Verteidiger aus Torgau in Vechta, Mandant aus Leipzig, oder: Reise-/Übernachtungskosten des auswärtigen RA

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In der Praxis macht die Auslagenerstattung für den auswärtigen Verteidiger häufig Schwierigkeiten.Mit der Problematik befasst sich der LG Oldenburg, Beschl. v. 13.07.2022 – 5 Qs 217/22.

Im Hauptverhandlungstermin beim AG Vechta war der aus Torgau angereiste Verteidiger des Betroffenen, der zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides in Torgau gewohnt hat und nun in Leipzig wohnhaft ist, anwesend. Durch Beschluss des AG ist das Verfahren eingestellt und sind die notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt worden. In der Kostenfestsetzung hat das AG die Erstattung von Reisekosten des Verteidigers des Betroffenen abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte – weitgehend – Erfolg:

„1. Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers kommt gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist nur unter besonderen Voraussetzungen (vgl. insoweit Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 464a Rn. 12 m.w.N.), die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall.

Die Erstattungsfähigkeit ist zu bejahen, wenn bei einer schwierigen oder abgelegenen Rechtsmaterie ein Rechtsanwalt mit besonderen Fachkenntnissen, die kein Rechtsanwalt vor Ort hat, erforderlich erscheint (OLG Düsseldorf 6.10.1970 — 2 Ws 443/70, NJW 1971, 1146; 6.4.1981 — 1 Ws 210-211/81, NStZ 1981, 451; OLG Bamberg 20.3.1986 — Ws 147/86, JurBüro 1987, 558). Auch wenn der Angeklagte selber weit vom Gerichtsort entfernt wohnt und er ansonsten zur Rücksprache mit seinem Verteidiger große Strecken fahren müsste, oder wenn der Angeklagte bei Beauftragung des Anwalts davon ausgehen konnte, dass das Verfahren am Kanzleiort des Rechtsanwalts geführt wird, sind die Auslagen wohl als notwendige anzusehen (LG Flensburg 30.5.1984 — 1 Qs 126/84, JurBüro 1984, 1537; OLG Celle 22.1.1985 — 1 Ws 25/85, StV 1986, 208). Einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Betroffenen/Angeklagten kommt nur bei einem schweren Schuldvorwurf regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu (OLG Celle 28.10.1991 — 3 Ws 226/91, StV 1993, 135; OLG Köln 16.11.1991 — 2 Ws 452/91, NJW 1992, 586; OLG Naumburg 17.10.2008 — 1 Ws 307/08, StraFo 2009, 128). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

Nach Würdigung aller Gesamtumstände kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Hinzuziehung des Verteidigers für den vormals Betroffenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war:

Der Betroffene war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids in 04860 Torgau und ist aktuell nunmehr in 04157 Leipzig wohnhaft. Der von ihm beauftragte Rechtsanwalt hat seinen Kanzleisitz in Torgau, was sich zunächst an seinem Wohnsitz und nunmehr in örtlicher Nähe zu seinem jetzigen Wohnsitz befindet. Überdies wurde dem Betroffenen im vorliegenden Fall mit Bußgeldbescheid vom 16.12.2020 wegen eines Verstoßes gegen § 73 Abs. 1 lit. a Ziff. 24 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 32 S. 1 IfSG sowie den §§ 28, 29, 30 Abs. 1 2 IfSG eine Geldbuße von 25.000,00 EUR — mithin eine sehr empfindsame finanzielle Belastung — auferlegt. Schließlich besteht ausweislich des Vortrags des Rechtsanwalts seit vielen Jahren ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem ehemals Betroffenen. Eine Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Kanzleisitz am Ort des Prozessgerichts erscheint unter Berücksichtigung dieser Umstände unzumutbar. Die seitens des Rechtsanwalts beantragten Reisekosten sind daher erstattungsfähig.

Zu den Reisekosten gehören als sonstige Auslagen (RVG VV Nr. 7006) auch angemessene Übernachtungskosten. Die Ersatzfähigkeit von Übernachtungskosten orientiert sich dem Grunde nach allein an der Frage der Zumutbarkeit eines Reisebeginns zur Nachtzeit (§ 758 a IV ZPO). Ein Reiseantritt (ab Wohnung des Rechtsanwalts) vor 6 Uhr morgens ist in der Regel nicht zumutbar (OLG Nürnberg, Beschl. v. 13. 12. 2012 — 12 W 2180/12). Die Verhandlung begann am 22.02.2022 um 9:30 Uhr. Bei einer Fahrtzeit aus Torgau zum Amtsgericht Vechta von über vier Stunden wäre ein Reiseantritt vor sechs Uhr morgens — mithin zur Nachtzeit —erforderlich und somit unzumutbar gewesen, weshalb das Gericht die Übernachtungskosten als notwendig und mithin als erstattungsfähig ansieht. Zu berücksichtigen ist, dass in den Übernachtungskosten, die seitens des Rechtsanwalts geltend gemacht wurde, auch die Kosten eines Frühstücks in Höhe von 12,50 EUR enthalten waren. Diese anteiligen Kosten sind abzuziehen, weil der Anwalt auch ohne Durchführung der Geschäftsreise — dann zu Hause —ein Frühstück eingenommen hätte und insoweit also eigene Kosten erspart worden sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 5. 2012 – 1-10 W 5/12, NJW-Spezial 2012, 732). Verpflegungskosten anlässlich einer Geschäftsreise sind durch die Tages- und Abwesenheitsgelder, die der Anwalt beantragen kann, abgegolten. Daher können diese Kosten nicht als reisebedingt der Staatskasse in Rechnung gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 5. 2012 -1-10 W 5/12, NJW-Spezial 2012, 732). Die Kosten des Frühstücks sind mithin von den geltend gemachten Übernachtungskosten in Höhe von 91,50 EUR abzuziehen.“

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