Archiv für den Monat: April 2022

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit der Nr. 4142 VV im selbständigen Einziehungsverfahren?

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Am vergangenen Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit der Nr. 4142 VV im selbständigen Einziehungsverfahren?

Und hier dann die Antwort:

„Ich bin im Moment auf Borkum, daher nur kurz. M.E. könnte das gehen ähnlich wie das Beispiel bei Burhoff/Volpert, RVG, Rn 2126 mit Verweis auf Rn 154 ff.

Die Frage ist, ob es sich um eine neue Angelegenheit handelt. Wenn ich das hier aber so schreibe, bekomme ich Zweifel, ob meine bisherige Auffassung, das zu verneinen, richtig ist. Daher würde ich es mit der 4101, 4119, 4142 VV RVG mal versuchen. Mich würde dann natürlich der Ausgang interessieren.

Wenn man eine neue Angelegenheit verneint, ist zumindest aber ggf. noch die Nr. 4142 VV RVG entstanden, wenn Sie die noch nicht geltend gemacht haben. Allerdings: Ist der Mindestwert überschritten? War aber bestimmt eine besonders kostbare Tatwaffe.“

Zurückweisung eines Verteidigers beim Anwaltsgericht, oder: Unzulässige Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO)

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Und die zweite Entscheidung kommt auch aus einem Bereich, mit dem man es nicht so häufig zu tun hat, nämlich dem anwaltsgerichtlichen Verfahren und der Frage der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO).

Folgender Sachverhalt: Die angeschuldigte Rechtsanwältin TN hat sich mit Schriftsatz vom 14.08.2018 im Verfahren 1 AnwG 22/17 (nach Verbindung 1 AnwG 2/18) zur Verteidigerin von Rechtsanwalt WN bestellt. Rechtsanwältin TN und Rechtsanwalt WN haben mit Schriftsatz vom 12.04.2021 erklärt, sich in allen Verfahren wechselseitig zu verteidigen.

Das AnwG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 19.05.2020 die Verfahren 1 AnwG 2/18, 2 AnwG 7/18, 2 AnwG 8/18, 2 AnwG 7/19 und 2 AnwG 3/19 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Im Rahmen dieses Beschlusses hat das AnwG Düsseldorf vorab auf § 146 StPO hingewiesen.

In der Hauptverhandlung am 19.04.2021 hat das AnwG Düsseldorf einen Antrag von Rechtsanwältin TN für sich selbst und den angeschuldigten Rechtsanwalt WN auf Aussetzung des Verfahrens mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine Mehrfachvertretung nach § 146 StPO unzulässig sei und gegen § 43a BRAO verstoße. Die daraufhin gegen diesen Beschluss von Rechtsanwalt WN und Rechtsanwältin TN für sich selbst und als Verteidiger des jeweils anderen eingelegte Beschwerde und den Widerspruch von Frau Rechtsanwältin TN ist das AnwG Düsseldorf im Rahmen seines Urteils vom 19.04.2021 davon ausgegangen, dass die Rechtsanwälte N als jeweiliger Verteidiger des anderen gemäß § 146a StPO zurückgewiesen wurden, allerdings ist ein entsprechender Beschluss durch das AnwG Düsseldorf in I. Instanz nicht gefasst worden.

Gegen das Urteil des AnwG Düsseldorf haben die Rechtsanwälte W N und T N unter dem 26.05.2021 Berufung eingelegt. Der Anwaltsgerichtshof Hamm hat im AGH Hamm, Beschl. v. 05.04.2022 – 2 AGH 9/21 – beide Rechtsanwälte zurückgewiesen:

„Der AGH ist als das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, nach § 146a Abs. 1 S. 3 StPO zuständig für die Entscheidung über eine Zurückweisung des Wahlverteidigers.

Ein Verstoß gegen § 146 StPO ist vorliegend gegeben.

Der Senat schließt sich ausdrücklich der Entscheidung des BGH (v. 26.01.1996 – 2 ARs 441/95) an, dass ein Rechtsanwalt dann, wenn er erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn von einem Mitangeklagten als Verteidiger gewählt wird, durch Beschluss des erkennenden Gerichts zurückzuweisen ist. Wie der BGH erkannt hat, kann ein Angeklagter nicht gleichzeitig als Verteidiger eines Mitangeklagten tätig werden. Die Verfahrensrollen des Verteidigers und des Angeklagten sind miteinander unvereinbar. Ein Angeklagter kann einen Mitangeklagten nicht verteidigen, weil er als Angeklagter nicht in der Lage ist, seine Verteidigeraufgaben so wahrzunehmen, wie es seine Stellung als Organ der Rechtspflege und Beistand seines Mandanten verlangt. Es besteht die Gefahr, dass er sich über die Belange seines Mandanten hinwegsetzt, um sich selbst vor Bestrafung zu schützen. Seine Verteidigerstellung kann ihn zudem in Widerstreit zu den ihm obliegenden Pflichten zur Wahrheit und Verschwiegenheit bringen. Als Mitangeklagter verfügt er nicht mehr über die für die Verteidigung notwendige Unabhängigkeit gegenüber seinem Mandanten. Außerdem gewährt die StPO – und damit auch die BRAO – dem Verteidiger in der Hauptverhandlung eine besondere Verfahrensposition mit Rechten, deren gleichzeitige Gewährung für ihn als Angeklagten mit den Zielen des Strafprozessrechts nicht zu vereinbaren wäre. Es ist auch allgemein anerkannt, dass verschiedene Verfahrensrollen von vornherein unvereinbar sind. Dass die Stellung des Verteidigers im Strafverfahren mit der Rolle des Angeklagten unvereinbar ist, ist auch vor der Einführung der §§ 138a ff. StPO nie angezweifelt worden.

§ 138 StPO schließt demgegenüber nur aus, dass sich der angeschuldigte Rechtsanwalt zum Verteidiger in eigener Sache bestellt (BVerfG v. 19.03.1998 – 2 BvR 291/98; Karlsruher Kommentar, StPO, § 138 StPO, Rn. 3). Nicht anwendbar ist § 138 StPO auf den Rechtsanwalt, der von einem Mitangeklagten als Verteidiger gewählt wird (BGH v. 26.01.1996 – 2 ARs 441/95).

Ein in der Verteidigung etwaig liegender Verstoß gegen § 43a BRAO, auf den das AnwG Düsseldorf zudem abstellte, betrifft nur das Berufsrecht nicht die Zulässigkeit der Verteidigung.

Dahinstehen kann, ob eine Zurückweisung auch dann erfolgen darf, wenn erst die Verbindung bisher getrennt geführter Verfahren die Voraussetzungen für eine Zurückweisung schafft und diese Verbindung ohne sachlichen Grund, willkürlich erfolgt, wenn die Verbindung sachgemäß war und sonstige sachliche Gründe, die für eine Durchführung getrennter Verfahren sprechen könnten, nicht ersichtlich sind (OLG Celle v. 04.07.2001 – 3 ARs 25/01).

Die vom AnwG Düsseldorf vorgenommene Verbindung der Verfahren war sachgemäß. Die Verfahrensverbindung ist zwangsläufige Folge des dem anwaltsgerichtlichen Verfahren zugrunde liegenden Grundsatzes der Einheitlichkeit des Pflichtenverstoßes. Der Schutz des Rechts auf Verteidigung durch einen Wahlverteidiger muss im anwaltsgerichtlichen Verfahren dann zurücktreten, wenn ansonsten der Grundsatz der Einheitlichkeit des Pflichtenverstoßes nicht gewahrt werden könnte, da ansonsten der in der Beurteilung des einheitlichen Pflichtverstoßes liegende Zweck des anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht erreicht werden könnte. Sonstige sachliche Gründe, die für eine Durchführung getrennter Verfahren sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.“

Aber der AGH Hamm zeigt einen möglichen Ausweg:

„Der Senat weist daraufhin, dass gemäß §§ 116 Abs. 1 S. 2 BRAO, 149 Abs. 1 S. 1 StPO der Ehegatte oder Lebenspartner eines Angeklagten in der Hauptverhandlung als Beistand zuzulassen ist. Eine Zulassung erfolgt nicht von Amts wegen, sondern nur auf entsprechenden Antrag.“

Neues Spurengutachten 40 Jahre nach Freispruch, oder: Wiederaufnahme zu Ungunsten verfassungmäßig?

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Zum Wochenauftakt dann zwei aktuelle(re) Entscheidungen, und zwar:

Zunächst: Ich erinnere: Am 30.12.2021 ist das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit) , das im Juni 2021 vom Bundestag und im September 2021 im Bundesrat beschlossen worden war in Kraft getreten (vgl. dazu noch einmal hier:  Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen kommt, oder: Ist das “materielle Gerechtigkeit”?). Dieses Gesetz hat die Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungusten des Freigesprochenen gebracht. In der Literatur wird die Verfassungsmäßigkeit dieser Neuregelung bezweifelt.

Nun liegt inzwischen mit dem OLG Celle, Beschl. v. 20.04.2022 – 2 Ws 62/22 – die erste Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung vor, über die ja schon an verschiedenen Stellen berichtet worden ist.

Ergangen ist der Beschluss in einem beim LG Verden anhängigen Wiederaufnahmeverfahren. Das LG hatte nach fast 40 Jahren in einem Verfahren, in dem der Angeklagte von der Tötung einer 17-jährigen frei gesprochen worden war, den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt und Untersuchungshaft angeordnet.

Grundlage für den Wiederaufnahmeantrag war ein im Jahr 2012 erstelltes molekulargenetischen Gutachten des LKA Niedersachsen zu einer Spermaspur am Slip der Getöteten. Nach dem Gutachten kann der Angeklagte als Verursacher dieser Spermaspur in Betracht kommen.

Auf dieses neue Beweismittel hat das LG Verden den neuen § 362 Nr. 5 StPO angewendet und die Wiederaufnahme für zulässig erklärt. Dagegen dann die Beschwerde. Das OLG hat sich in dem umfassend begründeten Beschluss eingehend mit der Neuregelung auseinander gesetzt.

Das kann man hier nicht alles einstellen. Hier soll der erfrischend kurze Leitsatz reichen, nämlich:

Die Neuregelung des Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO ist verfassungsgemäß.

Wie gesagt: Das OLG hat die Wiederaufnahme als zulässig angesehen und auch gegen die Anordnung der U-Haft keine Einwände gehabt. Zur Verhältnismäßigkeit der weiteren U-Haft führt es – auch im Hinblick auf eine angekündigte Verfassungsbeschwerde aus:

„Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist unter Berücksichtigung der Schwere des gegen den Beschwerdeführer begründeten Tatverdachts und der bei einer Verurteilung im Raum stehenden Straferwartung nicht unverhältnismäßig (§ 112 Abs. 1, S. 2 StPO). Dies gilt auch im Hinblick auf die bisherige Dauer seiner Inhaftierung. Das vorliegende Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Vermeidbare Verfahrensverzögerungen sind weder bei den Ermittlungsbehörden noch bei der Staatsanwaltschaft oder dem Landgericht eingetreten.

Der Einwand der Verteidigung des Beschwerdeführers, die Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer ergebe sich insbesondere daraus, dass er beabsichtige, im Fall der Verwerfung seines Rechtsmittels durch den Senat eine Verfassungsbeschwerde zu erheben und der Zeitpunkt einer Bescheidung durch das Bundesverfassungsgericht nicht absehbar sei, greift nicht durch. Die Erhebung der Verfassungsbeschwerde hätte keine aufschiebende Wirkung für das weitere Wiederaufnahmeverfahren und für die vom Landgericht insoweit zu treffende Entscheidung über die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft Verden (Aller). Sofern das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des neuen Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO zu einer anderen Einschätzung als der Senat und das Landgericht kommen sollte, wird es eine vorläufige Anordnung nach § 32 BVerfGG treffen.

Hinweise darauf, dass das weitere Verfahren nicht unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen zügig geführt werden wird, liegen nicht vor. Angesichts der im Raum stehenden lebenslangen Freiheitsstrafe für den Beschwerdeführer ist die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers daher verhältnismäßig.

Das OLG Celle hat die Beschwerden gegen die Entscheidung des LG Verden jetzt zurückgewiesen. Der Senat hält die gesetzliche Neuregelung für verfassungsgemäß. Sie verstoße insbesondere nicht gegen das in Art. 103 Abs. 3 GG gewährleistete Verbot der strafrechtlichen Doppelverfolgung. Sie gelte nur für äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen und sehe hohe Hürden für eine Wiederaufnahme vor. Die Entscheidung des Gesetzgebers, für derartige Ausnahmefälle trotz eines vorangegangenen Freispruchs eine schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen, sei vertretbar und durch das Rechtsstaatsgebot gerechtfertigt. Auch das im Grundgesetz verankerte allgemeine Rückwirkungsverbot hält der Senat nicht für verletzt.“

Nun ja: Die Sache wird jetzt mit Sicherheit zum BVerfG gehen. Dort wird man im Hinblick auf die U-Haft (hoffentlich) schnell entscheiden.

Sonntagswitz, zum „Kindergartentag“ Witze zu/um/mit Kindern

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Am, 21.04.2022 war der internationale „Kindergartentag“. Also gibt es hier heute aus dem Anlass Witze zu/um/mit Kindern, und zwar.

Lisa und Jonas knobeln.

Jonas erklärt: „Jetzt werfe ich das Geldstück hoch. Bei Zahl habe ich gewonnen, bei Kopf verlierst du!“


und immer wieder schön:

Die kleine Enkelin spielt im Wohnzimmer ihrer Großmutter. Plötzlich läuft sie gegen das Regal und eine große Vase fällt auf den Boden. Sie zerspringt sofort in viele kleine Teile.

Die Großmutter schreckt auf und sagt: „Die Vase ist aus dem 18. Jahrhundert!“.

Darauf die Kleine erleichtert: „Puh – da habe ich ja Glück gehabt! Und ich dachte schon, sie wäre neu!“


Der Enkel besucht seine Großmutter und sagt:

„Oma, die Trommel von Dir war mein allerschönstes Geburtstagsgeschenk!“

„Wirklich? Das freut mich aber!“, entgegnet die Großmutter.

Der Junge antwortet: „Ja! Mama gibt mir jedes Mal zwei Euro, wenn ich nicht darauf spiele.“


Fragt die Biologielehrerin die Klasse: „Wer von euch weiß, warum die Zugvögel im Herbst und Winter in den Süden fliegen?“

Da antwortet eine Schülerin: „Na das ist doch klar! Weil es zu Fuß viel zu weit wäre!“

Wochenspiegel für die 16. KW., mit ein wenig Corona, Dash-Cam, DSGVO, Akteneinsicht und beA-„Störung“

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Und zum Schluss der 16. KW. dann der Wochenspiegel mit den Hinweisen auf m.E. interessante Beiträge aus anderen Blogs, und zwar:

  1. Reichweite des Tätigkeitsverbots für ungeimpfte Arbeitnehmer und arbeitsrechtliche Konsequenzen
  2. Volltext BGH liegt vor: Keine Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche gegen Bundesland wegen coronabedingter flächendeckender Betriebsschließungen
  3. BGH: Kein Anspruch auf Geldentschädigung aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen identifizierender Verdachtsberichterstattung in Presseartikel
  4. Dash-Cams – Fluch oder Segen?

  5. VG Ansbach: Videoüberwachung in Fitnessstudio datenschutzwidrig

  6. LG Bonn: Unverpixelte Online-Veröffentlichung von Polizei-Einsätzen kann strafbar sein dazu passt dann: Filmen der Polizei III: Unverpixeltes vom polizeilichen “Allerwelteinsatz”, oder: Recht am eigenen Bild

  7. BGH entscheidet erneut zur Vorsatzanfechtung im Insolvenzanfechtungsverfahren

  8. OLG München: Name des Wikipedia-Serienrufmörders Feliks durfte genannt werden

  9. OLG Zweibrücken: Akteneinsicht auch kurz vor Termin möglich – durch elektronische Übermittlung

  10. und aus meinem Blog – auch selten, dass ein Samstagsbeitrag es hierhin schafft: beA II: Verstoß gegen die “aktive Nutzungspflicht”, oder: Kranker Rechtsanwalt als “technische Störung”?