Archiv für den Monat: September 2023

News: Unzulässige Verfassungsbeschwerde zu Encro, oder: (Mal wieder) Nichts Neues vom BVerfG

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Ich hatte ja vorhin in dem ersten Tagesbeitrag auf die heute anstehende Entscheidung des BVerfG hingewiesen. Nun ist der BVerfG, Beschl. v. 09.08.2023 – 2 BvR 558/22 – dar. Und: Er ist enttäuschend. Und zwar sowohl für diejenigen, die „gegen EncroChat“ verteidigen, sondern vor allem auch für diejenigen,die sich vom BVerfG eine Klärung der Frage der Verwertbarkeit erhofft hatten. Denn das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des LG Rostock und gegen den BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 6 StR 639/21 – nicht zur Entscheidung angenommen, weil nicht ausreichend begründet.

Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Zusammenfassung des BVerfG in der PM ein. Da heißt es:

„Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh hat der Beschwerdeführer den Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt.

Danach soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden. Im Strafverfahren verlangt der Grundsatz der Subsidiarität von einem Beschwerdeführer, der seine Grundrechte durch Verstöße des Tatgerichts verletzt sieht, diese im Revisionsverfahren so zu rügen, dass das Revisionsgericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintritt.

Vorliegend hat der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh nicht in zulässiger Weise mit der Revision gerügt. Er hat im Revisionsverfahren zu den Verfahrenstatsachen nicht ausreichend vorgetragen, um dem Revisionsgericht den Eintritt in die sachliche Prüfung der Beweisverwertung zu ermöglichen. Seinem Revisionsvortrag fehlt es insoweit an der Vorlage der vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen Aktenteile.

2. In Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargetan.

Ein Rechtsuchender kann seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer Acht lässt. Die Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann eine der einheitlichen Auslegung bedürftige Frage des Unionsrechts der Entscheidung des gesetzlichen Richters – des Gerichtshofs der Europäischen Union – vorenthalten und damit das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen. Für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV prüft das Bundesverfassungsgericht nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

Eine solche Konstellation vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen. Es ist anhand des Beschwerdevortrags nicht erkennbar, dass der Bundesgerichtshof in unvertretbarer Weise von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgesehen hat. Die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union war offensichtlich nicht entscheidungserheblich. Die Beantwortung von europarechtlichen Fragen zur Rechtmäßigkeit der Erhebung, Übermittlung und Verwertung von EncroChat-Daten konnte keinen Einfluss auf die Revisionsentscheidung nehmen, weil der Bundesgerichtshof über die Rechtmäßigkeit der Beweisverwertung vorliegend nicht zu entscheiden hatte. Denn der Beschwerdeführer hat die Beweisverwertung durch das Landgericht mit der Revision nicht in zulässiger Weise gerügt.

3. Über die mit der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen ist damit in der Sache nicht entschieden.“

Entscheidend ist der letzte Satz: „…. in der Sache nicht entschieden.“. Die Frage der Verwertbarkeit bleibt also weiterhin (verfassungsrechtlich) offen. Allerdings sind derzeit fünf weitere Verfassungsbeschwerden zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten noch anhängig, und zwar 2 BvR 684/22, 2 BvR 1832/22, 2 BvR 2143/22, 2 BvR 64/23 und 2 BvR 1008/23). Nicht zur Entscheidung angenommen sind übrigens mit sieben weiteren, nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 09.08.2023 die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren a BvR 2005/22, 2 BvR 2022/22, 2 BvR 2024/22, 2 BvR 2025/22, 2 BvR 2048/22, 2 BvR 594/23 und 2 BvR 867/23. Wegen der noch offenen Verfassungsbeschwerden geht das Warten also weiter. M.E. ein zumindest unschöner Zustand. Ich erinnere aber nur an das Verfahren 2 BvR 1167/20 – Stichwort: Rohmessdaten. Da hat das BVerfG letztlich auch gekniffen und hat sich auf die Unzulässigkeit zurückgezogen. Das scheint der „neue Weg“ zu sein.

Und: Mit dieser Entscheidung ist der Weg zum EuGH/EGMR „aufgegraben“.

Revision I: Verletzung der Unterbrechungsvorschriften, oder: Nichts Neues – beim BGH – zu EncroChat

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Und heute dann Revisionsentscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 5 StR 260/23. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Verstosses gegen das BtMG. Gegen die Verurteilung ist Revision eingelegt worden. Mit der sind von einem der Angeklagten zwei Verfahrensfehler gerügt worden. Beide Rügen hatten keinen Erfolg.

Zunächst hier die Ausführungen des BGH zur Verletzung der Unterbrechungsvorschriften (§ 229 StPO):

„Die mit der Angriffsrichtung eines Verstoßes gegen die Vorschriften zur Unterbrechung der Hauptverhandlung in § 229 StPO geführte Rüge ist jedenfalls unbegründet. Die Strafkammer hatte wegen Erkrankung der Vorsitzenden durch Beschluss vom 4. August 2022 gemäß § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO eine Hemmung der Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 2 StPO bis zum 5. August 2022 festgestellt. Durch den Verhandlungstermin vom 15. August 2022 wurde die Frist schon aufgrund des in § 229 Abs. 3 Satz 2 StPO normierten Fristendes gewahrt. Hierzu war dieser Termin – wie in der Zuschrift des Generalbundesanwalts ausgeführt – auch geeignet, da in ihm zur Sache verhandelt wurde (zu den Anforderungen vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 5 StR 496/20, NStZ 2021, 381).“

Und dann hatte sich der Angeklagte gegen die Verwertung von EncroChat-Daten gewendet. Auch insoweit – natürlich – erfolglos:

„Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Verwertung von EncroChat-Daten wendet, ist die Rüge mangels Vortrags der maßgeblichen Verfahrenstatsachen unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Ein solcher war entgegen der Revision auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil „das Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die EncroChat-Nutzer und die neueren Erkenntnisse [zur] Zusammenarbeit der deutschen, französischen und europäischen Behörden“ dem Senat bereits „hinreichend bekannt“ wären. Zu derartigen Umständen existieren keine für das hiesige Verfahren bindenden Feststellungen; solche wurden auch in früheren Revisionsverfahren des Senats nicht getroffen.“

Zu Letzterem. Mal sehen, was sich heute am 05.09.2023 tut. Denn es ist für heute – 9.30 Uhr – die Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvR 558/22 angekündigt (vgl. hier). Ich vermute, dass wir nach der Entscheidung des BVerfG die Geschichte über EncroChat nicht neu schreiben müssen. Wenn das BVerfG überhaupt Fehler in der Datenerhebung bejaht, wird es die m.E. über die Abwägungslehre glatt ziehen. Aber spannend bleibt es.

 

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Lohnt hier die Beschwerde wegen der fehlenden Kostenentscheidung?

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Am Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Lohnt hier die Beschwerde wegen der fehlenden Kostenentscheidung?

In der Antwort habe ich nur auf den OLG Braunschweig, Beschl. v. 15.10.2014 – 1 Ws 267/14 – hingewiesen, der, das räume ich ein, bis dahin allerdings noch nicht bei Burhoff-Online stand.

Da heißt es zu der Problematik:

Erstinstanzliche Entscheidungen nach § 458 Abs. 1 StPO sind mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht mit einer Kosten- und Auslagenentscheidung zu versehen.

Ist vielleicht nicht in allen Fällen zutreffend, aber man kommt an der Auffassung nicht vorbei. Leider 🙂

Corona II: Annahme eines Impfpassfälschungsangebot, oder: Beihilfe zur Impfpassfälschung

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Und als zweite „Corona-Entscheidung“ dann der BayObLG, Beschl. v. 09.08.2023 – 206 StRR 190/23.

Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf der Anstiftung zum Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz in zwei Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft. Das LG hat die Angeklagte dann wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz in zwei Fällen schuldig gesprochen und deswegen gegen sie eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die (nur) hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte.

Folgende Feststellungen waren Ausgangspunkt der Prüfung des BayObLG:

„a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich die Angeklagte erstmals am 8. Juni 2021 in die Praxis des gesondert verfolgten Allgemeinarztes Dr. x begeben. Dies erfolgte nicht ausschließbar, um sich wegen einer Tumorerkrankung am Kleinhirn naturheilkundlich beraten zu lassen, woraufhin ihr als Therapie zur Einnahme von Bittermandeln geraten worden sei. Weiter sei, ebenfalls nicht ausschließbar, auf Initiative von Dr. x ein Gespräch über das Thema „Impfung gegen das COVID-19-Virus“ zustande gekommen, wobei der Arzt der Angeklagten angeboten habe, die Durchführung der Impfung in einem für sie neu anzulegenden Impfpass zu bescheinigen, ohne sie tatsächlich zu impfen. Die Angeklagte habe das Angebot angenommen. Es sei dann ohne tatsächliche Durchführung eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech (COMIRATY) bescheinigt worden. In der ersten Julihälfte 2021 sei die Angeklagte dann erneut in der Praxis erschienen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine zweite Impfung mit dem genannten Impfstoff ohne tatsächliche Durchführung bescheinigt worden. Sowohl für Dr. x als auch für die Angeklagte sei klar gewesen, dass die Dokumentation – wie später tatsächlich geschehen – dazu bestimmt war, von der Angeklagten bei einer geeigneten Stelle vorgelegt zu werden, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten.“

Und da es wie immer aus Bayern eine recht umfangreiche Begründung ist, stelle ich die hier nur teilweise, nämlich zu den Rechtsfolgen ein. Wegen der materiellen Frage nehme ich nur den Leitsatz des BayObLG, nämlich:

Bietet der zu einer Falschdokumentation entschlossene Arzt einer in seiner Praxis anwesenden Patientin an, die Durchführung einer Coronaschutzimpfung in einem Impfpass zu bescheinigen, ohne diese tatsächlich vorzunehmen, und nimmt diese das dann in die Tat umgesetzte Angebot an, leistet sie Beihilfe zur nicht richtigen Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus.

Und zu den Rechtsfolgen führt das BayObLG dann aus:

„2. Die Revision hat jedoch im Rechtsfolgenausspruch Erfolg, denn das Landgericht ist von einem nicht rechtsfehlerfrei begründeten zu hohen Strafrahmen ausgegangen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bestimmung der verhängten Einzelgeldstrafen und der Gesamtgeldstrafe zum Nachteil der Angeklagten hierauf beruht.

a) Das Landgericht hat zunächst den Strafrahmen des § 74 Abs. 2 IfSG, der bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren reicht, zutreffend nach §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB gemindert (UA S. 32) und innerhalb dieses Rahmens die konkreten Strafzumessungserwägungen angestellt.

b) Es hat dabei nicht bedacht, dass der Strafrahmen gem. §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein weiteres Mal zwingend zu mindern gewesen wäre; darauf weist auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hin (Vorlageschreiben S. 4, das ergänzend in Bezug genommen wird).

Wie vorstehend zu 1.c.) ausgeführt, macht sich nach § 74 Abs. 2 IfSG derjenige strafbar, der als zur Durchführung von Schutzimpfungen berechtigte Person im Sinne des § 22 IfSG eine Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 nicht richtig dokumentiert. Damit handelt es sich bei § 74 Abs. 2 IfSG um ein Sonderdelikt (Lorenz/Oglakcioglu in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 74 Rn. 8 m.w.N.; Neuhöfer/Kindhäuser in BeckOK IfSG, Stand 8. Juli 2023, § 74 Rn. 35a; Erb in MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, § 278 Rn. 8; Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159, 2161 Rn. 11). Die Impfberechtigung i.S.d. §§ 22 Abs. 1, 74 Abs. 2 IfSG stellt demgemäß ein besonderes persönliches Merkmal dar, welches bei der Angeklagten nicht vorlag.

Der Strafrahmen des § 74 Abs. 2 IfSG wäre folglich zwingend gem. §§ 28 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein weiteres Mal zu mindern gewesen.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die vom Landgericht verhängten Einzelstrafen auf dem Rechtsfehler beruhen; dies erfasst auch die Gesamtstrafe.

(1) Sowohl bei der Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 StGB als auch bei derjenigen nach § 28 Abs. 1 StGB, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB, handelt es sich um obligatorische Milderungen, die keinen Ermessensgebrauch zulassen, und die kumulativ anzuwenden waren. Wie ausgeführt, beruht die vom Landgericht vorgenommene Milderung nach § 27 Abs. 2 StGB auch nicht auf einer unzutreffenden Beurteilung der Teilnahme der Angeklagten an der Haupttat.

(2) Die vom Landgericht verhängten Einzelgeldstrafen von jeweils 90 Tagessätzen bewegen sich auch nicht so nahe am unteren Rand des sich nach doppelter Milderung ergebenden Rahmens, der zu einer Obergrenze von einem Jahr und einem Monat Freiheitsstrafe führt, dass auszuschließen ist, dass sie bei zutreffender Strafrahmenbestimmung nicht geringer ausgefallen wären.

d) Die Rechtsfolgenentscheidung ist demnach nach § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben. Der Senat hebt auch die der Strafbemessung zugrunde liegenden Feststellungen nach § 353 Abs. 2 StPO auf, um dem neuen Tatgericht, an das die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird, eine widerspruchsfreie Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen.

Für das weitere Verfahren wird insoweit jedoch darauf hingewiesen, dass infolge der mit diesem Beschluss eintretenden Rechtskraft hinsichtlich des Schuldspruchs die Feststellungen des Landgerichts zum Tathergang bindend werden (vgl. (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 354 Rn. 46). Lediglich hinsichtlich solcher Feststellungen, die ausschließlich für die Rechtsfolgenbestimmung von Bedeutung sind, entfällt die Bindungswirkung.“

Corona I: Gebrauch eines gefälschten Impfpasses, oder: Wie weit sperrt die alte Fassung von § 279 StGB?

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Und dann starte ich in die 36. KW. mit zwei Entscheidungen zu Corona. Die Problematik ist ja in den letzten Monaten ein wenig in den Hintergrund getreten. Ich hoffe, dass sie nicht zu stark wieder kommt.

Hier zunächst der OLG Zweibrücken, Beschl. v.  26.06.2023 – 1 OLG 2 Ss 33/22. Der äußert sich noch einmal zum Verhältnis von § 279 StGB a.F. zu § 267 StGB. Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf der Urkundenfälschung freigesprochen. Es hatte folgende Feststellungen getroffefeN:

„Am 13.10.2021 legte die Angeklagte in der pp. Apotheke in der pp. in pp. einen auf ihren Namen lautenden Impfausweis vor, der zwei mittels Stempel und Unterschrift verifizierte Eintragungen enthielt, die entgegen der Tatsachen bescheinigen sollten, dass sie am 14.07.2021 (Chargennummer: 1DO18A) und am 25.08.2021 (Chargennummer: Ey2172) beim Impfzentrum pp. jeweils eine Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty von der Firma BioNTech/Pfizer erhalten habe. Tatsächlich hatte die Angeklagte diese Impfungen zu keinem Zeitpunkt erhalten und die Eintragungen waren von einer unberechtigten Person vorgenommen worden, was ihr bekannt war. Der Absicht der Angeklagten folgend wurde ihr daraufhin in der Annahme der Echtheit der Eintragungen ein digitaler Impfnachweis ausgestellt, den sie in der Folgezeit in ihrer Corona Warnapp hochlud, um das Zertifikat in der Folgezeit zu verwenden.“

Das AG hat die Angeklagte freigesprochen, weil sie keinen Straftatbestand erfüllt habe. Dagegen die Revsion, die Erfolg hatte:

„Eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB sei nicht möglich, weil die §§ 277 ff. StGB a.F. in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung gegenüber dem Delikt der Urkundenfälschung eine umfassende Privilegierung des Umgangs mit gefälschten bzw. unrichtigen Gesundheitszeugnissen darstellen würden.

Ein Verwenden des digitalen Impfnachweises habe sich mangels objektiver Beweismittel bzw. Ermittlungsansätze nicht klären lassen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht den Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in der von den §§ 277, 278 a.F. StGB bezeichneten Art gemäß § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.

Bei der Impfbescheinigung handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277, 278 StGB a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2022 – 5 StR 283/22; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2022 – 1 Ws 114/21 – juris Rn. 16; OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris Rn. 14; Heine/Schuster in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage, § 277 Rn. 2; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage, § 277 Rn. 2; jeweils m.w.N.), auf die § 279 StGB a.F. hinsichtlich der Tatobjekte verweist. Keinen Bedenken unterliegt auch, dass das Amtsgericht einen Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses i.S.d. § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.

Der Tatbestand des § 279 StGB a.F. setzt voraus, dass von dem unrichtigen Gesundheitszeugnis Gebrauch gemacht wird, um eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen. An dieser Verwendungsabsicht fehlt es vorliegend. Wie im Anwendungsbereich des § 277 StGB a.F. besteht die Tathandlung auch im Anwendungsbereich des § 279 StGB a.F. im Gebrauch des Attests gegenüber einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft (vgl. Erb, a.a.O., § 279 Rn. 3 m.w.N.; BT-Drucks., a.a.O., S. 34).

Als einzige tatsächliche Verwendungsweise festgestellt ist, dass der Impfausweis in einer Apotheke zur Erstellung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt wurde.

Apotheken kommen als Vorlageadressaten nicht in Betracht, da sie keine Behörden i.S.d. Vorschrift sind (vgl. BGH, a.a.O. zu §§ 277, 278 StGB a.F. m.w.N.).

Durch die Vorlage der Falsifikate in Apotheken zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats wird die Impfbescheinigungen auch nicht dem Robert-Koch-Institut als der für die Erstellung digitaler Impfzertifikate zuständigen Behörde zugänglich gemacht. Denn ein Gebrauchen setzt jedenfalls ein Verbringen des Gesundheitszeugnisses in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung voraus (BGH, a.a.O. m.w.N.). Daran fehlt es, weil dem Robert-Koch-Institut durch die Apotheke nicht der Impfpass, sondern lediglich darin befindliche personenbezogene Daten übermittelt werden (BGH, a.a.O. unter Hinweis auf OLG Celle, Urteil vom 31.05.2022 – 1 Ss 6/22 Rn. 20, NJW 2022, 2054, 2055; Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O.).

Weitere Verwendungsweisen oder Absichten, die auf die Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft gerichtet sind, hat das Amtsgericht nicht festzustellen vermocht, so dass es vorliegend an einem Gebrauchen des Gesundheitszeugnisses gegenüber dem besonderen Adressatenkreis i.S.d. § 279 StGB a.F. fehlt.

2. Das Amtsgericht hat sich allerdings zu Unrecht an einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB gehindert gesehen.

a) Die Ansicht, der Tatbestand des § 279 StGB a.F. sperre die Anwendbarkeit des § 267 StGB, ist unzutreffend.

Der Bundesgerichtshof hat die in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage zum Verhältnis des § 277 StGB zu § 267 StGB in dem Sinne entschieden, dass § 267 StGB auch unter Geltung des § 277 StGB a.F. nicht aufgrund einer privilegierenden Spezialität verdrängt wird (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N. auch zum Meinungsstand).

Nach Auffassung des Senats ist die Begründung des Bundesgerichtshofs auch auf das Verhältnis des § 279 StGB a.F. zu § 267 StGB zu übertragen. Zwar spricht das zu § 277 StGB a.F. herangezogene systematische Argument des zweiaktigen Deliktsaufbaus des § 277 StGB a.F. im Vergleich zum einaktigen Deliktsaufbau des § 267 StGB beim ebenfalls einaktig aufgebauten § 279 StGB a.F. nicht gleichermaßen gegen eine Privilegierung. Die weitere Argumentation trifft aber, nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Entstehungsgeschichte und Weitergeltung der Vorschriften (§§ 256 bis 258 PreußStGB bzw. §§ 277 bis 279 StGB) und der Bezugnahme in der Verweisung des § 279 StGB auf § 277 StGB, auf das Verhältnis von § 279 StGB a.F. und § 267 StGB zu (vgl. zu einer sinngemäßen Übertragung der Anwendungsbereiche des § 277 StGB a.F. und § 279 StGB a.F. gegenüber § 267 StGB auch Erb, a.a.O., Rn. 10; Puppe/Schumann in Nomos Kommentar zum StGB, 5. Aufl., § 279 Rn. 9; BT-Drucks., a.a.O., S. 2, 33 m.w.N.).

b) Der Impfpass ist im vorliegenden Fall eine Urkunde im Sinne des § 267 StGB. Insbesondere handelt es sich bei vollständigen Impfdokumentationen um verkörperte Gedankenerklärungen, die zum Beweise geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lassen und damit um Urkunden. Die in der ausgefüllten Zeile des Impfausweises enthaltenen Angaben über Datum der Impfung, Impfstoff und Charge ergeben im Zusammenhang mit den Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises die Erklärung des Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (vgl. BGH, a.a.O.).

Wird die Impfbescheinigung etwa mit einem Stempel mit dem Aufdruck des Impfzentrums und einer erfundenen oder nachgeahmten Unterschrift versehen, möchte der Aussteller den Eindruck erwecken, die Bescheinigung sei von einem Arzt des Impfzentrums ausgestellt worden, obwohl sie tatsächlich von ihm selbst herrührten. Scheinbarer Aussteller ist hingegen der angebliche Impfarzt.

Benutzte eine Person ein solches unechtes Attest zur Vorlage gegenüber einem Apotheker, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten, beabsichtigte sie, dass der Apotheker gem. § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 IfSchG (in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vom 28.5.2021) die Durchführung der Impfung nachträglich bescheinigt, gebrauchte mithin das unechte Attest zur Täuschung im Rechtsverkehr i.S.d. § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB.

c) Soweit das Amtsgericht allerdings lediglich zum Ausdruck bringt, der Impfausweis sei von einer nicht berechtigten Person ausgestellt worden, sind diese Feststellung offenkundig lückenhaft und vor dem Hintergrund der Annahme getroffen, dass eine Anwendbarkeit des § 267 StGB in allen Fällen des § 277 StGB, mithin auch im Fall der unrichtigen Bescheinigung, ausgeschlossen ist, so dass es auf diese Differenzierung für die Beurteilung der Strafbarkeit der Angeklagten nicht mehr ankam.“