Archiv für den Monat: August 2023

Verkehrsrecht I: Geschwindigkeitsfeststellung, oder: Absichtsmerkmal beim Alleinrennen

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Ich habe länger keinen „Verkehrsrechtstag“ 🙂 mehr gemacht. Den bringe ich dann heute.

Zunächst hier der KG, Beschl. v. 08.05.2023 – 3 ORs 22/23 – 161 Ss 60/23 – zur Geschwindigkeitsfeststellung beim sog. „Alleinrennens“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Das KG hat die Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Es hat zur einer Stellungnahme des Verteidigers nur „ergänzend“ Stellung genommen: nur ergänzende

„Als unproblematisch erweisen sich die äußeren Tatbestandsmerkmale des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und der vom Landgericht festgestellte allgemeine Tatbestandsvorsatz. Die Feststellungen rechtfertigen auch die Bewertung der Tat als rücksichtslos. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

1. Im Grundsatz zutreffend problematisiert die Revision, dass die vom Landgericht festgestellten Geschwindigkeiten von zunächst 120 km/h, dann 149 km/h, hiernach wieder 120 km/h und schließlich 177 km/h (bei erlaubten 80 km/h) unorthodox festgestellt worden sind. Denn das Urteil teilt zwar mit, das „geeichte Messgerät ProViDa“ sei im verfolgenden Polizeifahrzeug eingeschaltet gewesen, „um die gefahrene Geschwindigkeit zu messen und hierüber die Geschwindigkeit des Angeklagten zu bestimmen“ (UA S. 5). Die Urteilsgründe verhalten sich aber nicht zum mit dem geeichten Gerät verwendeten Messverfahren (ProViDa), ein elektronisches Messverfahren zur Bestimmung der Durchschnittsgeschwindigkeit von Fahrzeugen. Die Gründe enthalten auch nichts zu der, wie senatsbekannt, hiermit üblicherweise verbundenen Auswertung durch eine so genannte Videodistanzanalysesoftware (ViDistA) und namentlich nichts dazu, welche (Durchschnitts-) Geschwindigkeit über dieses standardisierte Messverfahren gegebenenfalls beweissicher ermittelt worden ist. Vielmehr weisen die Urteilsfeststellungen nur aus, welche Werte der polizeiliche Zeuge auf dem Gerätedisplay situativ abgelesen hat. Diese belegen aber für sich betrachtet und ohne Weg-Zeit-Berechnung nur die vom Polizeifahrzeug gefahrene Geschwindigkeit, hingegen nicht diejenige des vorausfahrenden Angeklagten.

Diese Darstellung erweist sich aber im Ergebnis als nicht rechtsfehlerhaft. Es gibt nämlich keinen Numerus Clausus der Verfahren zur Geschwindigkeitsermittlung. Es besteht auch keine Regel, der zufolge ein Messverfahren ausschließlich seiner (komplexen) Bestimmung nach verwendet werden darf. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO), welche für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen ist (§ 267 Abs. 1 StPO).

Die sich hieraus ergebenden Anforderungen erfüllt das Urteil. Es teilt nämlich mit, dass sich der zunächst „etwa gleichbleibende Abstand“ des verfolgenden Polizeifahrzeugs zum vom Angeklagten geführten PKW Porsche 911 im Zeitpunkt des Ablesens des höchsten Geschwindigkeitswertes (177 km/h) noch vergrößerte (UA S. 4 und 6 oben). Da das Urteil auch angibt, dass das Messgerät geeicht war (UA S. 5), kann der Senat die Bewertung des Landgerichts nachvollziehen, der Angeklagte habe gegen Ende der etwa 3.500 Meter langen Strecke tatsächlich die Geschwindigkeit von 177 km/h erreicht. Der Einwand der Revision, „dass Tachometer immer vorgestellt sind“ (RB S. 2), geht angesichts der festgestellten Eichung hier fehl.

2. Die Feststellungen weisen auch aus, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) (UA S. 3). Dass die Strafkammer hierbei eine Formulierung verwendet, die fast dem Gesetzeswortlaut entspricht, ist hinzunehmen. Zum einen wird die gesetzliche Phrase um tatsächliche Merkmale ergänzt („mit seinem hochmotorisierten PKW über eine längere Wegstrecke bei der konkret vorliegenden Verkehrslage“ [UA S. 3]). Zum anderen enthält auch die Beweiswürdigung weitere tatsächliche Eigenschaften des gesetzlichen Absichtsmerkmals (hierzu nachfolgend).

3. Die Absicht, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“, wird auch durch die Beweiswürdigung getragen.

a) Zur Erfüllung des tatbestandlichen Absichtsmerkmals muss der Täter nicht das Ziel verfolgen, die Möglichkeiten seines Fahrzeugs „voll auszureizen“. Ein solches Erfordernis würde den Täter, der ein hochmotorisiertes Fahrzeug führt und sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen kann, ohne an das Limit der technischen Leistungsfähigkeit zu gehen, unangemessen und sinnwidrig begünstigen (vgl. Senat NZV 2019 314 [m. zust. Anm. Quarch]). Das Gesetz stellt hier auf die „relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit“ ab (vgl. Senat a.a.O.; BeckOK StGB/Kulhanek, 56. Ed., § 315d Rn. 35; MüKo/Pegel, StGB 4. Aufl., § 315d Rn. 26; vgl. auch BT-Drs. 18/12964, 5). Dies fasst insbesondere die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit (wobei diese nicht erreicht sein muss), das subjektive Geschwindigkeitsempfinden, die Verkehrslage und die Witterungsbedingungen zusammen (BT-Drs. 18/12964, 5, vgl. auch Senat a.a.O.). Auf diese Weise sollen der nachgestellte Renncharakter manifestiert, bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen hingegen nicht von der Strafbarkeit umfasst werden, auch wenn sie erheblich sind (BT-Drs. 18/12964, 6). Gerade nicht erforderlich ist demnach, dass der Täter tatsächlich mit der fahrzeugspezifisch höchstmöglichen Geschwindigkeit gefahren ist (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, StGB 30. Aufl., § 315d Rn. 9).

b) Nachvollziehbar hat die Strafkammer aus der nach außen erkennbar gewordenen Fahrweise des Angeklagten auf die nach diesen Maßgaben bestimmte Absicht geschlossen, „eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Als tatsächlich zweifelhaft mag dabei erscheinen, ob die frappierend hohe und die zulässige Höchstgeschwindigkeit um fast 100 km/h und mehr als 120% überschreitende Geschwindigkeit allein eine tragfähige Grundlage gewesen wäre, auf das gesetzliche Absichtsmerkmal zu schließen. Das Landgericht hat seine Schlussfolgerung auf die innere Tatseite aber auf weitere äußere Umstände gestützt. Zum einen hat es eine äußerst bedrängende Fahrweise festgestellt: Der Angeklagte fuhr nämlich über einen Großteil der Strecke mit einem Abstand von nur 20 bis 25 Meter hinter einem PKW, wobei letzterer nach dem ersten „Auffahren“ des Angeklagten von 120 auf 149 km/h beschleunigt wurde (UA S. 3). Zum anderen beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug „sofort stark“ (UA S. 4) von 120 auf 177 km/h, nachdem das vorausfahrende Fahrzeug die linke Fahrspur verlassen hatte. Eine noch höhere Geschwindigkeit, so teilt das Urteil als glaubhafte Bekundung des polizeilichen Zeugen mit, sei „in Anbetracht der Verkehrslage“ unmöglich gewesen (UA S. 6). Der Zusammenhang der Feststellungen legt zudem nahe, dass dem Angeklagten eine noch höhere Geschwindigkeit auch deshalb nicht möglich gewesen wäre, weil er nach Erreichen der 177 km/h die Autobahn an der Anschlussstelle Späthstraße verließ. Dies räumt auch, ohne dass es darauf ankäme, die Verteidigung in ihrer Stellungnahme vom 3. Mai 2023 ein. Die Einwendung der Revision, „ein Porsche“ sei technisch in der Lage, „höchste Geschwindigkeiten (bis über 300 km/h) zu halten“ (RB S. 2), mag sachlich allgemein zutreffen, geht aber an den hier getroffenen tatsächlichen Feststellungen, nach denen eine höhere Geschwindigkeit als 177 km/h situationsbedingt nicht möglich war, vorbei. Unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang auch die Erklärung der Revision, die vom Angeklagten erreichte Geschwindigkeit sei „erforderlich“ gewesen, um „die nächste Ausfahrt zu erreichen“ (Gegenerklärung vom 3. Mai 2023).

c) Die durch das Landgericht vom äußeren Tatgeschehen auf die „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ gezogene Schlussfolgerung erweist sich damit als möglich und vertretbar. Sie entzieht sich mithin revisionsrechtlicher Intervention.“

 

 

 

Lösung zu: Entsteht für die Teilnahme an der richterlichen Ermahnung eine Terminsgebühr?

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Am Freitag hatte ich die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Entsteht für die Teilnahme an der richterlichen Ermahnung eine Terminsgebühr? – in den Raum gestellt. Eine interessante Problematik, zu der ich dem Kollegen wie folgt geschrieben habe:

„……

„Sie haben Recht, die Nr. 4102 VV RVG wird restriktiv gesehen, und zwar m.E. zu Recht, so dass eine analoge Anwendung der Vorschrift ausscheidet.

Es bleibt dann nur, den Sachverhalt unter einen der geregelten Fälle einzuordnen. Und da bietet sich in der Tat die Nr. 1 an. Allerdings m.E. nur, wenn im Termin auch eine „Vernehmung“ = eine Anhörung mit Geständnis des Jugendlichen erfolgt.

Es gibt eine Entscheidung des AG Bad Kreuznach, RVGreport 2018, 259 = AGS 2018, 342 zur Vernehmung bei einer Durchsuchung. Sie finden die Entscheidung hier: AG Bad Kreuznach, Beschl. v. 23.04.2018 – 400 Cs 1023 Js 7986/16.

Vielleicht lässt sich darauf Honig saugen. Ein Versuch wäre es wert. Falls Sie eine Entscheidung erstreiten, wäre ich für deren Überlassung dankbar.“

Die Problematik ist dann in meinen RVG-Ordner gekommen für die nächste Auflage des RVG-Kommentars. Bei der Gelegenheit 🙂 – Werbemodus an: Den Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, kann man hier bestellen. <<Werbemodus aus>>.

beA II: Wirksamkeit der Revisionsrücknahme, oder: Rücknahme des Rechtsmittels geht auch ohne beA

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Und als zweite Entscheidung zum beA und zu den neuen Formvorschriften dann der BGH, Beschl. v. 04.07.2023 – 4 StR 171/23 – zur Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme.

Auszugehen war von folgendem Sachverhalt: Das LG hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nachdem der Pflichtverteidiger der Beschuldigten frist- und formgerecht Revision gegen das Urteil eingelegt hatte, hat die weitere Pflichtverteidigerin der Beschuldigten mit Schreiben vom 27.02.2023, dem LG per Fax zugegangen am selben Tag, erklärt, dass sie „nach mehrfacher und ausführlicher Rücksprache mit der Mandantin und deren Betreuer“ die Revision zurücknehme.

Mit Schreiben vom 13.02.2023 an das LG hat der Pflichtverteidiger erklärt, die Beschuldigte habe ihm mitgeteilt, eine Ermächtigung zur Rücknahme der Revision nicht erteilt zu haben. Am folgenden Tag hat er dem Landgericht frist- und formgerecht die Revisionsbegründung sowie ein Schreiben der Beschuldigten übermittelt, in welchem diese erklärt, dass sie ihre weitere Verteidigerin nicht ausdrücklich zur Revisionsrücknahme ermächtigt habe, und für den Fall, dass sie „eine Erklärung abgegeben haben sollte, die als solcherart Ermächtigung zu werten sein könnte oder ist“, diese zurücknehme; an der Revision solle festgehalten werden. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 21.3.2023 hat die Pflichtverteidigerin sodann erklärt, dass die Beschuldigte sie „in vielen ausführlichen Telefonaten ab dem 09.02.2023 mehrfach darum gebeten [habe], die Revision gegen das Urteil vom 19.12.2022 zurückzunehmen“.

Mit Beschluss vom 13.04.2023 hat das LG festgestellt, dass die Revision der Beschuldigten wirksam zurückgenommen worden ist. Gegen diese Entscheidung des LG richtet sich der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts. Der BGH hat festgestellt, dass die Revision wirksam zurückgenommen worden ist:

„2. Die Revision ist wirksam zurückgenommen worden.

a) Das Schreiben vom 27. Februar 2023, mit dem die Verteidigerin die Zurücknahme der Revision erklärt hat, ist dem Landgericht formgerecht übermittelt worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehen für die Rücknahmeerklärung wie auch für die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung grundsätzlich dieselben Formerfordernisse wie für die Einlegung des Rechtsmittels (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 4 StR 691/10, wistra 2011, 314 Rn. 7; Urteil vom 12. Februar 1963 – 1 StR 561/62, BGHSt 18, 257, 260 mwN). Den somit zu beachtenden Anforderungen des § 341 Abs. 1 StPO genügt die Rücknahmeerklärung, denn sie ist schriftlich erfolgt (vgl. zur Wahrung der Schriftform durch Telefax GmS-OGB, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160, 164).

Auf die für Verteidiger geltende Pflicht zur elektronischen Übermittlung einer Revision aus § 32d Satz 2 StPO erstreckt sich die Übertragung der für die Einlegung eines Rechtsmittels geltenden Formerfordernisse auf dessen Zurücknahme nicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. November 2022 – 1 Ws 312/22, NStZ-RR 2023, 81; BeckOK-StPO/Cirener, 47. Ed., § 302 Rn. 4; Valerius, ebd., § 32d Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 302 Rn. 7). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie aus historischen und teleologischen Erwägungen. § 32d Satz 2 StPO zählt diejenigen Prozesserklärungen, für die die Übermittlung als elektronisches Dokument zwingend vorgeschrieben und infolgedessen eine Wirksamkeitsvoraussetzung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 – 3 StR 86/22, wistra 2022, 388 mwN), enumerativ auf. Schriftsätze anderen Inhalts unterliegen demgegenüber nur der Sollvorschrift des § 32d Satz 1 StPO. Ausweislich der Begründung des diesen Vorschriften zugrundeliegenden Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (BT-Drucks. 18/9416, S. 50 f.) handelt es sich hierbei um eine bewusste Differenzierung, mit der der Gesetzgeber nur bestimmte schriftliche Erklärungen von Verteidigern oder Rechtsanwälten – nämlich nur solche, bei denen ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation abzugeben sind – der strengen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs unterwerfen wollte. Die Erklärungen der Rechtsmittelrücknahme und des Rechtsmittelverzichts fehlen in dem Katalog des § 32d Satz 2 StPO, was bei der Anwendung des Gesetzes unbeschadet des Umstandes, dass auch sie regelmäßig nicht eilbedürftig sind, hinzunehmen ist (so auch OLG Karlsruhe, aaO). Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 32d Satz 2 StPO auf diese Prozesserklärungen ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, der die Rechtsprechung veranlasst hat, für sie grundsätzlich dieselbe Form zu verlangen wie für die Einlegung des Rechtsmittels. Denn dieser besteht maßgeblich in dem Gedanken des Übereilungsschutzes; der Formzwang soll den zu der Erklärung Berechtigten zu einer gründlichen Prüfung des Für und Wider seines Schrittes veranlassen und ihn vor einer unüberlegten Entscheidung bewahren (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1963 – 1 StR 561/62, BGHSt 18, 257, 260). Dies gewährleisten aber bereits die Formanforderungen des § 341 Abs. 1 StPO, namentlich das hier gewahrte Schriftformerfordernis. Die für Rechtsanwälte geltenden Pflichten zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs sind hingegen weder geeignet noch bestimmt, diesen Schutz weiter zu erhöhen; sie sollen vielmehr lediglich sicherstellen, dass die vom Gesetzgeber gewollten Vorteile der elektronischen Aktenführung verwirklicht werden können (vgl. KK-StPO/Graf, 9. Aufl., § 32d Rn. 1). Sie auf die im Gesetz nicht genannten Prozesserklärungen nach § 302 StPO zu erweitern ist somit auch teleologisch nicht veranlasst.“

Und auch die anderen „klassischen“ Punkte hat der BGH bejaht:

„b) Der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung steht auch nicht entgegen, dass sie nicht von demjenigen Pflichtverteidiger abgegeben worden ist, der auch die Revision eingelegt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 1995 – 3 StR 205/95). Die Verteidigerin war zu der Erklärung ermächtigt (§ 302 Abs. 2 StPO). Für diese Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich und telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19 Rn. 5). Eine solche enthielt sowohl das Rücknahmeschreiben der Verteidigerin vom 27. Februar 2023 als auch deren weitere schriftliche Stellungnahme vom 21. März 2023. Deren Beweiswirkung wird auch durch das von dem anderen Verteidiger eingereichte Schreiben der Beschuldigten vom 14. März 2023 nicht entkräftet. Denn aus diesem geht hervor, dass die Beschuldigte sich gerade nicht imstande sieht auszuschließen, dass sie ihrer Verteidigerin gegenüber – wie von dieser vorgetragen – eine Erklärung abgegeben habe, die als Ermächtigung „zu werten“ war.

Die Beschuldigte hat die der Verteidigerin erteilte Ermächtigung auch nicht wirksam widerrufen. Ein Widerruf der Ermächtigung zur Revisionsrücknahme ist nur zulässig, solange die Rücknahmeerklärung noch nicht bei Gericht eingegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 4 StR 558/16, NStZ-RR 2017, 185, 186). Dies war aber am 14. März 2023 bereits geschehen; ein zu einem früheren Zeitpunkt der Verteidigerin gegenüber erklärter Widerruf der Ermächtigung ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein Widerruf oder eine Anfechtung der Rücknahmeerklärung selbst kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 StR 447/20 Rn. 4 mwN).

c) Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigte nicht in der Lage gewesen sein könnte, die Bedeutung der von ihr abgegebenen Erklärung zu erfassen (vgl. zur maßgeblichen prozessualen Handlungsfähigkeit BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488 mwN). Zwar ist ausweislich der Urteilsgründe bei der Beschuldigten in der Kindheit eine Grenzbegabung (IQ 73) festgestellt worden und sie hat nur bis zu ihrem 14. Lebensjahr die Schule, eine Förderschule, besucht. Überdies besteht bei ihr eine paranoide Schizophrenie. Allerdings konnte deren Symptomatik durch die der Beschuldigten in der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verabreichten antipsychotischen Medikamente erheblich vermindert werden, so dass im Urteilszeitpunkt Halluzinationen zwar noch vorhanden, aber nicht mehr handlungsleitend waren. Der Beschuldigten konnten ihre Erkrankung und die Bedeutung der medikamentösen Therapie jedenfalls oberflächlich vermittelt werden. Die Beschuldigte war ausweislich des im Freibeweisverfahren verwertbaren Akteninhalts (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488 mwN) zudem bereits während des laufenden landgerichtlichen Verfahrens in der Lage, sich mit schriftlichen Eingaben unter Angabe der Aktenzeichen an die Staatsanwaltschaft und „den zuständigen Richter“ zu wenden und auf in sich schlüssige Weise ihre Interessen wahrzunehmen, insbesondere ihre „Entlassung auf Bewährung aus dem Maßregelvollzug“ unter Äußerung des Bedauerns über die Anlasstaten und dem Versprechen, sich an etwaige Bewährungsauflagen halten zu wollen, anzuregen. Auch ihr Schreiben vom 14. März 2023, mit dem sie nicht geltend macht, die Bedeutung einer von ihr erteilten Ermächtigung zur Zurücknahme der Revision nicht verstanden zu haben, sondern nur die Erteilung in Abrede stellt und eine etwa doch erklärte Ermächtigung widerruft, spricht für die Verhandlungsfähigkeit der Beschuldigten, welche im Übrigen auch das Landgericht – auf der Grundlage seines in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks – ohne weiteres angenommen hat.“

Den vom BGH zitierten OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.2022 – 1 Ws 312/22 – hatte ich hier auch im Blog, und zwar hier: beA II: Wirksamkeit der Berufungsrücknahme per Fax, oder: Berufungsrücknahme per Fax zulässig.

beA I: Zur Wirksamkeit der Revisionsbegründung, oder: Allein die Unterzeichnung „Rechtsanwalt“ reicht nicht

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In die 32. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zum beA/elektronischen Dokument. Hier zunächst zum Warmwerden der BGH, Beschl. v. 19.04.2023 – 2 StR 56/23.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes  verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte.

Zur Wirksamkeit der Revisionsbegründudng führt der BGH aus:

„1. Der Senat gewährt dem Angeklagten auf Antrag Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision.

a) Der Angeklagte hat gegen das Urteil mit bei Gericht fristgerecht eingegangenem Schriftsatz wirksam über seinen Verteidiger Revision eingelegt. Das Urteil ist dem Verteidiger am 25. Oktober 2022 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 22. November 2022, das lediglich mit „Rechtsanwalt“ endet und über das besondere elektronische Anwaltspostfach unter der Kennung des Verteidigers am selben Tag übersandt worden ist, ist die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben worden. Die Revisionsbegründungsschrift entspricht – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausführt – nicht den Anforderungen der §§ 342 Abs. 2, 32d Satz 2, 32a Abs. 3 StPO, weil sich allein mit der Bezeichnung „Rechtsanwalt“ keine bestimmte Person zuordnen lässt, die Verantwortung für deren Inhalt übernommen hat. In seiner Zuschrift vom 6. März 2023, dem Angeklagten am selben Tag zugestellt, hat der Generalbundesanwalt auf die Formunwirksamkeit der Rechtsmittelbegründung hingewiesen. Über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach hat der Verteidiger am 9. März 2023 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und zugleich die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Nach dem anwaltlich versicherten Vortrag des Verteidigers beruhte der Umstand, dass die Revisionsbegründung nicht den Formanforderungen genügte, auf dessen Versehen, welches ihm erst durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgefallen sei.

b) Auf den mit Schriftsatz vom 9. März 2023 zulässigen Antrag gewährt der Senat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Voraussetzungen des § 45 StPO liegen vor. Der Verteidiger hat die Revisionsbegründung in wirksamer Form innerhalb der Wochenfrist nachgeholt. Den Angeklagten trifft kein Verschulden daran, dass die Revisionsbegründung seines Verteidigers vom 22. November 2022 den Formvorschriften nicht genügte.

2. Die Revision ist unbegründet, ……“

Sonntagswitz, heute dann noch einmal die Ostfriesen

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Und ich bin immer noch auf Borkum – zu einem Herbsturlaub 🙂 . Und dann gibt es natürlich Ostfriesenwitze – wie gehabt. Da sind dann:

Zwei Ostfriesen gehen in einen Schuhladen und fragen nach Krokodillederschuhen.

Die Halbschuhe kosten 900 EUR und die Stiefelletten 1.400 EUR. Da das zu teuer ist, beschließen sie, selbst an den Nil zu fahren und ein Krokodil zu schießen.

Gesagt – getan; sie stehen im Nil und schießen ein Kroko nach dem anderen.

Nach dem 15. Kroko, das sie auf den Uferstreifen werfen, sagt der eine zum anderen: „Also eins knall’ ich noch ab, aber wenn das auch keine Schuhe an hat, dann fahr‘ ich wieder nach Hause!“


Ein Ostfriese geht mit seiner Freundin spazieren.

Beide sehen, wie gerade ein Bulle eine Kuh besteigt.

Da flüstert der Ostfriese seiner Freundin ins Ohr: „Dazu hätte ich jetzt auch Lust.“

Darauf Sie: „Das kannst du doch. Es sind doch eure Kühe.“


Der Ostfriese nimmt ein Fußbad.

Seine Frau kommt ins Zimmer und starrt ihn verwundert an. „Sag mall, warum ziehst du nicht die Socken aus?“

„Weisst du, wie kalt das Wasser ist?“


Zwei Ostfriesen bauen ein Gartenhaus. Plötzlich wirft einer einen Nagel weg.

Fragt der andere: „Warum wirfst Du denn den Nagel weg?“

„Der hatte den Kopf auf der falschen Seite.“

„Du spinnst wohl, das war doch einer der Nägel für die Rückseite.“