Archiv für den Monat: August 2022

beA II: Bedienfehler des Rechtsanwalts beim beA, oder: vorübergehende technische Unmöglichkeit

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Und als zweite Entscheidung dann noch etwas aus dem Verwaltungsrecht, nämlich den BayVGH, Beschl. v. 01.07.2022 – 15 ZB 22.286.

Es geht um den Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des VG Regensburg vom 07.12.2021, mit dem ihre gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gerichtete Nachbaranfechtungsklage abgewiesen wurde. Das Urteil wurde am 13.12.2021 zugestellt.

Nachdem der Antrag auf Zulassung der Berufung am 13.01.2022 beim VG (elektronisch) gestellt wurde, wurde die Antragsbegründung zunächst am Montag, den 14.02.2022, um 23:06 Uhr an den VGH per Telefax übermittelt. Der Bevollmächtigte der Kläger hat am 15.02.2022 dem Berichterstatter des Senats telefonisch mitgeteilt, dass eine elektronische Übermittlung der Antragsbegründung über sein besonderes Anwaltspostfach am Vorabend technisch nicht möglich gewesen sei; er werde den Schriftsatz elektronisch nachreichen und einen weiteren Schriftsatz vorlegen, in dem der Sachverhalt des gescheiterten elektronischen Versendungsversuchs näher dargelegt werde. Am Abend des 15.02.2022 (18:53 Uhr) ging sodann die Antragsbegründung vom 14.02.2022 mit weiteren Anlagen auf elektronischem Weg im sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach (beA) beim Verwaltungsgerichtshof ein. Der Klägerbevollmächtigte führte mit weiterem Schriftsatz vom 15.02.2022 unter Verweis auf § 55d Abs. 3 und 4 VwGO aus, dass er am Abend des 14.02.2022 die Adresse des VGH in das Adressatensuchfeld des verwendeten Programms nicht habe eingeben können. Hierzu ergänzte er seinen Vortrag mit weiterem Schriftsatz vom 02.03.2022.

Der BayBGH hat den Zulassungsantrag als unzulässig angesehen:

„Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig und damit in entsprechender Anwendung von § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen.

1. Der Antrag ist nicht im Rahmen der Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in der gem. § 55 d VwGO erforderlichen Form begründet worden.

Gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Gem. § 124a Abs. 4 Satz 5 i.V. mit § 184 VwGO ist die Begründung, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO (eingefügt durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, BGBl. I S. 3786 ff.) sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt für sämtliche Verfahren und auch für Schriftsätze, die in Verfahren eingereicht werden, die bereits vor dem 1. Januar 2022 anhängig gemacht wurden. Sie bezieht sich auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen. Eine herkömmliche Einreichung – etwa auf dem Postweg oder per Fax – ist prozessual unwirksam. Nur dann, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 55d Satz 3 VwGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Die Einhaltung der Vorschrift ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten (zum Ganzen: BayVGH, B.v 24.2.2022 – 15 ZB 22.30186 – juris Rn. 3; B.v. 2.5.2022 – 6 ZB 22.30401 – juris Rn. 2; B.v. 6.5.2022 – 10 ZB 22.827 – juris Rn. 2; OVG LSA, B.v. 18.1.2022 – 1 L 98/21.Z – juris Rn. 4; SchlHOVG, B.v. 25.1.2022 – 4 MB 78/21 – NordÖR 2022, 198 = juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, B.v. 7.2.2022 – 6 N 19/22 – juris Rn. 2; VG Frankfurt/Oder, B.v. 19.1.2022 – 10 L 10/22.A – juris Rn. 6 ff.; GB v. 18.2.2022 – 10 K 21.22.A – juris Rn. 8 ff.; Braun Binder in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 55d Rn. 7; Schmitz in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: April 2022, § 55d Rn. 2; zu § 130d ZPO vgl. auch BT-Drs. 17/12634 S. 27 f.).

a) Nachdem das im vorliegenden Verfahren angegriffene Urteil dem Klägerbevollmächtigten laut elektronischem Empfangsbekenntnis am 13. Dezember 2021 zugestellt wurde, hätte eine formgemäße (elektronisch übermittelte) Antragsbegründung gem. § 55d, § 57 1, § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, § 222 Abs. 2 ZPO bis Montag, 14. Februar 2022, 24:00 Uhr beim Verwaltungsgerichtshof eingehen müssen. Dies ist nicht geschehen. Der Bevollmächtigte der Kläger hat den Antragsbegründungsschriftsatz am 14. Februar 2022 – nicht formgemäß – nur per Telefax eingereicht.

b) Es liegt auch keine die Antragsfrist wahrende Ersatzeinreichung nach § 55d Satz 3 VwGO vor, da die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt bzw. nicht gem. § 55d Satz 4 VwGO glaubhaft gemacht worden sind.

Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt gem. § 55d Satz 3 VwGO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen, § 55d Satz 4 VwGO. Nach dem Willen des Gesetzgebers spielt es keine Rolle, ob die Ursache für eine vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts soll dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen. Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet und erfordert nur die (unverzügliche) Glaubhaftmachung der technischen Störung als solcher (zum Ganzen: BT-Drs. 17/12634 S. 27; BayVGH, B.v. 2.5.2022 a.a.O. juris Rn. 5; Schmitz a.a.O. Rn. 5; zu § 46g ArbGG vgl. ArbG Lübeck, U.v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20 – juris Rn. 85).

Der Bevollmächtigte der Kläger hat im Berufungszulassungsverfahren weder mit der Ersatzeinreichung (Telefax vom 14. Februar 2022) noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht (vgl. § 55d Abs. 4 VwGO), dass die elektronische Übermittlung am Abend des 14. Februar 2022 i.S. von § 55d Abs. 1 Satz 3 VwGO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war.

Der Bevollmächtigte der Kläger hat mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 unter anwaltlicher Versicherung der Richtigkeit des Inhalts schriftsätzlich vorgetragen, der Entwurf der Zulassungsbegründung habe am 14. Februar 2022 unter nochmaliger Durchsicht der Akten umfassend überarbeitet und neu strukturiert werden müssen, was erst gegen 22:30 Uhr habe abgeschlossen werden können. Dann seien die umfangreichen Anlagen zur Begründung eingescannt worden. Danach sei mehrfach die elektronische Übermittlung versucht worden, was immer wieder misslungen sei. Es sei nicht möglich gewesen, den Verwaltungsgerichtshof im beA-Postfach in die vorgesehene Adress-Zeile einzusetzen, um sodann die vollständigen Dokumente zu übersenden. Mehr als zehnmal sei auch unter Variation der Schreibweise (z.B. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof München, Verwaltungsgerichtshof, VGH München, VGH, BayVGH) versucht worden, den Verwaltungsgerichtshof als Empfänger einzusetzen. Auch die vorgesehene Suche unter Angabe des Gerichts und dessen Adresse habe trotz einiger Versuche keinen Erfolg gehabt. Gegen 23:00 Uhr hätten die Versuche abgebrochen werden müssen, um noch fristgerecht die Antragsbegründung mit den umfangreichen Unterlagen (mindestens 80 Blatt) vor 24:00 Uhr per Fax übermitteln zu können. Es sei keine Zeit mehr verblieben, die Unmöglichkeit der elektronischen Versendung zugleich darzulegen und glaubhaft zu machen. Es sei aufgrund der bisherigen Erfahrung mit beA nicht damit zu rechnen gewesen, dass hier ein Problem habe auftreten können. Nachrichtenübermittlungen an diverse Amtsgerichte und Landgerichte sowie auch an das Verwaltungsgericht Regensburg seien bisher problemlos möglich gewesen. Zu dem Zeitpunkt, als die geschilderte Problemlage aufgetreten sei, sei keinerlei technische oder beA-betreffende Unterstützung zu erhalten gewesen. Erst ein Anruf bei der erst am 15. Februar 2022 wieder zu erreichenden beA-Support-Hotline habe die Lösung erbracht. Der Mitarbeiter, dem diese Problemlage nicht neu gewesen sei, habe dann den Lösungsweg wie folgt beschrieben: Eingabe „Ba…gericht“ in die Maske der Suchfunktion „Name“ sowie Eingabe „München“ im Eingabefeld für „Ort“. Auf diese Eingaben hin sei eine Liste von verschiedenen bayerischen Gerichten erschienen, die dann auch den „Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München“ enthalten habe. Er – der Bevollmächtigte der Kläger – habe die gesamte Tätigkeit des EDVerfahrenen und zuverlässigen Mitarbeiters persönlich überwacht; er habe danebengestanden und somit diese Vorgänge selbst wahrgenommen. Mit Schriftsatz vom 2. März 2022 ließen die Kläger ergänzend vortragen, ihr Bevollmächtigter habe die im beA-Programm vorgesehenen Anwendungsschritte eingehalten, um den Schriftsatz zu einer erfolgreichen Versendung zu bringen. Die Versendung auf dem vorgesehenen technischen Weg sei ohne das besondere Wissen eines Spezialisten unmöglich gewesen, was als Fehlfunktion / Fehler / Mangel des beA-Programms zu qualifizieren sei. Die erst durch den Mitarbeiter der Support-Hotline aufgezeigte Möglichkeit stelle ein Spezialwissen eines spezialisierten Technikers dar, dessen Kenntnis von einem Anwalt nicht erwartet werden könne. Die Unmöglichkeit der Eingabe auf anderem Weg stelle einen Mangel des Programms dar und begründe somit eine technische Unmöglichkeit. Ein Screenshot der Eingabeversuche sei – was anwaltlich versichert werde – versucht worden, sei aber technisch nicht möglich gewesen. Für die Anwendung des § 55d Satz 3 VwGO sei es nicht zwingend, dass die Ursache der technischen Störung aus der Sphäre des Einreichers stamme. Jede Form eines technischen Ausfalls gereiche nicht zum Nachteil des Einreichers. Selbst Fehlbedienungen erfüllten das Merkmal der technischen Störung. Verschulden des Einreichers sei irrelevant.

Mit diesem Vorbringen konnten die Kläger – unabhängig vom Unverzüglichkeitskriterium (vgl. SchlHOVG, B.v. 25.1.2022 a.a.O. Rn. 5), dessen Erfüllung hier dahingestellt bleiben kann – das Vorliegen einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung der Antragsbegründung aus technischen Gründen i.S. von § 55d Abs. 1 Satz 3 VwGO für den Abend des 14. Februar 2022 bis 24:00 Uhr nicht glaubhaft machen.

Nach dem eindeutigen Wortlaut rechtfertigen nur t e c h n i s c h e Gründe eine Ersatzeinreichung, wobei diese – verschuldensunabhängig – auch in der Sphäre des Einreichenden ihre Ursache haben können (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 27; BayVGH, B.v. 2.5.2022 a.a.O. Rn. 5). Es handelt sich um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand; vom Gesetzgeber ausschließlich akzeptierte technische Gründe sind von sonstigen – die Ersatzeinreichung nicht rechtfertigenden – Gründen abzugrenzen (Anders in Anders/Gehle, ZPO, 22. Aufl. 2022, § 130d ZPO Rn. 6; Kulow, BRAK-Mitteilungen 2019, 2/7). Es muss sich mithin tatsächlich um eine technische Störung handeln und nicht um ein Unvermögen bei der Bedienung der Einrichtung. Ebenso wie professionelle Einreicher durch die Möglichkeit einer Ersatzeinreichung nach Maßgabe des § 55d Abs. 1 Satz 3 VwGO und der vergleichbaren Regelungen in weiteren Prozessordnungen (z.B. § 130d Satz 2 ZPO) nicht davon entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (BT-Drs. 17/12634 S. 28; OVG NW, B.v. 10.3.2022 – 19 E 147/22 – juris Rn. 4; B.v. 31.3.2022 – 19 A 448/22.A – juris Rn. 4; Kulow a.a.O.), erfüllt es auch nicht den Ausnahmetatbestand des § 55d Abs. 1 Satz 3 VwGO, wenn die fristgemäße Übermittlung aufgrund eines Anwendungs- bzw. Bedienungsfehlers scheiterte, d.h. wenn der handelnde Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Fristablaufs zwar das notwendige technische Equipment einschließlich der Bedienungssoftware vorgehalten hatte, er aber aufgrund nicht ausreichender Schulung bzw. nicht hinreichender vorheriger autodidaktischer Befassung subjektiv nicht in der Lage war, die Übermittlung rechtzeitig vor Fristablauf umzusetzen (Buchheister in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 55d Rn. 4; Schultzky, MDR 2022, 201/202; a.A. ohne Begründung: Gädeke in Ory/Weth, jurisPK-ERV Bd. 3., 1. Aufl., § 55d VwGO; Müller, Aktive beA-Nutzungspflicht: So vermeiden Sie Haftungsfallen (mkg-online.de), im Internet abrufbar unter https://mkg-online.de/2022/01/05/aktive-bea-nutzungspflicht-so-vermeiden-sie-haftungsfallen/). In diesem Fall liegt ein m e n s c h l i c h e r und kein technischer Grund für das Scheitern der fristgemäßen elektronischen Übermittlung vor.

Nach den voranstehenden Maßstäben ist eine vorübergehende technische Störung i.S. von § 55a Abs. 1 Satz 3 VwGO am Abend des 14. Februar 2022 von den Klägern bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten nicht glaubhaft gemacht worden. Aus dem Vorbringen des Bevollmächtigten der Kläger lässt sich allenfalls die Glaubhaftmachung eines Bedienungsfehlers bzw. subjektiven Bedienungsunvermögens der beA-Software ableiten, die für sich für den Ausnahmegrund i.S. von § 55d Satz 3 VwGO nicht genügt (s.o.). Dies ergibt sich für den Senat aus Folgendem:

aa) Auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofs teilte das Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung per E-Mail am 16. Februar 2022 mit:

„(…) It. unserem Monitoringsystem lassen sich für den Zeitraum 14.02.22 22:00 Uhr bis 14.02.22 24:00 Uhr keine Fehler auf unseren Intermediären feststellen. (…).“

bb) Nach der Bestätigung des Klägerbevollmächtigten hat dieser am Abend des 14. Februar 2022 – wie sonst auch – die herkömmliche bea-Webanwendung und kein besonderes Kanzleisoftwareprodukt benutzt.

cc) Für die bea-Nutzung hat die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Auskunft an den Senat vom 23. Mai 2022 ausgeführt, dass Adressaten im gesamten Verzeichnis gesucht werden können. Die Postfächer der Gerichte seien über den EGVP-Verzeichnisdienst angeschlossen. Die Vergabe der EGVP-Postfächer erfolge über die Justiz und nicht über die Bundesrechtsanwaltskammer. In einigen Fällen gestalte sich die Suche nach Justizbehörden schwierig, weil der korrekte Name des Postfachinhabers einzugeben ist. Im vorliegenden Fall hätte „Bayerischer Verwaltungsgerichtshof“ eingegeben werden müssen, eine Suche über den Einzelbegriff „Verwaltungsgerichtshof“, ggf. mit der zusätzlichen Ortsangabe „München“ führe zu keinem Suchergebnis. Es sei möglich, dass diese Besonderheit bei der Adressierung dem Klägerbevollmächtigten nicht bekannt gewesen sei.

dd) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kann grundsätzlich über den EGVP-Verzeichnisdienst bei Eingabe der richtigen Bezeichnung als Adressat über die herkömmliche bea-Webanwendung und deren Suchfunktion gefunden werden. Aus dem über EGVP abgewickelten elektronischen Rechtsverkehr mit dem Senat haben sich bislang keine vergleichbaren Probleme ergeben.

ee) Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in ihrer amtlichen Auskunft vom 23. Mai 2022 weiter ausgeführt, dass eine Suchanfrage nach Gerichten im EGVP-Verzeichnisdienst über den sog. virtuellen Attributservice (VAS) durchgeführt werde. Es könne grundsätzlich ein Fehler in der Form auftreten, dass aufgrund von Störungen im VAS oder der Anbindung der Justiz eine Suche erfolglos bleibe, obwohl das Gericht ordnungsgemäß bezeichnet wurde. Am Abend des 14. Februar 2022 habe das bea-System vollständig zur Verfügung gestanden. Ob möglicherweise Probleme bei der Justiz in Bayern aufgetreten seien, müsse von dort aus beantwortet werden. Die vorliegende Rückmeldung des Bayerischen Landesamts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung gebe nur Auskunft darüber, dass Fehler auf den Intermediären nicht feststellbar gewesen seien. Ob die Intermediären von außen erreichbar gewesen seien, lasse sich dieser Mitteilung nicht entnehmen.

ff) Nach der im Internet unter https://portal.beasupport.de/verfuegbarkeit sowie unter https://www.brak.de/fileadmin/02_fuer_anwaelte/bea/bea-stoerungsdokumentation.pdf abrufbaren Störungsdokumentationen, auf die die Beteiligten gerichtlicherseits hingewiesen worden sind, lagen am Abend des 14. Februar 2022 keine Störungen beim EGVP-Server in Bayern vor, die einer Nutzung des bea-Programms in Bayern entgegenstanden. Aus dieser Auskunftslage ergibt sich, dass der Klägerbevollmächtigte nicht glaubhaft gemacht hat, dass seine Suche am Abend des 14. Februar 2022 aufgrund von Störungen im VAS oder der Anbindung der Justiz (fehlende Erreichbarkeit des Intermediärs von außen) gescheitert ist. Dies ist von ihm so auch nicht behauptet worden.

gg) Es verbleibt damit als möglicher technischer Grund für eine Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung über beA am Abend des 14. Februar 2022 eine technische Störung im Bereich des absendenden Klägerbevollmächtigten (z.B. Hard-, Softwarefehler; Störungen beim Internetanschluss). Solche Fehler sind aber vom Klägerbevollmächtigten nicht dargelegt worden.

hh) Weil nicht glaubhaft gemacht wurde, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am Abend des 14. Februar 2022

– aufgrund eines technischen Fehlers im Bereich der Kanzlei des Klägerbevollmächtigten,

– aufgrund eines nicht vollständig zur Verfügung gestandenen bea-Systems,

– aufgrund eines Fehlers auf den Intermediären,

– aufgrund einer Störung der VAS-Suche oder

– aufgrund einer fehlenden Erreichbarkeit der Intermediäre von außen

vom Klägerbevollmächtigten nicht auf herkömmlichen Weg als Empfänger / Adressat über die beA-Anwendung gesucht bzw. ausgewählt werden konnte, verbleibt als Grund für die gescheiterte Adresssuche nur ein – nicht von § 55d Abs. 1 Satz 3 VwGO erfasster – Bedienungsfehler. Ein nachvollziehbarer Grund, warum der Verwaltungsgerichtshof am Abend des 14. Februar 2022 über eine herkömmliche Adresssuche unter Eingabe des richtigen Suchbegriffs („Bayerischer Verwaltungsgerichtshof“) nicht als Adressat im bea-System hätte eingespeist werden können, ist damit nicht ersichtlich. Über die Recherchemöglichkeiten über das Platzhaltersymbol „…“ wird zudem über den im Internet abrufbaren „Newsletter zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach, Ausgabe 6/2019 v. 14.2.2019“ informiert. Nach der Auskunft der Bundesrechtsanwaltskammer vom 23. Mai 2022 wird darüber hinaus in der für das beA-System bereitgestellten Anwenderhilfe darauf hingewiesen, dass als Platzhalter das Zeichen „…“ verwendet werden könne, wenngleich dort nicht näher erläutert werde, dass dieser Platzhalter immer dann gesetzt werden sollte, wenn nicht nach dem vollständigen Namen eines Gerichts gesucht werde. Diese Anwenderhilfe ist über das Internet zugänglich (vgl. https://www.bea-brak.de/xwiki/bin/view/BRAK/%2300030). Die vom Mitarbeiter der Support-Hotline vorgeschlagene Lösung sei im Übrigen – so die Bundesrechtsanwaltskammer weiter – nur eine Möglichkeit, den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in der Adresssuche zu finden. Denkbar seien alle möglichen Kombinationen zwischen dem Platzhalter „…“ und der Bezeichnung des Gerichts. Vor diesem Hintergrund hätte dem Klägerbevollmächtigten als Nutzer des bea-Systems aus Sicht des Senats auch die Möglichkeit der Platzhaltersuche über das Zeichen „…“ zumindest bekannt sein müssen, sodass – sollte tatsächlich (was nicht ersichtlich ist bzw. nicht glaubhaft gemacht wurde) die Adresseinspeisung über den richtigen Namensbegriff nicht möglich gewesen sein – der Bevollmächtigte der Kläger am 14. Februar 2022 jedenfalls den Versuch ungenutzt gelassen hat, hierüber ein Ergebnis zu erzielen. Jedenfalls ist aus den o.g. Gründen in Bezug auf die Adressfindung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kein technischer vorübergehender Software-, Hardware- oder Verbindungsfehler hinsichtlich des bea-Übertragungssystems dargelegt und glaubhaft gemacht worden…..“

beA I: Einfache Signatur im elektronischen Dokument, oder: RA muss die einfache Signatur selbst prüfen

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Im „Kessel Buntes“ heute dann mal wieder etwas zum beA und/oder zum elektronischen Dokument.

Da habe ich zunächst den OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2022 – 30 U 32/22 -, also Zivilverfahren. Das OLG hat Stellung genommen zur ordnungsgemäßen Berufungseinlegung. Der Kläger hat gegen ein klageabweisendes Urteil Berufung eingelegt, für die er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.S.v. § 233 S. 1 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsfrist begehrt. Die Berufungsschrift war dem OLG aus einem besonderen Anwaltspostfach übermittelt worden. Aber: Das Dokument ist nicht qualifiziert signiert. Es schließt mit der Bezeichnung „Rechtsanwalt“; ein konkreter Name wird nicht genannt.

Das OLG hat keine Wiedereinsetzung gewährt:

„Die Berufung ist unzulässig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.

1. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufung nicht formgemäß innerhalb der Berufungsfrist i.S.v. § 517 ZPO eingelegt worden ist.

Zwar ist die Berufungsschrift am 27.01.2022 bei dem Oberlandesgericht Hamm aus einem besonderen Anwaltspostfach und damit binnen der mit Zustellung des landgerichtlichen Urteils am 30.12.2021 beginnenden Berufungsfrist von einem Monat eingegangen. Sie entsprach jedoch nicht den Erfordernissen des § 519 Abs. 4 ZPO i.V.m. §§ 130 Nr. 6, 130a ZPO.

a) Die als elektronisches Dokument eingegangene Berufungsschrift hätte jedenfalls einer einfachen Signatur bedurft, die jedoch vorliegend nicht vorhanden war. Denn eine einfache Signatur i.S.v. § 130a Abs. 3 S. 1 2. Alt. ZPO meint die Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer eingescannten Unterschrift (vgl. BAG, Beschluss vom 14.09.2020 – 5 AZB 23/20, NJW 2020, 3476; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.09.2021 – 17 W 13/21 – Rn. 13 f.). Eine solche ist in der Berufungsschrift vom 27.01.2022 indes nicht vorhanden. Dort ist lediglich das Wort „Rechtsanwalt“ aufgeführt.

b) Es kann auch nicht aufgrund sonstiger Umstände von einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung ausgegangen werden. Zwar kann die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unterschrift i.S.v. § 130 Nr. 6 ZPO, wonach das Fehlen einer Unterschrift unschädlich sein kann, wenn auch ohne die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten aufgrund anderer, eine Beweisaufnahme nicht erfordernder Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Prozessbevollmächtigte die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2010 – IX ZB 60/10, BeckRS 2011, 117, Rn. 5), auch auf die Fälle übertragen werden, wenn eine einfache Signatur nicht erfolgt ist (vgl. BAG, a.a.O., Rn. 19; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 19 f.). Solche besonderen Begleitumstände sind jedoch vorliegend nicht erkennbar.

Die Nennung des Nachnamens im Kopf der Berufungsschrift ist insoweit nicht ausreichend. Denn sie trifft keine Aussage darüber, wer für den sodann folgenden Inhalt der Berufungsschrift auch die Verantwortung übernehmen will (vgl. BAG, a.a.O., Rn. 20). Ferner lässt sich auch aus dem Umstand der Versendung aus dem Postfach eines im Kopf der Berufungsschrift genannten Rechtsanwalts nicht zweifelsfrei feststellen, dass dieser die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat. Denn aufgrund der fehlenden einfachen Signatur lässt sich gerade nicht feststellen, ob die als Absender ausgewiesene Person identisch mit der den Inhalt des Schriftsatzes verantwortenden Person ist (vgl. BAG, a.a.O., Rn. 20).

2. Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der entsprechende Antrag vom 10.02.2022 gemäß § 236 ZPO ist zwar zulässig, aber unbegründet, weil die Fristversäumung auf einem dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Anwaltsverschulden beruht (§ 233 S. 1 ZPO).

a) Insoweit kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass die Angestellte des Prozessbevollmächtigten des Klägers von diesem beauftragt worden ist, einen Berufungsschriftsatz bis zur Versendungsreife vorzubereiten. Denn es gehört zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.03.2022 – VI ZB 78/21, BeckRS 2022, 7011, Rn. 9). Nichts anderes kann im elektronischen Rechtsverkehr für die elektronische Signatur gelten. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprechen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11).

Ausgehend hiervon hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers sorgfaltswidrig gehandelt.

Ob seine Angestellte zuverlässig sowie besonders geschult war und sie erstmalig und einmalig entgegen der Weisung des Prozessbevollmächtigten des Klägers anstelle dessen Namen lediglich das Wort „Rechtsanwalt“ eingefügt hat, ist insoweit irrelevant. Denn es oblag dem Prozessbevollmächtigten selber, den Schriftsatz dahingehend zu überprüfen, ob sein Namenszusatz unterhalb des Schriftsatzes vorhanden ist, bevor er diesen an das Gericht übersandt hat.

b) Schließlich hat auch das Vorbringen des Klägers, das Gericht habe vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist auf das Fehlen der einfachen Signatur hinweisen müssen, keinen Erfolg.

Zwar kann der Anspruch auf ein faires Verfahren eine gerichtliche Hinweispflicht auslösen, wenn ein Rechtsmittel nicht in der vorgesehenen Form übermittelt worden ist. Insoweit kann eine Partei erwarten, dass dieser Vorgang in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumnis zu vermeiden. Kann der Hinweis im Rahmen ordnungsgemäßen Geschäftsgangs nicht mehr so rechtzeitig erteilt werden, dass die Frist durch die erneute Übermittlung des fristgebundenen Schriftsatzes noch gewahrt werden kann, oder geht trotz rechtzeitig erteilten Hinweises der formwahrende Schriftsatz erst nach Fristablauf ein, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein aus diesem Grund aus. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken. Dies nähme den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten ihre eigene Verantwortung dafür, die Formalien einzuhalten. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse der Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern hat auch zu berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (vgl. BAG, Beschluss vom 14.09.2020 – 5 AZB 23/20, NJW 2020, 3476, Rn. 27; vgl. auch BGH, Beschluss vom 18.10.2017 – LwZB 1/17, NJW 2018, 165, Rn. 11).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist nicht von der Verletzung einer gerichtlichen Hinweispflicht auszugehen. Hierbei übersieht der Senat nicht, dass grundsätzlich eine gerichtliche Fürsorgepflicht anzunehmen ist, eine Prozesspartei auf einen leicht erkennbaren Formmangel – wie die fehlende Unterschrift in einem bestimmenden Schriftsatz – hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben (vgl. BAG, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZB 37/08, NJW-RR 2009, 564, Rn. 10). Die am 27.01.2022 bei dem Oberlandesgericht Hamm eingegangene Berufungsschrift ging am Montag, den 31.01.2022 auf der Geschäftsstelle des zuständigen 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm ein und wurde dem Vorsitzenden des Senats am 01.02.2022 zur weiteren Bearbeitung vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt war die Rechtsmittelfrist aber schon abgelaufen, so dass ein Hinweis ihre Einhaltung nicht mehr hätte erreichen können.

Insoweit kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, der Schriftsatz hätte dem zuständigen Senat eher vorgelegt werden müssen. Denn der Ablauf entspricht dem eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs und für eine rechtliche Prüfung der gesetzlichen Anforderungen des Schriftsatzes ist ausschließlich der nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts zuständige Senat berufen. Auch der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine anderweitige Wertung nicht zu entnehmen. Denn diese stellt gerade auf die richterliche Fürsorgepflicht innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ab.“

Ich habe da mal eine Frage: Sind die Kürzungen der RSV berechtigt?

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Und dann hier noch die Gebührenfrage:

„……

Ich habe eine Frage zu einer RVG-Angelegenheit, in der ich mich über unverbindliche Schützenhilfe freuen würde. Ich halte mich so kurz wie möglich.  Es geht um die Erhöhung der 5103 VV RVG über die Mittelgebühr hinaus.

Zugrunde liegt die Abrechnung als Wahlverteidiger in einer Bußgeldsache. Die Mandantin war in der verlängerten Probezeit. Ergebnis vorab: Ich habe das Verfahren eingestellt bekommen, über Verjährung.

Der Fall kurz zusammengefasst: Mandantin in verlängerter Probezeit hat schon zwei Punkte und Maßnahmen Nr. 1 und 2. Aus § 2a Abs. 2 Nr. 1-2 StVG bereits ausgeschöpft. Sie bekommt einen BG wegen 50 km/h drüber (2 Pkt.). Anhörungsbogen und BG werden bei ihren Eltern zugestellt, wo sie seit 6 Monaten nicht mehr wohnt. Anhörungsbogen sendet sie ohne Adressangabe zurück. Einspruch wird nach Verjährung eingelegt und Akteneinsicht beantragt. Nach gewährter Akteneinsicht ausführlich mit Nachweisen (Mietvertrag, Meldebescheinigung etc.) die Verjährung begründet und auch begründet, wieso der Anhörungsbogen nicht unterbrechen konnte. Parallel mit Fahrerlaubnisbehörde, die wegen § 2a Abs. 2 Nr. 3 StVG anhörte, auf Einspruch hingewiesen. Ordnungsbehörde stellt am Ende ein und nimmt BG zurück. Fahrerlaubnisbehörde schließt die Akte danach ebenfalls.

Ich habe die Sache abgerechnet und folgende Gebühren berechnet: 5100 165,00 EUR, 5103 (60-5000) 264,00 EUR, 5115 (60-5000) 176,00 EUR, 7002 20,00 EUR Auslagen AE 12,00 EUR, USt.  121,03 EUR, Summe 758,03 EUR

Die 5103 habe ich nicht mit der Mittelgebühr ((33+319) x 0,5 =176 €), sondern um 25 % erhöht ((33+319) x 0,75 = 264 EUR) angesetzt. Die 5115 habe ich auf der Mittelgebühr belassen, weil sich die laut 5115 Abs. 3 S. 2 VV RVG nach der Rahmenmitte bemisst.

Die RSV der Mandantin hat erwartungsgemäß die leicht erhöhte 5103 auf 176 EUR runtergekürzt sowie die SB von 150 EUR abgezogen. Letzteres ist nicht zu beanstanden.

Die andere Kürzung ist aber meiner Ansicht nach zu Unrecht erfolgt. Ich habe zuerst einmal in die allg. Versicherungsbedingungen geschaut, ob die ggf. immer nur die Mittelgebühr ersetzen. Ist nicht der Fall. Grundsätzlich ist von der Mittelgebühr auszugehen. Es gibt drei maßgebliche Faktoren, die nach oben oder unten korrigieren können: Aufwand, Schwierigkeit, Bedeutung. Aufwand war hier durch Korrespondenz mit zwei Behörden überdurchschnittlich, zudem relativ hoher Begründungsaufwand, wieso Verjährung durch Anhörungsbogen nicht unterbrochen wurde und keine „arglistige“ Falschzustellung vorlag, wofür ich entsprechende Auskünfte bei der Mandantin einholen musste und Nachweise organisiert habe.

Schwierigkeit überdurchschnittlich, weil zwei Rechtsfragen beantwortet werden mussten. Nämlich die Verjährungsunterbrechung/Hemmung durch den Anhörungsbogen bei nachgewiesener Kenntnis und die fehlerhafte Zustellung im Elternhaus des BG an sich. Hinzu kommt die „strategische“ Überlegung, nicht innerhalb der Frist Einspruch einzulegen und Akteneinsicht zu verlangen, weil das ggf. zur Anhörung und damit Unterbrechung führen kann, bevor Verjährung eintritt.

Bedeutung für die Mandantin überdurchschnittlich, weil jeder Punkt innerhalb der verlängerten Probezeit die Fahrerlaubnis final versenkt.

Frage: War die Erhöhung der Gebühr angemessen? Folgefrage: Kann wegen Korrespondenz mit Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen von deren Anhörung eine weitere Gebühr abgerechnet werden? Wenn ja, welche?

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Verteidiger aus Torgau in Vechta, Mandant aus Leipzig, oder: Reise-/Übernachtungskosten des auswärtigen RA

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In der Praxis macht die Auslagenerstattung für den auswärtigen Verteidiger häufig Schwierigkeiten.Mit der Problematik befasst sich der LG Oldenburg, Beschl. v. 13.07.2022 – 5 Qs 217/22.

Im Hauptverhandlungstermin beim AG Vechta war der aus Torgau angereiste Verteidiger des Betroffenen, der zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides in Torgau gewohnt hat und nun in Leipzig wohnhaft ist, anwesend. Durch Beschluss des AG ist das Verfahren eingestellt und sind die notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt worden. In der Kostenfestsetzung hat das AG die Erstattung von Reisekosten des Verteidigers des Betroffenen abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte – weitgehend – Erfolg:

„1. Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers kommt gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist nur unter besonderen Voraussetzungen (vgl. insoweit Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 464a Rn. 12 m.w.N.), die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall.

Die Erstattungsfähigkeit ist zu bejahen, wenn bei einer schwierigen oder abgelegenen Rechtsmaterie ein Rechtsanwalt mit besonderen Fachkenntnissen, die kein Rechtsanwalt vor Ort hat, erforderlich erscheint (OLG Düsseldorf 6.10.1970 — 2 Ws 443/70, NJW 1971, 1146; 6.4.1981 — 1 Ws 210-211/81, NStZ 1981, 451; OLG Bamberg 20.3.1986 — Ws 147/86, JurBüro 1987, 558). Auch wenn der Angeklagte selber weit vom Gerichtsort entfernt wohnt und er ansonsten zur Rücksprache mit seinem Verteidiger große Strecken fahren müsste, oder wenn der Angeklagte bei Beauftragung des Anwalts davon ausgehen konnte, dass das Verfahren am Kanzleiort des Rechtsanwalts geführt wird, sind die Auslagen wohl als notwendige anzusehen (LG Flensburg 30.5.1984 — 1 Qs 126/84, JurBüro 1984, 1537; OLG Celle 22.1.1985 — 1 Ws 25/85, StV 1986, 208). Einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Betroffenen/Angeklagten kommt nur bei einem schweren Schuldvorwurf regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu (OLG Celle 28.10.1991 — 3 Ws 226/91, StV 1993, 135; OLG Köln 16.11.1991 — 2 Ws 452/91, NJW 1992, 586; OLG Naumburg 17.10.2008 — 1 Ws 307/08, StraFo 2009, 128). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

Nach Würdigung aller Gesamtumstände kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Hinzuziehung des Verteidigers für den vormals Betroffenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war:

Der Betroffene war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids in 04860 Torgau und ist aktuell nunmehr in 04157 Leipzig wohnhaft. Der von ihm beauftragte Rechtsanwalt hat seinen Kanzleisitz in Torgau, was sich zunächst an seinem Wohnsitz und nunmehr in örtlicher Nähe zu seinem jetzigen Wohnsitz befindet. Überdies wurde dem Betroffenen im vorliegenden Fall mit Bußgeldbescheid vom 16.12.2020 wegen eines Verstoßes gegen § 73 Abs. 1 lit. a Ziff. 24 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 32 S. 1 IfSG sowie den §§ 28, 29, 30 Abs. 1 2 IfSG eine Geldbuße von 25.000,00 EUR — mithin eine sehr empfindsame finanzielle Belastung — auferlegt. Schließlich besteht ausweislich des Vortrags des Rechtsanwalts seit vielen Jahren ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem ehemals Betroffenen. Eine Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Kanzleisitz am Ort des Prozessgerichts erscheint unter Berücksichtigung dieser Umstände unzumutbar. Die seitens des Rechtsanwalts beantragten Reisekosten sind daher erstattungsfähig.

Zu den Reisekosten gehören als sonstige Auslagen (RVG VV Nr. 7006) auch angemessene Übernachtungskosten. Die Ersatzfähigkeit von Übernachtungskosten orientiert sich dem Grunde nach allein an der Frage der Zumutbarkeit eines Reisebeginns zur Nachtzeit (§ 758 a IV ZPO). Ein Reiseantritt (ab Wohnung des Rechtsanwalts) vor 6 Uhr morgens ist in der Regel nicht zumutbar (OLG Nürnberg, Beschl. v. 13. 12. 2012 — 12 W 2180/12). Die Verhandlung begann am 22.02.2022 um 9:30 Uhr. Bei einer Fahrtzeit aus Torgau zum Amtsgericht Vechta von über vier Stunden wäre ein Reiseantritt vor sechs Uhr morgens — mithin zur Nachtzeit —erforderlich und somit unzumutbar gewesen, weshalb das Gericht die Übernachtungskosten als notwendig und mithin als erstattungsfähig ansieht. Zu berücksichtigen ist, dass in den Übernachtungskosten, die seitens des Rechtsanwalts geltend gemacht wurde, auch die Kosten eines Frühstücks in Höhe von 12,50 EUR enthalten waren. Diese anteiligen Kosten sind abzuziehen, weil der Anwalt auch ohne Durchführung der Geschäftsreise — dann zu Hause —ein Frühstück eingenommen hätte und insoweit also eigene Kosten erspart worden sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 5. 2012 – 1-10 W 5/12, NJW-Spezial 2012, 732). Verpflegungskosten anlässlich einer Geschäftsreise sind durch die Tages- und Abwesenheitsgelder, die der Anwalt beantragen kann, abgegolten. Daher können diese Kosten nicht als reisebedingt der Staatskasse in Rechnung gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 5. 2012 -1-10 W 5/12, NJW-Spezial 2012, 732). Die Kosten des Frühstücks sind mithin von den geltend gemachten Übernachtungskosten in Höhe von 91,50 EUR abzuziehen.“

Bußgeldbescheid vor Ablauf der Stellungnahmefrist, oder: Wer nicht warten kann, trägt auch die Auslagen

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Heute dann der „Money-Day“. Und ich habe – zum Glück – noch/wieder zwei Entscheidungen, die ich vorstellen kann. Dann ist der Ordner wieder leer. Es sind allerdings zwei kostenrechtliche Entscheidungen.

Ich beginne mit dem AG Jever, Beschl. v. 27.07.2022 – 7 OWi 171/22 – zur Auslagenentscheidung im Bußgeldverfahren.

In einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung wird dem Betroffenen mit Anhörungsbogen vom 02.06.2022, dem Betroffenen zugegangen am 07.06.2022, rechtliches Gehör zu dem Vorwurf binnen einer Frist von einer Woche nach Zugang des Anhörungsbogens gewährt. Bereits unter dem 10.06.2022 erliässt die Verwaltungsbehörde dann gegen den Betroffenen schon einen Bußgeldbescheid. Mit Email vom 14.06.2022 legte der Betroffene Einspruch ein und beantragt Akteneinsicht. Nach Akteneinsicht nennt er mit Email vom 23.06.2022 den wahren Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt. Die Verwaltungsbehörde stellt dmam das Verfahren mit Bescheid vom 27.06.2022 gemäß § 47 Abs.1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO ein. Die Auslagen des Betroffenen wurden nicht der Staatskasse auferlegt.

Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Erfolg hatte:

„Der von dem Betroffenen gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet.

Die Kostenentscheidung vom 27.06.2022 ist dahingehend abzuändern, dass der Landkreis die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat.

Der Bußgeldbescheid ist am 10.06.2022 erlassen worden. Zu diesem Zeitpunkt war die dem Betroffenen in dem Anhörungsbogen vom 02.06.2022 gesetzte Stellungnahmefrist noch nicht abgelaufen. Ein Fall des § 109a Abs. 2 OWiG liegt nicht vor, denn der Betroffene hatte keine ausreichende Möglichkeit durch rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände den Erlass des Bußgeldbescheides und damit das Entstehen seiner Auslagen zu vermeiden.“

Na ja, wenn man als Verwaltungsbehörde zu schnell ist…..