Archiv für den Monat: Dezember 2023

Unfall nach Rückwärtsfahrt auf der Einbahnstraße, oder: Wie haftet der „Rückwärtsfahrer“?

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Und dann vor Weihnachten noch einmal ein „Kessel-Buntes“. Und in dem köcheln heute zivilgerichtliche Entscheidungen.

Zunächst stelle ich das BGH, Urt. v. 10.10.2023 – VI ZR 287/22 – vor. Gestritten wird um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger hatte sein Fahrzeug vorwärts in einer Grundstückszufahrt ab­gestellt, die sich an einer Einbahnstraße rechtwinklig in Fahrtrichtung rechts be­findet. Die Beklagte war mit ihrem Fahrzeug in Fahrtrichtung der Einbahnstraße an der Grundstückszufahrt vorbeigefahren. Sie hielt im Bereich einer gerade freiwerdenden Parklücke, die sich links parallel zur Fahrbahn befindet und etwa auf Höhe der Grundstückszu­fahrt beginnt, um in diese einzufahren. Die Fahrzeuge stießen zusammen, als der Kläger aus der Grundstückszufahrt rückwärts in einem Rechtsbogen auf die Einbahnstraße fuhr und die Beklagte zu 1 auf der Einbahnstraße einige Meter rückwärts fuhr, um dem aus der Parklücke herausfahrenden Fahrzeug Platz zu machen. Das Fahrzeug des Klägers wurde an der linken Seite beschädigt.

Vorgerichtlich regulierte die Versicherung der Beklagte auf der Grundlage einer Haftungsquote der Beklagten von 40 %. Mit seiner Klage macht der Kläger die restlichen 60 % geltend. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Dieses Urteil hat der BGH auf die Revision aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – Rest dann bitte selbst lesen:

1. Das Vorschriftszeichen 220 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 StVO gebietet, dass die Einbahnstraße nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden darf. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrich­tung.

2. Zur Anwendung des Anscheinsbeweises bei einem Verkehrsunfall (hier: Zu­sammenstoß eines aus einer Grundstückszufahrt auf eine Einbahnstraße ein­fahrenden Fahrzeugs mit einem auf der Einbahnstraße unzulässig rückwärts fahrenden Fahrzeug).

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit der hohen Auslagenforderung?

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Und dann noch die Gebührenfrage:

Mandant von mir kommt nach beendetem Verfahren damit zu mir. Während es mir wieder mal die Zornesröte ins Gesicht treibt, wie ich und wie der Sachverständige entlohnt werden, hat mein Mandant damit ein ganz anderes Problem:

Die Auslagen sind um den Faktor 10 höher als seine Strafe. Immerhin darf er die gesamt 9.000 EUR von seinem Bürgergeld in Raten a 75 EUR € abzahlen, ist also in gut 10 Jahren damit fertig.

Rate ich ihm recht, wenn ich sage, die 600 EUR dringend zahlen, damit hier keine Ersatzfreiheitsstrafe droht (also im Verwendungszweck ausdrücklich auf „Geldstrafe“ schreiben). Und nach 8 Monaten das Gericht dann auf die Pfändungsfreigrenzen verweisen und die Zahlung einstellen?

Oder kann man irgendwas gegen die Gutachtergebühren machen, wenn er auf §§ 20, 21 begutachtet wurde und immerhin ein §21 festgestellt wurde?“

Lösung gibt es dann am Mittwoch. Ist schließlich Weihnachten 🙂 .

Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren, oder: Rücknahme des Strafbefehlsantrages

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem LG Bamberg, Beschl. v. 08.11.2023 – 13 Qs 79/23 – auch aus Bayern. Und sie ist ebenfalls richtig 🙂 .

Gestritten worden ist um die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG für das vorbereitende Verfahren. Der Verteidiger der Beschuldigten war erst erstmals tätig geworden, nachdem die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zurückgenommen hatte. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg. Das LG hat eine (weitere) Vorverfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG nebst Umsatzsteuer sowie eine Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG festgesetzt:

„Im Ermittlungsverfahren erhält der Verteidiger neben der Grundgebühr zusätzlich eine Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV RVG. Abgegolten werden soll seine Tätigkeit im Verfahren bis zum Eingang der Anklageschrift, des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht oder im beschleunigten Verfahren bis zum Vortrag der Anklage, wenn diese nur mündlich erhoben wird. Nimmt die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Anwalt, der vom Beschuldigten erst nach der Anklageerhebung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG verdient (vgl. HK-RVG/Ludwig Kroiß, 8. Aufl. 2021, RVG VV 4104 Rn. 3 m. w. N.).

Entsprechendes gilt, wenn – wie vorliegend – der Antrag vom 01.04.2022 auf Erlass eines Strafbefehls seitens der Staatsanwaltschaft mit weiterer Verfügung vom 17.10.2022 zurückgenommen und der Verteidiger nicht – ohnehin – bereits zuvor tätig wurde. Die Zurücknahme der Klage durch die Staatsanwaltschaft hat zur Folge, dass das Ermittlungsverfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt wird (vgl. Meyer/Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 411 Rn. 8).

Vorliegend hat der Verteidiger RA pp. erstmals mit Schriftsatz vom 19.05.2022, mithin nach ursprünglichem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls und vor Rücknahme nämlichen Antrags durch die Staatsanwaltschaft, seine Verteidigung angezeigt und eine entsprechende Vollmacht vorgelegt. Der Verteidiger der Beschwerdeführerin kann daher die Vorverfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG in nicht zu beanstandender Höhe von 181,50 € (Mittelgebühr) nebst Umsatzsteuer vom 19 °/0, somit 38,29 €, geltend machen.

Demgemäß ist dem Verteidiger der Beschwerdeführerin auch die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG für das vorbereitende Verfahren in Höhe von 20 € entstanden.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie entspricht der Auffassung in der Rechtsprechung. Die Entscheidungen u.a. des LG Nürnberg-Fürth und des AG Gießen stehen auf meiner Homepage. Voraussetzung ist natürlich, dass der Rechtsanwalt dann nach Rücknahme des Strafbefehlsantrags eine Tätigkeit für seinen Mandanten erbracht hat. Aber die liegt allein schon in der Entgegennahme der Mitteilung über die Rücknahme des Strafbefehlsantrags.

Ist im Haftprüfungstermin verhandelt worden?, oder: Einlassung zur Sache und Antragstellung

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Weihnachten rückt immer näher, aber ein wenig dauert es noch. Hier gibt es heute daher erst noch zwei Gebührenentscheidungen. Und vor Weihnachten natürlich zwei „richtige“ Entscheidungen.

Ich starte mit dem LG Augsburg, Beschl. v. 23.11.2023 – 8 Qs 307/23 -, dem folgenden Sachverhalt zugrunde liegt:

Die Pflichtverteidigerin hat nach Ergreifung des Verurteilten aufgrund eines vom AG erlassenen Haftbefehls am 04.08.2022 an der Vernehmung des Beschuldigten durch den zuständigen Richter (§ 115 StPO) vor dem AG teilgenommen. In diesem Termin gab die Pflichtverteidigerin für den Beschuldigten eine Einlassung zur Sache ab und stellte den Antrag, nach Aktenlage zu entscheiden.

Die Pflichtverteidigerin hat dan die Festsetzung ihrer Gebühren beantragt und hat u.a. auch für die Teilnahme an dem Termin vom 04.08.2022 eine Gebühr nach Nrn. 4102, 4103 VV RVG begehrt. Das AG hat diese Gebühr zunächst nicht festgesetzt. Auf die Erinnerung der Pflichtverteidigerin ist die Gebühr dann festgesetzt worden. Dagegen hat die Staatskasse Beschwerde eingelegt, die beim LG keinen Erfolg hatte:

„2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet und hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtenen Entscheidungen des Amtsgerichts Augsburg entsprechen der Sach- und Rechtslage.

Deren Begründung wird durch das Beschwerdevorbringen, das sich in dem wiederholten Vorbringen erschöpft, ein „Verhandeln“ im Sinne des Gebührentatbestands habe nicht stattgefunden, nicht entkräftet. Die Kammer teilt die Auffassung, dass die Terminsgebühr VV 4103, 4102 Nr. 3 RVG angefallen und dementsprechend auch festzusetzen ist.

VV 4103 RVG sieht eine Gebühr mit Zuschlag für die Gebührentatbestände der VV 4102 RVG vor. VV 4102 Nr. 3 RVG sieht eine Terminsgebühr für Termine außerhalb der Hauptverhandlung, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird, vor.

Bei der am 04.08.2022 erfolgten Vernehmung des (damaligen) Beschuldigten nach Ergreifung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls durch den zuständigen Richter(§ 115 StPO) vor dem Amtsgericht Augsburg handelt es sich um einen solchen Termin außerhalb der Hauptverhandlung, in dem über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wird. Unstreitig kann ein solcher Termin nämlich auch ein sog. ,,Vorführtermin“ sein, der hier zweifelsfrei außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt ist.

Wie seitens der Staatskasse zutreffend ausgeführt wird, ist für das Entstehen dieser Gebühr ein „Verhandeln“ erforderlich (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4102 Rn. 13). Mit diesem Erfordernis wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht von diesem Gebührentatbestand erfasst werden und die Teilnahme des Rechtsanwalts an derartigen Terminen nicht gesondert honoriert wird (vgl. OLG Saarbrücken, B. v. 25.06.2014, 1 Ws 85/14 – juris Rn. 7).

Entgegen der Auffassung der Staatskasse hat ein solches „Verhandeln“ im Termin vom 04.08.2022 jedoch stattgefunden. Daran ändert auch der abermalige Verweis der Staatskasse in der Beschwerdebegründung vom 05.10.2023 auf die Entscheidungen des OLG Saarbrücken (B. v. 25.06.2014, 1 Ws 85/14 – juris) und OLG Bamberg (B. v. 19.01.2012, 1 Ws 692/20 – juris) nichts, da selbstverständlich die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick zu nehmen sind und den zitierten Entscheidungen – soweit ersichtlich – ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde lag:

Der Entscheidung des OLG Bamberg lag ein Haftbefehlseröffnungstermin zugrunde, nachdem das Landgericht nach Anklageerhebung gegen den später Verurteilten einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl erließ. Der darauf folgende Termin zur Verkündung und Eröffnung des neuen Haftbefehls fand in Anwesenheit des Pflichtverteidigers statt. Nach der Vereidigung des Dolmetschers und der Feststellung der Personalien des zum damaligen Zeitpunkt Angeschuldigten wurde diesem eine Haftbefehlsabschrift überreicht. Anschließend wurde die Sitzung kurz unterbrochen. Nach Fortsetzung der Sitzung erklärte der Angeschuldigte, dass er den Haftbefehl erhalten habe, dieser ihm vom Dolmetscher vorgelesen worden sei und er ihn verstanden habe. Er bestätigte, die im Haftbefehl benannte Person zu sein. Nach gerichtlicher Belehrung des Angeschuldigten über dessen Rechte erklärte der Verteidiger, dass eine Einlassung zur Person und zur Sache bis zur Hauptverhandlung zurückgestellt werde. Dies bestätigte der Angeschuldigte. Anschließend bestätigte das Landgericht den neuen Haftbefehl.

Ersichtlich erfolgte in diesem Haftprüfungstermin gerade keine Einlassung zur Sache, auch eine Antragstellung durch den Verteidiger erfolgte nicht. Vielmehr erschöpfte sich die „Leistung“ des Verteidigers hier darin, seinen Mandanten dahingehend zu beraten, keine Einlassung zur Sache und zur Person abzugeben. Zutreffend ließ das OLG Bamberg dies nicht ausreichen, da das Landgericht durch diese Erklärung gar nicht in die Lage versetzt werden konnte über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Fortdauer der Untersuchungshaft ernsthaft zu entscheiden.

Auch hinsichtlich des der Entscheidung des OLG Saarbrücken zugrunde liegenden Sachverhalts hatte sich der damalige Beschuldigte nach vorläufiger Festnahme im Rahmen zweier Haftvorführungen nicht zum Sachverhalt oder zu den Haftgründen eingelassen, sondern von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht. Anträge stellte der Verteidiger – soweit sich der Entscheidung entnehmen lässt – jeweils nicht.

Damit wird bereits der Unterschied zu dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt deutlich: In dem Termin am 04.08.2022 hat die Verteidigerin für den (damaligen) Beschuldigten eine Einlassung zur Sache abgegeben, an die sich der Beschuldigte anschließend im Rahmen eines (etwaigen) Hauptverfahrens auch zu messen hätte. Zusätzlich hat die Verteidigerin auch den Antrag gestellt, nach Aktenlage zu entscheiden. Wie sich sowohl den zitierten Entscheidungen als auch der Kommentarliteratur (vgl. etwa Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4102 Rn. 14) wie auch der Gesetzesbegründung (vgl. ST-Drucks. 15/1971, S. 223) entnehmen lässt, sollen die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine von dem Gebührentatbestand nicht erfasst werden. Schließt sich allerdings eine Verhandlung über die Fortdauer der Untersuchungshaft an, entsteht die Terminsgebühr (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 223).

Vorliegend hat ein solches „Verhandeln“ über die Fortdauer der Untersuchungshaft stattgefunden. Wie ein Blick in § 112 Abs. 1 StPO zeigt, setzt die Anordnung der Untersuchungshaft voraus, dass der Beschuldigte einer Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Dementsprechend kann selbstverständlich auch eine Einlassung zur Sache die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft entfallen lassen. Hierzu hat sich der Beschuldigte in dem Termin über seine Verteidigerin eingelassen. Allein der Umstand, dass der Beschuldigte den Tatvorwurf nicht bestritten hat, kann seiner Verteidigerin bei der Beurteilung, ob ein Verhandeln im Sinne des Gebührentatbestands vorliegt, nicht anschließend im Kostenfestsetzungsverfahren zum Nachteil gereichen.

Zusätzlich hat die Verteidigerin auch den Antrag gestellt, nach Aktenlage zu entscheiden. Damit hat sie sehr wohl einen Antrag hinsichtlich der Fortdauer der Untersuchungshaft gestellt:

Das Amtsgericht Augsburg ist nämlich bei Erlass des Haftbefehls am 15.07.2022 irrig davon ausgegangen, dass der Haftgrund der Flucht nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO vorliegt. Zu diesem Zeitpunkt saß der Beschuldigte jedoch bereits in Strafhaft in anderer Sache in einer Justizvollzugsanstalt ein, sodass das Amtsgericht Augsburg spätestens bei der Haftbefehlseröffnung am 04.08.2022 dazu angehalten gewesen wäre, den Haftbefehl vom 15.07.2022 nicht aufrechtzuerhalten, sondern richtigerweise aufzuheben und ggf. einen neuen Haftbefehl mit einem tragfähigen Haftgrund zu erlassen.

Ein darüberhinausgehendes Verhandeln – wie von den Bezirksrevisoren des Amtsgerichts Augsburg für erforderlich erachtet – ist hier nicht zu fordern. Die Verteidigerin hat mit ihrer Tätigkeit innerhalb des Termins am 04.08.2022 alles Erforderliche hierfür getan, den Gebührentatbestand VV 4103, 4102 Nr. 2 RVG zu erfüllen.“

M.E. zutreffend und: Es hätte m.E. gar nicht so viel Worte zur Begründung der Festsetzung der Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV RVG gebraucht, wie sie hier das LG gemacht hat. Denn das LG weist selbst zutreffend darauf hin, dass es Sinn und Zweck des Erfordernisses des „Verhandelns“ in der Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG ist, die reinen Haftbefehlsverkündungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszunehmen. Erfasst werden sollen aber alle (Verkündungs-)Termine, in denen mehr geschehen ist, also die bloße Verkündung eines Haftbefehls (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O. VV 4102 Rn 13 ff. m.w.N.). Und das war hier der Fall.

OWI III: Ein Bisschen was zum Fahrverbot aus Bayern, oder: Nachtatverhalten, Trunkenheit, Kindesumgang

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Und zum Tagesschluss dann noch drei Entscheidungen zum Fahrverbot (§ 25 StVG). Alle drei stammen vom BayObLG und alle drei für die Betroffenen negativ, was mich beim BayObLG nicht überrascht.

Hier sind die Leitsätze der Entscheidungen:

    1. Das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots, das an die an die Außerachtlassung besonderer Rücksichtnahmepflichten und die bloße Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers anknüpft (hier: lfd.Nr. 41 BKat) mit der Begründung, der Betroffene habe nicht rücksichtslos gehandelt und der Geschädigte sei nicht schwerwiegend verletzt worden, ist rechtsfehlerhaft.
    2. Das Verhalten eines Betroffenen nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall rechtfertigt regelmäßig nicht das Absehen von der Verhängung eines an seinen Verkehrsverstoß anknüpfenden Regelfahrverbots.
    1. Ist ein konkreter Rechtsmittelantrag nicht gestellt, ist der Umfang der Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung seitens der Staatsanwaltschaft durch Auslegung des der Rechtsmittelbegründung zu entnehmenden Angriffsziels zu ermitteln.
    2. Die mit einem Fahrverbot verbundenen Einschränkungen des Kindesumgangsrechts sind, will das Tatgericht in ihnen eine außergewöhnliche Härte sehen und deshalb von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen, positiv festzustellen.
    1. Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach den §§ 24a Abs. 1 (i.V.m. Abs. 3), 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV kann nur in einem Härtefall ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommen, oder dann, wenn wegen besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise derart aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG herausfällt, dass die Anordnung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre.
    2. Die Indizwirkung des Regelbeispiels nach den §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24a StVG wird nicht allein dadurch entkräftet, dass bei einer nur wenige Minuten andauernden Alkoholfahrt eine Wegstrecke von lediglich 200 m zurückgelegt wurde. Dies gilt erst recht, wenn der Atemluftgrenzwert nach § 24a Abs. 1 StVG von 0,25 mg/l nicht nur geringfügig überschritten, sondern die Alkoholkonzentration nahe zum Grenzwert der (absoluten) Fahruntüchtigkeit i.S.v. § 316 Abs. 1 StGB lag.