Archiv für den Monat: Juni 2023

OWi I: OLG Koblenz hatte Fragen zur ES 3.0 Messung, oder: BGH gibt Vorlage ohne Antworten zurück

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Heute dann ein OWi-Tag.

Den eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 16.03.2023 – 4 StR 84/22. Das ist die lange erwartete Antwort des BGH in der zweiten Vorlagesache betreffend Einsicht in Messunterlagen/Rohmessdaten. Zugrunde lag der OLG Koblenz, Beschl. v. 01.02.2022 – 3 OWi 32 SsBs 99/21 (dazu News im OWi-Verfahren: Nächste Vorlage an den BGH, oder: OLG Koblenz fragt nach Rohmessdaten bei ES 3.0). Das OLG hatte vom BGH wissen wollen: „Darf ein in einem standardisierten Messverfahren (hier: ESO-Einseitensensor ES 3.0 – Softwareversion 1.007.2) ermitteltes Messergebnis den Urteilsfeststellungen zu einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zugrunde gelegt werden, wenn zuvor dem Antrag des Betroffenen, ihm die vorhandenen Rohmessdaten der Tagesmessreihe, die nicht zur Bußgeldakte gelangt sind, zur Einsicht zu überlassen, nicht stattgegeben worden ist, oder beinhaltet dies eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG) bzw. eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung des Betroffenen (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG iVm. § 338 Nr. 8 StPO)?“

Der BGH hat die Frage nicht beantwortet, sondern hat die Sache an das OLG zurückgegeben, weil nach seiner Ansicht die Vorlegungsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben:

„Die Sache ist an das Oberlandesgericht Koblenz zurückzugeben, denn die Vorlegungsvoraussetzungen des § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG sind zu verneinen. Der Annahme des Oberlandesgerichts, die dem Bundesgerichtshof vorgelegte Frage sei entscheidungserheblich, liegt die nicht mehr vertretbare rechtliche Bewertung einer Vorfrage zugrunde. Damit ist der Senat an die vom Oberlandesgericht bejahte Entscheidungserheblichkeit nicht gebunden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 24. Januar 2023 – 3 StR 386/21 Rn. 8, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 4 StR 652/17, NStZ-RR 2019, 60, 61; Beschluss vom 17. März 1988 – 1 StR 361/87, BGHSt 35, 238, 240 ff.; Gittermann in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 121 GVG Rn. 78; Feilcke in KK-StPO, 9. Aufl., § 121 GVG Rn. 43 f.; Quentin in SSW-StPO, 5. Aufl., § 121 GVG Rn. 22; jeweils mwN).

1. Die Vorlegungsfrage kann für die Entscheidung des Oberlandesgerichts nur erheblich sein, wenn der Betroffene sein Begehren, Zugang zu den Rohmessdaten der Tagesmessreihe zu erhalten, im behördlichen und gerichtlichen Verfahren in ausreichender Weise geltend gemacht hat (vgl. zu den Anforderungen allgemein etwa KG, Beschluss vom 20. April 2021 – 3 Ws (B) 84/21, juris Rn. 7). Hiervon geht das Oberlandesgericht Koblenz auch aus. Es hat jedoch die rechtliche Bedeutung des Umstands verkannt, dass der Betroffene sein Zugangsgesuch – anders als in den Fällen, die den als divergierend angesehenen Entscheidungen zugrunde lagen (vgl. zudem OLG Stuttgart, VRS 140, 319) – nicht in der Hauptverhandlung erneuert hat. Damit kann seinen Verfahrensrügen, die sich auf die verweigerte Einsichtnahme in die Rohmessdaten stützen, von vornherein kein Erfolg beschieden sein. Sollte das Rechtsbeschwerdevorbringen im Hinblick auf das Prozessgeschehen in der Hauptverhandlung nicht bereits als unzureichend anzusehen sein (vgl. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), wären die Rügen jedenfalls unbegründet. Dies ergibt sich aus Folgendem:

a) Die Verfahrensrüge einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 338 Nr. 8 StPO) kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur durchgreifen, wenn Verteidigungsrechte durch einen Gerichtsbeschluss in der Hauptverhandlung verletzt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – 5 StR 229/19, NJW 2021, 1252, 1255; Beschluss vom 17. Juli 2008 ? 3 StR 250/08, BGHR StPO § 338 Nr. 8 Beschränkung 9; Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 359). Ein solcher ist hier nicht ergangen. Es kann zwar auch ausreichen, wenn das Gericht es unterlässt, einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag zu bescheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2008 – 3 StR 250/08, NStZ 2009, 51; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 338 Rn. 102). Auch daran fehlt es im vorliegenden Fall jedoch, da die für den Betroffenen in der Hauptverhandlung anwesende Verteidigerin dort keinen auf die Zugänglichmachung der Rohmessdaten abzielenden Antrag stellte, sondern vielmehr ausdrücklich erklärte, die Ordnungsgemäßheit der Messung nicht zu bestreiten.

b) Die Rüge, der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) sei verletzt, versagt ebenfalls, wenn das Einsichtsersuchen nicht (auch) in der Hauptverhandlung geltend gemacht wird. Dies liegt – ohne dass es auf die Frage ankäme, ob nicht insoweit ohnehin § 338 Nr. 8 StPO anzuwenden ist (vgl. OLG Brandenburg, ZfSch 2021, 469; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 24. Februar 2016 – Ss (Bs) 6/2016 (4/16 OWi), juris Rn. 8) – schon im Grundsatz der Verfahrensfairness selbst begründet.

aa) Das Recht auf ein faires Verfahren ist erst verletzt, wenn bei einer Gesamtschau rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 133, 168, 200; BVerfGE 130, 1, 25 f.; OLG Karlsruhe, NZV 2020, 368). Ein Verstoß gegen den auf die Gesamtheit des Verfahrens abhebenden Fairnessgrundsatz (vgl. EGMR, NJW 2019, 1999; NJW 2017, 2811, 2812; BVerfG, NJW 2021, 455 Rn. 33, 35) kommt daher bei verweigerter Einsichtnahme in Rohmessdaten nur dann in Betracht, wenn einem rechtzeitig und unter Ausschöpfung aller prozessualen Möglichkeiten angebrachten Zugangsgesuch nicht entsprochen worden ist (vgl. KG, Beschluss vom 20. April 2021 – 3 Ws (B) 84/21, juris Rn. 7; Thüringer Oberlandesgericht, VRS 140, 33, 35).

bb) Nach diesen Maßgaben muss der Betroffene, will er mit der Rechtsbeschwerde einen Verstoß gegen die Verfahrensfairness rügen, den Zugang zu nicht zur Akte genommenen Informationen nicht nur bereits im Bußgeldverfahren und im Verfahren nach § 62 OWiG begehren (so KG Berlin, Beschluss vom 20. April 2021 – 3 Ws (B) 84/21, juris Rn. 7 mwN; OLG Koblenz, BeckRS 2020, 10860 Rn. 7; s. ferner BVerfG, NJW 2021, 455 Rn. 60, 66), sondern sein Einsichtsbegehren auch in der Hauptverhandlung weiterverfolgen (vgl. hierzu VerfGH Saarland, NZV 2018, 275 Rn. 35, 38; OLG Brandenburg, ZfSch 2021, 469; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 24. Februar 2016 – Ss (Bs) 6/2016 (4/16 OWi), juris Rn. 8; jeweils mwN; Hannich, FS Fischer 2018, S. 655, 658; s. zudem BVerfG, NJW 2021, 455 Rn. 66). Im Blick auf die gebotene Gesamtschau kann die Fairness des Ordnungswidrigkeitenverfahrens überhaupt nur in Frage stehen, wenn der (verteidigte) Betroffene die Einsicht in die Rohmessdaten auch mithilfe eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags begehrt hat. Denn bei dieser handelt es sich um den maßgeblichen Verfahrensabschnitt für die tatrichterliche Sachentscheidung, die der Betroffene durch seinen Einspruch herbeiführt. Das Gericht trifft seine Entscheidung allein aufgrund des Inbegriffs der Hauptverhandlung (vgl. § 46 Abs. 1 OWiG, § 261 StPO).

Der Betroffene hat es hier versäumt, sein Informationszugangsersuchen in der Hauptverhandlung geltend zu machen. Aus den zuvor genannten Gründen genügt – anders als das Oberlandesgericht Koblenz annimmt – sein beim Amtsgericht vor der Hauptverhandlung gestelltes Einsichtsgesuch nicht, um eine Verletzung des Fairnessgrundsatzes mit Erfolg rügen zu können. Hieran ändert § 336 Satz 1 StPO nichts (vgl. auch zur Akteneinsicht BGH, Urteil vom 24. Mai 1955 – 5 StR 155/55; OLG Hamm, NJW 1972, 1096). Denn diese Vorschrift entbindet das Rechtsbeschwerdegericht bei der Prüfung der als verletzt gerügten Verfahrensfairness nicht davon, die Gesamtheit des Verfahrens in den Blick zu nehmen.

2. Damit kommt es nicht mehr darauf an, dass ein von dem vorlegenden Oberlandesgericht womöglich befürworteter Rechtssatz des Inhalts, dass bei einem standardisierten Messverfahren die Persönlichkeitsrechte Dritter und die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege dem Informationsinteresse des Betroffenen an der Tagesmessreihe generell vorgehen, mit den bindenden verfassungsgerichtlichen Vorgaben einer Einzelfallprüfung (vgl. BVerfG, NJW 2021, 455 Rn. 58) unvereinbar sein könnte. Sollte den begehrten Informationen nach der zulässigen (individuellen) gerichtlichen Überprüfung des Gesuchs die Verteidigungsrelevanz abzusprechen sein (vgl. dazu BVerfG, NJW 2021, 455 Rn. 56 ff.), wohin auch das Oberlandesgericht Koblenz nach dem Vorlagebeschluss zumindest tendiert, scheidet allerdings schon deshalb ein Zugangsanspruch des Betroffenen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – 4 StR 181/21, NZV 2022, 287 Rn. 9; OLG Zweibrücken, BeckRS 2022, 15436 Rn. 16).“

Damit ist dann nur noch die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 1167/20 offen.

StPO III: Nochmals Encro-Chat in der Revision, oder: Keine Vorlage an den EuGH

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 27.04.2023 – 5 StR 421/22. Er hat noch einmal das „Lieblingsthema“ einiger Kollegen in BtM-Verfahren zum Gegenstand, nämlich Encro-Chat und die Verwertbarkeit der gewonnenen Daten.

Das LG hat hat die Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Einer der Angeklagten hat die Verfahrensrüge erhoben – ohne Erfolg:

„1. Den von dem Angeklagten M. A. C.  erhobenen Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt. Ergänzend dazu bemerkt der Senat:

a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO wegen der vermeintlichen Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus den von französischen Behörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Chatprotokolle des Krypto-Messengerdienstes EncroChat ist mit der Stoßrichtung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA-RL) jedenfalls unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, ergeben sich weder aus dem bekannten Verfahrenssachverhalt noch dem weiteren von Spekulationen und Mutmaßungen getragenen Revisionsvorbringen Hinweise darauf, dass „deutsche Stellen […] weit im Vorfeld der erstmaligen Erlangung von Daten durch französische Strafverfolgungsbehörden […] an der Ermittlungstätigkeit beteiligt waren.“

b) Soweit die Rüge mit der Stoßrichtung erhoben ist, ein Verwertungsverbot ergebe sich aus einem Verstoß gegen das „unionsrechtlich überformte Datenschutzrecht“, insbesondere hätten die zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (Datenschutzrichtlinie für Polizei und Justiz) erlassenen Vorschriften der §§ 45 ff. BDSG angewendet werden müssen, trifft dies nicht zu. Die §§ 45 ff. BDSG finden auf den hier gegebenen Sachverhalt keine Anwendung, weil den Vorschriften der Strafprozessordnung als bereichsspezifischen Sonderregelungen – wie sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BDSG und § 500 Abs. 2 StPO erschließt – der Vorrang gebührt (vgl. etwa BeckOK-Datenschutzrecht/Wolff, 43. Edition [Stand: 1. November 2021], § 45 BDSG Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 65. Aufl., 2022, § 500 Rn. 2; BeckOK-StPO/von Häfen, 46. Edition [Stand: 1. Januar 2023], § 500 Rn. 6b; vgl. auch KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl., § 161 Rn. 1b; KK-StPO/Henrichs/Weingast, aaO; § 105 Rn. 1; Mosbacher, JuS 2022, 726, 729 f.; aA offenbar KK-StPO/Graf, aaO, § 500 Rn. 5; Singelnstein NStZ 2020, 639; wohl auch LG Kiel, StraFo 2022, 30; diesem für die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die eine Datenerhebung beinhalten, folgend Gola/Heckmann/Braun, Datenschutz-Grundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl., § 45 BDSG Rn. 4).

c) Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens kommt nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nur in Betracht, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats eine Entscheidung des EuGH über eine klärungsbedürftige europarechtliche Frage „zum Erlass seines Urteils für erforderlich“ hält, mithin nur dann, wenn die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist. Dies ist hier nicht der Fall, weil die Rügen losgelöst von europarechtlichen Fragen erfolglos bleiben. Dies gilt entgegen der Revision erst recht, wenn ein vermeintlich aus europarechtlichen Vorschriften herrührendes Beweisverwertungsverbot schon nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht worden ist.“

StPO II: Umfang der Mitteilung zu einer Verständigung, oder: Auch der Gesprächsinhalt interessiert

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Und als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 14.02.2023 – 5 StR 527/22 – zur Mitteilung in Zusammenhang mit einer Absprache/Verständigung.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Rüge der Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Erfolg hatte:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Erhebung der Anklage fand auf Anregung der Vorsitzenden ein Verständigungsgespräch statt, an dem neben den Mitgliedern der Strafkammer unter anderem Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft sowie die Verteidiger des Angeklagten und des nicht revidierenden Mitangeklagten teilnahmen. Im Verlauf des Gesprächs äußerten die zuständige Staatsanwältin und später auch die Vorsitzende ihre Strafmaßvorstellung für den Angeklagten für den Fall einer geständigen Einlassung. Dessen Verteidiger äußerte sich ablehnend. Das Gespräch wurde letztlich ergebnislos beendet. Die Vorsitzende fertigte einen Vermerk über das Gespräch an, der zu den Akten genommen und den Verteidigern per Fax übermittelt wurde.

Am ersten Tag der Hauptverhandlung stellte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes fest, „dass Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung“ stattgefunden hätten. Sie nahm Bezug auf den hierzu gefertigten Vermerk. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger bestätigten, den Vermerk zu kennen. Über das Verständigungsgespräch und dessen Inhalt teilte die Vorsitzende ansonsten nichts mit. Auch der Vermerk wurde nicht verlesen oder sonst bekanntgegeben. Weitere Erklärungen wurden von den Verfahrensbeteiligten nicht abgegeben.

2. Es liegt danach ein durchgreifender Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.

a) Indem die Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung lediglich die Gesprächsführung als solche und als deren Ergebnis das Ausbleiben einer Verständigung, nicht aber den wesentlichen Inhalt des Gesprächs mitteilte, genügte sie nicht der sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebenden Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen, die ohne Einschränkungen auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen gilt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; Urteil vom 18. November 2020 ‒ 2 StR 317/19, wistra 2021, 290 Rn. 45 mwN).

b) Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Zwar war der Angeklagte durch seinen Verteidiger in inhaltlich nicht näher bekannter Weise mündlich über das Verständigungsgespräch und dessen Ergebnislosigkeit informiert worden (zum Fehlen eines aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgenden Vortragserfordernisses hierzu vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2019 – 3 StR 336/19, NStZ-RR 2020, 87; vom 3. August 2022 – 5 StR 62/22). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte sein Prozessverhalten bei einer durch die Vorsitzende erteilten Information über den Inhalt des Verständigungsgesprächs anders als geschehen ausgerichtet hätte (vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 118; MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 96).“

StPO I: Das hohe Gut „letztes Wort des Angeklagten“, oder: Letztes Wort, wenn Angeklagter zurückkommt.

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Und heute dann 3 x StPO vom BGH.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 StR 10/23. Das LG hatte die Angeklagte S.  wegen unerlaubten Erbringens von Zahlungsdiensten verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die mit der Verfahrenrüge der Verletzung des § 258 Abs. 2 StPO – also letztes Wort – Erfolg hatte:

„2. Die Revision der Angeklagten S. dringt mit der Verfahrensbeanstandung durch, ihr sei entgegen § 258 Abs. 2 StPO nicht das letzte Wort gewährt worden.

a) Der Rüge liegt im Wesentlichen das folgende Geschehen zugrunde:

Die Angeklagte war am 21. Tag der Hauptverhandlung nicht erschienen. Nach einem entsprechenden Beschluss des Landgerichts gemäß § 231 Abs. 2 StPO wurde die Verhandlung ohne sie fortgesetzt. Am selben Tag erhielten die Verteidiger beider Angeklagter und der Mitangeklagten das Wort für ihre Schlussvorträge sowie der Angeklagte und die Mitangeklagten das letzte Wort. Am nächsten Hauptverhandlungstag war die Angeklagte von Beginn an anwesend. Der Vorsitzende verkündete einen Kammerbeschluss und nach Unterbrechung der Verhandlung das Urteil, ohne der Angeklagten das letzte Wort zu erteilen.

b) Diese Verfahrensweise entsprach nicht § 258 Abs. 2 StPO, nach dem der Angeklagten das letzte Wort gebührt.

Danach ist sie gemäß § 258 Abs. 3 StPO auch dann zu befragen, ob sie selbst noch etwas zu ihrer Verteidigung anzuführen habe, wenn ein Verteidiger für sie gesprochen hat. Die zeitweise Verhandlung in ihrer Abwesenheit nach § 231 Abs. 2 StPO enthebt das Landgericht nicht von der Pflicht, der wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt sie in die Hauptverhandlung zurück, nimmt sie ihre Stellung mit allen ihren Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat sie nicht dadurch verwirkt, dass sie während eines Verfahrensabschnittes abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten. Dem Recht der Angeklagten auf das letzte Wort entspricht die Verpflichtung des Gerichts, nach § 258 Abs. 3 StPO den Angeklagten von Amts wegen Gelegenheit zu geben, sich als Letzte persönlich abschließend zur Sache zu äußern. Das ist angesichts der Bedeutung dieses Rechts selbst dann erforderlich, wenn das Gericht das Beweisergebnis schon abschließend beraten hat und zur Verkündung des Urteils bereit ist (s. insgesamt BGH, Beschluss vom 27. Februar 1990 – 5 StR 56/90, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 2 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 258 Rn. 20).

Diese Anforderungen wurden nicht eingehalten.

c) Soweit das Urteil die Angeklagte betrifft, beruht es im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler; denn es ist nicht auszuschließen, dass sie bei Erteilung des letzten Wortes noch Ausführungen gemacht und dies sich auf die Entscheidung des Landgerichts ausgewirkt hätte (vgl. zum Beruhen etwa BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2002 – 3 StR 499/01, wistra 2002, 308; vom 11. März 2014 – 5 StR 70/14, StraFo 2014, 251; vom 20. August 2008 – 5 StR 350/08, NStZ 2009, 50; vom 2. Mai 1989 – 5 StR 154/89, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1; BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1980 – 2 BvR 705/79, BVerfGE 54, 140, 142; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 35 f.). Allein daraus, dass die in L.     lebende Angeklagte zu dem auf den Schlussvortrag des Staatsanwalts folgenden Hauptverhandlungstag nicht erschien, ist nicht zu folgern, sie habe wie zuvor von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich nicht äußern wollen. So ließ sich etwa der ebenfalls zuvor schweigende Angeklagte erst im Rahmen seines letzten Wortes zur Sache ein.

d) Danach ist die Verurteilung der Angeklagten S. insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben…..“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Für mehrere Nebenkläger tätig, welches Honorar?

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Und dann noch die Antwort auf die Gebührenfrage vom Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Für mehrere Nebenkläger tätig, welches Honorar?

In der Frage ging es vornehmlich um die die Erhöhung nach Nr. 1008 Vv RVG.

Ich habe darauf kurz und zackig 🙂 geantwortet:

„Moin,

ja.

Ich verweise auf: Vergütungsanspruch bei gemeinschaftlicher Nebenklagevertretung (§ 397b Abs. 3 StPO; § 53a RVG).