Archiv für den Monat: September 2023

„Aktenmäßiger Erlass“ des Verbindungsbeschlusses, oder: Verbindung von Verfahren dann erst in der HV

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Und dann habe ich hier noch einen Beschluss des LG Kiel zu den Gebühren des Verteidigers nach der Verbindung von Verfahren.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten sind drei selbständige Verfahren anhängig. Diese werden vom Amtsrichter vor der Hauptverhandlung zu einem weiteren anhängigen Verfahren hinzuverbunden. Der Verbindungsbeschluss verbleibt aber (zunächst) in der Akte. Er wird dann in der Hauptverhandlung verkündet, nachdem in den drei Verfahren die Anklagen verlesen worden sind. Der Pflichtverteidiger hat auch für die drei hinzuverbundenen Verfahren jeweils eine Terminsgebühr geltend gemacht. Das LG Kiel hat die im LG Kiel, Beschl. v. 21.06.2023 – 2 Qs 41/23 – gewährt.

„Streitgegenständlich ist die im Festsetzungsbeschluss erfolgte Absetzung dreier Terminsgebühren für die Verfahren 231 Ls 551 Js 38311/22, 231 Ls 588 Js 37618/22 und 231 Ls 588 Js 38428/22 in Höhe von jeweils 295 EUR zuzüglich der Umsatzsteuer.

Die Verbindung der genannten Verfahren zum führenden Verfahren ist im hiesigen Falt wirksam erst in der Hauptverhandlung erfolgt, nachdem in den hinzuverbundenen Verfahren bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hatte, so dass auch in den hinzuverbundenen Verfahren jeweils eine Terminsgebühr gern. Nr. 4108, 4109 VV RVG entstanden ist.

Zwar hat der zuständige Richter den Verbindungsbeschluss hinsichtlich der genannten Verfahren bereits vor Beginn der Hauptverhandlung verfasst, unterzeichnet und mutmaßlich zu den Akten genommen. Dieser „aktenmäßige Erlass“ führt zwar bereits zur Existenz und auch Anfechtbarkeit des Beschlusses (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. A., vor § 33 Rn. 5 – 8; Valerius, in: MüKo-StPO, 2. A., § 33 Rn. 18 – 20). Ergangen ist eine Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung aber grundsätzlich erst dann, wenn sie für das Gericht, das sie gefasst hat, unabänderlich ist. Dies ist in der Regel erst dann der Fall, wenn ihn die Geschäftsstelle an eine Behörde oder Person außerhalb des Gerichts hinausgegeben hat und eine Abänderung tatsächlich unmöglich ist. Ausgenommen sind davon Beschlüsse, die nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen (BGH NStZ 2011, 713; NStZ 2012, 710 f.; Schneider-Glockzin, in: KK-StPO, 9. A., § 33 Rn. 4; Valerius, in: MüKo, a.a.O., § 33 Rn. 18 – 20; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. A., § 33 Rn. 12). Demnach ist der außerhalb der Hauptverhandlung gefasste Verbindungsbeschluss noch nicht mit seinem aktenmäßigen Erlass wirksam geworden, sondern erst mit der Verkündung in der Hauptverhandlung. Zu diesem Zeitpunkt waren die Anklagen aus den in Rede stehenden Verfahren aber bereits verlesen worden, so dass auch eine Hauptverhandlung in den Verfahren stattgefunden hatte. Der Umstand, dass die Eröffnungsentscheidung erst im Verbindungsbeschluss getroffen worden ist, steht dieser Wertung nicht entgegen, zumal der Eröffnungsbeschluss nach herrschender Meinung noch in der Hauptverhandlung nachgeholt werden kann.

Die Terminsgebühr in den drei hinzuverbundenen Verfahren beläuft sich auf jeweils 295 EUR zuzüglich der Umsatzsteuer von 19 %, mithin insgesamt auf 1.053,15 EUR.“

Wie lange muss ich auf Zahlung einer Behörde warten?, oder: Nach 4 Wochen ist Schluss

Und dann noch Gebührenrecht oder von dem, was damit zusammenhängt.

Zunächst hier der

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– zur  Zahlungs- oder Wartefrist des Vollstreckungsgläubigers. Ja? Genau, und zwar mit folgendem Sachverhalt:

Nach Beendigung eines Verwaltungsverfahrens sind die vom VG zugunsten des Klägers gegen die Behörde festgesetzten Kosten zunächst nicht gezahlt worden. Der Kläger hat daraufhin die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Das Vollstreckungsverfahren ist dann durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet worden. Das VG hat das Verfahren eingestellt. und die Kosten des Verfahrens der Behörde als Vollstreckungsschuldner auferlegt:

„Nachdem die Beteiligten übereinstimmend das Vollstreckungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist es in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen; zugleich entscheidet das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten.

Das Vollstreckungsverfahren nach § 170 VwGO ist im Beschlussverfahren nach der VwGO durchzuführen und kann deshalb durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet werden. Daraus folgt, dass für die Einstellung und Kostenentscheidung die Regelungen der §§ 92 Abs. 3, 161 Abs. 2 VwGO heranzuziehen sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 170 Rn. 2; VG Hannover, Beschluss vom 29. Januar 2004 – 6 D 85/04 -, BeckRS 2004, 21724).

Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des Vollstreckungsverfahrens dem Vollstreckungsschuldner aufzuerlegen, da er die Ursache für das Vollstreckungsverfahren gesetzt hat. Der Vollstreckungsschuldner hat die im Kostenfestsetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2022 – 1 K 120/19.KS – festgesetzte Summe nicht fristgemäß an die Bevollmächtigte des Klägers gezahlt oder hilfsweise, wie in der Grundentscheidung des Urteils als zulässig festgestellt, sich durch Hinterlegung der Kostenschuld von der Zahlungspflicht befreit.

Dem Vollstreckungsschuldner muss Gelegenheit gegeben werden, die Vollstreckung durch freiwillige Leistung innerhalb einer angemessenen Frist abzuwenden, deren Länge sich nach den Umständen des Einzelfalles richtet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1991 – 1 BvR 440/83 -, juris). Die Fristdauer bezogen auf die Zahlungspflicht ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht geregelt. Der Gläubiger muss über die für Kostenfestsetzungsbeschlüsse geltende Wartefrist von zwei Wochen nach § 173 VwGO i.V.m. § 798 ZPO hinaus aber die weiteren Besonderheiten berücksichtigen. Da es sich bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften um solvente Schuldner handelt, bei denen die Begleichung von Schulden aber mitunter haushaltstechnisch schwierig sein kann, muss der Vollstreckungsgläubiger eine weitere angemessene Zeit nach Zustellung des Titels zuwarten. § 882a ZPO, wonach zur Zwangsvollstreckung gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts eine Mahnfrist von vier Wochen einzuhalten ist, findet im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit zwar keine unmittelbare Anwendung (vgl. MüKoZPO/Dörndorfer, 6. Aufl. 2020, ZPO § 882a Rn. 20). In analoger Anwendung von § 882a ZPO beträgt die bei Behörden angemessene Zahlungsfrist für die Begleichung von Rechtsanwaltskosten aber – ohne das Hinzutreten weiterer Besonderheiten – vier Wochen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 2. März 2004 – 13 A 01.2055 -, juris, der von einem Monat ausgeht). Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Vollstreckungsschuldner die Erfüllung des Anordnungsanspruchs gegenüber den Vollstreckungsgläubigern zuvor ernsthaft verweigert hätte.

Im vorliegenden Fall ist der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Oktober 2022 den Beteiligten am 3. November 2022 übersandt und dem Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses trotz der Übermittlung in das elektronische Behördenpostfach erst am 10. November 2022 zugestellt worden. Die vom Kläger am 6. Dezember 2022 beantragte Vollstreckung wäre mithin vor Ablauf der vorgenannten Frist von vier Wochen (8. Dezember 2022) erfolgt. Allerdings ist der Bevollmächtigten des Klägers der Kostenfestsetzungsbeschluss bereits am 3. November 2022 zugegangen, so dass sie davon ausgehen durfte, dass auch dem Beklagten der Beschluss am selben Tag oder doch zeitnah zugestellt worden war. Ausgehend vom 3. November 2022 endete die Vier-Wochen-Frist am 1. Dezember 2022, so dass es nicht zu beanstanden ist, dass der Kläger den Antrag auf Vollstreckung am 6. Dezember 2022 bei dem Verwaltungsgericht gestellt hat.

Da der Beklagte auch erst am 12. Dezember 2022 und damit nach Zustellung der Antragsschrift die Hinterlegung beantragt und am 11. Januar 2023 die Hinterlegungssumme beim Amtsgericht eingezahlt hatte, war die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens aufgrund der vorherigen Untätigkeit des Beklagten nicht zu beanstanden. Auch wenn der Vollstreckungsschuldner nunmehr mit Schriftsatz vom 20. April 2023 geltend macht, die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens sei nach seiner Ansicht nicht erforderlich gewesen, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Vollstreckungsgläubiger nur die ihm aufgrund des Tenors des Urteils vom 14. Juli 2021 zustehenden Rechte geltend macht. Das Urteil enthält nicht – wie andere im Gesamtkomplex – den Ausspruch, dass die außergerichtlichen Kosten des Klägers nur gegen Sicherheitsleistung geltend gemacht werden können, sondern gibt dem Beklagten nur die Möglichkeit, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages) abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.“

Mit dem Beschluss werden einerseits den Behörden klare Vorgaben gemacht, ab wann sie mit einer Vollstreckung rechnen müssen, und andererseits aber auch den Betroffenen eine gewisse Wartefrist auferlegt. Damit ist m.E. gut abgewogen zwischen den Interessen des Klägers an einem möglichst schnellen Ausgleich seiner Kostenforderung und den Interessen der Behörden, bei denen es erfahrungsgemäß nicht immer so schnell geht, wie man es sich wünscht. Das hat sicherlich ggf. auch mit „haushaltstechnischen Schwierigkeiten“ zu tun. Man muss sich als „Gewinner“ also bei Behörden etwas mehr gedulden als die in § 798 ZPO vorgesehene Wartefrist nach Zustellung dauert. Nach vier Wochen ist dann aber Schluss.

Wird man sicherlich auch auf den Ausgleichvon (noch nicht titulierten) Kosten-/Auflagenforderungen erstrecken/anwenden können.

StGB III: Abgrenzung Raub/räuberische Erpressung, oder: Gegeben oder genommen?

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Und zum Tagesschluss dann der – schon etwas ältere – BGH, Beschl. v. 22.02.2023 – 6 StR 44/23 – zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung, also ein Klassiker.

Das LG hat die Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt. Dagegen die Revision, die zu einer Änderung der schuldsprüche führt:     .

„1. Die Schuldsprüche halten in den Fällen 1, 3 und 4 rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen entnahm der Angeklagte W.  Bargeld aus der Kasse einer Spielothek, die ein Mitarbeiter entriegelt hatte, nachdem ihn der Angeklagte S.    unter Vorhalt einer geladenen Schusswaffe zur Herausgabe von Geld aufgefordert hatte (Fall 1). Anlässlich eines weiteren Überfalls auf eine Tankstelle forderte der Angeklagte S. erneut unter Vorhalt einer geladenen Schusswaffe die Herausgabe von Geld, woraufhin eine Mitarbeiterin die Schublade mit Bargeld auf den Tresen stellte, die er leerte. Der Angeklagte W.  wartete im Fahrzeug (Fall 3). Nachdem beide Angeklagten einen Getränkemarkt betreten hatten, forderte der Angeklagte S. unter Vorhalt einer geladenen Schusswaffe Geld und Zigaretten, die ihm übergeben wurden. Zudem entnahm der Angeklagte aus einem Regal weitere Zigarettenschachteln (Fall 4).

b) Die Wertung des Landgerichts, in allen Fällen liege eine Vermögensverfügung vor, begegnet in den Fällen 1 und 3 durchgreifenden Bedenken.

aa) Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten. Wird dieser gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst zu dulden, so liegt Raub vor; wird er dagegen zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung, mithin einer Weggabe, genötigt, so ist – sofern eine Absicht rechtswidriger Bereicherung gegeben ist – eine räuberische Erpressung anzunehmen (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09; vom 12. August 2021 – 3 StR 474/20).

bb) Davon ausgehend liegt weder im Fall 1 noch im Fall 3 eine Vermögensverfügung seitens des Verletzten vor. Das mit Waffeneinsatz erzwungene Verhalten der Mitarbeiter hat nur zu einer Gewahrsamslockerung, nicht aber zu einer Gewahrsamsübertragung geführt (vgl. zur Entriegelung einer Kasse BGH, Beschluss vom 3. Juli 2013 – 4 StR 186/13). Es hat lediglich die Möglichkeit zur anschließenden Wegnahme eröffnet, aber noch keinen neuen Gewahrsam der Angeklagten begründet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 476/10; NStZ-RR 2011, 80; vom 24. April 2018 – 5 StR 606/17).

c) Zudem ist im Fall 4 im Hinblick auf die seitens des Angeklagten W.  entnommenen Zigaretten tateinheitlich der Tatbestand des schweren Raubes verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2021 – 6 StR 15/21; Beschluss vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 476/10, aaO; MüKoStGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 43).

2. Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. Das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 StPO wird durch die Schuldspruchänderung nicht verletzt; dieses schließt das Risiko einer Verschärfung des Schuldspruchs nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. September 2015 – 2 StR 71/15; vom 27. Juli 2010 – 4 StR 165/10; vom 18. Februar 2020 – 3 StR 430/19). § 265 StPO steht dem ebenfalls nicht entgegen, weil die im Wesentlichen geständigen Angeklagten sich nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können. Auf den Strafausspruch hat die Schuldspruchänderung wegen des unveränderten Unrechtsgehalts und gleichbleibender Strafrahmen keinen Einfluss.“

Ich glaube, ich wäre bei den Feststellungen gelich zum „Raub“ gekommen 🙂 .

StGB II: Scheinselbständig oder freier Mitarbeiter?, oder: Freie Mitarbeit in einer Rechtsanwaltskanzlei

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Die zweite Entscheidung, das BGH, Urt. v. 08.03.2023 – 1 StR 188/22 – befasst sich u.a. mit der Abgrenzung von freien Mitarbeitern und Scheinselbstständigen, und zwar bei Rechtsanwälten.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte, die Strafmaßrevision der StA hatte hingegen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der seit 1982 als niedergelassener Rechtsanwalt tätige Angeklagte beschäftigte über ein von ihm praktiziertes „Modell der freien Mitarbeiterschaft“ in seiner Kanzlei “   S. & Kollegen“ im verfahrensgegenständlichen Tatzeitraum von 2013 bis 2017 als alleiniger Kanzleiinhaber zwölf Rechtsanwälte zum Schein als selbständige freie Mitarbeiter, die tatsächlich bei ihm abhängig beschäftigt waren. Vor Beginn ihrer Tätigkeit in der Kanzlei schloss der Angeklagte mit den Rechtsanwälten einen im Wesentlichen gleichlautenden schriftlichen Vertrag („Freier Mitarbeitervertrag“) über eine zeitlich nicht befristete Zusammenarbeit sowie – in zehn dieser Fälle – eine im Wesentlichen gleichlautende weitere schriftliche Zusatzvereinbarung. Während der Mitarbeitervertrag insbesondere regelte, dass der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter für die Kanzlei tätig war, seine Sozialabgaben selbst abführte, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durfte sowie berechtigt war, das vereinbarte Jahresgehalt in monatlichen Teilbeträgen abzurufen, sah die Zusatzvereinbarung namentlich vor, dass die Beschäftigung eigenen Personals und die Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei der Zustimmung der Kanzlei bedurften und Werbemaßnahmen abzustimmen und zu genehmigen waren. Die vorgefertigten Vertragsentwürfe legte der Angeklagte den Rechtsanwälten zur Unterschrift vor, die sie ohne weiteres Aushandeln unterzeichneten.

Während ihrer Beschäftigung waren die Rechtsanwälte nur für den Angeklagten tätig, der ihnen auch die zu bearbeitenden Mandate zuwies. Sofern sie keine auswärtigen Termine wahrzunehmen hatten, erbrachten sie ihre Tätigkeit, wie vom Angeklagten erwartet und eingefordert, zu den Kanzleizeiten nahezu ausschließlich in den Kanzleiräumlichkeiten; hierfür stellte ihnen der Angeklagte, ohne sie an den Kosten zu beteiligen, neben einem eigenen Büro das geschulte kanzleiinterne Personal sowie die gesamte sonstige Infrastruktur seiner Kanzlei zur Verfügung. Das vereinbarte Jahreshonorar riefen die Rechtsanwälte regelmäßig einmal pro Monat anteilig, also in Höhe eines Zwölftels, per Rechnung ab, unabhängig von dem durch sie in dem jeweiligen Abrechnungszeitraum erwirtschafteten Umsatz.

Insgesamt enthielt der Angeklagte den vier zuständigen Einzugsstellen von Februar 2013 bis Dezember 2017 in 189 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 118.850,58 € vor.§

In rechtlicher Hinsicht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der zwölf näher bezeichneten Anwälte im Tatzeitraum als abhängige Beschäftigung einzustufen sei und die angefallenen Sozialversicherungsabgaben vorenthalten worden sind. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die umfangreiche Begründung der Entscheidung.

Hier nur die Leitsätze zu dem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Urteil:

1. Für die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend; soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen.

2. Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung lassen nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen, sondern sind erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.

StGB I: Holzpalette angezündet ==> Lagerhalle brennt, oder: Taugliches Tatobjekt einer Brandstiftung?

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Heute stelle ich einige StGB-Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem schon etwas älteren BGH, Beschl. v. 25.10.2022 – 4 StR 268/22; manche Entscheidungen werde schlichtweg übersehen.

Es geht um Brandstiftung. Das LG hat den Angeklagten wegen Brandstiftung verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die Erfolg hatte.

Das LG hatte folgende Feststeluungen getroffen: Der Angeklagte zündete „eine Holzpalette an, die sich wie eine Vielzahl weiterer Holzpaletten sowie leerer Lager- und Materialboxen unter dem zehn Meter tiefen Vordach einer Lagerhalle eines Industriedienstes befand. Dabei hielt es der Angeklagte zumindest ernstlich für möglich, dass das dadurch entstehende Feuer um sich greifen und die weiteren Holzpaletten und später auch das gesamte Gebäude erfassen könnte, was er jedenfalls billigend in Kauf nahm. Tatsächlich entzündete der Brand sämtliche dort abgelegten Paletten und griff auf die Lagerhalle über. Durch das vollständige Niederbrennen der Halle, des dort gelagerten Materials und von Maschinen entstand ein Schaden von mindestens vier Millionen Euro.“

Dazu der BGH:

„1. Der Schuldspruch wegen Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 StGB kann keinen Bestand haben.

a) Die vom Landgericht angenommene Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB wird durch die Feststellungen nicht belegt, weil sich aus ihnen nicht ergibt, dass ein Tatobjekt im Sinne dieser Vorschrift in Brand gesetzt worden ist.

aa) Gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer fremde Warenlager oder -vorräte in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört. Waren sind körperliche Gegenstände, die zum gewerblichen Umsatz, regelmäßig zum Verkauf, bestimmt sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2018 – 4 StR 371/18 Rn. 9, BGHSt 63, 300; Urteil vom 22. März 2018 – 5 StR 603/17 Rn. 6, BGHSt 63, 111, 113; Radtke in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 306 Rn. 35; Wolff in LK-StGB, 12. Aufl., § 306 Rn. 31; Wolters in SSW-StGB, 5. Aufl., § 306 Rn. 5; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 306 Rn. 6; Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 306 Rn. 6). Die Begriffsbestimmung der Waren als zum Umsatz bestimmte beweglichen Sachen entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch, wie er auch in § 92 Abs. 2 BGB und § 241a Abs. 1 BGB seinen Niederschlag gefunden hat. Zu einem anderen Begriffsverständnis geben auch die Gesetzesmaterialien zum Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164), das den Begriff des Magazins durch den des Warenlagers ersetzt hat, keinen Anlass (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 47, 69, 86). Der Gesetzgeber hat in dem Bestreben, den Katalog der Tatobjekte den Erfordernissen der heutigen Wirtschaftsordnung anzupassen (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 25 f., 87; BGH, Urteil vom 22. März 2018 – 5 StR 603/17 Rn. 9, BGHSt 63, 111, 114), bewusst den umfassenderen Begriff des Magazins aufgegeben, zu dem nach der Rechtsprechung ein Gebäude, eine Baulichkeit oder eine sonstige dauernde Einrichtung zählten, in welchen „bestimmungsgemäß größere Vorräte von Waren, Konsumtibilien, Kriegsbedürfnissen oder dergleichen Gegenständen aufgespeichert werden“ (vgl. RG, Urteil vom 11. März 1886 – 255/86, RGSt 13, 407). Keine Waren im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind demnach Gegenstände, die zum Eigenverbrauch oder zur Weiterverarbeitung vor Ort bestimmt sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2018 – 4 StR 371/18 Rn. 9, BGHSt 63, 300; BGH, Urteil vom 22. März 2018 – 5 StR 603/18 Rn. 6, BGHSt 63, 111, 113; Wolters aaO).

bb) Daran gemessen wird die Annahme tauglicher Tatobjekte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB durch das Landgericht nicht von den Feststellungen getragen. Aus den Urteilgründen ergibt sich auch in ihrer Gesamtheit nicht, dass das in der Halle gelagerte Material und die Maschinen selbst zum gewerblichen Umsatz bestimmt waren. Das versteht sich angesichts der knappen Information zur Nutzerin der Halle („Industriedienste“) und zu den gelagerten Sachen („Material“) auch nicht von selbst, da der Begriff „Material“ gerade nicht zur Veräußerung vorgesehene Produkte sondern vielmehr Gegenstände nahelegt, die zum eigenen Verbrauch oder zur Weiterverarbeitung bestimmt und daher von der Vorschrift des § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht geschützt sind.

b) Die Urteilsgründe ergeben auch nicht, dass sich der Angeklagte einer Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat. Zwar kann den insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen noch entnommen werden, dass durch den Angeklagten Tatobjekte in Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB in Brand gesetzt worden sind. Denn bei der Lagerhalle handelte es sich ersichtlich um ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet, und damit um ein Gebäude im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1954 – 1 StR 494/53, BGHSt 6, 107). Auch ist der objektive Tatbestand von § 306 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt, da die Lagerhalle mit Materialien und Maschinen eine Sachgesamtheit von baulichen Anlagen und Inventar darstellte, die einem gewerblichen Betrieb dienten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014 ? 3 StR 353/13 Rn. 16). Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe hinsichtlich der Brandlegung mit bedingtem Vorsatz gehandelt, ist aber nicht beweiswürdigend belegt.

aa) Eine vollendete Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 StGB in der hier gegebenen Variante der Inbrandsetzung setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz), dass durch seine Tathandlung das in Rede stehende Tatobjekt – wie tatsächlich geschehen – vom Feuer ergriffen wird und selbständig weiterbrennt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – 4 StR 324/19 Rn. 17, NStZ 2020, 402 mwN). Dabei muss sich der Vorsatz auch auf den zum Eintritt des Erfolges führenden Geschehensverlauf erstrecken, wobei eine Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als unwesentlich anzusehen ist, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 223/15 Rn. 12 mwN). Das Bestehen eines solchen Vorsatzes im Tatzeitpunkt ist – sofern sich dies nicht ausnahmsweise von selbst ergibt – beweiswürdigend zu belegen. Bei einem – wie hier – leugnenden Angeklagten können innere Tatsachen wie seine Vorstellungen über die möglichen Folgen seines Handelns und deren Billigung regelmäßig durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen festgestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. September 2017 – 5 StR 222/17 Rn. 17, NJW 2018, 246, 248). Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Frage, ob der Täter mit Brandstiftungsvorsatz gehandelt hat, ist der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein Tatobjekt in Brand gerät (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2013 – 1 StR 578/12 Rn. 28, NStZ 2014, 647, 651 mwN). Maßgebend ist insoweit aber stets eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände (vgl. Urteil vom 6. Dezember 2018 – 4 StR 371/18 Rn. 24 f., BGHSt 63, 300; Beschluss vom 4. März 2010 – 4 StR 62/10 Rn. 5, NStZ-RR 2010, 241).

bb) Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht. Das Landgericht hat zwar festgestellt, dass der Angeklagte es zumindest für ernstlich möglich hielt, dass das durch das Anzünden der Palette entstehende Feuer um sich greifen und die weiteren Holzpaletten und später auch das gesamte Gebäude erfassen konnte, was er jedenfalls billigend in Kauf nahm. In der Beweiswürdigung finden sich aber keinerlei Erwägungen dazu, woraus sich diese Feststellung ergibt. Es ist auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen, aus welchen Umständen (beispielsweise aus dem Abstand der Paletten von der Gebäudewand bzw. dem Vordach oder aus der Beschaffenheit von Hallenwand bzw. Vordach) die Strafkammer gefolgert hat, der Angeklagte habe ein Übergreifen der Flammen von der von ihm angezündeten Holzpalette unter dem Vordach auf die Halle für möglich gehalten und gebilligt. Ausführungen dazu sind auch nicht entbehrlich, weil sich angesichts der spärlichen Feststellungen zu den Örtlichkeiten und sonstigen Umständen der für den Brandstiftungsvorsatz des Angeklagten wesentliche Grad der Wahrscheinlichkeit dafür, dass durch das Anzünden einer Palette auch die Lagerhalle in Brand gerät, nicht von selbst versteht.“