähigen Gegenständen in § 111c Abs. 1-3 StPO in drei Kategorien: die beweglichen Sachen (worunter auch Schiffe und Flugzeuge gemäß § 111c Abs. 4 StPO fallen), Forderungen und andere Vermögenswerte sowie Grundstücke und Rechte an diesen. Der Gesetzgeber hat in § 111c StPO bewusst diese drei Kategorien geschaffen und für diese Kategorien unterschiedliche Regelungen vorgesehen. Da es sich bei Kryptowerten nicht um beweglichen Sachen handelt (s.o) und auch nicht um Grundstücke oder Rechte an diesen, unterfallen sie der Regelung der „anderen Vermögensrechte“ (BGH Beschl. v. 27.07.2017 – 1 StR 412/16; Bittmann in MüKo a.a.O., § 111c, Rn. 5 m.w.N).
cc) Dieser Kategorisierung folgend verwendet der Gesetzgeber in § 111n Abs. 1 StPO ausdrücklich den Begriff der „beweglichen Sache“, identisch zu § 111c Abs. 1 Satz 1 StPO, und verweist im Rahmen des § 111c StPO auch nur auf den Absatz 1, der die beweglichen Sachen betrifft, und gerade nicht auf Absatz 2, der Forderungen und andere Vermögenswerte betrifft. Aufgrund des identischen Wortlautes (bewegliche Sachen) von § 111n Abs. 1 und 111c Abs. 1 StPO, des konkreten Verweises auf § 111c Abs. 1 (und nicht Abs. 2) StPO und des erklärten Willens des Gesetzgebers, die Herausgabe beweglicher Sachen infolge einer rechtskräftigen Einziehungsanordnung vollständig in der Strafprozessordnung zu regeln (BT-Drs. 18/9525, Bl. 83), ist es fernliegend, diese Regelungslücke als planwidrig anzusehen. Diese Argumente sprechen vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber bewusst die Herausgabe nur für bewegliche Gegenstände, nicht aber für Forderungen und andere Vermögenswerte, regeln wollte.
dd) Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die Regelung des § 111n Abs. 1 StPO bzw. § 111k StPO a.F., im Wesentlichen seit 1974 und damit vor der Entwicklung von Kryptowerten unverändert geblieben ist. Die Kammer zieht hieraus jedoch nicht den Schluss, dass allein deswegen schon eine Regelungslücke vorliegt. Es ist vielmehr der Sinn von Gesetzen, die ihrer Natur nach abstrakt-generelle Regelungen sind, auch künftige Entwicklungen zu erfassen, soweit sich diese unter den Tatbestand subsumieren lassen, wie es bei Kryptowerten unter dem Begriff der „anderen Vermögenswerte“ gemäß § 111c Abs. 2 Satz 1 StPO der Fall ist.
ee) Auch das weitere Vorbringen der Antragstellerin, dass sich der Gesetzgeber nicht zur Herausgabe von Forderungen verhalte, ist unzutreffend. Neben der genannten Negativregelung trifft der Gesetzgeber eindeutige Regelungen zum Verhältnis der Arrestmasse zu zivilrechtlichen Forderungen und Titeln. Gemäß § 111h Abs. 2 StPO ist die Zwangsvollstreckung in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gemäß § 111f StPO gesichert worden sind, ausgeschlossen. Der Gesetzgeber bringt mit dieser Regelung gerade zum Ausdruck, dass für die Dauer des Arrestes keine Befriedigung einzelner Gläubiger erfolgen soll, sondern die Befriedigung der Gläubiger im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach rechtskräftiger Entscheidung über die Einziehung erfolgen soll, vgl. §§ 459h ff. StPO.
d) Es liegt jedenfalls auch keine vergleichbare Interessenlage zwischen Kryptowerten und beweglichen Sachen vor.
aa) § 111n StPO hat als vorläufige Besitzstandsregelung nur den Gewahrsam im Blick, ohne dafür jedoch selbst abschließende Regelungen zu treffen (Bittmann MüKo a.a.O., § 111n, Rn. 15). Er knüpft vielmehr direkt an das Besitzrecht des BGB an (Bittmann ebenda). § 111n StPO beabsichtigt die Herausgabe an denjenigen, der nach dem BGB das beste Recht zum Besitz hat (Bittmann ebenda m.w.N). Auf Surrogate einer durch die Straftat entzogenen Sache findet § 111n StPO deshalb keine Anwendung, auch nicht bei Verarbeitung oder Vermischung der entzogenen Sache (Huber a.a.O. Rn. 9). Mangels Körperlichkeit von Kryptowerten kann an diesen kein Besitz begründet werden.
bb) Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin, dass die Blockchain-Technologie einen besitzähnlichen Zustand schaffe, liegt ein solcher Zustand bei Kryptowerten nicht vor. Zwar ist der Antragstellerin soweit zuzustimmen, dass die Blockchain grundsätzlich eine transparente und fälschungssichere Zuordnung von Kryptowerten zu einer Blockchain-Adresse ermöglicht. Diese Zuordnung erfolgt aber nicht über ein besitzähnliches Herrschaftsverhältnis an einem individualisierbaren Bitcoin, sondern ähnlich zu sonstigem Buchgeld in der Form, dass das Guthaben einer Bitcoin-Adresse festgehalten wird. Sobald von unterschiedlichen Adressen Bitcoin an die gleiche Adresse geschickt werden, können die einzelnen Bitcoin nicht mehr individualisiert werden, sondern es kann, wie auch bei Buchgeld, nur noch das Saldo festgestellt werden (vgl. Bericht zum Genesis Request & Analyse der Binance Auskunft, Bl. 180 ff. I SH Beschwerde).
cc) Die Antragstellerin dringt auch nicht damit durch, dass im Rahmen der Bitcoin-Blockchain kein mit einem Zahlungsdienstvertrag im Sinne des § 675f ff. BGB vergleichbares Schuldverhältnis begründet wird. Jedenfalls in Fällen wie dem Vorliegenden, in denen eine Online-Plattform die Verwaltung der Private Keys übernimmt, hat der Nutzer dieser Plattform nur schuldrechtliche Ansprüche gegen den Betreiber der Plattform. Er hat hingegen keine eigene Kontrolle über die Private Keys und hat deshalb auch keinen eigenen Zugriff auf „seine“ Kryptowerte. Aus diesem Grund erfolgte die Beschlagnahme auch nicht über die Ingewahrsamnahme, vgl. § 111c Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern über den Arrest und die Pfändung der Forderungen des xxx gegenüber der Binance Holding Ltd. (Bl. 20 ff. und 31 ff. II SH Beschwerde), vgl. § 111c Abs. 2 Satz 1 StPO.
dd) Eine analoge Anwendung des § 111n StPO auf Kryptowerte ist auch nicht zum Schutz der Interessen der Geschädigten erforderlich. Die Interessen der Geschädigten werden im Rahmen der vorläufigen Sicherung und im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens ausreichend berücksichtigt.
(1) Sofern der Geschädigte ein Interesse an einer zeitnahen Befriedigung aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse infolge der Straftat vorträgt, so ist dies zwar dem Grunde nach nachvollziehbar. Für eine Befriedigung im Ermittlungsverfahren stehen diesem Interesse aber die berechtigen Interessen anderer Geschädigter gegenüber. Zum Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens, gerade im Rahmen von Geldwäscheverfahren, ist in der Regel noch unklar, in welchem Umfang Geschädigte Forderungen hinsichtlich der sichergestellten Vermögenswerte geltend machen werden. Die Vorschriften im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens, §§ 459h StPO ff. StPO, treffen diesbezüglich abschließende Regelungen, die sicherstellen, dass eine anteilige Verteilung auf alle Gläubiger erfolgt. Diese Regelungen können nicht dadurch unterlaufen werden, dass einzelne Geschädigte bereits vorab, und deshalb gegebenenfalls in ungerechtfertigter Höhe, befriedigt werden.
(2) Das von der Antragstellerin vorgetragene Interesse, einen Wertverlust aufgrund von Kursschwankungen zu vermeiden, wird hingegen durch die bestehenden Regelungen bereits ausreichend geschützt. Der Antragstellerin ist zwar darin zuzustimmen, dass gerade bei Kryptowerten ein erhebliches Kurs- bzw. Marktrisiko besteht. Dies zeigt sich hier daran, dass seit der Überweisung der Solana am 02.04.2024 an die Polizei Nordrhein-Westfalen bis heute bereits ein Kursverlust von 33,75 % eingetreten ist und im Vergleich zwischen dem Höchstwert im Januar 2025 und dem Tiefstwert im April 2025 ein Kursverlust von 62,14 %. Im Verlauf der letzten 3 Jahre zeigte sich eine Volatilität, die regelmäßig deutlich über 10 % lag und auch im Verlauf der letzten Woche 10 % übertraf. Eine Vorhersage künftiger Wertsteigerungen dürfte vor dem Hintergrund der historischen Kursentwicklung von Kryptowerten und ihrer besonderen Volatilität nicht möglich sein (vgl. auch Wühr in BeckOK StVollstrO, 15. Edition, Stand 16.12.2024, § 77a, Rn. 16). Den sich hieraus ergebenden Gefahren trägt der Gesetzgeber jedoch mit der Möglichkeit der Notveräußerung gemäß § 111p StPO ausreichend Rechnung. Ob hiervon Gebrauch zu machen ist, hat die Staatsanwaltschaft nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
ee) Letztlich verbietet sich eine analoge Anwendung auf den vorliegenden Fall auch deswegen, weil entsprechend des Vortrages der Antragstellerin gerade nicht die gezahlten Bitcoins, sondern „nur“ die auf dem Konto des Beschuldigten xxx befindliche Solana in entsprechender Höhe beschlagnahmt wurden. Die Antragstellerin hat zu keinem Zeitpunkt Solana besessen oder an die Täter überwiesen. Auf Surrogate findet die Regelung des § 111n StPO aber auch bei beweglichen Sachen keine Anwendung (Huber a.a.O. Rn. 9).“