StGB II: Drohung mit einem empfindlichen Übel, oder: Scheidung und Rückführung der Ehefrau nach Syrien

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Und als zweite Entscheidung dann der recht „frische“ OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2025 – III-3 Ws 442/24. Es handelt sich um eine „Nichteröffnungsentscheidung“ des OLG. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten Anklage wegen zwei Fällen der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 StGB) sowie wegen zwei Fällen der (vorsätzlichen) Körperverletzung (§ 223 StGB) erhoben und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor der großen Strafkammer beantragt.

Das konkrete Tatgeschehen ist in dem veröffentlichten Beschluss im Hinblick auf § 353d Nr. 3 StGB nicht enthalten.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen“ abgelehnt und im Übrigen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – eröffnet. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG hat die eine Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen verneint, die zweite hingegen bejaht. Ich stelle hier aber nur die Ausführungen des OLG zur rechtlichen Würdigung ein, die tatsächliche Würdigung mag bei Interesse selbst gelesen werden. Das OLG führt in soweit aus:

„aa) Unzutreffend ist zwar die Auffassung der Strafkammer, dass die Inaussichtstellung von Scheidung und Rückführung nach Syrien bei dem gebotenen individuell-objektiven Maßstab, wonach auf den Opferhorizont abzustellen ist und der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung zukommt (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2019 – 2 Ws 341/18 – juris – m. Anm. Riedel jurisPR-StrafR 8/2019 Anm. 4; Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Auf., § 240 Rdn. 84, jew. m.w.N.), hier keine Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen könne. Es ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die (damals 24-jährige) Zeugin die Ehe mit dem Angeklagten offenbar nur oder jedenfalls wesentlich auch deswegen eingegangen ist, um im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen zu können. Der Angeklagte befindet sich schon mehrere Jahre in Deutschland. Die Zeugin hat zum Kennenlernen zwischen ihr und dem Angeklagten angegeben, dass zwischen ihren Eltern und dem Angeklagten ein entfernter Verwandtschaftsgrad bestehe und man sich im Februar 2023 über einen Videochat kennen gelernt habe. Sie und der Angeklagte hätten dort alle zwei Tage miteinander gesprochen. Manchmal sei er in den Gesprächen nett gewesen, teilweise aber auch nicht. Er habe ihr versprochen, in Deutschland zur Schule gehen zu können und Deutsch zu lernen. Im Oktober 2023 habe man in Syrien standesamtlich geheiratet, wobei der Angeklagte per Videochat zugeschaltet gewesen sei. Der Umstand, dass die Zeugin, den Angeklagten, den sie nicht persönlich kannte, und der schon beim Kennenlernen im Videochat nur teilweise „nett“ zu ihr war, gleichwohl geheiratet hat, deutet im Zusammenhang mit dem in Aussicht gestellten Schulbesuch darauf hin, dass die Zeugin sich in ihrer Heimat derart unwohl oder diskriminiert fühlte, dass sie eine Ehe mit dem Angeklagten unter diesen Umständen vorzog, um nach Deutschland zu gelangen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Rückkehr in ihr Heimatland grundsätzlich geeignet sein könnte, ein empfindliches Übel darzustellen. Insoweit wären im weiteren Verfahren freilich noch die konkreten Umstände, die sie bei einer Rückkehr erwarteten (etwa: Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines offenbar erwünschten Schulbesuchs, bzw. Studienwunsches – vgl. Bl. 5. d.A. etc.) zu ermitteln und aufzuklären. Dass der Zeugin bei Rückkehr nach Syrien derartige erhebliche Unzuträglichkeiten durchaus drohen ist aber naheliegend und wahrscheinlich in dem o.g. Sinne, angesichts des Umstands, dass die Zeugin die Umstände, wie Heirat eines nicht persönlich bekannten Mannes, Verlassen des Heimatlandes etc. auf sich nahm. Der Inaussichtstellung solcher diskriminieren Lebensverhältnisse einer jungen Frau, der wesentliche Lebens- und Bildungschancen genommen werden, müsste die Zeugin nach dem Dafürhalten des Senats auch nicht in „besonnener Selbstbehauptung“ (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. § 240 Rdn. 32a) standhalten. Das Nachgeben des Tatopfers, stellt dann keine „ungewöhnliche (Extrem-)Reaktion von Überängstlichen“ dar, welche bei der gebotenen individuell-objektiven Betrachtungsweise auszuklammern wäre (vgl. Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Aufl., § 240 Rdn. 84).

Ist dem so, so handelt es sich durchaus um ein Übel, auf das der Angeklagte nach dem Vorstellungsbild der Geschädigten Einfluss hat, denn nach ihrer Auffassung hängt ihr Aufenthaltsrecht erkennbar mit dem stattgefundenen Familiennachzug, also der Ehe, zusammen, wie auch ihre mehrfache Frage (s. Eindrucksvermerk, Bl. 17 d.A.), ob sie im Falle der Scheidung wieder in ihre Heimat zurück müsse, zeigt. Unerheblich ist dabei, ob der Angeklagte Däne (so die Personalien in der Anklageschrift) oder Syrer (so die Konkretisierung der Anklageschrift) ist. Insofern käme es auf die Frage, ob der Zeugin im Falle einer Rückkehr nach Syrien Tod oder Diskriminierung gedroht hätten, nicht an.

Nur ergänzend und im Hinblick auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft macht der Senat diesbezüglich darauf aufmerksam, dass die bisherigen knappen Ermittlungen nichts dafür ergeben haben, dass der Angeklagte der Zeugin auch in Aussicht gestellt hat, ihre durch ihn angeblich stattgefundene Vergewaltigung in ihrem Umfeld in Syrien publik zu machen. Woher man in Syrien also gewusst haben sollte, dass sie Opfer einer Sexualstraftat gewesen sein soll und nicht lediglich als geschiedene Ehefrau zurückkehrt, erschließt sich nicht aus den Akten. Auch dürfte für die Darlegung einer von der Staatsanwaltschaft angenommenen Verfolgungssituation in Syrien ein Redeausschnitt eines Mitglieds einer syrischen Frauenrechtsorganisation anstelle etwa offizieller Auskünfte des Auswärtigen Amtes o.ä., noch dazu ungeachtet der Betrachtung des konkreten Umfelds, in das die Zeugin, die nach ihren Angaben in Syrien kein Kopftuch trug (was für ein eher gemäßigtes Umfeld sprechen könnte), zurückkehren würde (städtisch/ländlich, islamistisch /liberal etc.), nur wenig aussagekräftig sein. Dies ist bisher völlig unausermittelt.

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