StGB II: Strafantragsfrist bei Internetbeleidigung, oder: „„kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“

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Im zweiten Posting dann etwas aus dem Bereich der Beleidigungsdelikte, und zwar den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.03.2025 – 3 ORs 310 SRs 59/25.

Der der Angeklagten zur Last gelegte Vorwurf stammt noch aus der Corona-Zeit. Das AG hatte wegen Beleidigung eines Arztes verurteilt. Nach den Feststellungen des AG hat die Angeklagte am 20.10.2022 gegen 10:57 Uhr als Nutzerin des Twitter-Accounts „pp.“ den Kinderarzt pp. mit den Worten „kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“ beleidigt und den Hashtag „#Genozid“ angehängt, um ihre Missachtung auszudrücken. Dem Tweet habe sie einen auf BR24 veröffentlichten Beitrag über den Geschädigten mit dessen Bild beigefügt. Die Sprungrevision hatte beim OLG Erfolg.

„1. Ein Verfahrenshindernis liegt entgegen der Auffassung des Verteidigers allerdings nicht vor. Insbesondere fehlt es nicht an einem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen innerhalb der Frist des § 77b StGB eingegangenen und gemäß § 158 Abs. 2 StPO formgerecht gestellten Strafantrag.

Zwar wurde der in der Hauptverhandlung verlesene Strafantrag erst am 09.01.2023 gestellt, wäh-rend die per E-Mail durch den Geschädigten gestellte Strafanzeige bereits am 07.08.2022 einge-gangen war. Wäre für den Fristbeginn der dreimonatigen Strafantragsfrist nach § 77b Äbs. 1 StGB diese Strafanzeige entscheidend, so wäre die Frist am 09.01.2023 bereits abgelaufen gewesen. Allerdings beginnt der Lauf der Frist erst mit Kenntnis des Antragsberechtigten von der Tat und von der Person des Täters, § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB. Hierzu müssen Tat und Tatbeteiligter so weitgehend konkretisiert sein, dass ein besonnener Mensch in der Lage ist zu beurteilen, ob er Strafantrag stellen soll (BGH, Beschluss vom 29.10.1998 – 5 StR 288-98 – , NJW 1999, 508, 509). Zwar muss dem Antragsteller nicht zwingend der vollständige Name des Täters bekannt sein. Allerdings muss jedenfalls eine hinreichende Individualisierbarkeit gegeben sein (BeckOK-Dallmeyer, StGB, 64. Edition, Stand: 01.02.2025, § 77b Rn. 4). Diese Voraussetzungen lagen vor dem 09.01.2023 nicht vor,

Anders als vom Verteidiger vorgetragen, sind die hierzu ergangenen Entscheidungen über die hinreichende Erkennbarkeit des Täters bei Verkehrsstraftaten (BayObLG, Beschluss vom 21.07.1993 – 2 StR RR 91/93 -, NStZ 1994, 86; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.03.1954 – Ws 392/53 -, NJW 1955, 73) nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. So ist in diesen Fällen eine gute Individualisierbarkeit bereits durch die Wahrnehmbarkeit eines einzigartigen Kfz-Kennzeichens gegeben. Eine solche Möglichkeit besteht bei einer Kommentierung von Beiträgen in sozialen Netzwerken im Internet gerade nicht. Diese ist gekennzeichnet durch die Nutzung von – nicht zwingend mit dem Klarnamen übereinstimmenden – Profilnamen. Häufig werden Abkürzungen, Verfremdungen des Namens oder gänzliche Fantasienamen kreiert. In vielen Fällen wird auch ge-zielt ein fremder Name benutzt. Allein durch die Kenntnis eines Profilnamens gelingt dem Anzei-geerstatter daher noch keine Individualisierung. Diese kann lediglich durch – den Ermittlungsbe-hörden vorbehaltene – Auskünfte des jeweiligen Plattformbetreibers und anschließende Provider-anfragen erfolgen. Selbst diese führen aufgrund falscher E-Mail-Adressen oder fehlender Zuor-denbarkeit einer Mobiltelefonnummer zu einer bestimmten Person häufig nicht zu der Ermittlung eines Tatverdächtigen. Der Anzeigeerstatter hatte daher bei Kenntnis des Kommentars am 07.08.2022 noch keinerlei Kenntnis über die hinter dem Kommentar stehende Person und auch keine Möglichkeit, diese näher zu identifizieren.

Hinzu kommt, dass der Grund für die geringen Anforderungen an die Kenntnis des Täters in den beiden zitierten Entscheidungen auch darin liegt, dass bei Straßenverkehrsstraftaten die Kenntnis von Namen und Lebensumständen des dem Geschädigten meist unbekannten Täters für die Frage der Antragstellung ohne Bedeutung ist (so ausdrücklich OLG Stuttgart, a. a. 0.). Anders gelagert sind dagegen die Fälle im Internet eingestellter Kommentare. Hier wird für den Anzeigeerstat-ter häufig die Kenntnis des Namens des Täters relevant sein, da entsprechende Kommentare oft durch dem Geschädigten bekannte Personen eingestellt werden, die der Geschädigte möglicherweise nicht anzeigen will. Die Kenntnis des Namens wird für den Anzeigeerstatter daher in der Regel wichtig sein, um herausfinden zu können, ob es sich um eine ihm bekannte oder eine ihm fremde Person handelt. Bei Äußerungen, die wie hier das berufliche Umfeld des Geschädigten betreffen, wird dieses Interesse an der Identität des Täters häufig noch stärker sein. So kann allein bei Kenntnis des Namens herausgefunden werden, ob es sich bei dem Täter um eine dem Anzeigeerstatter eventuell aus dem beruflichen Umfeld bekannte Person handelt. Des Weiteren bleibt es bei Internet-Beiträgen oft nicht bei der einmaligen Einstellung eines Betrages, sondern es kommt zu wiederkehrenden Auseinandersetzungen einer Person mit einem bestimmten Thema. Auch insoweit kann der Anzeigeerstatter nur dann herausfinden, ob es sich bei dem Verfasser um eine Person handelt, die bereits einmal einen Text über ihn verfasst hat, oder eine Person, die er – auch aus diesem Zusammenhang – noch nicht kennt.

Die für Verkehrsstraftaten in der Rechtsprechung teilweise entwickelten Grundsätze sind damit auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Besonderheiten der Tatbegehung durch Kommentierungen im Internet berücksichtigend war dem Geschädigten erst zuzumuten, Strafantrag zu stellen, nachdem er von der Polizei nach Abschluss der hierzu getätigten Ermittlungen am 09.01.2023 über den ermittelten Klarnamen der Angeklagten informiert worden war. Der an diesem Tag vom Geschädigten unterzeichnete Strafantrag wurde somit form- und fristgerecht gestellt.

2. Die Revision führt jedoch auf die allgemeine Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, da die Urteilsgründe lückenhaft sind und daher nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht zu Unrecht von einer Erfüllung des Tatbestands der Beleidigung ausgegangen ist. Die getroffenen Tatsachenfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht…..“

Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Hier dazu nur der Leitsatz:

Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen.

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