Archiv für den Monat: Juli 2021

StPO III: Wirksamkeit der Urteilsunterzeichnung, oder: Unterzeichnung durch den „ausgeschlossenen Richter“

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 11.11.2020 – 2 StR 241/20 –  zur Problematik der Urteilsunterzeichnung. Es geht aber mal nicht um die Einhaltung der Urteilsfrist oder um die Frage der Ordnungsgemäßheit einer Unterschrift, sondern:

„Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge, der Vorsitzende Richter der Strafkammer habe die Urteilsurkunde zu einem Zeitpunkt unterzeichnet, zu dem er von der Ausübung des Richteramts gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen war, Erfolg.

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Das angefochtene Urteil wurde am 13. Dezember 2019 nach 16 Hauptverhandlungstagen verkündet. Die Frist zur Urteilsabsetzung lief bis 14. Februar 2020. Die letzte Fassungsberatung der drei Berufsrichter fand zwischen dem 27. Januar und dem 30. Januar 2020 statt. Am 5. Februar 2020 wurde der Vorsitzende in einem Parallelverfahren als Zeuge vernommen, in dem den dortigen Angeklagten unter anderem vorgeworfen wurde, in einer Vielzahl von Fällen gemeinschaftlich mit dem hier Angeklagten als Mitglieder einer Bande Betäubungsmittel in nicht geringer Menge gehandelt zu haben. Gegenstand der Vernehmung war der Inhalt der geständigen Einlassung des Angeklagten in dem gegen ihn geführten Verfahren.

Am 6. Februar 2020 übermittelte der Berichterstatter die letzte Fassung der Urteilsgründe elektronisch an den Vorsitzenden, der diese am 7. Februar 2020 ausdruckte und die in der letzten Fassungsberatung überarbeiteten Passagen nochmals las. Am 7. Februar 2020 unterzeichneten der Berichterstatter und der Vorsitzende die Urteilsurkunde, ohne weitere Änderungen an dieser vorzunehmen. Ferner brachte Letzterer einen Verhinderungsvermerk betreffend die urlaubsbedingt ortsabwesende weitere Beisitzerin auf der Urteilsurkunde an. Die so unterzeichneten Urteilsgründe gelangten noch am selben Tag zur Geschäftsstelle.

2. Die Rüge, der Vorsitzende sei gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Mitwirkung an der Unterzeichnung des Urteils ausgeschlossen, hat insoweit Erfolg, als dieser aus Rechtsgründen gehindert war, das Urteil zu unterschreiben und ein – in dieser Konstellation gebotener . Verhinderungsvermerk betreffend seine Person durch den ältesten beisitzenden Richter unterblieben ist. Damit sind die Urteilsgründe nicht vollständig innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden. Dies begründet, insoweit ausschließlich, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO. Angesichts dessen bedarf es keiner Entscheidung, inwieweit bei Mitwirkung eines nach der Urteilsverkündung ausgeschlossenen Richters jenseits der hier verfahrensgegenständlichen Fallkonstellation, etwa bei inhaltlicher Einflussnahme auf die Urteilsgründe . auch wenn dies nach dem Wortlaut des § 338 Nr. 2 StPO nicht naheliegt . dieser vom Beschwerdeführer genannte Revisionsgrund betroffen sein könnte.“

Das war es dann für den BGH. Seine Auffassung zu dieser Problematik lässt sich in etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

1. Nach Eintritt des Ausschlussgrundes ist dem Richter eine – rechtskonforme – Herstellung der Urteilsgründe ebenso wenig möglich wie die Teilnahme an einer Fassungsberatung oder die Urteilsunterzeichnung.

2. Da § 22 StPO alle Personen von weiteren richterlichen Handlungen ausschließt, bei denen aus den in § 22 StPO angeführten Gründen die abstrakte Gefahr der Voreingenommenheit besteht, kommt es nicht darauf an, ob der Richter in dem Zeitraum zwischen seiner förmlichen Zeugenvernehmung und der Unterzeichnung der Urteilsurkunde tatsächlich keinen weiteren Einfluss auf den Inhalt der Urteilsgründe genommen hat. Die von ihm nach Eintritt des Ausschlussgrundes bewirkten Amtshandlungen ? hier seine Unterschrift unter dem Urteil sowie die Anbringung des Verhinderungsvermerkes für eine ortsabwesende Beisitzerin ? sind dann fehlerhaft.

StPO II: Geschäftsverteilungsplan, oder: Ein besonderes Turnussystem für Anklagen des GBA

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 16.06.2021 – StB 25/21 u.  StB 26/21. Ergangen ist diese Entscheidung in einem Staatschutzverfahren beim OLG Düsseldorf. Die Angeklagten haben die Gerichtsbesetzung in der seit dem 19.05.2021 vor dem OLG gegen sie stattfindenden Hauptverhandlung beanstandet. Den Einwänden liegt folgendes Geschehen zugrunde:

„Der Generalbundesanwalt erhob unter dem 27. Januar 2021 gegen die Beschwerdeführer und drei Mitangeklagte Anklage zum Oberlandesgericht insbesondere wegen Straftaten gemäß §§ 129a, 129b StGB. Die Sache wurde nach Eingang am 1. Februar 2021 dem dortigen 6. Strafsenat zugewiesen.

Nach den Ziffern B.12. a., b. und e. der Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 ist für die Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift des Generalbundesanwalts eingehen, ein gesonderter Turnus maßgeblich. Die Sachen erhalten nach der Reihenfolge ihres Eingangs bei der Eingangsgeschäftsstelle eine fortlaufende, aufsteigende Ordnungsbezeichnung sowie den Zusatz „GBA“. Bei gleichzeitigem Eingang entscheidet das Los. Die Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 weisen dem 6. Strafsenat jeweils die Sachen mit den „Endziffern 1, 3, 5, 7 und 9 GBA“ zu. Soweit jene die „Endziffern 2, 4, 6, 8 und 0 GBA“ tragen, gelangen sie zum 7. Strafsenat.

Ob der Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2021 eine Regelung dafür trifft, mit welcher Ordnungsnummer zum neuen Geschäftsjahr begonnen wird – der „1“ oder der Zahl, welche an den letzten Eingang des Vorjahres anknüpft -, teilen die Rügeschriften nicht mit. Vorgelegt wird jedoch die handschriftliche Aufzeichnung einer Stationsreferendarin, die für die Verteidigerin des Angeklagten G. Einblick in die Turnuseingänge genommen hat. Die Notiz zeigt eine Tabelle mit der Überschrift „Turnusliste GBA von 2019 bis 2021 [aufgeführt nur 2021]“. Die Tabelle enthält unter den Spaltenüberschriften drei horizontale Zeilen. Die hiesige Sache ist in der ersten Zeile verzeichnet mit „Datum 27.01.21“, „Uhrzeit 12.30“, „Ordnungsnr. 13“. Zwei nachfolgende Verfahren sind mit Daten aus Februar und Mai 2021 und den Ordnungsnummern 14 und 15 aufgeführt.

Weitere Turnusse sieht der Geschäftsverteilungsplan vor für „diejenigen Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft eingehen“, und für „sonstige Strafsachen, für die das Oberlandesgericht in Staatsschutzsachen im Sinne von §§ 74a , 120 GVG sowie nach § 120b GVG zur Entscheidung berufen ist und die nicht anderweitig zugewiesen sind“. Der 6. und der 7. Strafsenat nehmen an diesen Turnussen teil.“

Der BGH hat den erhobenen Besetzungseinwand verworfen.:

„aa) Die von den Angeklagten beanstandete Regelung im Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts genügt diesen Anforderungen. Sie verknüpft – wie heute für die Verteilung erstinstanzlicher Verfahren in Strafsachen an den Land- und Oberlandesgerichten vielfach üblich – die Zuständigkeit der Spruchkörper mit dem Kriterium der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs beim Gericht (sogenanntes Turnus- oder Rotationsprinzip; vgl. hierzu schon BGH, Urteil vom 17. August 1960 – 2 StR 237/60 , BGHSt 15, 116, 117 f. ; ferner Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e Rn. 154 f.). Damit trifft der Geschäftsverteilungsplan im Voraus eine generell-abstrakte Zuständigkeitsregelung der Spruchkörper für alle im Jahr 2021 beim Gericht eingehenden Sachen. Diese werden „blindlings“ auf die am Turnus teilnehmenden Strafsenate verteilt. Der Gefahr der Manipulation durch gerichtsinterne Bedienstete begegnet der Jahresgeschäftsverteilungsplan mit einem Losverfahren für den Fall des zeitgleichen Eingangs.

bb) Zwar ist das Turnussystem nicht völlig frei von der Möglichkeit missbräuchlicher Eingriffe. Da es auf den Zeitpunkt des Eingangs der Verfahren beim Gericht ankommt, steht es theoretisch der Staatsanwaltschaft offen, einzelne Anklagen zurückzuhalten oder vorzuziehen, um so einen bestimmten Spruchkörper bei dem speziellen Verfahren zu umgehen oder die Zuweisung an die bevorzugte Kammer bzw. den gewünschten Senat zu erreichen. Eine Verteilung, die schlechthin jeden potentiellen Einfluss ausschließt und dennoch praktikabel ist, ist allerdings kaum vorstellbar (vgl. MüKoStPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29). Den Erfordernissen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist deshalb Genüge getan, wenn sachfremde Einflüsse der Justizverwaltung oder der Staatsanwaltschaft nach dem Verteilungsmodus nicht ernsthaft zu befürchten sind. Denn allein die abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs macht eine Geschäftsverteilung weder verfassungs- noch gesetzeswidrig ( BVerfG, Beschluss vom 30. März 1965 – 2 BvR 341/60 , BVerfGE 18, 423, 427; BGH, Urteil vom 10. Juli 1963 – VIII ZR 204/61 , BGHZ 40, 91, 98 ; Beschluss vom 2. November 1989 – 1 StR 354/89 , BGHR StPO § 338 Nr. 1 Geschäftsverteilungsplan 1 mwN)……“

Rest der doch recht umfangreichen Begründung dann bitte selbst lesen 🙂 .

StPO I: Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Das muss das Gericht beschließen, nicht der Vorsitzende allein

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Heute stelle ich drei BGH-Entscheidungen zur StPO vor.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 21.01.2021 – 2 StR 188/20. Es geht um eine Problemtaik in Zusammenhang mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Widerstandsunfähigen Der Angeklagte hatte mit seiner Revision u.a. gerügt, § 338 Nr. 6 StPO sei verletzt, weil die Öffentlichkeit während der Vernehmung einer Zeugin lediglich auf Anordnung des Vorsitzenden ausgeschlossen worden sei. Die Rüge hatte Erfolg:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am Hauptverhandlungstermin vom 4. September 2019 beantragte die Zeugin P. , während ihrer Vernehmung die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger traten dem nicht entgegen. Daraufhin erging eine Anordnung des Vorsitzenden, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen werde. Sodann wurde sie ausgeführt und die Zeugin in nicht öffentlicher Sitzung zur Sache vernommen. Sie blieb unvereidigt und wurde sodann entlassen. Anschließend wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt.

2. Die Rüge ist zulässig und begründet.

a) Der Zulässigkeit der Rüge steht nicht entgegen, dass der Angeklagte oder sein Verteidiger die Anordnung des Vorsitzenden nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet haben. Bedarf eine Maßnahme in der Hauptverhandlung von vornherein eines Gerichtsbeschlusses (s. unten I. 2. b), so ist der Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StPO nicht eröffnet. Anlass für ein Verfahren nach § 238 Abs. 2 StPO besteht deshalb nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 315/11, NStZ 2012, 585).

b) Die Rüge ist auch begründet. Das durch das Protokoll bewiesene Vorgehen steht nicht im Einklang mit § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG. Danach ist vorgesehen, dass ein Beschluss, der die Öffentlichkeit ausschließt, grundsätzlich öffentlich verkündet werden muss. Vorausgesetzt ist ein Gerichtsbeschluss, nicht ausreichend ist eine Anordnung des Vorsitzenden. Damit liegt ein durchgreifender Verfahrensverstoß nach § 338 Nr. 6 StPO vor (BGH, Beschluss vom 29. Juni 1984 – 2 StR 170/84, StV 1984, 499; Beschluss vom 1. Dezember 1998 – 4 StR 585/98, NStZ 1999, 371).

Für eine einschränkende Auslegung von § 338 Nr. 6 StPO dahin, dass bei einem Antrag einer schützenswerten Person auf Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 1 StPO eine Verletzung des Beschlusserfordernisses von ihr nicht erfasst sein soll, ist nach Auffassung des Senats kein Raum. Der Generalbundesanwalt stützt seine diesbezüglichen Erwägungen auf den Beschluss des 4. Strafsenats vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18 (BGHSt 64, 64), wonach das Fehlen eines den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge anordnenden Gerichtsbeschlusses dann keinen absoluten Revisionsgrund darstellt, wenn die Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vorliegen. § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG betrifft jedoch einen Fall, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Vorschrift zwingend und ohne weitere Prüfung zum Ausschluss der Öffentlichkeit führt und auch der Ausschlussumfang abschließend gesetzlich geregelt ist (SSW-StPO/Quentin, 4. Aufl., § 174 GVG Rn. 17). Dem Verfahrensmangel eines Gerichtsbeschlusses kommt dann geringeres Gewicht zu, weil auf der Grundlage eines sicher feststehenden Ver- fahrensablaufs eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschlie-

ßen und der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten sowie die Öffentlichkeit eindeutig erkennbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 aaO, S. 67). So liegt der Fall hier nicht. Stellt eine schützenswerte Person einen Antrag nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG, muss ihm (nur) stattgegeben werden, wenn die vom Gericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Voraussetzungen von § 171b Abs. 1 oder 2 vorliegen. Ist das nicht der Fall, erfolgt eine Ablehnung ebenfalls durch Beschluss (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 171b GVG Rn. 10; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 171b Rn. 14).

c) Der dargelegte Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II. 2 bis 4 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafenausspruch sowie im Maßregelausspruch.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht notwendig zur Aufhebung des gesamten Urteils. Bezieht sich der Vorgang, während dessen die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen war, nur auf einen abtrennbaren Teil des Urteils, so ist auch nur dieser Teil des Urteils aufzuheben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95, NJW 1996, 138 mwN). So liegt es hier. Der fehlerhaft angeordnete Ausschluss der Öffentlichkeit betrifft lediglich die Straftaten zum Nachteil der Zeugin P. (Fälle II. 2 bis 4 der Urteilsgründe) sowie auch den auch auf diese Taten gestützten Maßregelausspruch. Zudem entzieht die Aufhebung von Einzelstrafen dem Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage. Im Übrigen ist ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf die angefochtene Entscheidung denkgesetzlich ausgeschlossen.

Verkehrsrecht III: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Die fremde Sache vom „bedeutenden Wert“ im Urteil

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Und zum Abschluss des Tages dann noch ein Beschluss des OLG Hamm, und zwar der OLG Hamm, Beschl. v. 20.05.2021 – 4 RVs 48/21, ein Klassiker, nämlich zur Frage der Urteilsgründe hinsichtlich der konkreten Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert.

Da reicht der Leitsatz:

Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert i. S. v. § 315c StGB bejahen zu können, bedarf es bestimmter Angaben zum Wert der Sache und zur Höhe des drohenden Schadens, berechnet anhand der am Marktwert zu messenden Wertminderung.

Verkehrsrecht II: Kraftfahrzeugrennen als Polizeiflucht, oder: Unzulässige Provokation durch die Polizei?

In der zweiten Entscheidung, dem LG Flensburg, Beschl. v. 27.05.2021 – V Qs 17/21, geht es ebenfalls um ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB), und zwar um die Frage einer rechtsstaatswidrigen Provokation des Beschuldigten durch eine Polizeistreife. Das LG hat das verneint:

„3. Gründe dafür, das nach § 111a Absatz 1 Satz 1 StPO eröffnete Ermessen („kann“) hier dahin auszuüben, dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis trotz Vorliegens eines Regelfalles im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 1a) StGB nicht vorläufig zu entziehen, vermag die Kammer nicht zu erkennen.

Solche Gründe liegen nach Ansicht der Kammer insbesondere nicht darin, dass der Beschuldigte – nachdem er in der Sequenz 01:09-01:20 min. des Videos, als die zivile Polizeistreife hinter ihm fuhr, zunächst mit einer Geschwindigkeit um 100 km/h gefahren war – erst auf die dargelegten, deutlich überhöhten Geschwindigkeiten beschleunigte, nachdem die Polizeistreife ihn überholt hatte und ihrerseits die Geschwindigkeit erhöht hatte. Insbesondere kommen nach Auffassung der Kammer nicht die Konsequenzen zum Tragen, die bei einer rechtsstaatswidrigen Provokation zu einer Straftat gelten. Denn an einer solchen fehlt es hier nach Auffassung der Kammer.

Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt eine (unzulässige) Anstiftung vor, wenn sich die Polizisten nicht darauf beschränken, strafbares Verhalten zu ermitteln, sondern den Betroffenen derart beeinflussen, dass sie ihn anstiften, eine Straftat zu begehen, die er sonst nicht begangen hätte, um die Tat nachweisen zu können, d. h. um Beweise zu beschaffen und die Tat strafrechtlich zu verfolgen (EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2014, 54648/09 (Furcht/Deutschland), Rn. 48 m. w. N., zitiert nach Beck-online). Grund für das Verbot der Anstiftung durch die Polizei ist, dass sie die Aufgabe hat, Straftaten zu verhüten und aufzuklären, aber nicht, zu ihrer Begehung anzustiften (EGMR, a. a. O., Rn. 48). Um zu unterscheiden, ob die Polizei unter Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu der Tat angestiftet oder dem Täter eine Falle gestellt hat oder ob sie bei strafrechtlichen Ermittlungen rechtmäßige verdeckte Ermittlungstechniken angewandt hat, hat der Gerichtshof folgende Kriterien entwickelt: Bei der Entscheidung, ob die Ermittlung „im Wesentlichen passiv“ war, sind die Gründe zu prüfen, auf denen die verdeckte Maßnahme beruht, sowie das Verhalten der Beamten, die die Maßnahme durchgeführt haben (EGMR, a. a.O., Rn. 50). Dabei prüft der Gerichtshof unter anderem, ob auf den Beschuldigten Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen (EGMR, a. a. O., Rn. 52). In Rauschgiftfällen – in denen der Einsatz verdeckter Ermittler wohl am häufigsten ist – hat er festgestellt, dass die Ermittler sich unter anderem dann nicht mehr passiv verhalten, wenn sie von sich aus Kontakt zu dem Beschuldigten aufnehmen, ihr Angebot erneuern, obwohl es der Beschuldigte zunächst abgelehnt hat, ihn beharrlich drängen, indem sie den Preis über den durchschnittlich gezahlten erhöhen oder an das Mitleid des Beschuldigten appellieren, indem sie Entzugserscheinungen erwähnen (EGMR, a. a. O., Rn. 52 m. w. N.).

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt keine rechtsstaatswidrige Provokation der Tat gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, deren der Beschuldigte dringend verdächtig ist, vor. Im vorliegenden Fall fehlt es sowohl an jeglichem – in den vom EGMR genannten Beispielen sogar z. T. wiederholten – für eine Anstiftung zu fordernden (vgl. BGH, NStZ 2009, 393; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 26 Rn. 3) kommunikativen Akt, der zur Begehung der Straftat durch den Beschuldigten führte. Denn die insoweit allein in Betracht kommende Handlung der Polizisten, die zeitlich vor dem Beschleunigen des Beschuldigten liegende Geschwindigkeitserhöhung des zivilen Polizeifahrzeugs, entbehrt jeglicher Kommunikation mit dem Beschuldigten. Der bloßen, zeitlich der Beschleunigung des Beschuldigten vorhergehenden Geschwindigkeitserhöhung der Polizeistreife fehlt es zudem an jedweder ebenfalls vom EGMR geforderten Ausübung von Druck auf den Beschuldigten, seinerseits unter erheblicher Unterschreitung des Sicherheitsabstandes die Geschwindigkeit weit über die zulässige Höchstgeschwindigkeit hinaus zu erhöhen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine staatliche Tatprovokation vor, wenn ein verdeckter Ermittler (oder eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson) über das bloße „Mitmachen“ hinaus in Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt (BGH, Urteil vom 10. Juni 2015, 2 StR 97/14, Rn. 24, zitiert nach Beck-online). Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, wenn die Einwirkung auf die Zielperson im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist; im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen (BGH, a. a. O., Rn. 24 m. w. N.). In dem Fall, welcher dem zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs zugrunde lag, hatte ein verdeckter Ermittler („Ap.“) den Beschuldigten trotz dessen anfänglicher Verweigerungshaltung wiederholt gefragt, ob dieser ihm, dem Ap., nicht seine (aus Vorstrafen wegen Betäubungsmitteldelikten herrührenden) niederländischen Kontakte, nämlich Betäubungsmittellieferanten, vermitteln könne, er (Ap.) sei von seinem Lieferanten versetzt worden. Der Beschuldigte lehnte jedenfalls die erste, zweite und dritte Anfrage über einen Zeitraum von 10 Tagen ab, obwohl der verdeckte Ermittler ihm mitteilte, dass seine serbischen Abnehmer „rasend vor Wut seien“, da das Geschäft mit ihnen mangels Lieferung an ihn (Ap.) nicht zustande gekommen sei. Diese hätten K., einem weiteren verdeckten Ermittler, aufgelauert und ihn bedroht, weshalb Ap. seine Telefonnummer gewechselt, zusammen mit K seinen Wohnort verlassen habe und bei Bekannten untergekommen sei. Ap. bat den Beschuldigten anschließend um Hilfe und teilte mit, er sei bereit, jeden Preis zu zahlen, wobei der Beschuldigte auch diese Bitte ablehnte. Erst auf weiteres Drängen und die Schilderung noch intensiverer Drohungen durch die serbischen Abnehmer erklärte sich der Beschuldigte schließlich zur Vermittlung der Kontakte bereit.

Auch nach den Maßstäben des Bundesgerichtshofs liegt keine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vor. Es fehlt dem bloßen Beschleunigen der Polizeistreife, bevor der Beschuldigte seinerseits beschleunigte, bereits an der vom Bundesgerichtshof geforderten Einwirkung auf den Beschuldigten „mit einiger Erheblichkeit“. Darauf, dass das dargelegte Beispiel deutlich macht bzw. jedenfalls sehr nahe legt, dass auch der Bundesgerichtshof einen kommunikativen Akt, also eine geistige Willensbeeinflussung, voraussetzt, an der es hier, wie dargelegt, fehlt, kommt es danach nicht mehr an.“