Archiv für den Monat: Juni 2023

Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

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Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört für mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Vollzug I: Verfassungswidrige Gefangenenvergütung, oder: Bis zum 30. Juni 2025 muss etwas passieren

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Und heute dann ein Vollzugstag.

Den beginne ich zu dem Theman (natürlich) mit dem BVerfG, Urt. v. 20.06. 2023 – 2 BvR 166/16 u. 1683/17 – zur Gefangenenvergütung.  Mit dem Urteil hat das BVerfG zwei Strafgefangenen Recht gegeben, die Freiheitsstrafen in der JVA Straubing in Bayern und in der JVA Werl in Nordrhein-Westfalen verbüßen. Der eine arbeitete in einer anstaltseigenen Druckerei, der andere als Kabelzerleger in einem entsprechenden Betrieb. Beide hatten jeweils eine Erhöhung ihres Arbeitsentgelts beantragt. Sowohl die JVA Straubing und als auch die JVA Werl lehnten die Anträge ab. Die von den beiden Gefangenen dagegen vor den Fachgerichten eingelegten Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Ihre Verfassungsbeschwerden waren hingegen erfolgreich..

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des BVerfG:

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Einstellung und HV-Termin aufgehoben, Nr. 4141 VV RVG?

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Ich hatte am Freitag gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Einstellung und HV-Termin aufgehoben, Nr. 4141 VV RVG?

Auf die Frage habe ich dem Kollegen mit einem Hinweis auf den RVG-Kommentar geantwortet:

„Schauen Sie bitte mal im RVG-Kommentar bei Nr. 4141 VV RVG Rn 45 und da dann Ziffer 12.

Anwendbar ist m.E. außerdem die Rechtsprechung, die bei den Ziffern 7 und 8 zitiert ist.

Argument: Wenn die Nr. 4141 VV RVG anfällt, wenn noch einer ausgesetzten HV noch die Einstellung erreicht wird, dann erst recht, wenn nur eine HVT aufgehoben worden ist.“

Und wer es ggf. nachlesen will/muss: <<Werbemodus an>> hier der Hinweis zur Bestellmöglichkeit für Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021. <<Werbemodus>> aus.

Corona II: Einrichtungsbezogene Nachweispflicht, oder: Kein Betretungs- und kein Tätigkeitsverbot

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Und dann als zweite Entscheidung noch der OLG Celle, Beschl. v. 06.06.2023 – 2 ORbs 132/23 – zur Ordnungswidrigkeit von Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz, Stichwort: Einrichtungsbezogene Nachweispflicht. Das AG hatte die Betroffene

„wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die in § 20a Abs. 2 und 5 IfSG in der zum Zeitpunkt der ihr zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit geltenden Fassung (im Folgenden: § 20a Abs. 2 und 5 IfSG a.F.) geregelte Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 7 e) und h) IfSG in der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung (im Folgenden: 73 Abs. 1a Nr. 7 e) und h) a.F.) zu einer Geldbuße in Höhe von 500 € verurteilt. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen war die Betroffene zum Tatzeitpunkt als Gesundheits- und Krankenpflegerin für die D. D. in B. gGmbH tätig. Trotz Kenntnis ihrer gesetzlich geregelten Verpflichtung legte sie ihrem Arbeitgeber bis zum Ablauf des 15.03.2022 keinen Coronaimpf- oder Genesenennachweis vor. Der nachfolgenden Aufforderung des zuständigen Gesundheitsamtes, einen entsprechenden Nachweis dort bis zum 12.04.2022 vorzulegen, kam sie lediglich insoweit nach, als dass sie einen am 06.04.2022 bei der Behörde eingegangenen Genesen-Nachweis übermittelte, dessen Gültigkeit am 07.04.2022 ablief. Einen Nachweis über eine Corona-Schutzimpfung oder ein ärztliches Zeugnis über eine etwaige medizinische Kontra-indikation für diese Impfung legte sie hingegen nicht vor. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hat sich die Betroffene dahin eingelassen, sie habe keinen Impfnachweis vorlegen können, da sie sich zuvor einmal mit dem Corona-Virus infiziert, jedoch keine Symptome ver-spürt gehabt habe, weshalb sie die Corona-Schutzimpfung nicht befürwortet und sich daher nicht impfen lassen habe.

Gegen ihre Verurteilung wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie macht insbesondere geltend, dass Amtsgericht sei zu Unrecht von einem vorsätzlichen Verstoß gegen ihre Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises ausgegangen. Da sie über keinen Nachweis verfügt habe, sei ihr die Vorlage eines solchen Nachweises objektiv unmöglich gewesen. Zudem habe ihr das Gesundheitsamt trotz des fehlenden Nachweises im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessens kein Betretens- oder Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 IfSG a.F. erteilt. Auf eine solche Fallkonstellation sei der bei ihrer Verurteilung zugrunde gelegte Bußgeldtatbestand des § 73 Abs. 1a Nr. 7 h) IfSG nicht anwendbar. Seine Anwendung scheide auch deshalb aus, da hinsichtlich der vom Gesetzgeber eingeführten Regelungen in § 20a Abs. IfSG a.F. zur sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht ein strukturelles Vollzugsdefizit vorgelegen habe, aus der sich die Verfassungswidrigkeit der betreffenden Regelungen ergebe. So habe die Landesregierung des Freistaates Bayern am 15.02.2022 offiziell angekündigt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht aussetzen zu wollen, da diese nach ihrer Ansicht nicht als wirksames Mittel zur Begleitung, Dämpfung oder zum Stoppen der damals zu verzeichnenden Omikron-Welle anzusehen gewesen sei. Gleichlautende Stellungnahmen habe es aus anderen Bundesländern gegeben. Gleichwohl habe der Bundesgesetzgeber nähere Bestimmungen zu einer bundeseinheitlichen Anwendung der Regelungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht bewusst unterlassen.

Schließlich wendet die Betroffene ein, es handele sich bei den genannten Regelungen um ein Zeitgesetz i.S. von § 4 Abs. 4 OWiG, das vom Gesetzgeber bewusst nicht verlängert worden sei, so dass die sog. Meistbegünstigungsklausel des § 4 Abs. 3 OWiG hätte zur Anwendung kommen und die Betroffene freizusprechen gewesen wäre.W

Das hat das OLG anders gesehen und die Rechtsbeschwerde verowrfen. Hier die Leitsätze zu der OLG-Entscheidung:

1.Die bis zum 31.12.2022 befristeten Regelungen zur einrichtungsbezogene Nachweispflicht in §§ 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1 IfSG in der vom 12.12.2021 bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung unterfallen nicht der Meistbegünstigungsklausel des § 4 Abs. 3 OWiG.

2.Der Bußgeldtatbestand in § 73 Abs. 1a Nr. 7h IfSG in der vom 12.12.2021 bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung ist auch dann anwendbar, wenn das Gesundheitsamt dem Betroffenen kein Betretens- oder Tätigkeitsverbot erteilt hat.

3.Ein zur Verfassungswidrigkeit der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht in §§ 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1 IfSG in der vom 12.12.2021 bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung begründendes strukturelles Vollzugsdefizit ist nicht gegeben.

Corona I: BGH-Schlussstrich zur Impfpassfälschung, oder: Impfpassfälschung auch Urkundenfälschung

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Und heute dann mal wieder ein „Corona-Tag“, allerdings nicht mit neuen Problemen, sondern mit Naxhträge = Entscheidungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit während der Hochzeit der Pandemie beschäftigt haben und/oder zu Nachwirkungen.

Zunächst hier dann noch das BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 – zur Frage der Strafbarkeit der Impfpassfälschung nach altem Recht. Ich erinnere: Unter Geltung des „alten Rechts“ ist ja heftig darum gestritten worden, ob das Fälschen von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB a.F. zur (einfachen) Urkundenfälschung nach § 267 StGB im Verhältnis sog. privilegierender Spezialität steht Auch ich hatte dazu ja einige Beiträge zu Entscheidungen, vgl. z.B. Corona I: Wieder Vorlage des gefälschten Impfpasses, oder: Wann kommt dazu etwas vom BGH? oder Corona II: Nochmals Fälschung von Impfausweisen pp, oder: Doch keine Sperrwirkung zu § 267 StGB.

Und dann hatte sich ja auch der BGH im November 2022 mit der Frage befasst. Grundlage war ein Urteil des LG Hamburg, das den Angeklagten frei gesprochen hatte. Das LG war von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Der Angeklagte entschloss sich, im August 2021 in H. eigenhändig Impfausweise mit Eintragungen zu angeblichen Impfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus anzufertigen oder bereits bestehende Impfausweise mit solchen Eintragungen zu ergänzen, um die Impfausweise gegen Bezahlung anderen Personen zu überlassen. Hiermit sollte den Abnehmern ermöglicht werden, mittels der Impfausweise Schutzimpfungen nachzuweisen, um in Apotheken digitale Impfzertifikate zu erlangen oder aufgrund der COVID-19-Pandemie bestehende Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte, etwa in der Gastronomie, zu umgehen. Der Angeklagte beabsichtigte, sich durch diese Geschäfte eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.

In Umsetzung seines Plans fertigte er zwischen dem 25. August und dem 9. September 2021 Impfausweise dadurch an, dass er entweder unausgefüllte Impfausweisvordrucke auf der Vorderseite mit den Personalien der angeblich geimpften Personen beschriftete oder bereits mit Personalien beschriftete Impfausweise verwendete, um dann jeweils auf den inneren Seiten des Impfausweises angebliche Impfungen einzutragen. Hierzu vermerkte er die vermeintlichen Daten für Erst- und Zweitimpfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus handschriftlich und versah die Eintragungen jeweils in derselben Zeile mit selbst gedruckten Aufklebern des angeblich verwendeten Impfstoffs „Comirnaty“ einschließlich fiktiver Chargennummern sowie mit dem Stempel „Landkreis H., Impfzentrum B., R. Straße 27, B.“. Auf dem Stempel unterschrieb er jeweils mit einem nachgeahmten oder erfundenen Namenszug, um hierdurch den Eindruck zu erwecken, die betreffende Unterschrift sei von einem Arzt des Impfzentrums geleistet worden.

Der Angeklagte führte insgesamt neun Bestellungen zur Herstellung gefälschter Impfbescheinigungen aus, wobei er teils mehrere Dokumente erstellte, etwa wenn ein Abnehmer nicht nur für sich, sondern auch für Angehörige gefälschte Impfdokumente bestellt hatte.

Während in den Anklagefällen 2 bis 9 die vom Angeklagten gefertigten Impfbescheinigungen an die Abnehmer übergeben wurden, konnten im Anklagefall 11 die bereits fertiggestellten Dokumente beim Angeklagten sichergestellt werden. Außerdem wurden bei ihm 188 Impfausweisvordrucke, weitere 203 mit Chargennummernaufklebern versehene Impfpassvordrucke, ein Etikettendruckgerät sowie der vorbenannte Stempel mit den Daten „Impfzentrum B.“ gefunden. Zudem wurden 33.100 Euro sichergestellt, die nach den Wertungen des Landgerichts nicht aus Betäubungsmittelgeschäften stammen und deren Herkunft aus Impfausweisgeschäften „naheliegt“.“

Das LG hatte aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil der Angeklagte durch das Erstellen unzutreffender Impfbescheinigungen keinen Straftatbestand erfüllt habe.

Der BGH hat das anders gesehen. Er verneint zwar mit dem LG eine Strafbarkeit wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB a.F. Es fehle an der Verwirklichung des zweiten Teilakts der Tathandlung. Denn anders als für den Tatbestand der Urkundenfälschung genüge es nicht, dass die Urkunde in der Absicht hergestellt wird, sie später zur Täuschung im Rechtsverkehr zu gebrauchen. Vielmehr verlangt der Tatbestand des § 277 StGB a.F .den Gebrauch der Urkunde. Hinzu tritt, dass nicht der Gebrauch im allgemeinen Rechtsverkehr von der Vorschrift erfasst wird, sondern nur der Gebrauch zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften. An diesen – den Tatbestand des § 277 StGB a.F. entscheidend von denjenigen des § 267 StGB abhebenden Voraussetzungen – fehle es.

Aber: Der BGH verneint die vom LG angenommene Spezialität mit privilegierendem Charakter des § 277 StGB a.F. gegenüber § 267 StGB. Die bestehe nicht. Vielmehr handele es sich um zwei Tatbestände, die verschieden geartete Begehungsweisen erfassen, aber gemeinsame Unrechtselemente aufweisen, so dass es zu einer im Strafgesetzbuch nicht ungewöhnlichen Überschneidung der Anwendungsbereiche kommt. Die Anwendbarkeit des einen Tatbestands schließe die Anwendbarkeit des anderen deswegen nicht aus.

So viel muss aus dem umfangreich begründeten Urteil reichen. Wer mehr lesen möchte/muss, der verlinkte Volltext steht dafür zur Verfügung.

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