Archiv für den Monat: September 2021

Entfernung eines Polizeibeamten aus dem Dienst, oder: Das war ein wenig reichlich an Dienstvergehen

entnommen openclipart

Vor einiger Zeit ist die Nachricht zum OVG Niedersachsen, Urt. v. 16.04.2021 – 6 LD 4/19 – über die Ticker gelaufen. In dem Verfahren ging es um die Entlassung eines Bundespolizisten aus dem Dienst. Inzwischen liegt der Volltext zu der Entscheidung vor, so dass ich – ein wenig verspätet – darüber berichten kann.

Ich mache es mir einfach und beziehe mich auf die zu der Entscheidung ergangene PM des OVG. In der heißt es:

 

Berufung eines Bundespolizeibeamten gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erfolglos

Der für das Disziplinarrecht der Bundesbeamten zuständige 6. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Urteil vom 16. April 2021 die Berufung eines Bundespolizeibeamten gegen ein am 23. Oktober 2019 ergangenes Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover zurückgewiesen (Az.: 6 LD 4/19). Mit dem von dem beklagten Polizeiobermeister angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichteten Klage der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundespolizeidirektion Hannover, stattgegeben. Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat das Urteil des Verwaltungsgerichts bestätigt, so dass es bei der Entfernung des Polizeiobermeisters aus dem Beamtenverhältnis bleibt.

Der Entscheidung liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Der Polizeiobermeister wurde seit Juni 2009 bei der Bundespolizeidirektion Hannover verwendet. Nachdem im Februar 2015 gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden war, wurde ihm im Mai 2015 zunächst die Führung der Dienstgeschäfte verboten. Ende Juli 2015 wurde er vorläufig des Dienstes enthoben; seine Dienstbezüge wurden ab November 2015 gekürzt. Das Disziplinarverfahren wurde mehrfach ausgeweitet.

Mit der im Januar 2019 erhobenen Disziplinarklage hat die Bundespolizeidirektion Hannover dem Polizeiobermeister zahlreiche inner- und außerdienstliche Pflichtenverstöße vorgeworfen. Dazu haben neben etlichen anderen Vorwürfen die strafrechtlich geahndeten Vorwürfe des Verleumdens und des unberechtigten Fotografierens eines in Gewahrsam genommenen marokkanischen Staatsangehörigen, des Verbreitens des von dem marokkanischen Staatsangehörigen gefertigten Fotos, des unerlaubten Besitzes von Munition und einer Schusswaffe sowie des unerlaubten Besitzes von 120 kinder- und 188 jugendpornographischen Schriften gehört. Insoweit war der Polizeiobermeister zuvor bereits zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten und drei Wochen, die zur Bewährung ausgesetzt worden war, verurteilt worden. Der Disziplinarklage hat ferner der Vorwurf des unaufgeforderten Versendens eines pornographischen Fotos an eine 14jährige zugrunde gelegen. Insoweit war gegen den Polizeiobermeister strafrechtlich eine Geldstrafe verhängt worden.

Mit Urteil vom 23. Oktober 2019 hat das Verwaltungsgericht Hannover gegen den Polizeiobermeister die disziplinarische Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verhängt.

Der 6. Senat des Nds. Oberverwaltungsgerichts hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Berufungsverfahren als richtig bestätigt und deshalb die Berufung des Polizeiobermeisters zurückgewiesen. Er ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Polizeiobermeister in der Zeit von 2010 bis 2015 zahlreiche gravierende Dienstpflichtverletzungen und damit ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe. Der Polizeiobermeister habe schon allein mit den strafrechtlich geahndeten Taten in ganz erheblicher Weise gegen die ihm als Polizeibeamten obliegenden Pflichten verstoßen. Er habe darüber hinaus mehrere weitere gravierende Dienstpflichtverletzungen begangen. Es sei als erwiesen anzusehen, dass er einem Kollegen eine WhatsApp-Nachricht mit herabwürdigenden Äußerungen über einen Ausländer übersandt habe. Er habe außerdem mit seinem Handy ein Foto von einem in Gewahrsam Genommenen, der in wehrloser Position auf dem Boden eines Dienstfahrzeugs gelegen habe, gefertigt. Er habe ferner sowohl eine Polizeianwärterin als auch einen Polizeianwärter während des Dienstes sexuell belästigt. Dabei habe er dem Polizeianwärter während der Verfehlung seine Dienstwaffe an den Kopf gehalten und ihn zu einer sexuellen Handlung aufgefordert. Er habe zudem während des Dienstes im hinteren Teil seines Dienstfahrzeugs einvernehmlich mit einer Bekannten sexuelle Handlungen vollzogen, während ein Kollege vorn im Fahrzeug gesessen habe. Er habe schließlich vertrauliche Informationen, die er in seiner Eigenschaft als Suchthelfer der Bundespolizeiinspektion Hannover erlangt habe, unbefugt weitergegeben.

Das von dem Polizeiobermeister begangene Dienstvergehen erfordert nach Auffassung des 6. Senats den Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Die von dem Polizeiobermeister begangenen Straftaten seien angesichts der Vorbildfunktion eines Polizeibeamten nicht hinnehmbar. Dies gelte auch für die weiteren Pflichtverletzungen, die nicht strafrechtlich geahndet worden seien. Entlastende Gesichtspunkte, die es rechtfertigen könnten, von der disziplinarischen Höchstmaßnahme abzusehen, bestünden nicht. Insbesondere der von dem Polizeiobermeister geltend gemachte Milderungsgrund einer „Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ liege nicht vor. Selbst wenn das Vorbringen des Polizeiobermeisters dazu als wahr unterstellt würde, habe es bereits an einer zugespitzten negativen Lebensphase gefehlt, die für die Begehung der Taten unmittelbar ursächlich gewesen wäre. Denn die von ihm vorgetragenen belastenden Umstände seien fortdauernd während einer langen Zeitspanne von etwa fünf Jahren aufgetreten. Gegen die Annahme, dass den Polizeiobermeister im Tatzeitraum außergewöhnliche Umstände „zeitweilig aus der Bahn geworfen“ hätten, spreche zudem auch, dass er während der gesamten Zeit in der Lage gewesen sei, seinen Dienst zu verrichten, eine Nebentätigkeit als „Leiter einer Selbsthilfegruppe für Suchtkranke im Diakonischen Werk“ auszuüben und als Sucht- und Sozialhelfer bei der Bundespolizeidirektion Hannover tätig zu sein.

Die Gesamtwürdigung der den Polizeiobermeister belastenden Umstände und der zu seinen Gunsten sprechenden entlastenden Gesichtspunkte ergebe, dass sich der Polizeiobermeister im Hinblick auf die Erfüllung seiner Dienstpflichten als Polizeibeamter in einem so hohen Maße als unzuverlässig erwiesen habe, dass er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Der durch die gravierenden Dienstpflichtverletzungen eingetretene Autoritäts- und Ansehensverlust könne nach der Überzeugung des 6. Senats nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Die Revision gegen das Urteil hat der 6. Senat nicht zugelassen, weil keiner der gesetzlich geregelten Zulassungsgründe gegeben ist. Der Polizeiobermeister kann gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde einlegen.“

Ich habe da mal eine Frage: Nach Rücknahme eines Strafbefehls kommt neuer Strafbefehl, Gebühren?

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In einem RVG-Forum ist vor einiger Zeit folgende Frage diskutiert worden:

„Hallo,

ich habe einen Abrechnungsfall und komme nicht weiter, vielleicht könnt Ihr mir helfen.

Sachverhalt:

Mandant hat Strafbefehl erhalten, diesen haben wir uns angesehen und Einspruch eingelegt. Danach wurde mit der Staatsanwaltschaft verhandelt und diese hat den Strafbefehl zurückgenommen und hat einen neuen Strafbefehl ausgestellt. Über diesen Strafbefehl haben wir die Mandantschaft beraten, keinen Einspruch einzulegen.

Welche Gebühren kann ich hier abrechnen?

Für den ersten Strafbefehl wäre es doch die 4100 und die 4106 oder? Aber was mach ich mit der Rücknahme und der Prüfung des neuen Strafbefehls? Mein Chef meinte für die Prüfung des neuen Strafbefehls wäre die Nummer 2102 S. 1 ALt. 2 VV RVG abzurechnen.

Entschuldigung für den langen Text, aber schon mal vielen Dank für Eure Hilfe.“

Die Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren, oder: Wenn das Lichtbild nicht passt

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Im zweiten Posting des Tages dann mal wieder etwas zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren.

Anhängig war gegen den 72jährigen Betroffenen ein Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Bereits nach Erhalt des Anhörungsbogens hatte der Betroffene seinen Verteidiger beauftragt, der daraufhin Akteneinsicht beantragte und mitteilte, dass der Betroffene keine Angaben zur Sache machen werde. Das Regierungspräsidium Kassel forderte daraufhin zur Identifizierung des Betroffenen von der Stadt Idstein ein Vergleichsfoto . Es handelte sich dabei um ein zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre altes Vergleichsfoto des Betroffenen aus dem Jahre 2017. Dem Verteidiger wurde dem Akteneinsicht gewährt.

Gegen den dann später ergehenden Bußgeldbescheid, legte der Betroffene Einspruch ein und gab an, dass der Betroffene und die auf den Fahrerfotos abgebildete Person nicht identisch seien, da die abgebildete Person deutlich jünger sei. Er wies zudem auf die Unterschiede bei der Augenstellung und der Ohren hin und teilte mit, dass das betreffende Fahrzeug in der Vergangenheit von weiteren Personen gefahren worden sei.

Beim AG hat der Betroffene dann noch darauf hingewiesen, dass er sich zum Tatzeitpunkt am 20.07.2019 im Urlaub in Ägypten befunden habe und daher nicht Fahrer gewesen sein könne. Die Belege für die Unterlagen der Reise im Zeitraum vom 13.07.2019 bis zum 24.07.2019 wurden vom Verteidiger vorgelegt.

Das AG hat den Betroffenen dann aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Das Amtsgericht hat allerdings davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Dabei wurde hinsichtlich der Auslagenentscheidung die Vorschrift des § 109 a Abs. 2 OWiG angewandt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die mit dem LG Gießen, Beschl. v. 08.06.2021 – 7 Qs 45/21 – Erfolg hatte:

„Nach § 109a Abs. 2 OWiG kann von der Regel, dass bei einem Freispruch auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt werden, abgesehen werden, soweit dem Betroffenen Auslagen entstanden sind, die er durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können.

Dabei stellt § 109a Abs. 2 OWiG eine Modifikation der Grundregel des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO dar, der sich im Bußgeldverfahren als unbefriedigend und unzureichend erwiesen hatte.

Die Anwendung der Vorschrift des § 109a Abs. 2 OWiG setzt indes voraus, dass dem Betroffenen entlastende Umstände bekannt gewesen sind, die er nicht rechtzeitig vorgebracht hat, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre.

Entlastende Umstände müssen, wie in § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO wesentlich, d.h. für das „Ob“, das „Wie“ und die Dauer der Verfolgung des Betroffenen und den Umfang der Ermittlungen von maßgeblichem Einfluss sein (vgl. KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 109a Rn. 10).

Wie auch das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausführte, ist streitig, ob der Name des wahren Täters einen wesentlichen Umstand darstellt (vgl. KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 109a Rn. 10).

Insoweit kommt es im Einzelfall darauf an, ob der Name des anderen für den Gang und die Dauer der weiteren Ermittlungen, etwa zur Prüfung der Wahrhaftigkeit der Einlassung des Betroffenen, relevant ist (vgl. KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 109a Rn. 10; LG Cottbus, Beschluss vom 25. 4. 2007 – 24 Qs 66/07).

Das Amtsgericht ist im Rahmen der von ihm vorgenommenen Einzelfallprüfung in unzutreffender Weise von einem wesentlichen Umstand ausgegangen. Gestützt hat es diese Feststellung darauf, dass im Falle der Benennung des wahren Fahrers ein Ab-gleich mit einem beigezogenen Lichtbild der benannten Person eine Abkürzung der Ermittlungen herbeigeführt hätte, sodass eine rechtzeitige Benennung des Fahrers für den Verfahrensausgang kausal gewesen sein würde.

Zwar mag es sein, dass eine Benennung des wahren Fahrers durch den Beschwerdeführer zu einer Abkürzung des Verfahrens gegen ihn geführt hätte, allerdings hat das Amtsgericht verkannt, dass es auf die namentliche Benennung des Fahrzeugführers hier ersichtlich nicht ankam.

Der Name des wahren Fahrzeugführers wurde im gesamten Verfahren, auch in der durchgeführten Hauptverhandlung, gerade nicht bekannt. Der Beschwerdeführer wurde durch das Amtsgericht bereits nach vergleichender Inaugenscheinnahme seiner Person in der Hauptverhandlung und einem Abgleich mit dem Messfoto freigesprochen. Entsprechend führte das Amtsgericht in den Urteilsgründen aus, dass bei Ansehung des Betroffenen in der Hauptverhandlung und Abgleich mit dem Lichtbild keine Zweifel daran bestünden, dass es sich um unterschiedliche Personen handele. Eines Vergleichs mit dem wahren Fahrzeugführer bedurfte es damit nicht.

Im Übrigen wurde der Name des tatsächlichen Fahrers auch nicht in der Weise relevant, dass er zur Prüfung der Wahrhaftigkeit der Einlassung des Betroffenen, der die Fahrereigenschaft gegenüber der Verwaltungsbehörde und dem Amtsgericht stets bestritten hatte, erforderlich gewesen wäre.

Die Kostenfolge des § 109a Abs. 2 OWiG vermag schließlich auch nicht der Umstand rechtfertigen, dass erst mit Schriftsatz vom 10.08.2020 das Amtsgericht darauf hingewiesen wurde, dass der Betroffene sich zum Zeitpunkt der Fahrt im Sommerurlaub befunden habe und entsprechende Buchungsunterlagen für den Zeitraum vom 13.07.2019 bis 24.07.2019 vorgelegt wurden.

Es lässt sich zum einen nicht annehmen, dass durch ein rechtzeitiges Vorbringen der Urlaubsabwesenheit des Betroffenen das Verfahren zu einem früheren Zeitpunkt eingestellt und das Entstehen der Auslagen des Betroffenen vermieden worden wäre, da auch dem Amtsgericht im Hinblick auf die Möglichkeit des Nichtantretens von gebuchten und bereits bezahlten Reisen die Reiseunterlagen für eine Einstellung des Verfahrens nicht ausgereicht haben. Die Durchführung der Hauptverhandlung wurde dennoch für erforderlich gehalten, weil aus Sicht des Amtsgerichts aufgrund der in der Akte befindlichen Lichtbilder – auch für die Verwaltungsbehörde — nicht ersichtlich oder gar offensichtlich sei, dass der Betroffene tatsächlich nicht der Fahrer des Fahrzeuges zur Tatzeit gewesen sei. Diese Zweifel vermochten die erst mit anwaltlichem Schreiben vom 10.08.2020 eingereichten Reiseunterlagen auch nicht ausräumen.

Zum anderen ist bei der vorzunehmenden Ermessensausübung der Normzweck der Regelung des § 109a OWiG zu beachten. Er will Missbräuchen vorbeugen und ist deshalb nur in Fällen heranzuziehen, in denen nicht rechtzeitiges Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen ist. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.08.2013 – 2 BvR 864/12)

Ein solches missbräuchliches oder unlauteres Verteidigungsverhalten lässt sich hier nicht annehmen. Der nicht rechtzeitige Vortrag zur Urlaubsabwesenheit erfolgte nach der unwiderlegten Begründung des Betroffenen deshalb erst mit Schriftsatz vom 10.08.2020, da dem Beschwerdeführer dies erst zu diesem Zeitpunkt aufgefallen sei. Die Fahrereigenschaft hat der Betroffene vor Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht gegenüber der Verwaltungsbehörde und sodann auch mit weiteren anwaltlichen Schreiben gegenüber dem Amtsgericht indes stets bestritten.“

Der Längenzuschlag des Pflichtverteidigers, oder: Wann beginnt die nächste Stunde?

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

Im gebührenrechtlichen Teil der Woche zunächst ein Beschluss von den Bayern des Nordens, dem OLG Schleswig, und zwar der OLG Schleswig, Beschl. v. 25.06.2021 – 1 Ws 106/21.

Problematik. Längenzuschlag und in den Zusammenhang die Frage: Wann ist eigentlich „mehr als 5 oder mehr als 8 Stunden“ an der Hauptverhandlung teilgenommen. Dazu das OLG:

„Zwar hat sich der Senat bisher noch nicht vor die Notwendigkeit gestellt gesehen, die Höhe anwaltlicher Vergütung nach Sekunden bemessen zu müssen. Nachdem dies nun aber erforderlich erscheint, neigt er der – wie das Landgericht formuliert – „bislang verbreiteten Auffassung- zu, wonach acht Stunden acht Stunden sind. Wenn man diesen Zeitraum – wie das Landgericht – alternativ mit 28.800 Sekunden berechnen will, so ändert dies in der Sache zunächst nichts.

Der „neueren Ansicht“, wonach eine um 9:00 Uhr beginnende Stunde bereits um 9:59:59 Uhr abgelaufen sein soll, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Hätte dem Landgericht beim Stoppen der Länge des Hauptverhandlungstermins eine Uhr zur Verfügung gestanden, die – wie es etwa bei zahlreichen Sportveranstaltungen üblich ist – nicht nur Stunden, Minuten und Sekunden, sondern darüber hinaus Zehntel- und Hundertstel Sekunden angezeigt hätte, so hätte man feststellen können, dass nach 9:59:59 Uhr die Uhr nicht etwa auf 10:00:00 Uhr gesprungen wäre, sondern mit 9:59:59:10 etc. Uhr weitergelaufen wäre, die angebrochene Stunde also noch nicht beendet war.

Beendet ist eine Stunde in dem Moment, in dem die Uhr auf die nächste volle Stunde „springt“. Dieser entscheidende Zeitpunkt war vorliegend 17:00 Uhr und um 17:00 Uhr war – so weist es das Protokoll aus – die Hauptverhandlung auch beendet. Sie hat genau acht Stunden gedauert und damit eben auch nicht „mehr als acht Stunden“, was Voraussetzung für die Zuerkennung des höheren Zuschlages gewesen wäre.

Die „neuere Ansicht“ kann sich nach Auffassung des Senats auch nicht auf eine bisher offenbar vereinzelt gebliebene, in der Literatur allerdings ihren Niederschlag gefunden habende Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe vom 29. Dezember 2020 (Beschluss vom 29. Dezember 2020, 3 KLs 220 Js 16158/10, zitiert nach juris) stützen. Auch dort heißt es nämlich zunächst durchaus zutreffend: „Mit Ablauf der Sekunde 13:59:59 Uhr war daher die fünfte Stunde beendet“, aber eben erst mit Ablauf‘ und gerade nicht, solange die Uhr 13:59:59 zeigt. Aus der an sich richtigen Feststellung zieht das Landgericht Karlsruhe mithin einen falschen Schluss. Bei „Ablaufs der Sekunde 13:59:59 Uhr zeigt die Uhr 14:00:00 Uhr. Jetzt erst ist die fünfte Stunde beendet – und die Hauptverhandlung eben auch.

Auch die Hilfsüberlegung des Landgerichts, ein Verteidiger müsse ja für eine um 9:00:00 Uhr beginnende Hauptverhandlung jedenfalls mindestens eine Sekunde früher, also um 8:59:59 Uhr im Sitzungssaal sein, führt zu keiner anderen Berechnung. Auch die „neuere Ansicht“ will (vgl. Landgericht Karlsruhe, a.a.O..) daran festhalten, dass die für die Berechnung eines Längenzuschlages maßgebliche Zeit mit dem in der Terminsladung genannten Beginn“ bestimmt wird. Ob und wie lange ein Verteidiger zu diesem Zeitpunkt bereits im Gericht ist, spielt keine Rolle. Dies wird daran deutlich, dass nach wohl einhelliger Auffassung auch der verspätet erscheinende Verteidiger Gebühren nach dem in der Ladung bestimmten Zeitpunkt berechnen darf.

In Anwendung der Grundsätze der „bislang verbreiteten“ Auffassung („eine Stunde ist eine Stunde“) hat die Hauptverhandlung am 8. Januar 2021 nicht „mehr als acht Stunden“ gedauert. Geltend gemacht werden kann nur der Längenzuschlag nach VV RVG 4116. Entsprechend war der Festgesetzte Betrag zu reduzieren.“

„Wunderbare“ Formulierung 🙂 : „Die „neuere Ansicht“ kann sich nach Auffassung des Senats auch nicht auf eine bisher offenbar vereinzelt gebliebene, in der Literatur allerdings ihren Niederschlag gefunden habende Entscheidung….“ Im Übrigen: Man kann/muss es m.E. anders sehen. Ich weiß, es wird wieder Kommentare geben….. Letztlich wird das alles nur dazu führen, dass, wenn es knapp wird, vom Verteidiger eben noch ein Antrag gestellt werden muss.

OWi III: Kein Verwerfungsurteil, wenn der Verteidiger nicht erscheint, oder: Wie oft denn noch?

Smiley

Und als dritte Entscheidung dann noch der BayObLG, Beschl. v. 25.08.2021 – 201 ObOWi 1075/21. Von dem Beschluss stelle ich aber nur den Leitsatz ein, denn man fragt sich: Wie oft müssen die OLG diese Frage eigentlich noch entscheiden, bis die Ansicht der OLG bei den AG angekommen ist?

Nämlich:

Nach § 74 Abs. 2 OWiG muss und darf das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil nur dann verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden war. Dass auch der Verteidiger des Betroffenen, der ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen war, in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, ist unerheblich.