Archiv für den Monat: Juli 2023

Bewährung III: Richtiger Weg im Widerrufsverfahren?, oder: Verzicht auf die Verurteilenanhörung zulässig?

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Und zum Schluss dann noch der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.06.2023 – 3 Ws 118/23 – zur Frage, wann auf die erforderliche Anhörung des Verurteilten bei beabsichtigtem Bewährungswiderruf verzichtet werden kann.

Die StVK hatte eine Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Dagegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde, die Erfolg hatte-

„…… Das zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg, weil die erforderliche mündliche Anhörung des Verurteilten nachzuholen ist.

Nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO gibt das Gericht, wenn es über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden hat, dem Verurteilten zuvor Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Verurteilte beachtenswerte Gründe für die Nichterfüllung haben kann, aber nicht in der Lage ist, diese Gründe in einer das Gericht überzeugenden Weise schriftlich darzustellen. Das Gesetz will damit von vornherein der Gefahr begegnen, dass schwerwiegende Widerrufsentscheidungen ohne zureichende Tatsachengrundlage ergehen. Die Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet dem Gericht lediglich die Möglichkeit, von der grundsätzlich zwingend gebotenen mündlichen Anhörung aus schwerwiegenden Gründen abzusehen (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2011, 220). •

Dieser Verpflichtung zur mündlichen Anhörung ist die Strafvollstreckungskammer hier nicht in der gebotenen Weise nachgekommen.

Der Verurteilte wurde .zunächst mit gerichtlicher Verfügung vom 22.3.2023 zur Anhörung über die „Frage des Bewährungswiderrufs“ auf den 18.4.2023 geladen. Die ihm formlos mitgeteilte Ladung zu diesem Termin erreichte den Verurteilten nicht, vielmehr geriet sie mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ in postalischen Rücklauf (Bewährungsheft, S. 65). Die Strafvollstreckungskammer erhielt im Nachgang Kenntnis davon, dass der Verurteilte sich nach am 26.3.2023 erfolgter Festnahme in anderer Sache in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim befand. Mit Verfügung vom 17.4.2023 bestimmte das Gericht daher neuen Anhörungstermin „im Rahmen der Videokonferenz“ auf den 21.4.2023. Die Teilnahme an dieser Videokonferenz, von deren geplanter Durchführung der nach wie‘ vor in Haft befindliche Verurteilte nach eigenen Angaben erst am 19.4.2023 erfuhr, verweigerte er nach telefonischer Rücksprache mit seinem Verteidiger.

Diese Weigerung kann nicht als Verzicht des Verurteilten auf das Anhörungsrecht — im Sinne eines besonders schwerwiegenden Grundes für die Nichtdurchführung einer mündlichen Anhörung — gewertet werden, denn ausweislich der Akten war ihm der Gegenstand des auf den 21.4.2023 anberaumten Anhörungstermins nicht mitgeteilt worden; ein Hinweis auf den drohenden, von der Staatsanwaltschaft Mannheim beantragten Bewährungswiderruf unterblieb.

Bei Zweifeln an der uneingeschränkten Ablehnung des Verurteilten, sich einer mündlichen Anhörung zu stellen, muss sich jedoch das mit dem Widerruf befasste Gericht wegen des Ausnahmecharakters des Absehens von der mündlichen Anhörung zunächst in geeigneter Weise die Überzeugung verschaffen, ob der Verurteilte wirklich nicht mündlich angehört werden will (vgl. Senat, Justiz 2002, 135; OLG Düsseldorf, NStZ 1988, 243; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 91). Dies ist hier nicht geschehen. Der Verurteilte versichert in seinem Beschwerdeschreiben vom 3.5.2023 zudem, dass er bei Kenntnis des Anhörungsgrundes den Termin wahrgenommen hätte.

Die angefochtene Entscheidung leidet somit an einem – im Beschwerdeverfahren nicht behebbaren – Verfahrensmangel. Das Unterlassen der mündlichen Anhörung des Verurteilten führt, abweichend von der Regel des § 309 Abs. 2 StPO, zur Aufhebung des Widerrufsbeschlusses und zur Zurückgabe der Sache an das Gericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Widerruf nach mündlicher Anhörung des Verurteilten und Überprüfung der von ihm für den Nichtantritt der stationären Suchtmittelentwöhnungstherapie benannten Gründe (vgl. Senat, a.a.O.).“

Bewährung II: Wer war für den Widerruf zuständig?, oder: Verurteilter war in Strafhaft

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, hat auch mit Bewährung zu tun. Allerdings nicht mit den materiellen Voraussetzungen der Vorschriften, sondern mit dem Verfahren. Es geht um die Frage: Wer ist eigentlich für den Bewährungswiderruf zuständig, wenn der Verurteilte sich in Strafhaft befindet.

Ja, richtig. Da gibt es BGH-Rechtsprechung und auf die verweist das LG Loblenz im LG Koblenz, Beschl. v. 13.04.2023 – 2 Qs 23/23 jug.

Hier nur der Leitsatz zu der Entscheidung:

Mit Beginn der Vollstreckung der Strafhaft geht die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung auf die Strafvollstreckungskammer über. § 462a Abs. 1 S. 1 StPO sieht insoweit vor, dass die Strafvollstreckungskammer für die gemäß den §§ 453, 454, 454a und 462 StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig ist, wenn gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Örtlich ist nach dieser Regelung grundsätzlich die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Die sachliche Zuständigkeit beginnt automatisch, eine konkrete Befassung der Strafvollstreckungskammer mit dem Verurteilten ist nicht erforderlich.

Bewährung I: Widerruf von Strafaussetzung zulässig?, oder: Zurückstellung in anderer Sache

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Und ich setze die Berichterstattung fort mit Entscheidungen zur Bewährung und/oder zur Fortdauer der Unterbringung.

Hier kommt zunächst der OLG Braunschweig, Beschl. v. 17.05.2023 – 1 Ws 92/23 -zur Entscheidung über die Widerruf einer Strafaussetzung trotz Zurückstellung der Strafvollstreckung in anderer Sache. Das OLG sagt: Das ist zulässig:

„…… Das Landgericht Göttingen hat die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen zur Bewährung zu Recht widerrufen.

Denn der Verurteilte hat im Zeitraum von Februar bis Juni 2021 und damit jeweils innerhalb der Bewährungszeit fünf Straftaten von nicht unerheblichem Gewicht begangen. Dadurch hat er gezeigt, dass er die Erwartung künftiger Straffreiheit, die der Strafaussetzung zugrunde gelegen hatte, nicht erfüllt hat.

Es besteht zudem Anlass zu der Besorgnis, der Verurteilte werde erneut Straftaten begehen und ihm kann auch mit Auflagen oder Weisungen im Sinne des § 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB gegenwärtig keine positive Kriminalprognose gestellt werden. Eine solche Reaktion auf das Fehlverhalten eines Verurteilten ist nur dann ausreichend, wenn aufgrund von Tatsachen erwartet werden kann, dass er künftig – ggf. mit Maßnahmen gemäß § 56 f Abs. 2 Satz 1 StGB – keine Straftaten mehr begehen wird. Dazu reicht allerdings der Wille zu straffreier Führung allein nicht aus. Vielmehr müssen Tatsachen dafür sprechen, dass der Verurteilte auch fähig ist, diesen Willen in die Tat umzusetzen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. März 2022, 1 Ws 192/21, juris, Rn. 28; KG Berlin, Beschluss vom 12. Januar 2009, 2 Ws 620/08, juris, Rn. 12). Davon ist nicht auszugehen.

Gegen eine positive Kriminalprognose spricht insbesondere die Vielzahl der Vorstrafen und die fortbestehende, nicht hinreichend aufgearbeitete Drogenabhängigkeit des Verurteilten, der seit 2001 regelmäßig Straftaten begeht. Dass der Beschwerdeführer erneut eine Therapie zur Überwindung seiner Drogensucht begonnen hat, begründet eine gewisse Hoffnung, lässt jedoch die Besorgnis neuer Straftaten nicht entfallen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine positive Kriminalprognose bei einem Suchtmittelabhängigen nur dann gerechtfertigt, wenn eine Therapie nicht nur begonnen wurde, sondern die begründete Aussicht besteht, dass sie erfolgreich zum Abschluss gebracht wird (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Februar 2014, 1 Ws 31/14, juris, Rn. 10 m.w.N.; ebenso KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2018, 5 Ws 98-99/18 – 121 AR 122 und 134/18, juris, Rn. 18 ff.; KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2000, 5 Ws 370/00, juris, Rn. 4). Dafür besteht angesichts der erst am 23. März 2023 angetretenen und damit noch nicht einmal 2 Monate absolvierten Therapie noch kein Anhalt. Das gilt auch deshalb, weil der Beschwerdeführer, wie unter anderem den Feststellungen des Amtsgerichts Göttingen im Urteil vom 29. August 2022 zu entnehmen ist, vor dieser Drogenentwöhnungsbehandlung bereits mehrere Therapien absolvierte, die allesamt keinen nachhaltigen Erfolg hatten. Vor diesem Hintergrund bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, die aktuelle Therapie werde nun einen solchen Erfolg haben.

Die Entscheidung über den Bewährungswiderruf konnte auch nicht zurückgestellt werden, um den weiteren Verlauf der Therapie abzuwarten. Über den Widerruf einer Strafaussetzung gemäß § 56 f StGB ist vielmehr unabhängig von einer bereits begonnenen Entwöhnungsbehandlung zu entscheiden, sobald das Gericht vom Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen überzeugt ist (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. März 2022, 1 Ws 192/21, juris, Rn. 22; OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. September 2011, Ws 280/11, juris, Rn. 9; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2021, 1 Ws (s) 356/21, juris, Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 18. August 2011, 2 Ws 246 und 247/11, juris, Rn. 5; OLG Köln, Beschluss vom 2. Januar 2014, III-2 Ws 720/13, juris, Rn. 15; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2005, 2 Ws 24/05, juris, Rn. 16 ff.). Ein Abwarten, ob in Zukunft durch ein Fortschreiten der Therapie andere Prognoseumstände eintreten könnten, sieht das Gesetz nicht vor (Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O., Leitsatz 2 und Rn. 15; OLG Hamm, a.a.O.).

Weil der weitere Verlauf einer Therapie nicht abgewartet werden darf, besteht nach Auffassung des erkennenden Senats auch keine Möglichkeit, die Entscheidung über den Widerruf aus Anlass des Beginns der Therapie gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Allein die Regelung in § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG rechtfertigt es aus Sicht des Senats nicht, entgegen der dargestellten Gesetzeslage nach einer Gesamtabwägung von einer Entscheidung gemäß § 56 f StGB doch zeitweise abzusehen, um bei Zurückstellungen gemäß § 35 BtMG die zukünftige Entwicklung abzuwarten (Hubrach in Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl, § 56 f Rn. 48; a.A.: OLG Celle, Beschluss vom 14. Februar 2012, 1 Ws 54/12, juris, Rn. 4 ff.; offen gelassen: Hanseatisches Oberlandesgericht, a.a.O., Rn. 21). Wenn die Vollstreckung einer Maßregel gemäß § 64 StGB, sofern noch kein Erfolg der Therapie absehbar ist, ein Zuwarten mit der Entscheidung gemäß § 56 f StGB nicht rechtfertigt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. September 2011, Ws 280/11; OLG Sachsen-Anhalt, a.a.O., Rn. 12; OLG Köln, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 4), kann bei der Zurückstellung gemäß § 35 BtMG nicht allein deshalb anders entschieden werden, weil diese gemäß § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG – sofern nicht auch die Vollstreckung der anderen Strafen zurückgestellt werden kann (dazu: Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rn. 291) – zu widerrufen ist, die Unterbringung hingegen wegen § 67 Abs. 1 StGB fortgesetzt werden kann. Vielmehr ist die abweichende Bewertung des Gesetzgebers zu akzeptieren und darf nicht auf dem Umweg über eine unterschiedliche Anwendung von § 56 f StGB umgangen werden.

Letztlich kann diese Rechtsfrage aber dahinstehen, weil die nach der Gegenauffassung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorzunehmende Gesamtabwägung im vorliegenden Fall selbst dann keine Zurückstellung der Entscheidung rechtfertigen könnte, wenn eine solche gestattet wäre. Vielmehr ist der Widerruf der Strafaussetzung im Fall des Beschwerdeführers zum Schutz der Allgemeinheit geboten, weil die Therapie erst seit wenigen Wochen erfolgt und ihr erfolgreicher Abschluss mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist.

Dass der Widerruf der Strafaussetzung, soweit es den Strafrest aus dem Urteil des Amtsgerichts Fritzlar vom 3. August 2010 betrifft, nach dem Ende der Bewährungszeit erfolgte, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken und zeigt allenfalls die Notwendigkeit, Entscheidungen gemäß § 56 f StGB nicht zurückzustellen. Insbesondere war der Verurteilte nicht durch Vertrauensschutz davor geschützt, dass die Strafaussetzung zur Bewährung auch nach Ende des Bewährungszeitraums noch widerrufen wird. Denn der Verurteilte wurde, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, ausreichend darauf hingewiesen, dass auch nach Ende der Bewährungszeit noch Bewährungsmaßnahmen in Betracht kommen…..“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Ist der PkW meines Mannes eigener PKW im Sinne des RVG?

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Am Freitag hatte ich die kurze Frage: Ich habe da mal eine Frage: Ist der PkW meines Mannes eigener PKW im Sinne des RVG? – ins Netz gestellt.

Nun, ich habe darauf mit einem Hinweis auf Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsache, 6. Aufl. 2021 Nr. 7003 VV Rn 12, geantwortet.

Da heißt es:

„Für die Frage, ob ein eigenes Kfz benutzt wurde, ist die Haltereigenschaft entscheidend, weil nur den Halter die tatsächlichen Kosten des Kfz (Steuern, Versicherungen, Wartungen usw.) treffen, die durch die Pauschale abgegolten werden. Halter ist die Person, die das Kfz für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die die notwendige Verfügungsgewalt besitzt (BGHZ 13, 351; BayObLG, NJW 1986, 201; AG Osnabrück, NZV 1988, 196). Damit gilt, dass die Benutzung eines geleasten Kfz nach Nr. 7003 VV abgerechnet werden kann (AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 7003–7006 Rn 15). Für einen Mietwagen hingegen können die entstandenen Auslagen nur nach Nr. 7006 VV berücksichtigt werden. Der Ansatz der Kilometerpauschale der Nr. 7003 VV ist nicht möglich (AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 7003–7006 Rn 15).2

Danach kommt es also auf die Haltereigenschaft an und es stellt sich die Frage: Wer trägt die Lasten? Wenn beide – also Ehemann und Ehefrau – sie aus dem gemeinsamen (Familien)Einkommen bestreiten, habe ich keine Bedenken zu sagen: Die Ehefrau ist (auch) Halter und würde die Frage nach dem „eigenen Pkw“ bejahen.

Und, wenn schon der Hinweis auf den RVG-Kommentar, hier dann <<Werbemodus an>> der Link zur Bestellmöglichkeit. <<Werbemodus aus>>.

beA II: Die einfache Signatur des Einzelanwalts, oder: OLG Braunschweig macht es anders als das BAG

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Die zweite Entscheidung, der OLG Braunschweig, Beschl. v. 09.06.2023 – 1 ORbs 22/23 – kommt aus einem Bußgeldverfahren.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Mit qualifiziert signiertem elektronischem Schreiben seines Verteidigers vom 25.11.2022 (bei Gericht eingegangen am selben Tag) hat der Betroffene mit dem Ziel der Überprüfung dieses Urteils einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Nach Zustellung des Urteils hat der Betroffene mit weiterem Verteidigerschreiben vom 01.02.2023 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde begründet. Die Begründung des Zulassungsantrags ist dem AG am 01.02.2023 über das besondere elektronische Postfach des Verteidigers zugeleitet worden. Das Schreiben ist nicht qualifiziert signiert und es ist lediglich mit dem Wort „Rechtsanwalt“ unterzeichnet. Ein Name ist der Unterschrift nicht zu entnehmen.

Der Verteidiger des Betroffenen ist mit Verfügung des OLG-Senats darauf hingewiesen worden, dass die Begründung des Zulassungsantrags, die wegen § 32d Satz 2 StPO i.V.m. § 110c OWiG elektronisch zu erfolgen habe, gemäß § 32a Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG unwirksam angebracht sein könnte. Er hat dieser Auffassung die Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 25.08.2022 – 2 AZR 234/22) entgegengehalten, wonach die fehlende Unterzeichnung mit dem Namen des verantwortenden Rechtsanwalts die wirksame Begründung des Zulassungsantrags nicht beeinträchtige, wenn, wie hier, aus dem Briefkopf hervorgehe, dass der Verteidiger als Einzelanwalt tätig sei. Ohnehin sei in der Einzelkanzlei des Verteidigers, der die Begründung des Zulassungsantrags zudem selbst versandt habe, kein weiterer Rechtsanwalt tätig.

Vorsorglich hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.Das OLG hat den Zulassungsantrag als unzulässig verworfen und Wiedereinsetzung nicht gewährt:

„1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unzulässig, denn er wurde nicht formgerecht begründet.

Gemäß §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 StPO muss die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde spätestens binnen eines Monats nach Zustellung des angegriffenen Urteils bei dem Gericht, dessen Urteil angegriffen wird, angebracht werden. Sofern dies nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle, sondern durch eine von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift geschieht, gelten die besonderen Formerfordernis der §§ 32d Satz 2, 32a StPO, die über die Verweisung in § 110c Satz 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Anwendung kommen. Danach sind Verteidiger und Rechtsanwälte verpflichtet, die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als elektronisches Dokument zu übermitteln; wie dies im Einzelnen zu erfolgen hat, regelt § 32a StPO. § 32a Abs. 3 StPO eröffnet dabei zwei Möglichkeiten der Übermittlung von Dokumenten, die schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen sind, nämlich einerseits, indem sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der das Dokument verantwortenden Person versehen sind, oder andererseits, indem sie von der das Dokument verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden; was als sicherer Übermittlungsweg anzusehen ist, bestimmt wiederum § 32a Abs. 4 Satz 1 StPO, der in Nr. 2 auch den Versand über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach vorsieht. Hierbei handelt es sich um zwingend einzuhaltende Form- und Wirksamkeitsvoraussetzungen; ist der das Rechtsmittel begründende Schriftsatz nicht auf diesem Weg, sondern anderweitig innerhalb der gesetzlichen Fristen bei Gericht eingegangen, ist das die Rechtsmittelbegründung unwirksam (zum Vorstehenden: KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2022, 3 Ws (B) 123/22, juris, Rn. 7 m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt das Verteidigerschreiben vom 1. Februar 2023 nicht, denn es enthält weder eine qualifizierte noch eine einfache Signatur. Die einfache Signatur, also die Wiedergabe des Namens am Ende des Textes (BAG, Beschluss vom 14. September 2020, 5 AZB 23/20, juris, Rn. 15; OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. April 2019, 11 U 146/18, juris, Rn. 38; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. September 2021, 17 W 13/21, juris, Rn. 14; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. Januar 2023, 13 ME 23/23, juris, Rn. 5; OVG Hamburg, Beschluss vom 12. August 2022, 6 Bs 57/22, juris, Rn. 9; Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 130a, Rn. 9), ist gemäß § 32 a Abs. 3 StPO auch dann zu verlangen, wenn im verwendeten Briefkopf nur ein Rechtsanwalt ausgewiesen ist.

Allein die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt genügt im Gegensatz zur Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 25. August 2022, 2 AZN 234/22, juris, Rn. 2) nicht (OVG Lüneburg, a.a.O., Leitsatz und Rn. 6, 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Leitsatz und Rn. 18). Denn die Signatur soll sicherzustellen, dass die unterzeichnende Person als diejenige erkennbar ist, welche für den Inhalt des Schreibens Verantwortung übernimmt (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 11; OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 5). Diesem Erfordernis, dem gerade bei der Begründung eines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde besondere Bedeutung zukommt (vgl. §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i. V. m. § 345 Abs. 2 StPO), trägt der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 25. August 2022 nicht ausreichend Rechnung. Selbst wenn sich aus dem Briefkopf lediglich ein einzelner Anwalt ergibt, ist nicht sichergestellt, dass dieser Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Vielmehr kann dennoch eine andere Person inhaltlich für den Inhalt des Schreibens verantwortlich sein. So übersieht das Bundesarbeitsgericht zunächst die Möglichkeit, dass weitere Rechtsanwälte in der Kanzlei angestellt oder als freie Mitarbeiter tätig sein können (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 12; OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 24). Zudem mag sich ein Rechtsanwalt unter seinem eigenen Briefkopf auch vertreten lassen (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 25).

Der Betroffene kann nicht damit gehört werden, dass ein solcher Sachverhalt in seinem Fall nicht vorgelegen hätte, weil der im Briefkopf genannte Verteidiger die Begründung des Zulassungsantrags tatsächlich selbst verantwortet habe. Ob ein Schriftsatz wirksam eingereicht ist, muss sich nämlich bereits zweifelsfrei aus diesem selbst ergeben. Eine spätere Aufklärung der konkreten Verhältnisse (Kanzleiorganisation) wäre mit dem Zweck des Signaturerfordernisses nicht vereinbar (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 24 aE). Es geht gerade darum, den verantwortenden Rechtsanwalt ohne Beweisaufnahme oder sonstiges Sonderwissen zu identifizieren (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 11; OLG Karlsruhe, a.a.O.).

2. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist abzulehnen. Es fehlt bereits an der gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO (anwendbar über § 46 Abs.1 OWiG) erforderlichen Nachholung der Begründung des Zulassungsantrags. Ist die Handlung nicht formgemäß vorgenommen worden, muss sie in der vorgeschriebenen Form nachgeholt werden (KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2022, 3 Ws (B) 123/22, juris, Rn. 16). Dem genügt das Gesuch nicht. So erfüllt das elektronische Schreiben vom 17. Mai 2023 die Voraussetzungen schon deshalb nicht, weil es keine Begründung des Zulassungsantrags enthält, sondern nur ausführt, dass „bereits umfassend Stellung genommen“ worden sei. Die umfassende Begründung des Zulassungsantrags vom 1. Februar 2023 ist aber unwirksam und somit gerade nicht berücksichtigungsfähig. Außerdem ist das Schreiben vom 17. Mai 2023 zur Begründung des Zulassungsantrags auch deshalb ungeeignet, weil diese gemäß §§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG beim Ausgangsgericht anzubringen ist. Dass das Wiedereinsetzungsgesuch vom 17. Mai 2023 schließlich auch die Frist des § 45 Abs.1 Satz 1 StPO nicht wahrt, ist vor diesem Hintergrund nicht mehr von Bedeutung.“