Heute dann ein weiterer „Hafttag“, und zwar vor allem deshalb, um den BVerfG, Beschl. v. 05.02.2025 – 2 BvR 24/25 u. 2 BvR 69/25, über den ja auch schon anderweitig berichtet worden ist, vorzustellen. Thema: Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen – Stichwort mal wieder: Terminsdichte.
Die Angeklagten befinden sich wegen des dringenden Tatverdachts insbesondere des versuchten Mordes in zehn tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung seit dem 01. bzw. 14.07.2023 in Untersuchungshaft. Das LG hat mit Beschluss vom 03.04.2024 das Hauptverfahren eröffent und Haftfortdauer angeordnet. Die Vorsitzende bestimmte den ersten Hauptverhandlungstermin auf den 03.05.2024. Dabei setzte sie zunächst sechs Hauptverhandlungstermine im Zeitraum vom 03.05. bis zum 24.06.2024 an und bestimmte im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung sukzessive weitere 15 Termine bis zum 17.12. 2024, mithin insgesamt 21 Termine.
Die Verteidiger der Beschwerdeführer haben dann am 16.10.2024 im Wege der Haftprüfung die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Das LG hielt den Haftbefehl aufrecht und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Dagegen die Beschwerde. Die StK-Vorsitzende hat dem OLG im Zuge des Beschwerdeverfahrens mitgeteilt, dass sechs weitere Fortsetzungstermine bis zum 14.02.2025 bestimmt worden seien. Das OLG hat die Beschwerden als unbegründet verworfen. Gegen diesen Beschluss wenden sich die Angeklagten mit ihren Verfassungsbeschwerden, die Erfolg hatten.
Ich erspare mir das Einstellen der allgemeinen Ausführungen des BVerfG zur Beschleunigung und zur Begründungstiefe. Das haben wir alles schon oft gelesen, leider zu oft. Auch den Inhalt der einzelnen Stellungnahmen übergebe ich dem Selbstleseverfahren. Hier kommt nur das, was das BVerfG konkret zum Verfahren ausführt:
„2. Diesen Vorgaben genügt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts nicht. Er zeigt keine besonderen Umstände auf, die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft im Streitfall verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen könnten, und wird damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen nicht gerecht.
a) Das Oberlandesgericht selbst weist zunächst zutreffend darauf hin, dass Verhandlungsdichte und -intensität der Strafkammer den – auch aus verfassungsrechtlichen Gründen – grundsätzlich an die Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes zu stellenden Anforderungen nicht entsprechen. Das Landgericht hat in jedem der vom Oberlandesgericht in den Blick genommenen Betrachtungszeiträume weit weniger als an durchschnittlich einem Tag pro Woche verhandelt, bis zum avisierten Ende der Hauptverhandlung am Februar 2025 an nur 27 Tagen innerhalb von 41 Wochen und damit an 0,66 Tagen pro Woche. Die Verhandlungsdichte sinkt noch weiter, wenn man – wie die Beschwerdeführer in ihren Aufstellungen darlegen – die fünf Sitzungstage vom 31. Juli, 9. August, 4. Oktober, 23. Oktober 2024 und 7. Januar 2025 nicht einbezieht, an denen zwar Urkunden verlesen beziehungsweise Zeugen vernommen wurden, jedoch weniger als eine Stunde verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend gefördert wurde (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12 -, Rn. 52). Angesichts der gegebenen Terminsfrequenz hätte für das Oberlandesgericht Anlass dazu bestanden zu prüfen, ob die Strafkammer ihrer Aufgabe einer vorausschauenden straffen Hauptverhandlungsplanung bei einem – wie hier – umfangreichen Verfahren hinreichend nachgekommen ist (vgl. BVerfGK 7, 21 <46>; 7, 140 <158>).
b) Eine tragfähige Begründung, die die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft trotz der geringen Verhandlungsdichte und -intensität – ausnahmsweise – rechtfertigen könnte, enthält der angegriffene Beschluss indes nicht. Dabei kann dahinstehen, ob sich die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben bezüglich Verhandlungsdichte und -intensität in Haftsachen grundsätzlich nicht zu vereinbarende Verfahrensgestaltung vom 24. Juni 2024 bis zum 5. September 2024 im Streitfall noch damit rechtfertigen ließe, dass aufgrund nachträglicher Informationen in erheblichem Umfang Nachermittlungen erforderlich wurden, deren Ergebnisse erst abgewartet werden mussten. Denn jedenfalls verletzen die seit dem 5. September 2024 durchgehend unterbliebenen Bemühungen um eine Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGK 12, 166 <168>; dazu Gericke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 121 Rn. 22a; Böhm, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 121 Rn. 52).
aa) Dem angegriffenen Beschluss lässt sich nicht nachvollziehbar entnehmen, warum im Zeitraum vom 5. September bis zum 1. November 2024 ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht vorliegen soll, obwohl doch – wie das Oberlandesgericht selbst ausführt – mit Ausnahme der vom Handy der Zeugin R. stammenden Chatnachrichten, die in der Folge noch verzögerungsfrei zum Gegenstand eines Selbstleseverfahrens gemacht worden seien, alle anderen aus Sicht der Strafkammer vorzunehmenden Beweiserhebungen bereits durchgeführt gewesen waren. Der vage Hinweis auf die von der Verteidigung benötigte – für sich allein als Rechtfertigung offenbar auch aus Sicht des Oberlandesgerichts nicht ausreichende – Vorbereitungszeit insbesondere bezüglich der nach dem Ergebnis der Nachermittlungen erforderlichen Vernehmungen der Zeugin R. und (erneut) des Geschädigten S. genügt hier nicht. Die vom Oberlandesgericht insoweit weiter in den Blick genommenen terminlichen Verhinderungen „bei allen Verfahrensbeteiligten einschließlich der Schöffen“ führen zu keinem anderen Ergebnis. Ersichtlich stellt das Oberlandesgericht insoweit auf die Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer vom 29. November 2024 ab, nach der aufgrund mehrerer Ortsabwesenheiten von Schöffen oder Kammermitgliedern im Oktober 2024 entweder überhaupt nicht oder nur in deutlich eingeschränktem Umfang habe verhandelt werden können. Dabei hat sich das Oberlandesgericht nicht mit der Frage befasst, ob diese Ortsabwesenheiten und die damit verbundenen, bei nur zwei Terminen mit einer Länge von jeweils weniger als einer Stunde und nur einer Zeugenvernehmung sowie Urkundenverlesung beträchtlichen Unterbrechungszeiten über einen Zeitraum von mehr als einem Monat durch zwingende und nicht der Justiz anzulastende Gründe (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07 -, Rn. 53) veranlasst waren, was sich der Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer im Übrigen auch nicht entnehmen lässt.
bb) Soweit einer Terminierung im November und Dezember 2024 nach der Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer vom 29. November 2024 Verhinderungen eines oder mehrerer Verteidiger entgegenstanden, vermag im Übrigen auch dies eine unzureichende Terminsdichte im Grundsatz nicht zu rechtfertigen. Kollidiert wegen Terminschwierigkeiten des Verteidigers das Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von dem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, mit seinem Recht auf zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft, so kann die Terminslage der Verteidigung nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt. Das Hinausschieben der Hauptverhandlung wegen Terminschwierigkeiten der Verteidiger ist – auch wenn das Recht, sich vom Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, Verfassungsrang hat (vgl. BVerfGE 39, 156 <163>) – kein Umstand, der eine erhebliche Verzögerung rechtfertigen könnte (vgl. BVerfGK 10, 294 <306>; BVerfG, Beschluss der Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 2020 – 2 BvR 225/20 -, Rn. 74). Zwar zog die Strafkammer jedenfalls in Bezug auf zwei Termine in der 45. und 46. Kalenderwoche die Vertretung der betroffenen Angeklagten durch sogenannte „Terminsverteidiger“ oder „einen (bisher nicht am Verfahren näher beteiligten) dritten Verteidiger“ im Ausgangspunkt zutreffend in Erwägung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 2020 – 2 BvR 225/20 -, Rn. 74). Zu den weiteren Terminen in der 47. bis 50. Kalenderwoche, in denen überwiegend keine Beweisaufnahme stattfand, verhalten sich aber weder die Vorsitzende der Strafkammer noch das Oberlandesgericht. Soweit in den Monaten November und Dezember 2024 jeweils an drei Tagen mit nennenswerter Dauer und Inhalt verhandelt wurde, mag darin zwar eine Erhöhung der Verhandlungsdichte und -intensität erblickt werden können. Diese ist allerdings nicht im Ansatz geeignet, die erhebliche, bereits eingetretene Verfahrensverzögerung auszugleichen.
cc) Das Oberlandesgericht hat es schließlich versäumt, die ihm bekannte und damit absehbare weitere Planung der Hauptverhandlung in den Monaten Januar und Februar 2025 einer am Maßstab des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebots orientierten Betrachtung zu unterziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. September 2007 – 2 BvR 1850/07 -, Rn. 5 m.w.N.; Böhm, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 121 Rn. 52a). Hierzu bestand besonderer Anlass, denn auch die laut Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer vorgesehenen weiteren Hauptverhandlungstage erreichen mit sechs Terminen in sieben Wochen und einer weiteren Verhandlungspause von knapp drei Wochen nicht das verfassungsrechtlich geforderte Mindestmaß von mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; 7, 140 <157>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07 -, Rn. 52). Zudem lagen – auch nach Maßgabe der eingesehenen Akte – keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verhandlungstermine im Januar und Februar 2025 – jedenfalls teilweise – wegen des bevorstehenden Erlasses eines Urteils möglicherweise entbehrlich werden könnten. Im Ergebnis ist damit dem Oberlandesgericht aus dem Blick geraten, dass auch in den Monaten Januar und Februar 2025 mit jeweils drei Verhandlungstagen weder die von Verfassungs wegen erforderliche Terminsdichte erreicht, geschweige denn die bereits eingetretene Verfahrensverzögerung ansatzweise ausgeglichen wird.“